Editorial

Heuschnupfen einfach wegimpfen?

(10.6.15)  Sind Pollenallergien künftig auch per Impfung behandelbar? Eine aktuelle Phase-2-Studie zeigt zwar keine spektakulären, aber immerhin passable Ergebnisse.  
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Wer nie ernsthaft unter Heuschnupfen litt, kann nicht ermessen, wie belastend die „pollenbedingte allergische Rhinitis" (so der medizinische Fachausdruck) sein kann – nicht nur aufs persönliche Wohlbefinden, sondern auch aufs Sozialleben, das Konzentrationsvermögen, den Schlaf und die physische Leistungs- und Arbeitsfähigkeit. Permanenter Heuschnupfen kann einen in die pure Verzweiflung treiben; davon Unbehelligte mögen sich einfach mal vorstellen, man hätte einen schlichten Schnupfen, kombiniert mit Juckreiz und tränenden Augen – aber nicht nur sieben Tage, sondern monatelang – und das ausgerechnet in der schönsten Zeit des Jahres: je sonniger, desto schlimmer.

Durchgeknallte Antikörper

Keim allen Unheils sind durchgeknallter Antikörper des Typs Immunglobulin E. Die hatten ursprünglich mal die Aufgabe, Parasiten abzuwehren. Schmarotzer und von ihnen hervorgerufene Krankheiten gibt's in unserer aseptisch-heilen westlichen Wohlstandswelt aber nicht mehr viele (zumindest nicht manifestiert in Homo sapiens), weswegen die arbeitslos gewordenen Immunglobuline sich neue Kontrahenten suchen: eingeatmete Pollen.

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Ob dieser als „Hygiene-These" bekannt gewordene Zusammenhang wirklich besteht und wirklich der Grund für die rapide steigenden Allergiepatientenzahlen ist, ist nicht zweifelsfrei geklärt, aber zumindest wahrscheinlich. Denn in den Ländern der Dritten Welt sind allergische Erkrankungen quasi unbekannt, und dass eine Kindheit auf dem „unhygienischen" Bauernhof fast schon eine Garantie gegen Allergien darstellt, ist unstrittig.

Urlaub auf dem Bauernhof: bringt nichts

Erwachsenen Allergikern bringt ein Urlaub auf dem Bauernhof leider nichts – außer einem neuen Schub lästiger Symptome. Heuschnupfen-geplagte Städter sollten sich in Akutphasen vielmehr mit Pharmaka aus der Apotheke behelfen. Etwa mit Cromoglicinsäure, die in aktivierten Mastzellen die Chloridkanäle und damit die Freisetzung von Histamin hemmt. Oder mit Histamin-Blockern („Antihistaminika") per Nasenspray oder Tablette, die die peripheren Histamin-H1-Rezeptoren hemmen und damit die anschwellende Wirkung des Histamins unterdrücken. Oder mit der „Cortison-Keule": Glukokortikoiden, deren moderne Varianten regelmäßig und für längere Zeit meist ohne relevante Nebenwirkungen verabreicht werden können. Alternativ auch mit Placebo-bedingten Pseudoheilmitteln wie Homöopathie, Akupunktur und Co., die zumindest naiven Gläubigen eine kuschelige Ahnung von Besserung verschaffen.

In krassen Akutfällen greifen Allergiker auch gerne zu ausgewachsenen Atemschutzmasken, kombiniert mit häufigem Haarewaschen sowie penibler Sauberkeit in den Schlafräumen. Und wenn die Verzweiflung ins Unendliche steigt, dann hilft womöglich ein achtwöchiger Keller- oder Helgolandurlaub. Dort ist die Allergen-Dichte niedriger.

Immuntherapie bisher…

Wer nicht alljährlich mit Medikamenten herumdoktern oder im Keller herumsitzen, sondern der Pollenallergie dauerhaft den Garaus machen möchte, der hatte bislang nur eine Option: die „spezifische Immuntherapie (SIT)", gemeinhin auch als „Hyposensibilisierung" bekannt. Mit ihr wird der Körper bzw. das Immunsystem gegen den Allergieauslöser unempfindlich gemacht – je früher (= jünger), desto erfolgreicher: Durch wiederholten kontrollierten Kontakt mit den entsprechenden Allergen versucht man, die bestehende Überempfindlichkeit schrittweise abzubauen.

Die SIT läuft subkutan (Injektion in den Oberarm) oder sublingual (Tropfen unter die Zunge, alternativ mittels einer „Allergie-Immun-Tablette") ab: Die Allergene werden intakt oder auch chemisch verändert alle 7 bis 14 Tage in steigender Dosis verabreicht – der Nachteil: Der Patient muss bis zu hundertmal seinen Arzt aufsuchen.

