“Wir müssen alle zusammenarbeiten“
(30.09.2019) Anfang 2020 wird die Gießener Malariaforscherin Katja Becker als erste Frau Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wir sprachen mit ihr.
Laborjournal: Macht es Sie stolz, die erste DFG-Präsidentin zu sein?
Becker: Von Stolz würde ich eher nicht sprechen. Ich halte es für ein gutes Signal für die Wissenschaftlerinnen in Deutschland. Wäre eine andere Frau gewählt worden, hätte ich mich ebenfalls gefreut. Die drei zur Wahl stehenden Personen waren alle sehr stark und hatten unterschiedliche Profile, sodass die Mitglieder der DFG eine echte Wahlmöglichkeit hatten. Ich bringe Erfahrung als amtierende Vizepräsidentin der DFG mit.
Wie kam es zu Ihrer Kandidatur?
Becker: Für das Amt bewirbt man sich nicht, sondern man wird vorgeschlagen. Für mich war es schon immer ein Privileg, in Deutschland mit seiner Freiheit von Forschung und Lehre, der Unabhängigkeit der Wissenschaft und seiner Meinungsfreiheit wissenschaftlich tätig sein zu können. Für diese Dinge möchte ich mich als DFG-Präsidentin engagieren.
Was ist Ihnen noch wichtig?
Becker: Ich will mich für eine Wissenschaft einsetzen, die vor allem Erkenntnis-geleitet und Neugier-getrieben ist und nicht in erster Linie Programm-gebunden und anwendungsorientiert. Gegenüber der Öffentlichkeit müssen wir die Chancen und Risiken von Wissenschaft differenziert und realistisch einschätzen und verständlich machen. Politik und Gesellschaft haben ein Anrecht darauf, von der Wissenschaft adäquat beraten zu werden. Bei der Vielzahl und Komplexität an Herausforderungen und wissenschaftlichen Fragestellungen müssen wir alle zusammenarbeiten.
Welche Erfahrungen konnten Sie bei Ihrer bisherigen forschungspolitischen Tätigkeit sammeln?
Becker: Alle diese Ämter, zum Beispiel auch als Vizepräsidentin für Forschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen, haben mir wichtige Erfahrungen, Impulse und Netzwerke für das Amt als DFG-Präsidentin vermittelt. Ich habe ja den größten Teil meines Lebens in der Wissenschaft verbracht. Wenn man ein wissenschaftspolitisches Amt annimmt, vollzieht man einen Perspektivwechsel. Das sind keine verstaubten Verwaltungsjobs, sondern es erschließt sich ein Reichtum an Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten. Man muss sich überlegen, wie Förderung und Förderinstrumente optimiert werden können, welche Gruppen von Forschern besondere Unterstützung benötigen, und wie Kooperationen und internationale Vernetzung gefördert werden können.
Was interessiert Sie an der Forschungspolitik noch?
Becker: Die Perspektive andere Fächer kennenzulernen, hat mich fasziniert. Im Falle politischer Spannungen kann die Wissenschaftspolitik manchmal Türen öffnen und neue Gesprächslinien aufnehmen.
Sie waren Mentorin der auf Wissenschaftlerinnen zugeschnittenen hessischen Programme Scimento und ProProfessur. Brauchen Frauen heute noch besondere Förderung?
Becker: Es gibt inzwischen sehr viele Programme zur Förderung von Gleichstellung und das ist gut so. Die DFG hat in den letzten Jahren beispielhafte forschungsorientierte Gleichstellungsstandards entworfen. Die Fördermöglichkeiten sind aber leider noch immer nicht überall bekannt und könnten noch intensiver genutzt werden, z.B. in Verbundprojekten wie Sonderforschungsbereichen und Schwerpunktprogrammen! Gefördert werden zum Beispiel Coaching, Seminare zur Laborführung, Kinderbetreuung, Laborassistenz während Schwangerschaft und Elternzeit, oder Mittel für Reisebegleitung zur Kinderbetreuung. Viele Frauen übernehmen ja nach wie vor im familiären Bereich mehr Verantwortung als ihre Partner. Wir müssen daher die Wissenschaftlerinnen noch individueller fördern, beispielsweise als Eltern, als Pflegeperson, oder im Falle einer Scheidung. Damit erhöhen wir die Chance, dass sie den Anforderungen in Beruf und Alltag gerecht werden können und dass innere Brüche vermieden werden.
Welche Vorbilder und Mentoren hatten Sie selbst in Ihrer Karriere?
