(12.12.2019) Das Antioxidans Astaxanthin soll in großem Maßstab nachhaltig hergestellt werden – mithilfe von Corynebakterien. Daran arbeiten die Firmengründer von Bicomer.
Laborjournal: Frau Henke, was ist Astaxanthin? Nadja Alina Henke: Erst einmal ist es ein rotes Pigment, ein Carotinoid. Bekannt ist es zum Beispiel vom Frühstücksei oder Lachs, denn diese tierischen Produkte haben ihre intensive Färbung, weil den Tieren Astaxanthin zugefüttert wird. Etwa 95 Prozent des industriell relevanten Astaxanthins werden auf diese Weise verbraucht. Gleichzeitig ist es aber auch ein interessanter Inhaltsstoff für Kosmetik und Nahrungsergänzungsmittel, denn Astaxanthin ist eines der besten natürlichen Antioxidantien und ein UV-Schutzmittel. In der gesamten Debatte um Titandioxid in Sonnenschutzsprays bekommt das Carotinoid eine weitere Bedeutung, denn es ist unbedenklich, kommt natürlicherweise im Meer vor und wird dort ohne Probleme abgebaut.
Sie wollen Astaxanthin biotechnologisch herstellen. Was ist an dieser Art der Produktion besser als an der bisherigen? Henke: Momentan werden 95 bis 99 Prozent durch chemische Prozesse hergestellt, also auf Erdölbasis. Das ist weder nachhaltig noch umweltschonend. Die restlichen ein bis fünf Prozent werden in Algen produziert, was per se nachhaltig und auch umweltfreundlich ist. Aber hier gibt es ein Problem mit der Skalierbarkeit. Das hängt mit der maximalen Größe der Photobioreaktoren zusammen, die für die Algensysteme bei mehreren Tausend oder Zehntausend Litern liegt. Wir bieten nun eine Lösung mit Fermentation an, da können wir um ein Vielfaches höher skalieren. Die Corynebakterien, mit denen wir arbeiten, werden seit über 60 Jahren in der Futter- und Lebensmittelindustrie genutzt, etwa für die Aminosäure-Produktion. Dort kann man Fermentationsansätze bis zu einer Million Liter fahren. Wenn eines Tages ein signifikanter Anteil des Astaxanthins durch biotechnologisch hergestelltes gestellt werden soll, sind es Produktionskapazitäten wie diese, die zählen.
Produzieren Corynebakterien freiwillig oder auf natürlicher Basis Astaxanthin? Oder werden sie wie etwa E. coli mittelsPlasmiden dazu gebracht? Henke: Prinzipiell ist Corynebacterium ein natürlicher Carotinoid-Produzent, der Organismus ist ganz offensichtlich gelb. Auch wenn dieses ein eher exotisches Pigment ist, gehört es zur gleichen Stoffwechselklasse wie Astaxanthin. Die Gene für die Carotinoid-Synthese wurden schon 1999 beschrieben. Bei Arbeiten am Lehrstuhl von Volker Wendisch in Bielefeld hat man dann gesehen, dass die Bakterien das Potenzial haben, Carotinoide zu produzieren. In meiner Masterarbeit habe ich dann die Produktion von Astaxanthin in Corynebacterium etabliert.
So sind Sie also zum Farbstoff gekommen. Und jetzt soll aus dem Projekt eine Firma werden? Henke: Ja, genau. Ich habe an der Universität Bielefeld Biologie studiert und bin zur Masterarbeit in die Arbeitsgruppe von Volker Wendisch gegangen. Dort wird im Hinblick auf Biotechnologie, insbesondere der Stammesentwicklung von Corynebakterien, geforscht. Da sich das Projekt gut entwickelte, bin ich zur Promotion dort geblieben und habe mich mit der Erforschung der Carotinoid-Biosynthese in Corynebacterium und deren biotechnologischer Anwendung beschäftigt. Letztendlich entstand aus dieser Forschung ein Patent und darauf aufbauend die Geschäftsidee von Bicomer. Parallel zum letzten Doktorarbeitsjahr habe ich einen Forschungsantrag geschrieben, der nennt sich EFRE Start-up Hochschulausgründung. Mit dem Geld konnten ich und ein weiterer Mitarbeiter das Ausgründungsprojekt starten, um die Astaxanthin-Produktion mit Corynebakterien zur Marktreife weiterzuentwickeln.
