Editorial

Wenn Forschung an die Nieren geht

(15.7.15). „Laufen wir den ganz blassen Patienten nach, dann landen wir auf der Nierenstation." Der Tübinger Physiologe Florian Lang im Laborjournal-Interview.
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Im Juniheft haben wir Ihnen die Crème de la Crème der Nieren- und Hochdruckforscher im deutschsprachigen Raum vorgestellt. Auf Platz eins der meistzitierten Köpfe landet der Physiologe Florian Lang von der Universität Tübingen. Mit uns hat er über seine Forschung gesprochen und erklärt, warum auch scheinbar gesunde Nieren krank machen können.

 

Laborjournal: Einer unserer Redakteure hat ausgerechnet, dass Sie im Schnitt alle sechs Tage ein Paper publizieren. Wann schlafen Sie?


Florian Lang: Nachts. Aber es stimmt schon, ich arbeite sehr viel, bestimmt 80 Stunden pro Woche. Und ich habe sehr gute Mitarbeiter. Die allermeisten Paper schreibe ich zwar selbst, aber die Daten werden von den Mitarbeitern generiert. Das sind wunderbare Leute, da habe ich über die Jahre hinweg immer Glück gehabt.

 

Wer Ihren Namen bei Pubmed eintippt, findet nicht nur Publikationen zu nephrologischen Themen, sondern auch Paper über Ionenkanäle oder das Sterben von Erythrozyten. Was ist der rote Faden Ihrer Forschung?


Lang: Meine wissenschaftliche Heimat ist zum einen die Nephrologie und zum anderen die Physiologie. Meistens geht es bei meiner Arbeit um Prozesse zum Membrantransport und deren pathophysiologische Auswirkungen. Dem bin ich auch immer treu geblieben. Aber manchmal lassen wir uns durch unsere Beobachtungen auch dazu verleiten, uns wegzubewegen vom ursprünglichen Thema. Allerdings sind viele Dinge, die auf den ersten Blick nichts mit der Niere zu tun haben, trotzdem für die Nephrologie relevant. Die Niere ist ein interessantes Organ.

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Man reduziert die Niere ja gern auf ein Ausscheidungsorgan, dabei hat sie auch noch vegetative und endokrinologische Funktionen.


Lang: Ja, die Niere hat ganz unterschiedliche Aufgaben, wobei das letztlich natürlich auch für das Herz oder andere Organe gilt. Aber die Niere ist a priori ein Organ, das eben die Homöostase reguliert und für den Salzwasserhaushalt, den Blutdruck, die Kalzifizierung und für das Altern eine wesentliche Rolle spielt. Sie reguliert das Milieu, in dem die Zellen leben. Man darf auch nicht vergessen, dass es nicht nur die kranke Niere ist, die krank macht.

 

Das verstehe ich nicht!


Lang: Auch eine scheinbar gesunde Niere kann Elektrolytstörungen oder Hypertonie erzeugen. Die Niere reguliert ja langfristig den Blutdruck und spielt da eine ganz entscheidende Rolle. Etwa die Hälfte der Bevölkerung entwickelt im Lauf des Lebens eine Hypertonie. Von denen haben sieben Prozent eine Nierenkrankheit, bei einem Prozent findet man endokrine Störungen, doch bei über 90 Prozent weiß man gar nicht, warum Hypertonie auftritt. Wenn man sich aber Gene anschaut, die mit Hypertonie in Zusammenhang stehen, dann sind das zum großen Teil Gene, die Nierenfunktionen beeinflussen. Natürlich lernt man im Medizinstudium, dass Hypertonie durch die Niere ausgelöst werden kann, wenn zum Beispiel eine Glomerulonephritis oder eine Zystenniere vorliegt. Aber das betrifft eben nur diese sieben Prozent der Hypertoniker. Es sind jedoch weitaus mehr als 50 Prozent der Bluthochdruckpatienten, bei denen die Ursache der Hypertonie in der Niere liegt, weil unter anderem ein Polymorphismus eines Natriumkanals, eines anderen Transportproteins, von Transport-regulierenden Kinasen oder des Angiotensin-Systems vorliegt.

