Vertrauen ist gut

(13.03.2020) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem Forscherleben“: Wenn man kurz vor der Emeritierung noch als Koautor auf einem gefälschten Kooperations-Paper landet.
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Editorial

Klingel war ein äußerst gewissenhafter, ja geradezu tugendhafter Mann. Er gehörte zu dieser Forschergattung, deren Vertreter noch für einen bestimmten Ethos in der Wissenschaft standen. Deren oberstes Ziel einzig die selbstlose Suche nach Erkenntnis und Wahrheit war. Und die damit komischerweise immer irgendwie verstaubt und altmodisch wirkten.

Klingel veröffentlichte nichts, wenn die Daten nicht absolut frei von Zweifeln waren. Kontrollen waren ihm geradezu heilig; erst wenn auch das letzte unabhängige Kontrollexperiment gemacht war, setzte er sich an das Manuskript. Damit fuhr er lange gut. Zwar gehörte er auf diese Weise nicht zu den "Vielschreibern", die nach dem Motto der "hauchdünnen Salamischeiben" veröffentlichten. Aber auf seine Publikationen konnte man sich verlassen, die standen immer auf solidem Fundament. Und dafür schätzten ihn die Kollegen.

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Eine "fantastische Idee"

Das war heutzutage keineswegs mehr selbstverständlich. Im Zeitalter des Publish or Perish konnte man kaum mehr allem vorbehaltlos trauen, was veröffentlicht wurde. Und Klingel fand das schlimm.

Bis es ihn eines Tages selbst erwischte.

Im gleichen Atemzug war nämlich Forschung immer komplexer geworden. Und man brauchte immer mehr Kooperationen mit Gruppen, die ganz andere Dinge konnten, um ein Projekt zu einem umfassenden Ergebnis zu führen. Auch Klingel kam nicht mehr darum herum. Sicher – ihn quälte zunehmend die Tatsache, dass er bisweilen nicht mehr alle Details in den resultierenden Kooperations-Papern verstand, auf denen er mit seinem Namen stand. Aber wie auch immer, beruhigte er sich selbst, schließlich sind das Wissenschaftler wie ich. Mit ähnlichen Wertvorstellungen und Idealen, wie er hoffte.

Vor vier Jahren war dann Kliniker Maier aus der Inneren Medizin an Klingel herangetreten, ob er ihm mit seinem zellbiologischen Know-how nicht bei einer „fantastischen Idee“ zur Tumortherapie helfen könne. Klingel ließ sich das Projekt erklären – und schlug ein.

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Zwei Bomben gehen hoch

In den nächsten Wochen „machte“ Klingel also mit seinen Leuten die Zellkonstrukte, die Maiers Habilitand Roller dann ausgewählten Tumorpatienten verabreichte. Und jedes Mal, wenn er Maier traf, schwärmte der wie „sensationell“ alles lief.

Einige Monate später war dann der Manuskript-Entwurf auf Klingels Schreibtisch. Und auch wenn er sich über die Kürze der Zeit etwas wunderte, sah dennoch alles sehr gut aus – wie er fand. Nochmals zwei Monate später war der Artikel erschienen. Und er schlug ein wie eine Bombe.

Kaum ein halbes Jahr später ging die Bombe jedoch ein zweites Mal hoch. An der Studie waren Zweifel aufgekommen – und schon nach kurzer Überprüfung stellte sich heraus, dass Roller den Großteil der Patientendaten erfunden hatte. Einige der Patienten hatte es sogar nie gegeben. Und was an echten Daten schließlich übrig blieb, hatte keinerlei Signifikanz mehr.

Klingel als vorletzter Autor war unschuldig, das war allen klar. Für ihn selbst aber war eine Welt zusammen gebrochen. Er auf einer gefälschten Publikation – gerade er! Klingel war zur tragischen Figur geworden.

Zitierungen fließen weiter

Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sollte die ganze Geschichte gleichsam noch eine weitere Hässlichkeit des modernen Wissenschaftsbetriebs offenbaren: Bis heute ist das Paper nicht zurückgezogen! Obwohl Klingel damals sofort beim Chief Editor angerufen hatte. Nicht zuletzt deshalb wird das Paper immer noch rege zitiert. Wobei offenbar einige tatsächlich meinen, damit ihre eigenen Daten stützen zu können.

Auf 456 Zitierungen kommt das Paper damit bis heute. Diese Zahl schreiben die Datenbanken natürlich auch Klingels Zitationskonto zu. Doch der wartet nur noch auf seine Emeritierung...

Ralf Neumann

Foto: Adobe Stock / Krakenimages.com