Kampf gegen Windmühlen
(09.12.2019) Immer mehr Mikroorganismen werden resistent gegen Antibiotika. Im Kampf dagegen ist die Europäische Gemeinschaft weniger erfolgreich als erhofft.
Jedes Jahr sterben in der EU etwa 33.000 Personen an Infektionen, die theoretisch durch Antibiotika heilbar wären – wenn die Erreger inzwischen nicht Resistenzen gegen die Wirkstoffe entwickelt hätten. Steigt die Zahl an Antibiotika-Resistenzen weiter wie bisher, könnte manchen Wissenschaftlern zufolge sogar ein postantibiotisches Zeitalter drohen, in dem sich längst besiegt geglaubte Infektionserkrankungen praktisch nicht mehr bekämpfen lassen.
Um ihre Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen zu unterstützen, hat die Europäische Kommission 2017 einen Aktionsplan ins Leben gerufen, der auf dem sogenannten „One-Health“-Ansatz mit ganzheitlicher Betrachtung von menschlicher Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt basiert. Eine Evaluation des Programms durch Prüfer des Europäischen Gerichtshofs hat nun gezeigt, dass die Fortschritte trotz des enormen organisatorischen und finanziellen Aufwands eher klein sind. Der Sonderbericht dazu kann auf der Seite des Europäischen Gerichtshofs heruntergeladen werden (Link).
Wer ist zuständig?
Grundsätzlich verfolgt die EU beim Kampf gegen Resistenzen zwei Ziele: Zum einen sollen die verfügbaren Antibiotika effizienter und umsichtiger eingesetzt werden, um die Entstehung neuer Resistenzen zu verhindern. Zum anderen sollen durch intensive Forschung neue Wirkstoffe bzw. neue Wirkstoffklassen, gegen die noch keine Resistenzen existieren, zutage befördert werden.
Ein erstes Problem, dem sich die EU dabei gegenüber sieht, sind unterschiedliche Zuständigkeiten. So fällt die menschliche Gesundheit in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Mitgliedsstaaten, während die EU lediglich ein Mandat hat, die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten „beim Schutz und der Verbesserung der menschlichen Gesundheit“ zu unterstützen. Da Antibiotika-Resistenzen aber als „schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahr“ eingeschätzt werden, sind Maßnahmen auf EU-Ebene unerlässlich. Außerdem ist die Europäische Kommission zuständig für andere Bereiche, die eng mit dem Themenkomplex Antibiotika-Resistenzen verknüpft sind wie Veterinärfragen, Lebensmittelsicherheit und Forschung.
Unterschiedlich umgesetzt
Bei der Prüfung des Rechnungshofes zeigte sich jetzt, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich weit in der Umsetzung ihrer nationalen Aktionspläne sind. So hatten nur 16 von 24 Mitgliedsstaaten die Umsetzung abgeschlossen, während fünf nur Teile ihres Aktionsplans umgesetzt hatten und drei Mitgliedsstaaten noch gar keinen Aktionsplan besaßen. Die Prüfer stellten fest, dass die Arbeit die EU tatsächlich dazu geführt hat, dass wissenschaftlich fundiertere Entscheidungen getroffen werden und die Mitgliedsstaaten besser zusammenarbeiten konnten. Im Hinblick auf die Verringerung der Antibiotika-Resistenzen und die damit einhergehende Gesundheitsbelastung waren allerdings nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.
Am erfolgreichsten war man in der Veterinärmedizin, auf die immerhin Zweidrittel des EU-weiten Antibiotika-Verbrauchs zurückgehen. Vor allem Wirkstoffe gegen Erreger, die gleichermaßen bei Mensch und Tier vorkommen, verlieren dadurch schnell ihre Wirksamkeit. Von daher ist es als großer Erfolg zu bezeichnen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Nutztieraufzucht im Zeitraum 2011-2016 über die EU gemittelt um 20 Prozent sank. Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten noch immer große Unterschiede, und in sechs Mitgliedsstaaten ist der Antibiotika-Einsatz im Untersuchungszeitraum sogar um mehr als fünf Prozent gestiegen. Eine Erfolgsgeschichte ist die Reduzierung des Einsatzes des Reserve-Antibiotikums Colistin in der spanischen Tierzucht von 37 Milligramm pro Kilogramm Biomasse bei Lebensmittel-liefernden Tieren – dem bisherigen EU-Rekord – bis Anfang 2018 auf 7 mg/PCU [Population Correction Unit] und damit fast auf den europaweiten Mittelwert.
Keine Neuentdeckung seit 1984
Neben der Reduktion des Antibiotika-Verbrauchs ist es ein vorrangiges Ziel der EU, neue Antibiotika-Wirkstoffklassen zu entdecken. Allerdings bietet der Markt dazu derzeit keine großen Anreize, und immer wieder ziehen sich Pharmafirmen aus der Antibiotika-Forschung zurück oder nehmen sogar noch wirksame Präparate vom Markt. Seit 1984 ist außerdem keine neue Antibiotika-Wirkstoffklasse mehr entdeckt worden.
Die Europäische Kommission ist mit dem EU-Haushalt einer der weltweit größten Einzelinvestoren in der Antibiotika-Forschung. Doch obwohl sie seit 2004 mehr als 1,5 Milliarden Euro in diesen Sektor, unter anderem in das Flagschiff-Projekt „New Drugs for Bad Bugs“ investiert hat, ist es bislang nicht zu einer Markteinführung eines neuartigen Antibiotikums gekommen. Hoffnung machen verschiedene Plattformen wie ENABLE, eine Wirkstoff-Erforschungsplattform für Antibiotika gegen gramnegative Bakterien, die mit Antibiotika grundsätzlich schwer zu bekämpfen sind und viele „Krankenhauskeime“ stellen, oder klinische Entwicklungsprojekte wie COMBACTE-NET und COMBACTE-MAGNET. Allerdings läuft die Förderung für diese vielversprechenden Projekte voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren aus. Dabei ist gerade die Medikamenten-Entwicklung ein besonders zeitaufwendiger Prozess, so dass langfristige Fördermöglichkeiten dringend geboten erscheinen.
Larissa Tetsch