Bisher haben Sie also noch gar keine Firma gegründet? Henke: Nein, das hat strategische Gründe. In der Förderlandschaft in Deutschland gibt es eine Reihe von Projektförderungen, die sich explizit an Gründungsvorhaben richten. Sie müssen bedenken, wir kommen aus einem mikro- und molekularbiologischen Labor, sprich unsere Fermentationsansätze sind in der Regel im Milliliter-Maßstab. Um einen industriellen Maßstab erreichen zu können, müssen wir hochskalieren. Gerade etablieren wir den Prozess im Liter-Maßstab, was auch gut klappt. Als nächstes streben wir eine weitere Förderung durch das Programm Exist-Forschungstransfer an, mit der wir dann auch weitere Mitarbeiter einstellen und die Produktion weiter hochskalieren könnten. Dann erst gründen wir, also nicht vor 2021.
Momentan sind Sie also nur zu zweit aktiv? Henke: Naja, zumindest bezahlt werden zwei Personen, aber das Team ist größer. Außer mir arbeitet Florian Meyer als Fermentationsexperte auf dem Projekt. Dann sind da natürlich unser Mentor Volker Wendisch, der lange Erfahrung mit dem Organismus hat und außerdem gut vernetzt ist, sowie Petra Peters-Wendisch, ebenfalls Wissenschaftlerin, die uns mit der Plattform-Technologie unterstützt. Mein Mann Christopher Henke ist ebenfalls von Anfang an dabei und kümmert sich um alle betriebswirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten.
Sie haben mit Ihrer Idee bereits einige Auszeichnungen und Förderstipendien erhalten. Zeigt sich hier das große Interesse an der Technologie? Henke: Ja, wobei wir zwischen Wissenschaft und dem Business Case unterscheiden müssen. Wissenschaftlich ist das Ganze natürlich hochinteressant. Wir sind nach wie vor aktiv in der Grundlagenforschung, und da gibt es noch so einiges zu erforschen. Auf der anderen Seite haben wir uns in den vergangenen Monaten ganz speziell an unsere potentiellen Kunden gerichtet, also Kosmetik-, Futtermittel- und Nahrungsergänzungsmittelindustrie. Von dort gibt es Interesse, der Markt ist dankbar für eine neue Lösung der Astaxanthin-Produktion. Neben Astaxanthin haben wir noch weitere innovative Ansätze in unserer Pipeline, aber unser Ziel der nächsten Jahre ist es nun, den Prozess robust und so optimiert aufzustellen, dass wir in Europa exklusiv natürliches Astaxanthin produzieren können.
Zu guter Letzt: Warum heißt Ihre zukünftige Firma Bicomer? Henke: Das ist ein Anagramm. Wenn man die Buchstaben vertauscht, erhält man Microbe, weil Mikroorganismen die Basis unserer Geschäftsidee sind. Als wir uns den Namen ausgedacht haben – das war tatsächlich ein ganz kreativer Prozess – wollten wir ihn nicht zu eingeengt auf Astaxanthin münzen. Das ist zwar nach wie vor unser Steckenpferd. Aber wenn wir eines Tages wirklich eine Firma sind, dann möchte ich die nicht aufgrund des Namens auf ein gewisses Produkt festgelegt wissen. Wir gehen aber davon aus, dass wir immer mit Mikroorganismen arbeiten, deshalb fanden wir das alle sehr passend.