 

Dann ist die Niere ja letztlich doch nicht gesund, sondern sehr wohl in ihrer Funktion gestört!


Lang: Eben nicht. Nur weil eine Niere vielleicht zu viel Natrium resorbiert, würde man das nicht unbedingt als Nierenerkrankung ansehen. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Afroamerikaner haben im Schnitt einen höheren Blutdruck als weiße Amerikaner. In vielen afrikanischen Regionen muss der Körper gut mit Flüssigkeitsverlust klarkommen. Da ist es von Vorteil, wenn die Niere besonders gut Natrium resorbiert. Trotz renaler Natriumretention haben die Menschen in Afrika keine Hypertonie. Wenn sie aber dann in die USA kommen, wo viel mehr Kochsalz gegessen wird, dann führt diese erhöhte Natriumresorption zu Bluthochdruck.

 

Also müssten sich Menschen, die aus Afrika stammen, natriumärmer ernähren.


Lang: Ja. Denn wenn sie der gleichen Ernährung ausgesetzt sind wie die weiße Bevölkerung oder Chinesen oder Japaner, dann neigen sie stärker zu erhöhtem Blutdruck. Ein weiteres Beispiel betrifft den Mineralhaushalt. Die Niere entscheidet darüber, wie viel 1,25-Dihydroxycholecalciferol gebildet wird.

 

Das ist die biologisch aktive Form von Vitamin D.


Lang: Und dessen Menge bestimmt, wie viel Kalzium und Phosphat im Darm absorbiert wird. Das schafft einerseits die Vorraussetzungen für die Knochenmineralisierung, andererseits ist aber auch die Gefahr einer Verkalkung des übrigen Gewebes gegeben. Dadurch beschleunigt sich das Auftreten altersassoziierter Krankheiten. Das konnten wir an Klotho-Mäusen zeigen.

 

Eine Mauslinie, bei der die Funktionalität des Klotho-Proteins eingeschränkt ist. Klotho wird vor allem in der Niere exprimiert und hemmt normalerweise die Synthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol.


Lang: Genau. Und weil die Tiere kaum Klotho bilden, wird ungebremst 1,25-Dihydroxycholecalciferol hergestellt. Dann absorbiert der Darm mehr Kalziumphosphat, und das führt dazu, dass Hyperphosphatämie und Hyperkalzämie zusammentreffen. Dabei fällt Kalziumphosphat aus, und osteogenes Signalling wird ausgelöst. Die Niere selber erscheint dabei normal, obwohl in ihr die Ursache für das Problem liegt.

 

Aber diese knochenbildenden Signale braucht der Säugerorganismus doch, um gesund zu sein.


Lang: Ja, aber bei den Klotho-Mäusen verkalkt dann sozusagen der gesamte Körper. Das Überraschende dabei ist, dass diese Verkalkung ausreicht, um eine Myriade von altersassoziierten Erkrankungen auszulösen. Von der dünnen Haut über Emphysem bis hin zu kognitiven Defekten hat die Maus im Grunde alles, was einen alternden Organismus ausmacht. Sie stirbt innerhalb von 100 Tagen an diesen Alterungsprozessen.

 

Ihre Arbeitsgruppe hat es aber geschafft, das verfrühte Altern dieser Tiere aufzuhalten.


Lang: Das stimmt. Christina Leibrock hat dieses wunderbare Experiment gemacht und den Mäusen Ammoniumchlorid ins Trinkwasser gegeben (J Am Soc Nephrol. 2015 Feb 2. pii: JASN.2014030230). Und dann waren all diese verfrühten Alterserscheinungen verschwunden, trotz erhöhter Kalzium- und Phosphatspiegel. Es kommt zu keinem übermäßigen osteogenen Signalling und damit auch nicht mehr zu einer Verkalkung der Gewebe.

 

Was macht Ammoniumchlorid denn im Organismus?