Becker: Eines meiner wichtigsten Vorbilder ist mein Betreuer während der Doktorarbeit, Heiner Schirmer von der Universität Heidelberg, der auch mein Habilvater war. Er war Arzt und Biochemiker und hat mir gezeigt, dass man gerade als Mediziner in der Forschung aktiv sein und zum Wohle der Menschen beitragen kann. Ein weiteres Vorbild ist der Kinderherzchirurg Siegfried Hagl von der Universität Heidelberg. Bei ihm habe ich erlebt, wie ein Arzt sein Leben engagiert zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Dienst der Patienten stellt. Herzchirurgie hat mich fasziniert, bevor ich mich dann doch für die Tropenmedizin entschieden habe.
Wie sind Sie zur Malaria als Forschungsthema gekommen?
Becker: Mein Interesse an der Malaria entstand während meiner Doktorarbeit und hat sich während meiner Afrika-Aufenthalte verstärkt. Man muss ein guter Kliniker sein, um diese akute Krankheit richtig einschätzen und behandeln zu können. Zusammen mit meinen Mitarbeitern habe ich in den letzten Jahrzehnten den Redox-Stoffwechsel von Malaria-Parasiten charakterisiert. Wir haben über dreißig redoxaktive Enzyme funktionell, strukturell, in Bezug auf Interaktion und Regulation sowie als Drug Targets analysiert. So haben wir von der Malaria ein besseres Bild als noch vor 25 Jahren.
Welche Erfahrungen bei Ihren Auslandsaufenthalten waren für Sie besonders eindrücklich?
Becker: Ich war im Studium, im Praktischen Jahr, als Ärztin im Praktikum und während der Dissertation im Ausland. Das hat mir einerseits die Unterschiedlichkeit von Kulturen, medizinischen und wissenschaftlichen Systemen verdeutlicht, andererseits aber auch die Schönheit der Welt, zum Beispiel auf den Freundschaftsinseln (Tonga) im Südpazifik oder am Great Barrier Reef in Australien. In Australien habe ich mit den Flying Doctors bei der Versorgung von Aborigines mitgearbeitet. Am Scripps Research Institute konnte man die Wale vorbeiziehen sehen, wenn man aus dem Fenster schaute. In Ghana und Nigeria war ich in den Bereichen der Malariaforschung und der schweren Unterernährung im Kindesalter tätig. Hier wurde mir deutlich, dass ich mich für die Belange dieser Menschen engagieren wollte. Auf beiden Gebieten spielt der zelluläre Redox-Stoffwechsel eine besondere Rolle, eines meiner wesentlichen Forschungsthemen. Daher hat mich besonders gefreut, dass ich in den letzten sechs Jahren das DFG-Schwerpunktprogramm 1710 zu „Thiolschaltern“ koordinieren durfte.
Welche Ihrer Publikationen haben für Sie einen besonderen Stellenwert?
Becker: Eine Studie zum Mangelernährungssyndrom Kwashiorkor, die ich mit Kollegen bereits vor 30 Jahren in Afrika durchgeführt habe, ist mir besonders wichtig – obwohl die Ergebnisse erst 2005 und nur mittelrangig publiziert wurden. Wir konnten zeigen, dass wir die Sterblichkeit von Kindern mit Kwashiorkor deutlich senken konnten, wenn wir ihnen ein bis zwei Löffel Glutathion am Tag gegeben haben. Aufgrund der Schicksale der betroffenen Kinder ist mir diese Studie sehr eindrücklich im Gedächtnis geblieben.
Welche Anstrengungen braucht es, um vernachlässigte und Armuts-assoziierte Infektionskrankheiten zu bekämpfen?
Becker: In dem hessenweiten Forschungsnetzwerk DRUID, dessen Sprecherin ich bin, erforschen wir mit 25 Arbeitsgruppen seit 2018 solche Erkrankungen und versuchen, neue Wirkstoffe, Impfstoffe und Diagnostika zu entwickeln. Vernachlässigte Tropenkrankheiten betreffen über eine Milliarde Menschen. Um sie einzudämmen, brauchen wir intensive Anstrengungen der klinischen und Grundlagenforschung, aber auch auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene.
Wie schaffen Sie es, Ihre Forschungstätigkeit zeitlich mit Ihrem neuen Amt zu vereinbaren?
Becker: Die DFG-Präsidentschaft wird eine 60- bis 70-Stunden Arbeitswoche mit sich bringen. Ich werde daher der DFG meine ganze Kraft zur Verfügung stellen. Ich bin sehr froh darüber und meinen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, dass wir ab dem kommenden Jahr sehr gute Regelungen für Vertretungen in meinen wissenschaftlichen Funktionen und für meine Nachfolge im DRUID-Forschungsnetzwerk treffen konnten. Meine Doktoranden werden vor Ort betreut und ich werde sie bis zum Ende der Promotion mitbetreuen. Ich hoffe, dass es mir gelingt, die Hand weiter am Puls der Wissenschaft zu behalten.
Die Fragen stellte Bettina Dupont