Die langsame Revolution
(14.10.2019) Sönke Bartling beschäftigt sich mit Blockchain-Konzepten für die Wissenschaft. Wir sprachen mit ihm über Ideen, Open Science zu realisieren.
Laborjournal: Herr Bartling, warum haben Sie die Blockchain-for-Science-Initiative ins Leben gerufen?
Sönke Bartling: Mein Schlüsselerlebnis war 2004 als mir auffiel, dass man in wissenschaftlichen Publikationen nicht einfach auf ‚Referenzen‘ klicken kann, um zum Artikel zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich ein Buch editiert zum Thema ‚Opening Science‘, im Grunde Web 2.0 für Forschung. Später bin ich in Berlin zu Bitcoin-Meetups gegangen, einfach aus Krypto- und Hacking-Interessen. Dort habe ich realisiert, wie viele Anwendungen Blockchain und Web-3.0-Technologien in der Forschung haben könnten. Und daraus entstand die Idee, einen Think Tank zu begründen, um das Potential der Blockchain zu kommunizieren und in eine Richtung zu lenken, die effektiv für die Forschung ist.
Sie sind mit bestimmten Aspekten aktueller Forschung also unzufrieden?
Bartling: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wer sich mit Open Science und Web 3.0 auseinandersetzt, schimpft am Anfang häufig über unser gegenwärtiges Verlagswesen. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Es gibt halt einen künstlichen Wettbewerb in der Forschung und irgendwie muss man den gestalten. Natürlich ist es schwer, in frühen Stadien zu entscheiden, was wirklich gute Forschung ist. Und ja, man könnte sich zum Beispiel das Forschungsmittel-Verteilungssystem anders vorstellen, da es gegenwärtig zu aufwendig ist und viel Verwaltungsaufwand kreiert. Im Vergleich zur öffentlichen Verwaltung steht unsere Forschungslandschaft aber nicht schlecht da.
Was meinen Sie mit Web 3.0?
Bartling: Web 1.0 waren statische Webpages zum Runterladen und Anschauen. Web 2.0. ist das heutige Mitmach-Web, in dem ich kommentiere, meine Instagram-Fotos hochlade, auf Facebook poste. Es ist dynamisch und ändert sich schnell. Content wird nicht nur zentral zur Verfügung gestellt, sondern jeder beteiligt sich. Im Web 3.0 haben wir nicht mal mehr Server von Einrichtungen wie Facebook oder Instagram. Alles ist verfügbar, ohne dass es irgendwo eine Zentralität gibt. Die Macht, Kontrolle und Möglichkeiten können bei jedem Einzelnen liegen.
Das Web 3.0 ist also ein dezentrales Internet?
Bartling: Genau. Im Web 3.0 haben wir echte Daten-Autonomie, echte User-Autonomie. Nichts hängt mehr davon ab, ob wir einem zentralen Service trauen. Momentan wissen wir zum Beispiel nicht, ob da wirklich 4.000 Likes unter einem Facebook-Artikel sind oder ob wirklich jemand einen bestimmten Kommentar geschrieben hat. Wenn Facebook aber dezentralisiert wäre, dann wäre es beweisbar von außen und selbst Mark Zuckerberg könnte nichts im System ändern. Das gleiche gilt für Forschungsdaten. Wem auch immer man sie gibt, der kann momentan damit theoretisch alles machen. Wir müssen ihm vertrauen. Das Konzept Blockchain im weiteren Sinn beschreibt dagegen eine neue Art, Online-Dinge zu organisieren, ohne zentrale Server. Stellen Sie sich vor, Sie haben Patientendaten. Mit einer Blockchain kann jeder sehen, was Sie mit diesen machen. Weder um Vertrauen noch Anonymität der Datensätze braucht man sich noch Gedanken machen. In der Blockchain-Zukunft hat das System zwar alle Daten, jeder Nutzer kann aber kontrolliert und transparent nur bestimmte Dinge damit machen.
Widerspricht die Unveränderlichkeit der Daten in einer Blockchain nicht zwangsläufig der Datenschutz-Grundverordnung?
Bartling: Nein, denn in ihr sind nur die Checksummen der Daten gespeichert, die Hashes. Trotzdem ist Blockchain im engeren Sinn kein gutes Anwendungsfeld für die Patientendatenverwaltung im klinischen Betrieb oder für die Zugangsverwaltung zu einer Datenbank. Zur Abrechnung, zum Beispiel, von Betäubungsmittel-Rezepten wäre Blockchain dagegen super, oder eben zur Absicherung von Forschungsdaten. Ocean Protocol und Enigma.co arbeiten an diesen Ansätzen.
