Fehlverhalten oder Fehlurteil?

(27.01.2020) Problematische Datenpräsentation hat Niels Birbaumer zwei Paper gekostet. Wurde er unfair behandelt? Das steht zumindest in einem Brief an die DFG.
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Editorial

Das Urteil war klar und eindeutig: Fünf Jahre lang darf Niels Birbaumer keinen Förderantrag mehr bei der Deutschen Forschungsgemeinschaf (DFG) stellen und keine Anträge begutachten. Möglicherweise muss Birbaumer sogar einen Teil seiner von der DFG ausgezahlten Fördermittel zurückgeben. Mitautor Ujwal Chaudhary wird für drei Jahre für Antragstellung und Gutachtertätigkeit gesperrt. Außerdem müssen zwei Publikationen (beide in PLoS Biology) zurückgezogen werden.

Zur Last gelegt wird den beiden Neuroforschern unwissenschaftliches Verhalten bei der Veröffentlichung ihrer Arbeiten zur Kommunikation mit sogenannten „Completely Locked-in-Patienten“ – Patienten also, die sich der Außenwelt nicht mehr mitteilen können. Im später beanstandeten 2017er PLoS Biology-Paper beschrieben Chaudhary et al. ihre Methode damals so: „Four patients suffering from advanced amyotrophic lateral sclerosis (ALS), two of them in permanent completely locked-in state and two entering the completely locked-in state without reliable means of communication, learned to answer personal questions with known answers and open questions requiring a ‚yes‘ or ‚no‘ by using frontocentral oxygenation changes measured with fNIRS“ [funktionelle Nah-Infrarot-Spektroskopie].

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Zweifel an Studie

Es dauerte nicht lange, da kamen erste Zweifel auf. Besonders bei Martin Spüler, Informatiker an der Uni Tübingen, der mit Birbaumer zuvor zusammengearbeitet hatte. Der Uni und der DFG teilte Spüler seine Bedenken bereits 2018 mit, mit einem Formal Comment in PLoS Biology im April 2019 machte er diese öffentlich: Nach Reanalyse der Daten war er auf ganz andere Ergebnisse gekommen, die die Hauptaussage des Papers nicht mehr stützten.

Die DFG hatte bereits im März 2019 ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, auch die Uni Tübingen hatte eine Kommission beauftragt, den Fall zu prüfen. Das Ergebnis des DFG-Untersuchungsausschusses: Falschangaben in drei Fällen. Unter anderem waren Videoaufzeichnungen unvollständig, Daten wurden nicht korrekt ausgewertet oder ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen weggelassen. Für die DFG ein klarer Regelverstoß gegen die Gute Wissenschaftliche Praxis.

Inzwischen sind wie gefordert die beiden Publikationen zurückgezogen – allerdings nicht von den Autoren, sondern von den Editoren von PLos Biology. „The authors have declined to sign this retraction, as they stand by their data, analyses, and conclusions, and state that they intend to take legal proceedings to challenge the findings in the [DFG und Uni Tübingen] reports“.

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Namhafte Unterstützung

Interessanterweise ist nun eine Webseite aufgetaucht, deren Startseite überschrieben ist mit: „Communication for ALS: False Allegations“. Darunter: „Who defends scientists from false accusations?“ Ein Impressum gibt es auf der Seite nicht, nur ein Vermerk „designed by Ujwal Chaudhary“ (was aktuell wieder entfernt worden ist). Hier findet sich eine Sammlung aller relevanten Schriftstücke: Artikel in der Süddeutschen Zeitung, die Urteile von DFG und Uni Tübingen, die Berichte der Ombudspersonen und sogar ein Auszug aus dem deutschen Grundgesetz. Alles auf Englisch und Deutsch sowie versehen mit Kommentaren (rot und fett hervorgehoben), wahrscheinlich von Chaudhary oder Birbaumer selbst. Verlinkt ist auch eine Crowdfunding-Seite, mit der 100.000 Euro gesammelt werden sollen – für das anstehende Gerichtsverfahren, Pressearbeit, Bezahlung von Mitarbeitern und Reisekosten. Aktueller Spendenstand (27.01.2020): 700 Euro.

