Editorial

"Wissenschaft ist eine Methode, kein Weltbild"

(1.10.15) Im aktuellen Heft berichten wir über Homöopathie an der LMU München. Laut LMU ist Homöopathie zwar "wissenschaftlich haltlos". Praktiziert wird der Hokuspokus dort trotzdem. Natalie Grams war konsequenter: Als sie erkannte, wie es um die Grundlagen der Homöopathie steht, gab sie ihre Praxis auf.
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Foto: G. Ortner


Laborjournal: Ihr Buch "Homöopathie neu gedacht" hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Können Sie dazu ein wenig erzählen?

Natalie Grams: Ich bin lange Jahre mit Überzeugung als homöopathische Ärztin tätig gewesen und hatte meine eigene homöopathische Praxis. Meine Überzeugungen wollte ich in einem Buch niederschreiben.

Bei der Recherche habe ich dann aber feststellen müssen, wie viele Punkte gegen das Grundkonstrukt der Homöopathie sprechen. Das hat mich schon umgehauen und führte in einem langen Entscheidungsprozess zur Abwendung von der Methode. Und damit konsequenterweise auch zur Praxisaufgabe.

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Laborjournal: Ein drastischer Schritt. Kann man das an einem bestimmten Punkt festmachen, an dem Sie vielleicht über eine Erkenntnis gestolpert sind und feststellten: Das ist ja alles ganz anders, als ich es mir immer vorgestellt habe?

Grams: Das Buch "Die Homöopathie-Lüge" (von Christian Weymayr und Nicole Heißmann) hat da eine gewisse Rolle gespielt. Die Autoren hatten mich im Rahmen ihrer eigenen Recherche befragt. Damals hatte ich noch voller Inbrunst von den Vorzügen der Homöopathie berichtet. Deren Buch war für mich mit ein Auslöser, selbst ein Buch zu schreiben – sozusagen als Gegenentwurf zu "Die Homöopathie-Lüge".

Dass es dann aber ein Homöopathie-kritisches Buch geworden ist, das war wirklich ein Prozess. Es gibt frühere Versionen von Teilen des Manuskripts, die sehen ganz anders aus als das, was jetzt herauskam.

Laborjournal: Sie schreiben in ihrem Blog, eine wichtige Erfahrung aus der Recherche zu ihrem Buch sei dies: "Wissenschaftler haben ein ehrliches Interesse daran, die Wahrheit herauszufinden".

Grams: Unter Homöopathen hat man oft ein ganz verzerrtes Bild von Wissenschaft und wissenschaftlichem Arbeiten. Wissenschaft wird für eine Art Weltbild gehalten, dem man sich als Homöopath am besten widersetzt. Es wird dabei gar nicht klar, was für ein mühsames, detailliertes Arbeiten und Denken in der Wissenschaft erforderlich ist, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wissenschaft ist eben kein Weltbild, sondern eine Methode.

Als Arzt ist man wissenschaftliches Arbeiten aber gar nicht gewohnt, das Studium beschränkt sich im Wesentlichen auf Auswendiglernen. Das wissenschaftliche Denken kommt dabei sehr kurz. Ich wüsste jetzt gar nicht, wo das im Studium vorgekommen wäre.

Laborjournal: Ist die Alternativmedizin in ihrem Medizin-Studium auch schon vorgekommen?

Grams: Nein, gar nicht. Damals, vor über 15 Jahren, war das verpönt. Man galt als nicht ganz ernstzunehmen, wenn man sich für Alternativmedizin interessiert hat. Das wurde damals privat erarbeitet, in Studentengruppen und selbst organisierten Workshops.

Laborjournal: Wie beurteilen sie, dass es jetzt immer mehr offizielle Wahlpflichtfächer gibt, in denen Homöopathie gelehrt wird, wie beispielsweise an der LMU München und an anderen Universitäten?

Grams: Ich habe mir das auf der Homepage der Carstens-Stiftung angeschaut. Ich war geschockt, wo Kurse zur Homöopathie schon überall regulär angeboten werden. Namhafte Universitäten, Elite-Unis bieten diese Kurse an. Aus heutiger Sicht wundert mich das sehr.

Laborjournal: An der LMU München beispielsweise wird Homöopathie nicht nur im Rahmen von Wahlpflichtfächern gelehrt, sondern auch praktiziert, insbesondere an der Haunerschen Kinderklinik. Gibt es dafür eine Berechtigung?

Grams: Ich kann aus heutiger Sicht nicht sagen, dass die Homöopathie an einer Universitätsklinik überhaupt eine Berechtigung hätte. Und an der Kinderklinik erst recht nicht. Denn da wird schon ein Weg bereitet, bei Eltern, aber dann auch bei den Kindern: Der Eindruck entsteht, dass homöopathische Mittel helfen. Das ist ja die komplett falsche Basis.

Laborjournal: Haben Sie Verständnis für Ärzte, die selbst nicht homöopathisch arbeiten, aber trotzdem eigentlich ganz froh sind, dass es dieses Angebot z. B. an einer Kinderklinik gibt? Denn für Gespräche und Zuwendung, wie Homöopathen sie bieten, hat ein Klinikarzt sonst ja kaum Zeit.

Grams: Das ist eine Frage, die ich auch nicht richtig beantworten kann. Auch in meiner Praxis habe ich gesehen, wie gut den Patienten die Homöopathie tut. Aber eben nicht aus arzneilichen Gründen, sondern wegen den menschlichen Aspekten, den Zuwendungs-Aspekten. Das ist gerade an einer Kinderklinik unglaublich wichtig. Deshalb gibt es da auch keine ganz einfache Antwort. Es sollte vielleicht möglich sein, dass Ärzte lange Gespräche abrechnen können – auch ohne Homöopathie. Und: man könnte mehr über Placebos forschen.

Laborjournal: Man könnte also sagen: Die Globuli haben keinen spezifischen Effekt, aber der Homöopath schon?

Grams: Das ist auch die Quintessenz meines Buches: Der praktische Teil der Homöopathie, dass man sich den Patienten aufmerksam zuwendet, ist unglaublich wertvoll. Das müssen wir in den medizinischen und klinischen Alltag hinüberretten – aber ohne den magischen Anteil mit Schütteln und Potenzieren.

 

Interview: Hans Zauner

 



Letzte Änderungen: 14.01.2016