Editorial

"Manchmal fühle ich mich als Exot"

(8.10.15) Der Medizin-Nobelpreis hat Flussblindheit und Elephantiasis in den Blick gerückt - Krankheiten, die bei uns weitgehend unbekannt sind. Aber auch in Deutschland wird an parasitischen Nematoden geforscht. Ein Interview mit dem Bonner Parasitologen Achim Hörauf.
editorial_bild

Schon vor einem halben Jahr hatten wir im Laborjournal die Parasitologen in unserer Publikationsanalyse unter die Lupe genommen. Ein Online-Interview kurz darauf widmete sich speziell den Malaria-Erregern. Jetzt ging der Nobelpreis an drei Parasitologen, und vor allem die Malariaforschung wird in diesen Tagen medial thematisiert.

Doch eine Hälfte des Preisgeldes geht an William Campbell und Satoshi Omura, die an Infektionen durch Fadenwürmer forschen. Ebenso wie der Bonner Humanmediziner Achim Hörauf. An der Uniklinik leitet Hörauf das Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie. Er erforscht Filariosen – Erkrankungen wie Flussblindheit oder Elefantiasis. Überträger der Erreger sind Kriebelmücken und andere Dipteren, über die die Larven in den menschlichen Organismus gelangen. Die Parasiten können dann unter anderem die Augen schädigen und schlimmstenfalls den Patienten erblinden lassen. Bei der Elephantiasis lösen die Würmer Entzündungen und einen Lymphstau aus – die Gliedmassen schwellen an und bilden die typischen „Elefantenbeine“.

Editorial

Laborjournal: Ich bin zwar Biologe, musste die Flussblindheit aber trotzdem noch mal nachschlagen. Auch in unserer Publikationsanalyse vom Frühjahr zeigte sich, dass Parasitologie im Vergleich zu anderen medizinisch relevanten Disziplinen weniger populär ist und nicht so viele Paper publiziert werden. Fühlt man sich als Parasitologe da manchmal von anderen Medizinern und Biologen übersehen?

Achim Hörauf: Ja und nein. Auf der einen Seite ist seit einigen Jahren eine sehr starke Zunahme der Drittmittelgeber zu verzeichnen. Das sind aber vor allem die internationalen Förderer wie die Bill Gates Foundation, der British Wellcome Trust oder die USAID. Deutschland hinkt noch hinterher, holt aber langsam auf. Zum Beispiel durch die Afrika-Initiative des Bundesforschungsministeriums. Auch die Kanzlerin hat im Frühsommer klar gesagt, dass man mehr gegen vernachlässigte Tropenerkrankungen tun muss. Trotzdem fühle ich mich manchmal auch ein bisschen als Exot, auch bei der Wahrnehmung innerhalb der eigenen Fakultät. Aber auch da findet ein Umdenken statt, gerade hier in Bonn. Wir legen hier jetzt zusammen mit der United Nations University einen Master in Global Health auf. Bestimmt wird auch die aktuelle Tagespolitik ein neues Bewusstsein schaffen, denn durch die vielen Flüchtlinge bekommen wir jetzt natürlich einen unmittelbaren Bezug zu Krankheiten aus der Parasitologie, die man sonst eben nur aus dem Lehrbuch kennt.

Laborjournal: Und jetzt rückt die Parasitenforschung auch durch den Nobelpreis ins Rampenlicht. Da geht es nicht zuletzt um Ihr Forschungsgebiet: Krankheiten, die durch Fadenwürmer hervorgerufen werden. Wie Flussblindheit und Elephantiasis. Die sogenannten Filariosen. Wird der diesjährige Medizin-Nobelpreis der Parasitenforschung nützen und beispielsweise auch Ihre Arbeit erleichtern?

Achim Hörauf: Der Paradigmenwechsel hat schon länger stattgefunden, wie etwa beim erwähnten G7-Gipfel. Ich glaube, der Nobelpreis bestätigt das eher und bestärkt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber wenn es um den Teil des Nobelpreises geht, der der Filarienforschung gilt – da wird es nach wie vor eine Vernachlässigung geben, weil es um Krankheiten geht, die nicht so einfach übertragen werden. Man wirft das gern in einen Topf: Malaria wird von Anopheles- und Flussblindheit von Kriebelmücken übertragen. Aber die Effizienz bei der Übertragung von Flussblindheit oder Elephantiasis ist sehr viel geringer. Deswegen bekommen eigentlich nur Leute diese Krankheiten, die mindestens ein halbes Jahr in den Endemiegebieten leben. Das kommt schon mal bei Peaceworkern oder Firmenmitarbeitern vor, aber ist kaum eine Gefahr für Touristen.

Laborjournal: Demnach haben Sie also keine Sorge, sich zu infizieren, wenn Sie in den betroffenen Regionen Afrikas oder Südamerikas unterwegs sind?