Ebenso ist auf der Webseite ein offener Brief hinterlegt, unterzeichnet von einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern. Darunter: Nikos Logothetis, Kuno Kirschfeld (MPI für Biologische Kybernetik, Tübingen), Rainer Spanagl, Herta Flor (beide Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim), Hans-Ulrich Häring (Uni Tübingen) und Martin Lotze (Uni Greifswald). Fehlurteile wurden getroffen, heißt es im Brief, adressiert an die Präsidentin und die Gremien der DFG. Man solle doch die Urteile nochmals überprüfen „und gegenüber den Kollegen Birbaumer und Chaudhary Gerechtigkeit walten lassen“.

Vorwürfe an die DFG

Konkret beanstandet der Briefschreiber, dass „die Beschuldigten“ nicht rechtzeitig über das Urteil informiert wurden. Nämlich gerade mal 90 Minuten vor der Veröffentlichung der Presseerklärung der DFG. Weiterhin heißt es, dass es „keine Möglichkeit gibt, das Urteil von unabhängiger Stelle überprüfen zu lassen“. Auch wird der DFG vorgeworfen, sie hätte in der Presseerklärung ganz neue Anschuldigungen hervorgebracht, von denen vorher nie die Rede war. Ebenso soll, nach Ansicht des Briefschreibers, die DFG-Kommission nicht international besetzt gewesen sein und es soll auch kein internationales Gutachten aus dem engeren Forschungsgebiet der Beschuldigten hinzugezogen worden sein.

„Sie [die DFG] berücksichtigte auch nicht“, heißt es weiter, „dass es sich um eine im Reinhart-Koselleck-Programm der DFG streng begutachtete und geförderte Studie handelte, einem Programm, in dem besonders innovative und risikobehaftete Forschungsthemen aufgegriffen werden sollen, die nicht mit den Kriterien einer traditionellen klinischen Studie beurteilt werden können, weil viele der Kriterien erst erarbeitet werden müssen.“

Man fühle sich, so endet der offene Brief, durch die Sanktionsmaßnahmen in seinen Grundrechten (hier: Freiheit von Forschung und Wissenschaft) beschnitten.

Die DFG antwortet

Eine ganze Menge Vorwürfe, die durch Verbesserungsvorschläge (ja, sogar -Forderungen) an die DFG untermauert werden sollen. Was aber hält die DFG von dem Brief? Wir haben nachgefragt. Pressesprecher Marco Finetti stellt klar:

„Anders als in dem offenen Brief behauptet, wurden in dem Untersuchungsverfahren der DFG gegen Herrn Professor Dr. Birbaumer und Herrn Dr. Chaudhary selbstverständlich rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze gewahrt. Externe, international anerkannte Expertise wurde intensiv in die Untersuchung der Vorwürfe eingebunden, auch wurden sämtliche Vorwürfe den Betroffenen vor der Sitzung des Ausschusses zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umfänglich schriftlich mitgeteilt.

Herr Professor Dr. Birbaumer und Herr Dr. Chaudhary fanden sowohl schriftlich als auch persönlich rechtliches Gehör, bevor der Ausschuss zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens seine Stellungnahme abgegeben hat. Seitens der Geschäftsstelle der DFG wurde Herr Professor Dr. Birbaumer telefonisch mit genügendem zeitlichen Vorlauf vor der Veröffentlichung der betreffenden DFG-Pressemitteilung über die Entscheidung des Hauptausschusses informiert; er hatte somit die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen.

Mit der Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch Herrn Professor Dr. Birbaumer und Herrn Dr. Chaudhary verband der Hauptausschuss der DFG keine Aussage zur Validität der von den beiden Forschern aufgestellten Thesen zur Kommunikation mit CLIS-Patienten.

Die DFG legt darüber hinaus Wert auf die nachfolgenden Feststellungen: Auch eine hoch-risikobehaftete Forschung wie sie im Rahmen von Koselleck-Projekten von der DFG gefördert wird, bedarf einer Qualitätssicherung und Dokumentation nach den Standards im jeweiligen Fachgebiet sowie eines Einsatzes von State-of-the-art-Methoden.

Gegen die Entscheidungen des Hauptausschusses in Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens steht der Rechtsweg offen.“

Den werden Birbaumer und Chaudhary, so wie es aussieht, wohl bald einschlagen.

Kathleen Gransalke

Foto: Pixabay/pixel2013






Letzte Änderungen: 27.01.2020