Ab durch die Keimbahn
(16.12.2019) Stoffwechsel-Forscher Martin Hrabe de Angelis sprach mit uns über epigenetische Einflüsse, die sich auf das Diabetes-Risiko der Folgegeneration auswirken können.
Bei unserer Publikationsanalyse zur Hormon- und Stoffwechselforschung landete Martin Hrabe de Angelis zuletzt unter den 30 meistzitierten Köpfen. In München leitet er das Institut für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum, ist Professor an der TU und gehört zum Vorstand des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
Laborjournal: In München leiten Sie die sogenannte „Mausklinik“. Was ist das für eine Einrichtung?
Martin Hrabe de Angelis: Die German Mouse Clinic war die erste Einrichtung dieser Art für die systemische Analyse von Modellen für menschliche Erkrankungen. Sie ist Teil des Helmholtz Zentrums München in enger Zusammenarbeit mit den Universitäten. Wir haben einen europäischen Verbund aufgebaut, und mittlerweile gibt es auch weltweit viele Mauskliniken. Wir alle arbeiten im International Mouse Phenotyping Consortium zusammen, mit dem Ziel, zunächst einmal zu jeder codierenden Region eine Knockout-Mauslinie zu bekommen. Uns geht es dabei nicht um das jeweilige Einzelgen, sondern um den Gesamtblick: Wie sind welche „Pathways“ miteinander vernetzt? Mittlerweile verfügen wir in diesem Konsortium über 7.000 Mauslinien.
Für Typ-2-Diabetes sollen zum einen der Lebenswandel und zum anderen genetische Prädispositionen verantwortlich sein. Sie vermuten, dass außerdem auch erworbene Eigenschaften eine Rolle, die epigenetisch an die Nachkommen weitergegeben werden. Wie kamen Sie zu dieser Hypothese?
Hrabe de Angelis: Wir wissen von den Epidemiologen, dass es einen massiven Einfluss von der Umweltseite her gibt. Bewegung und Ernährung spielen dabei die Hauptrolle. Aber es gibt ja auch Personen, die sich wenig bewegen und sehr viel essen – und die trotzdem gesund bleiben. Klar ist weiterhin, dass es einen massiven genetischen Anteil gibt. Inzwischen kennen wir rund 400 Loci, und das macht es sehr kompliziert. Denn in vielen Fällen wissen wir nichts Genaues über diese Genorte. Welches Gen ist betroffen? Geht es um einen Protein-codierenden oder um einen nicht-codierenden Abschnitt? Trotzdem kann man errechnen, dass diese 400 Loci und die bekannten Umweltfaktoren allein nicht ausreichen, um den rasanten Anstieg an Typ-2-Diabetes in der Bevölkerung erklären zu können. Deshalb sind wir auf die Epigenetik gekommen. Unsere Vermutung war, dass auch eine Prädisposition in die nächste Generation mitgegeben werden kann, die jenseits der Basensequenz liegt.
Hierzu gab es vor drei Jahren ein Paper aus Ihrem Institut (Nat Genet, 48(5):497-9). Sie haben Mäuse unterschiedlich ernährt und deren Nachkommen dann untersucht.
Hrabe de Angelis: Genau. Aus der Pflanzengenetik gibt es sehr viele Arbeiten zu epigenetischen Effekten über Generationsgrenzen hinweg. Die Frage war immer, inwieweit das auch bei Säugetieren vorkommt. Denn dort finden eigentlich zwei Runden der Demethylierung statt.
Das wollte ich gerade fragen: Man liest doch immer, dass erworbene Methylierungen während der Reifung der Keimzellen wieder entfernt werden und es somit einen epigenetischen „Reset“ gibt.
Hrabe de Angelis: Richtig. Und es gibt zusätzlich eine Demethylierung im frühen Embyro. Inzwischen sind aber auch einzelne Ausnahmen in Säugetieren bekannt. Demethylierung findet zwar definitiv statt, doch ich kenne keine Arbeiten, die klar und konsistent zeigen, dass wirklich alle Loci wieder demethyliert werden. Vielmehr wissen wir mittlerweile, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, dass einzelne Loci ihre epigenetische Modifikation über die Keimbahn hinweg behalten.
Müssen das epigenetische Mechanismen sein? Entwicklungsbiologen haben zum Beispiel in Drosophila schon vor Jahrzehnten von den „maternalen Faktoren“ berichtet, die den Phänotyp der Nachkommen mitbestimmen. Denn in der Eizelle befindet sich mRNA der Mutter, die sich auf die Expression der Gene im Embyro auswirkt. Ähnlich könnte es ja auch bei Menschen und Mäusen sein.
