Editorial

Erst publizieren, dann sortieren

(28.10.15) Manuskripte sind schnell bei einem Preprint-Server hochgeladen. Aber den Vorabdrucken fehlt die Autorität eines "richtigen" Papers. Sogenannte Overlay-Journals könnten dem abhelfen. Ob die Idee zündet ist aber eine andere Frage.
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Preprint-Server wie arXix oder bioRxiv sind eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit um ein wissenschaftliches Manuskript in die Welt zu setzen. Einfach das Paper hochladen, fertig. Aber diese Vorabdrucke hat dann noch niemand unabhängig begutachtet.

Der Leser, zumal wenn er nicht vom Fach ist, weiß nicht, ob die präsentierten Ergebnisse und Schlussfolgerungen auch verlässlich sind, und ob die Lektüre überhaupt lohnt.

Wissenschaftler verlassen sich in der Regel eher auf konventionelle Journals, vielleicht weil sie ein gewisses Grundvertrauen haben, dass etablierte Zeitschriften auf Qualität achten (oder es zumindest versuchen) – durch Peer Review, herausgeberische Erfahrung und Augenmaß.

Ein publizistisches Experiment

Hier kommt nun ein Projekt des Mathematikers Tim Gowers ins Spiel. Gowers hält nämlich gar nichts von den überkommenen Publikationspfaden. Jenseits der Mathematiker-Community wurde er vor allem bekannt als Initiator eines Boykottaufrufs gegen Elsevier.

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Nun hat Gowers ein eigenes herausgeberisches Experiment gestartet, ein sogenanntes "Overlay-Journal". Sein neues mathematisches Journal mit dem Namen Discrete Analysis ist keine "richtige" Zeitschrift, sondern lediglich eine den Blick schärfende Maske, die über den chaotischen Preprint-Berg gestülpt wird. Gowers erklärt das Prinzip in einem Blogbeitrag: "Anstatt selbst Paper zu publizieren, wird das Journal lediglich aus einer Linkliste zu arXiv-Preprints bestehen. Ansonsten ist es aber ein konventionelles Journal: Autoren reichen Links zu Preprints ein, und Editoren wählen Gutachter aus."

Eine Kombination aus Post Publication Peer Review und einer thematisch zusammengestellten Linkliste also. Simpel, aber genial. Da kann man ins Träumen kommen. Die Zukunft könnte so einfach sein. Manuskript schreiben, zu einem Preprint-Server hochladen, fertig. Kein vor sich hin dümpelnder Review-Prozess, keine Manuskripte, die im Büro des Editors zwischen alten Socken unter dem Sofa (oder dessen digitalem Äquivalent) verstauben, während die Autoren auf glühenden Kohlen sitzen. Auch kein Ärger mehr mit dem schon sprichwörtlichen "Reviewer Nr 3", der die Publikation aus Missgunst oder Unfähigkeit blockiert.

Spinnen wir die Idee mal weiter...

Würde sich Gowers Ansatz verbreiten, könnte vielleicht ein ganzes Ökosystem aus Overlay-Journals entstehen – für alle möglichen Interessen, Fachbereiche und Qualitätsniveaus.

Spinnen wir Gowers Idee mal weiter. Mit der Zeit könnten sich verschiedene Overlay-Journals ihre eigene Reputation erarbeiten. Je nachdem, wie sehr sich die jeweiligen Herausgeber reinhängen, und je nach thematischem Schwerpunkt, würden die Kollektionen "Follower" anziehen, die im Kaffeeraum, auf Konferenzen und in den sozialen Medien mehr oder weniger gut über die verschiedenen Artikel-Kollektionen reden. Die Aufnahme eines Manuskripts in eine bestimmte Sammlung könnte also ein Qualitätssiegel werden, mit dem man auch bei Anträgen oder im Lebenslauf punkten könnte.

Die sinnvolle Konvention, dass jede wissenschaftliche Arbeit nur einmal erscheinen darf, würde dadurch zwar beibehalten, aber gleichzeitig modifiziert. Denn natürlich könnte ein und dasselbe Manuskript in mehreren Overlay-Journals erscheinen, ohne dass die Autoren das wissenschaftliche Kapitalverbrechen der doppelten Publikation begehen. Ein hypothetisches Paper zur Genomanalyse der Stabheuschrecken z.B. wäre für Genomiker und Entomologen gleichermaßen interessant, und könnte demnach auch in zwei verschiedene Overlay-Journals aufgenommen werden.

Altmodische Journals braucht dann keiner mehr

Journals, wie wir sie kennen (ob in der Abo- oder Open-Access-Variante) bräuchte dann niemand, denn außer ihrer Rolle als Qualitäts- und Themenfilter haben sie heute keinerlei Funktion mehr. Der Irrsinn am jetzigen System ist ja, dass man das durchaus nützliche Sortieren nach Qualität und Thema vor der Publikation erledigt. Das war nötig, solange Autoren um den knappen Platz in gedruckten Zeitschriften ringen mussten. Heute ist dieses Vorgehen eigentlich eine anachronistische Verschwendung von Zeit, Geld und Nerven. Gowers zeigt einen möglichen Ausweg.

Aber genug geträumt. Wie meist bei schönen Utopien bleibt die Frage, wie man den Absprung von der Gegenwart in die Zukunft hinbekommen könnte. Da müsste man sich dann mal genauer anschauen, wieso die Publikationsgewohnheiten der Wissenschaftler derart von Tradition und Konvention bestimmt werden. Aber das ist ein Thema für einen eigenen Beitrag.

Hans Zauner

Illustration: (c) Yarochkin / Fotolia



Letzte Änderungen: 16.12.2015