Die Blockchain wird die Wissenschaft also umkrempeln?
Bartling: Nein, wird sie nicht. Das hatten wir ja schon beim Web 2.0 gedacht und dessen Anwendungen in der Wissenschaft wie zum Beispiel Instagram, Twitter oder ResearchGate. Die nehmen zwar zu, doch viel langsamer als wir dachten. Wir waren sicher, dezentrale Blockchain-Technologien würden alle Journals ersetzen. Ist nicht eingetroffen.
Sie haben resigniert?
Bartling: Nein, ich bin realistisch. Eine Revolution wird in der Wissenschaft erneut ausbleiben. Wissenschaft ist und bleibt ein hochkontrolliertes Planwirtschaftssystem. Und wenn Drittmittelgeber ihr Grant-System behalten wollen, weil da viele Arbeitsplätze dran hängen, dann wird es so bleiben. Nur in Randbereichen wird es interessante Entwicklungen geben. In den nächsten Jahren wird mit Blockchain-Krypto-Ökonomie experimentiert werden. Und das wird zum Beispiel ‚new deals on data‘ mit sich bringen, also ganz neue Arten, auf Forschungsdaten zuzugreifen oder Ideen und kleine Forschungsvorhaben ‚on chain‘ für die Forschungsfinanzierung abzubilden. Denn da kann man gleich das Berichtswesen mit erledigen. Blockchain leistet also das, wofür heute Forscher oder Wirtschaftsprüfer viel Zeit aufwenden müssen. Auf längerfristige Sicht kann es deshalb langsam zu Veränderungen in der Wissenschaft kommen. Schließlich wollen wir ja auch eine gewisse Planbarkeit. Von Revoluzzer-Vorstellungen bin ich ab.
Alle Daten dezentral mehrfach zu hinterlegen, vergrößert die notwendige Infrastruktur. Wer soll dafür zahlen?
Bartling: Stimmt, das ist ein großes Problem. Beim Bitcoin ist das ja so gelöst, dass die Leute, die das Bitcoin-Netzwerk instand halten, die sogenannten ‚miner‘, Bitcoins als Belohnung bekommen. Ganz ähnlich könnte man in der Wissenschaft eine Belohnung dafür kreieren, dass man Datensätze hostet. Außerdem haben wir ja auch heute schon öffentliche Infrastruktur, die bezahlt wird von Steuergeldern. Bibliotheken zum Beispiel könnten Speicherplatz für dezentrale Forschungsdatenverwaltung zur Verfügung stellen. Die Max Planck Digital Library arbeitet mittels der Bloxberg-Initiative an so etwas.
Was sind weitere aktuelle Umsetzungsschritte?
Bartling: Zum Beispiel die Forschungsfinanzierung in Form des Projekts molecule.to. Die verwenden ganz neue krypto-ökonomische Mechanismen, um in der Pharmaindustrie die Entwicklung von Molekülen zu finanzieren. Per Blockchain-Technologie kann man sogenanntes ‚smart money‘ erzeugen, um das dann mit nur ganz wenig Verwaltungsaufwand in Projekte zu investieren. Im Gegensatz zum normalen Crowdfunding erhält man Token oder Anteile an einem Projekt, die man sofort wieder weiterverkaufen kann.
Würden Sie zum Schluss gern noch etwas ansprechen?
Bartling: Ja, D.A.O.s. Das steht für Dezentralisierte Autonome Organisationen, die nur durch transparente Computerprogramme, sogenannte ‚smart contracts‘, gesteuert werden. Diese Computerprotokolle werden automatisch ausgeführt, sobald zuvor definierte Bedingungen erfüllt sind. Sie werden also von niemandem aktiv gesteuert oder manipuliert. Das könnte man wunderbar für Forschungsprojekte und deren Finanzierung und Mittelverteilung verwenden. Und gern empfehle ich noch das neue Journal Frontiers in Blockchain. Das mache ich jetzt aber in Eigeninteresse, denn daran bin ich als Editor beteiligt. Und dann wird es dieses Jahr Anfang November auch wieder die Blockchain-for-Science-Konferenz in Berlin geben.
Die Fragen stellte Henrik Müller
Im aktuellen Laborjournal-Heft (10-2019) erfahren Sie mehr zum Thema Blockchain für die Wissenschaft.