Der Wirkmechanismus der SIT ist nicht komplett aufgeklärt – man weiß aber, dass während der Therapie die Aktivität der TH1-Lymphozyten zunimmt und die der TH2-Helferzellen sinkt.

… künftig durch eine simple Impfung ersetzt?

Glaubt man den Aussagen einiger Österreicher, so könnte in wenigen Jahren eine simple Impfung die bisherige Heuschnupfen-Therapie ersetzen oder zumindest ergänzen. Biomay, eine in Wien beheimatete, kleine Aktiengesellschaft, wurde 1984 gegründet und verdiente zunächst mit rekombinanten Allergenen – sprich: mit Forschungsreagenzien – ihr Geld.

Längst aber ist man auch in der Entwicklung von Therapeutika zuhause – und vor wenigen Tagen, Anfang Juni, hatten die Wiener Wissenschaftler Erfreuliches zu vermelden: Es sei ihnen in einer klinischen Phase-II-Studie gelungen, die nasalen Symptome der Testpatienten „signifikant" zu vermindern. Auch die Reaktivität der Patientenhaut gegenüber Allergen-Extrakten (wie sie beispielsweise im „Prick-Test" ermittelt wird), sei merklich zurückgegangen. Möglich habe dies ein neuartiger Impfstoff gegen Gräserpollen-Allergie gemacht, den die Biomay-Forscher seit September 2011 am Menschen testen. Dessen Name: BM32. An der Studie mit der Registriernummer NCT01538979 hatten 181 Patienten teilgenommen; sie war bereits 2014 abgeschlossen worden. Seitdem wurde ausgewertet.

Wichtigstes Ergebnis: Die Allergiesymptome der Teilnehmer hätten sich in den zwei Wochen mit dem höchsten Pollenflug um 25 Prozent gegenüber dem Placebo statistisch signifikant verbessert. Auch das Wohlbefinden der Patienten habe sich „sehr signifikant" verbessert (ermittelt u.a. anhand eines „Lebensqualitäts-Fragebogens"). Im Vergleich zur oben erwähnten, spezifischen Immuntherapie (SIT) mit Produkten aus Gräserpollen-Extrakten habe die Behandlung mit dem Biomay-Impfstoff „zu keinerlei Erhöhung der Spiegel der für die Allergie verantwortlichen IgE-Antikörper" geführt; im Gegenteil: „Tatsächlich wurde der saisonale Anstieg dieses Spiegels durch die Behandlung sogar signifikant gedämpft."

Die Nebenwirkungen seien „zumeist mild oder mäßig und schnell abklingend" gewesen; die Behandlung mit BM32 sei „sehr sicher" und werde von den Patienten „sehr gut vertragen".

Peptid-Carrier-Fusionsproteine als Wirkstoff

Die Technologie-Plattform, mit der das rekombinante Gräserpollenallergie-Vakzin BM32 entwickelt wurde, basiert auf Arbeiten des Immunologen Rudolf Valenta von der Medizinischen Universität Wien: Die als Wirkstoff verwendeten Peptid-Carrier-Fusionsproteine bestehen einerseits aus dem viralen Hüllprotein PreS des HBV-Virus sowie aus Peptiden aus den IgE-Bindungsstellen der entsprechenden Allergene. Allerdings haben diese Fusionspeptide ihre Bindungseigenschaften für allergenspezifisches IgE verloren.

Biomay entwickelt derzeit weitere Impfstoffe gegen andere bedeutende Allergien, genannt seien etwa die Hausstaub-Milbe, Ragweed, Birke und Katzenhaar. All jene befinden sich jedoch noch im präklinischen Stadium und somit noch rund zehn Jahre von einer möglichen Zulassung entfernt.

Allergiker haben noch einige Sommer zu überstehen

All dies klingt danach, als ob die Tage der langwierigen, oft von den Patienten abgebrochenen Hyposensibilisierung gezählt seien. Vorerst jedoch müssen sich alle Pollenallergiker mit den traditionellen Behandlungsverfahren zufrieden geben: Eine Zulassung der Biomay-Impfung ist frühestens in einigen Jahren zu erwarten – und eine 25prozentige Verbesserung der Symptome ist, wenn auch erfreulich, dennoch noch lange nicht mit völliger Symptomfreiheit gleichzusetzen. Immerhin können sich Heuschnupfen-geplagte Hoffnung darauf machen, dass in wenigen Jahren eine zusätzliche Behandlungsoption verfügbar sein könnte.

Darauf nehmen wir schon mal einen kräftigen Sprühstoß aus dem Antihistaminika-Fläschchen!

Winfried Köppelle

Foto: Ambrosia-Pollenkorn in 3700-facher Vergrößerung (Quelle: Uni Marburg) – kein Gras, sondern ein Korbblütler, dennoch hoch-allergen.



Letzte Änderungen: 29.07.2015