Lang: Ammoniumchlorid bewirkt eine Alkalinisierung der sauren intrazellulären Kompartimente. Diese sauren Kompartimente sind offenbar relevant für das osteogene Signalling.

 

Nun sind die Daten Ihrer Arbeitsgruppe aus Mäusen. Könnten auch wir Menschen Ammoniumchlorid einnehmen? Als Nahrungsergänzungsmittel gegen das Altern?


Lang: Ohne eine saubere klinische Studie würde ich das nicht propagieren. Die Voraussage wäre zwar in der Tat, dass man mit Ammoniumchlorid das Altern hinauszögern kann, doch ob das beim Menschen wirklich funktioniert, welche Dosierung man bräuchte und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind, das wissen wir nicht. Meine Intention besteht darin, erst mal denen zu helfen, die wirklich ein dramatisches Problem mit der Verkalkung haben. Das sind vor allem niereninsuffiziente Patienten. Durch die dramatische Gefäßverkalkung bekommen diese Patienten nämlich viel häufiger Herzinfarkte, Arteriosklerose oder Schlaganfälle. Um die Wirkung von Ammoniumchlorid für diese Patientengruppe klinisch zu testen, brauchen wir einen industriellen Partner. Wir sind hierzu gerade in Verhandlungen.

 

Vitamin D-Mangel ist in diesen Tagen eine häufige Diagnose. Doch Ihre Studien legen ja nahe, dass die Wirkung von Vitamin D gesundheitliche Risiken haben kann. Soll man nun Vitamin D-Präparate einnehmen oder nicht?


Lang: Hohe Vitamin D-Spiegel haben auch Vorteile; die Aktivität der Blutplättchen verringert sich, und außerdem ist bekannt, dass Vitamin D auch Tumorwachstum vermindert und Entzündungsreaktionen lindert. Aber zu viel Vitamin D kann eben zu dramatischen Problemen führen. Doch wenn Sie tatsächlich einen Vitamin D-Mangel haben, dann würde ich Sie nicht davon abhalten wollen, Vitamin D einzunehmen.

 

Sie interessieren sich auch für eine bestimmte Form des Absterbens roter Blutkörperchen. Es geht um die sogenannte Eryptose (Semin Cell Dev Biol. 2015 Mar;39:35-42). Was hat das mit den Nieren zu tun?


Lang: Als Medizinstudenten wussten wir schon: wenn wir den extrem blassen Patienten nachlaufen, dann landen wir auf der Nierenstation. Inzwischen weiß man, dass bei einer Niereninsuffizienz zu wenig Erythropoetin gebildet wird. Seitdem behandelt man solche Patienten mit Erythropoetin. Zwar mit Erfolg, aber nicht mit vollem Erfolg. Die Patienten bleiben anämisch. Wir haben kürzlich herausgefunden, dass die Bildung von Erythrozyten bei Erythropoetin-behandelten Patienten tatsächlich eher gesteigert und nicht reduziert ist.

 

Und trotzdem fehlen ihnen rote Blutkörperchen? Das klingt paradox!


Lang: Der Grund dafür ist, dass die Niereninsuffizienz zu Eryptose führt.

 

Also zum Zellsuizid von Erythrozyten. Wie kommt das?


Lang: Die Nieren dieser Patienten können bestimmte Giftstoffe nicht mehr ausscheiden, sogenannte Urämietoxine wie Indoxylsulfat oder Methylglyoxal. Und diese Substanzen lösen Eryptose aus. Wenn man dann zu viel Erythropoetin gibt, dann erzeugt man nicht nur viele neue Erythrozyten, sondern auch viele sterbende Erythrozyten. Die verlegen dann die Gefäße und lösen Mikrozirkulationsstörungen aus. Man müsste bei niereninsuffizienten Patienten also zusätzlich noch die Eryptose hemmen, und da suchen wir im Augenblick einen Partner aus der Pharmabranche.

 

Vielleicht liest dieses Interview ja ein Pharmaunternehmen, das Sie unterstützen möchte.


