Totgesagte leben länger
(30.10.2019) Die Effizienz des CRISPR-Cas9-Editings wird meist nur auf Genom-Ebene kontrolliert. Das reicht jedoch nicht immer.
Ob beim Gen-Knockout (KO) mit CRISPR-Cas9 alles nach Plan gelaufen ist, wird meist nur anhand des Zielgens gecheckt. Aber wie sieht es mit der Expression des Proteins aus, das von diesem Gen codiert wird? Liegt diese tatsächlich am Boden? Oder rappelt sich die Zelle doch noch auf und versucht ein Protein zu exprimieren, das zumindest einen Teil seiner ursprünglichen Aufgaben erfüllt?
Diese Frage stellte sich ein internationales Forscherkonsortium um Wolfgang Huber und Lars Steinmetz vom Heidelberger EMBL sowie Gerard Drewes von der Heidelberger Biotech-Firma Cellzome (die seit 2012 zu Glaxosmithkline gehört). Die Gruppe nahm insbesondere CRISPR-Cas9-induzierte Knockouts unter die Lupe, die durch eine Verschiebung des Leserahmens entstehen. Der Cas9-sgRNA-Komplex zielt hierbei auf eine codierende Sequenz im Zielgen ab, woraufhin beide DNA-Stränge geschnitten werden. Beim Bestreben der zelleigenen Reparaturmaschinerie, den Bruch durch Non-Homologous End Joining (NHEJ) zu reparieren, treten Insertionen oder Deletionen auf, die zu Leserahmen-Verschiebungen und vorzeitigen Stoppcodons führen. Die hieraus entstehenden mRNAs haben eigentlich keine Chance translatiert zu werden und werden durch Nonsense-Mediated Decay (NMD) abgebaut.
Erstaunlicher Fund
Ganz so einfach scheint die Sache aber nicht zu sein. Die Forschergruppe induzierte durch CRISPR-Cas9 in 193 isogenen HAP1-Zelllinien einen Frameshift-Knockout in jeweils einem von 136 Zielgenen. Anschließend schaute sie sich die RNA-Expression dieser Zielgene mithilfe einer RNA-seq in 174 der KO-Zelllinien an und verglich diese mit den ursprünglichen Zelllinien. Zu ihrem Erstaunen fand die Gruppe auch in vielen der KO-Zelllinien relevante Mengen mRNA, die von den eigentlich ausgeknockten Zielgenen stammte. Obwohl die mRNAs vorzeitige Stoppcodons enthielten, wurden sie vom NMD offensichtlich nicht erkannt und auch nicht abgebaut.
Ob diese mRNAs auch in Proteine translatiert wurden, untersuchte das internationale Team mit einer Kombination aus Tandem-Mass-Tag-Isobaric-Labelling und Triple-Stage-Massenspektrometrie. Tatsächlich konnte die Gruppe mit dieser Technik in ungefähr einem Drittel der KO-Zelllinien signifikante Mengen der jeweils ausgeknockten Proteine nachweisen. Interessanterweise korrelierten die Proteinmengen nicht mit den Mengen des dazu gehörenden Transkripts. Solange in einer Mutante auch nur ein Hauch mRNA vorhanden war, die von einem eigentlich ausgeknockten Gen stammte, war die entsprechende Proteinexpression noch nicht erledigt.
Expression bleibt
Das ging so weit, dass selbst verkrüppelte Proteine ihre ursprüngliche Funktion teilweise erfüllten. Im Fall von BRD4-Mutanten (Bromodomain-containing protein) fand die Gruppe zum Beispiel über zehn Prozent verbliebene Proteinexpression. Den unterschiedlich langen Brd4-Proteinvarianten, die offensichtlich durch translationale Re-Initiation an mehreren Methionin-Codons entstanden waren, fehlte jedoch ein N-terminales Stück. Aufgrund der verkürzten Domäne bindet die BRD4-Mutante zwar nicht wie Wildtyp-BRD4 an Histon H4, jedoch an einen Bromodomänen-Inhibitor.
Noch krasser war der Funktionserhalt im Fall der DNA-Methyltransferase1 (DNMT1). Während eine 20bp-Deletions-Mutante wirklich defekt ist, wird DNA von einer 5bp-Deletions-Mutante normal methyliert. Ob ein Zielgen nach CRISPR-Cas9 tatsächlich ausgeknockt oder nur angezählt ist, weiß man also erst, wenn man auch die Proteinexpression untersucht.
Andrea Pitzschke
Smits A. et al. (2019): Biological plasticity rescues target activity in CRISPR knock outs. Nature Methods, DOI: 10.1038/s41592-019-0614-5