Editorial

Duftmarken

(23.6.15) Dicke Luft im Labor. Nicht im zwischenmenschlichen, sondern im olfaktorischen Sinne. Ein neues Erlebnis unserer (anderen) TA.
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In dieser Woche findet bei uns gefühlt eine Expressionsmeisterschaft statt. Tag für Tag laufen die Inkubationsschüttler heiß, und die Börsenkurse für IPTG gehen durch die Decke.

Jedenfalls, die Luft. Heute Vormittag zog zuerst der bezaubernde Duft leicht angegammelter, autoklavierter Tomaten durch die Räumlichkeiten. Jetzt widmet sich ein Kollege hingebungsvoll dem Aufschluss frisch abgeschleuderter Escherichia coli-Zellen. Welches Protein auch immer die kleinen Sklaven unter seiner Knute exprimiert haben – es riecht wie der drei Wochen alte Kadaver eines Hundes, der im Hochsommer an 10 kg verdorbenem Fisch eingegangen ist.

Früher kursierte bei uns der Vorschlag, einen der unseren als Kandidat zu „Wetten dass?“ zu schicken. In der Show sollte er verschiedene Proteine anhand ihres Expressionsbouquets identifizieren. Meines Wissens ist aus dieser Wette nichts geworden. Bedauerlich! Das Protein „Toter Hund“ wäre jedenfalls ein unfehlbarer Treffer gewesen.

Editorial

Warum hat in all den Jahrzehnten, die E. coli nun schon im Dienste der Wissenschaft steht, niemand ein Additiv entwickelt, das die Stoffwechselausdünstungen der bakteriellen Helferlein optimiert? Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor. Bei der DNA-Insertion wird lediglich ein weiteres Plasmid hinzufügt, schon entströmt den Kulturen der liebliche Duft von Veilchen und Rosen. Welch ungeahnter Absatzmarkt liegt hier brach. Einen Slogan für die Werbekampagne habe ich bereits ersonnen: „One single Pax for the pAXE-effect“ (Pax ist dem Duden zufolge ein aus dem Flugjargon stammendes Kurzwort für "Passagier").

Der Laborfachhandel könnte sich mit Plasmid-Kreationen wie pFrischeBrise und pPatchouli übertreffen.

Und das wäre erst der Anfang.

Warum nicht Plasmide passend zur Jahreszeit kreieren? Zum Jahresende exprimiert man mit dem Duft pZimtsterne oder pSchneegestöber. Ganz famos wäre darüber hinaus eine Produkt-Palette für geschlechtliche Vorlieben. Ein Biowissenschaftler von Welt verliert möglicherweise vor seinen männlichen Kollegen das Gesicht, wenn seine Kulturen einen zarten Jasminduft verströmen. Nein, der gestandene Forscher wählt stattdessen pNeuesLeder oder pMotoröl.

Eine mögliche Erweiterung des Sortiments läge in Kombiplasmiden, die E. coli veranlassen, bei erfolgreicher Proteinexpression den Duft zu wechseln. Von „Frühlingsblüte“ zu „reifer Apfel“ oder so ähnlich. Da hat man gleich einen Indikator. Einmal kurz schnuppern und man spart sich das Kontrollgel. Brillant.

So betrachtet ein schöner Gedanke. Was aber geschähe an Tagen wie heute?
Hätte jeder der Expressionisten sein Lieblingsplasmid zum Einsatz gebracht, röche es hier wie in einer Parfümerie, die von den Hells Angels okkupiert wurde.

Vielleicht ist die Laborwelt doch noch nicht reif für derart revolutionäre Neuerungen. 

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 03.08.2015