Lang: Das wäre wunderbar! Dann hätte Laborjournal mitgeholfen, dass ein Wirkstoff für hunderttausend Patienten allein in Deutschland entwickelt werden kann.

 

Ein weiteres Molekül, das in Ihren Papern und Reviews häufig auftaucht, ist die serum-and-glucocorticoid-inducible kinase-1, oder kurz: SGK1.


Lang: Mein Mitarbeiter Siegried Waldegger hat das Gen durch Random Primer PCR entdeckt. Wir hatten damals in den 90ern nach Genen gesucht, die das Zellvolumen regulieren. Und was da am dramatischsten rauf und runter gegangen ist, war diese Kinase (Proc Natl Acad Sci U S A. 1997 Apr 29; 94(9): 4440–4445). Wir haben dann sehr schnell erkannt, dass SGK1 auch eine Rolle beim Metabolischen Syndrom spielt, also Übergewicht, Hypertonie und Diabetes. Dabei sind wir auf einen Polymorphismus gestoßen, der zu einer Überaktivität dieser Kinase führt und drei bis fünf Prozent der Europäer betrifft. Die haben einen höheren Blutdruck, sind dicker und bekommen eher Diabetes.

 

Welche Funktion hat die SGK1?


Lang: SGK1 ist durch Glucocorticoide induzierbar und hilft den Zellen, sich an Stresssituationen anzupassen. Die Kinase erhöht den Blutdruck, beschleunigt die Repolarisation des Herzens und die zelluläre Glucoseaufnahme und macht den Organismus leistungsfähiger. Das war sicher wichtig für Ihre Vorfahren, die in Afrika vor den Löwen davonrennen mussten. Heute sind wir aber körperlich weniger gefordert. Und wenn wir nicht mit 60 einen Schlaganfall bekommen wollen, dann leben wir ohne SGK1 besser. Auch wenn wir dann vielleicht keinen Marathon gewinnen.

 

Dazu haben Sie ein Tiermodell. Mäuse mit einem Knockout im SGK1-Gen neigen weniger zu Übergewicht und hohem Blutdruck.


Lang: Und außerdem spielt SGK1 eine Rolle beim Tumorwachstum und bei der Resistenz gegenüber Zytostatika. Mäuse ohne SGK1 entwickeln viel weniger Tumore als die Kontrolltiere. Denn die Kinase schützt auch die Tumorzellen bei Stress, wie er zum Beispiel durch Bestrahlung oder bei Chemotherapie auftritt.

 

Damit wäre SGK1 ja ein interessanter Angriffspunkt für alle möglichen Medikamente, oder?


Lang: Ja, aber das ist eine traurige Geschichte. Wir hatten mit Merck eine Kooperation, und denen war tatsächlich die Entwicklung eines Inhibitors gelungen. Der war gedacht, um diabetische Nephropathie zu lindern. Denn dabei geht SGK1 ebenfalls dramatisch in die Höhe und löst Fibrosierung des Gewebes aus.

 

Womit sich der Kreis zur Nierenforschung schließt.


Lang: Zu unserem großen Bedauern hat Merck die Entwicklung des SGK1 Inhibitors eingestellt.

 

Und Sie selber wollen nicht aktiv in die Medikamentenforschung einsteigen?


Lang: Nein, das kann die Pharmaindustrie besser als wir. Wir sind Physiologen und entwickeln keine Medikamente. Ich sehe mich als Grundlagenforscher. Außerdem fehlen der Universität die Ressourcen und die Infrastruktur, die man zur Produktentwicklung braucht. Meine Hoffung ist aber, dass unsere Erkenntnisse langfristig helfen, etwas gegen Verkalkung und Eryptose bei niereninsuffizienten Patienten zu tun. Und dass irgendwer noch mal die SGK1-Inhibitoren aufgreift. Letztere dürften vor allem bei der Behandlung therapieresistenter Tumore attraktiv sein.

Interview: Mario Rembold

Foto: Florian Lang

 



Letzte Änderungen: 28.08.2015