Hrabe de Angelis: Auch in der Entwicklung des Säugetier-Embryos spielen natürlich Faktoren wie das Milieu im Uterus, die Laktation oder das Mikrobiom eine Rolle. Oder aggressives Verhalten der Väter kann sich auswirken – es gibt viele dieser „confounding factors“. Genau diese Störfaktoren möglichst auszuschließen, das war die Idee meines Kollegen Johannes Beckers hier im Institut. Wir haben also Elterntiere über kalorien- und fettreiche Ernährung metabolisch entgleisen lassen und wollten sehen, ob deren erworbene Veränderung auf die nächste Generation übertragbar ist. Dabei haben wir die Embryonen über In-vitro-Fertilisation erzeugt und von gesunden Mäusen, also in Leihmüttern, austragen lassen, damit wir die „confounding factors“ möglichst ausschließen. Anschließend haben wir nachgeschaut: Wie reagiert die F1-Generation jetzt auf bestimmte Diäten?
Das heißt, beide Elterntiere wurden kalorienreich ernährt und deren Nachkommen mit den Nachkommen normal ernährter Kontrolltiere verglichen?
Hrabe de Angelis: Ja. Wir haben das aber noch weiter variiert und in einigen Versuchsreihen nur den Vater oder nur die Mutter fettreich ernährt. Wenn man sich dann all diese Kombinationen anschaut, ist das Ergebnis schon erstaunlich. Wir sehen klar, dass die Nachkommen hochgefütterter metabolisch entgleister Eltern ebenfalls einen veränderten metabolischen Phänotyp zeigen. Setzen wir diese Nachkommen dann auch auf eine Hochfettdiät, reagieren sie massiv anders als die Tiere von schlanken Eltern. Dabei sehen wir, dass einige Merkmale mehr über den Vater und andere mehr über die Mutter vererbt werden. Das Übergewicht in der nächsten Generation kommt mehr oder weniger zu gleichen Anteilen sowohl über die Oocyten als auch über die Spermien. Dagegen werden die Effekte auf den Blutglucose-Level stärker über die maternale Linie weitergegeben.
Das bedeutet, klassische maternale Effekte über das Oocyten-Plasma können Sie ausschließen – denn sonst gäbe es diesen Einfluss durch die Vatermäuse nicht.
Hrabe de Angelis: Genau, denn auch wenn der Einfluss am stärksten ist, wenn beide Elterntiere metabolisch entgleist sind: Wir sehen ja, dass auch die Spermien allein dazu ausreichen, einen Phänotyp in der nächsten Generation auszulösen. Und wie gesagt, wir sehen diese Unterschiede. Mittlerweile können wir sogar sehr genau die Tanskriptom-Profile differenzieren und zuordnen, welche Einflüsse über die maternale und welche über die paternale Linie vermittelt werden. Das sind bislang unveröffentlichte Daten aus dem Labor von Johannes Beckers.
Und diese epigenetische Information wird über Methylgruppen gespeichert?
Hrabe de Angelis: Ob das einfach nur über Methylierungen weitergegeben wird, wissen wir nicht. Da könnten auch andere Stufen zwischengeschaltet sein – doch irgendwo müssen sich da molekulare Signaturen finden lassen. Das herauszuarbeiten, ist eine große Aufgabe, und genau daran arbeiten wir.
Wie gut sind solche Ergebnisse aus der Maus denn auf den Menschen übertragbar?
Hrabe de Angelis: In der Metabolismus-Forschung hat sich relativ klar gezeigt, dass ein Großteil von dem, was man in den letzten zwanzig Jahren in Nagetieren erforscht hat, sehr gut auf den Menschen übertragbar ist. Bei vielen Studien arbeiten das Helmholtz Zentrum München und das DZD eng zusammen. Es gibt zu Diabetes immer mehr klinische Studien, und wir lassen hier parallel immer Mausstudien mitlaufen, einfach weil wir dort tiefer in die Pathophysiologie der Organe schauen und die Omics-Analytik anwenden können. Zum Beispiel hatten wir eine Studie mit unseren DDZ-Kollegen aus Düsseldorf, in der die Frage gestellt wurde: Was passiert eigentlich bei einmaliger Gabe einer Mahlzeit mit hohem Anteil an gesättigten Fettsäuren, die ungefähr zwei Big Macs oder einer riesigen Pizza entspricht? Das haben wir uns sowohl bei gesunden Menschen als auch bei Mäusen angeschaut. Man sieht deutlich, dass Phänotypen und die Pathophysiologie in beiden Organismen fast identisch sind (J Clin Invest, 127(2):695–708). Spannende Zeiten für die Diabetes-Forschung.
Die Fragen stellte Mario Rembold
Foto: Helmholtz Zentrum München