Achim Hörauf: Doch doch! Eine meiner Mitarbeiterinnen, die länger im Feld war, hat sich wahrscheinlich einmal infiziert und ist dann vorsorglich medikamentös behandelt worden. Da haben wir später zusätzlich noch eine Doxycyclin-Behandlung vorgenommen.

Laborjournal: Auf das Doxycyclin kommen wir sicher noch zu sprechen. Eigentlich sieht die Standardtherapie für die Flussblindheit aber anders aus: Man gibt einen Wirkstoff namens Ivermectin, den wir einem der aktuellen Nobelpreisträger verdanken.

Achim Hörauf: Die große Leistung von William Campbell ist aber nicht einfach nur, dass er dieses Medikament mit entwickelt hat, sondern er hat maßgeblich zu einem Paradigmenwechsel bei Merck[1] beigetragen. So gehört es seit den frühen 90ern zur Unternehmenspolitik von Merck, dass eben Ivermectin zur Bekämpfung von Filariosen als Spende gegeben wird, solange es die WHO benötigt, um die Erkrankungen zu eliminieren. Und gerade diese Fürsorge für die Menschen würdigt das Nobel-Komitee ja auch in seinen Entscheidungen. Womöglich war es auch dessen Absicht, auf diese G7-Thematik zu reagieren und auch hier jemanden auszuzeichnen.

Laborjournal: Trotzdem ist das Ivermectin noch nicht das ideale Medikament. Warum nicht?

Achim Hörauf: Ivermectin tötet zwar die Larven ab, nicht aber die erwachsenen Würmer.

Laborjournal: Allerdings gibt es auch einen klassischen Wirkstoff, der die adulten Stadien abtötet!

Achim Hörauf: Das wäre das Suramin, eine ganz alte Substanz, die noch auf Robert Koch und seine Mitarbeiter zurückgeht.

Laborjournal: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat man das als Medikament eingesetzt, oder?

Achim Hörauf: Genau, ja. Aber Suramin kann auch für den Patienten tödlich sein. Das ist primär für die Schlafkrankheit entwickelt. Und wenn eine Krankheit zu 100 % letal ist, akzeptiert man gezwungenermaßen auch eine gewisse Todesrate durch das Medikament, wenn keine Alternativen bestehen, was lange Zeit bei der Schlafkrankheit der Fall war. Aber bei der Flussblindheit, die die Leute nicht primär umbringt, ist das eigentlich nicht indiziert.

Laborjournal: Sie und Ihre Kollegen sind aber auf eine Alternative gestoßen, mit der man auch andere Stadien des Wurms loswerden kann.

Achim Hörauf: Das ist im Prinzip der Grund, warum ich im Laborjournal relativ weit vorn im Parasitologen-Ranking gelandet bin. Wir haben in den 90er Jahren festgestellt, dass die Würmer in Symbiose mit Endobakterien leben, den Wolbachien. Die kann man mit Doxycyclin bekämpfen (Lancet. 2000 Apr 8;355(9211):1242-3). Wir haben diese Entdeckung über die letzten Jahre zu einer Therapie entwickelt, die von den Fachgesellschaften anerkannt wird und die einzige vernünftige Möglichkeit ist, bei der Flussblindheit den erwachsenen Wurm abzutöten.

Laborjournal: Das klingt überraschend, dass man eigentlich nur ein primitives Antibiotikum braucht, um die Krankheit zu behandeln.

Achim Hörauf: Ja, das ist eigentlich banal, oder? Vielleicht liegt es an der langen Therapiedauer, dass man das Medikament nicht vorher entdeckt hat. Gibt man das Antibiotikum drei Wochen, hat man fast keinen Effekt, nach vier Wochen hingegen ist die Wirkung ziemlich stark. Dann hören die Würmer zunächst auf, Nachkommen zu produzieren [Anmerkung: die adulten Tiere produzieren Mikrofilarien, die sich im Körper ausbreiten und auch wieder von den Kriebelmücken aufgenommen werden können]. Wenn man die Dosis lang genug hält, sterben auch die adulten Würmer ab. Das Gute daran: Man kann auch eine Art High Throughput Screening aufbauen. Bei vielen Antiparasitika kennt man den Wirkmechanismus nicht, aber hier versteht man das Prinzip. So kann man Wolbachien auch in Zelllinien von Insekten kultivieren und systematisch nach Wirkstoffkandidaten suchen.

Laborjournal: Mittlerweile haben Sie weitere Antibiotika gefunden, die womöglich verträglicher sind als Doxycyclin, wie beispielsweise Corallopyronin (Int J Med Microbiol. 2014 Jan;304(1):72-8). Kann man damit auch andere Filariosen behandeln?

Achim Hörauf: Ja, das hilft im Prinzip immer gegen alle Fadenwürmer, die diese Endobakterien in sich tragen. Und Corallopyronin ist eine Eigenentwicklung aus einem DFG-Forschungsprojekt, die wunderbar wirkt. Wir haben ja auch Mausmodelle, und den Tieren geschieht anscheinend nichts Schlimmes an den Organen. Doxycyclin hingegen darf man ja erst ab dem neunten Lebensjahr geben, weil es die Calciumeinlagerung stört.

Laborjournal: Jetzt mal ganz ehrlich unter uns Laborjournal-Lesern: Sind Sie nicht neidisch auf William Campbell und Satoshi O?mura? Alles deutet doch darauf hin, dass Ihre Antibiotikum-Therapie sehr viel effektiver und schonender ist – und da stecken ja schließlich auch zwanzig Jahre Arbeit drin!

Achim Hörauf: Nein, da bin ich nicht neidisch. Wenn es uns gelungen wäre, im Nachgang zum Doxycyclin, relativ schnell noch ein Antibiotikum zu finden, das auch mit einer ganz kurzen Therapiedauer wirkt, wäre das etwas anderes. Der Vorteil an Campbells Ivermectin ist die Kürze der Therapie. Sie können einmal im Jahr das Medikament geben und so viele Menschen erreichen. Es lässt sich logistisch sehr gut organisieren, dass das Medikament auch in die Dörfer und Distrikte verteilt wird. Das kann man so mit einer Doxycyclin-Therapie logistisch nicht auf die Beine stellen, auch wenn der Therapieerfolg deutlich besser ist.

Laborjournal: Also gibt man Ivermectin vorbeugend, damit sich Larven im Fall einer Infektion gar nicht entwickeln können?

Achim Hörauf: Beim Menschen wird es auch therapeutisch gegeben, wohlwissend, dass man die adulten Würmer nicht abtöten kann. Aber man tötet die Larven; und die gehen bei einer Infektion in die Augen und die Haut. Insofern nimmt man den Leuten die Krankheitssymptome. Und wenn die Wurmlarventräger in der Bevölkerung weniger werden, dann reduziert man auch die Übertragung. Die Hoffnung ist, dass man irgendwann den Zyklus ganz unterbrechen kann.

Laborjournal: Sie haben am Anfang unseres Gesprächs auch die Zuwanderung erwähnt. Demnach kommen Menschen nach Europa, von denen einige mit Parasiten infiziert sein könnten. Und auch hierzulande gibt es Anopheles-Arten und Kriebelmücken. Bekommen wir künftig Parasitenerkrankungen, die in Europa längst als ausgerottet galten?

Achim Hörauf: In der Veterinärmedizin gibt es solche Fälle. Beispielsweise die von einem Fadenwurm verursachte Dirofilariose des Hundes. Die hat sich ganz stark über Ungarn weiter nach Mitteleuropa ausgebreitet, und wir wissen, dass es jetzt auch Herde in Deutschland gibt. Wenn wir bei Humanparasitosen jetzt sehr viele infizierte Menschen hätten, könnten sich grundsätzlich auch hier autochtone Infektionszyken aufbauen. Aber alle Migranten werden ja erst einer Untersuchung unterzogen, und dann fällt beispielsweise eine Leishmaniose auf, wie sie in Syrien weit verbreitet ist. Die Patienten werden aber behandelt, und dadurch hat man die Krankheit auch im Griff. Sie müssen sich klarmachen: Auch in den USA, Nordaustralien und Europa gab es mal Malaria, und man hat systematisch alle Infizierten behandelt und damit in diesen Gegenden auch die Malaria ausgerottet. Aber die Ärzte, die mit Migranten umgehen, müssen jetzt natürlich darauf trainiert werden, die Symptome zu erkennen. Und das Bewusstsein müssen wir noch mal schärfen, dass das nicht mehr nur exotische Krankheiten sind, sondern dass man damit auch im Alltag zu tun haben kann.

Laborjournal: Also geht es nicht nur um Forschungsförderung, sondern auch um die Parasitologie im ärztlichen Praxis-Alltag.

Achim Hörauf: Ja. Aber Forschungsförderung sollte ja grundsätzlich hinführen zu einer Anwendung, beispielsweise in Form von Medikamentenentwicklung. Es sollte nicht allein darum gehen, ein biologisches Prinzip zu verstehen. Vielleicht war das in der Vergangenheit auch ein Fehler der Parasitologen: dass sie zu sehr im Elfenbeinturm gelebt haben, um die unbestreitbar faszinierenden Zusammenhänge zu beforschen, ohne dass das direkt umsetzbar war in eine Therapie.

 

Interview: Mario Rembold

Foto: Uni Bonn

 

Anmerkung 10.10.:

[1] Hörauf bezieht sich hier auf die amerikanische Firma Merck & Co., die außerhalb der USA und Kanadas  korrekt "Merck Sharp & Dome" (MSD) heißt, nicht auf den gleichnamigen Pharmahersteller aus Darmstadt. Mit Dank an unsere aufmerksamen Leser!



Letzte Änderungen: 14.01.2016