Der Schwund übernimmt die Bibliotheken

Axel Brennicke


Editorial

(01.12.2003) Die Uni-Bibliotheken haben immer weniger Geld für Fachzeitschriften. Deshalb muss es heißen: Online-Lizenzen erwerben. Womit man natürlich zugleich Bibliothekspersonal einsparen würde.

Alle Jahre wieder kommt im Sommer Post von der Bibliothek. Die Liste mit den derzeit abonnierten Zeitschriften ist jedes Jahr begleitet von dem Standardtext: Mittel einsparen, welche Zeitschriften können abbestellt werden? Unterschiedlich sind in jedem Jahr nur die Prozente, um die gekürzt werden – mal sind es 5, mal 7, mal 14. Immerhin bleibt das Barometer zuverlässig auf weiter fallend.

Es war einmal eine gute Bibliothek

Eigentlich können wir uns nicht beklagen, schließlich wird die Liste jedes Jahr kürzer und dünner, es wird immer weniger Arbeit, sie durchzugehen. Nur gut, dass das Laborjournal noch kostenlos kommt.

Es war einmal eine recht gute Bibliothek, und es ist noch gar nicht so lange her, da gab es alle wichtigen Journals als gedruckte Exemplare und sogar schon über den Internetzugang online zu erreichen. Inzwischen hat sich trotz des Schwerpunktes Molekularbiologie im Zuge der profilierenden Profilbildung nicht einmal mehr das Journal of Molecular Biology halten können, Nucleic Acids Research und RNA fehlen, Cell und Nature sind online abgelaufen, die nicht minder wichtigen Ableger der beiden sind auch nicht mehr dabei. Die Folge: Jetzt hat die Bibliothek unwesentlich mehr Zeitschriften als wir in der Abteilung an Privatabos selbst zahlen und auf dem Kaffeetisch beliebig bekleckern können.

Editorial
Die guten alten Sonderdrucke

Dafür pflegen wir mehr als früher die Verbindungen zu Freunden und Kollegen in aller Welt. Rotierend verschicken wir Anfragen nach pdf-Files von diesem und jenem Paper, deren Titel wir zwar sehen, die wir aber ohne Abonnement nicht lesen können. Und so kommen wir langsam aber sicher wieder zum alten System der Sonderdrucke zurück, das seine Blütezeit vor 50 Jahren erreicht hatte. Heute braucht man ja nicht einmal mehr auf die Post warten, die meisten Texte und Bilder können per Attachment wiederum als pdf vom Autor kommen. Dann können wir entscheiden, ob sich das Ausdrucken lohnt. Mehrarbeit ist die Schreiberei, die Anfrage an den Autor. Mehrkosten durch den Ausdruck am eigenen Drucker, in Schwarzweiß oder gar in Farbe, bleiben natürlich bei uns hängen.

Das Problem der fehlenden Zeitschriften wird verschärft durch die Auswahl der Titel, die die demokratischen Mehrheitsverhältnisse an der jeweiligen Uni direkt wieder spiegeln. Dominieren Chemiker und/oder Physiker an einer naturwissenschaftlichen Fakultät, so sterben die biologischen Zeitschriften schneller aus als alle anderen.

Netzwerke und Verbünde

Genug gejammert. Wie können wir es besser machen und den Mangel besser organisieren, ohne uns demokratisch Zeit und Freundlichkeit zu stehlen? Manche Uni-Bibliotheken haben es geschafft, sich über campusweite Online-Lizenzen hinaus in länderweite Netzzugänge oder noch größere Verbünde á la MPG einzuklinken. Das wäre das Einfachste und kostet am wenigsten Aufwand für alle Beteiligten: die Universitätsbibliothek zahlt ihren Obolus und geht online.

Wenn das Bibliothekspersonal dies nicht zustande bringt, dann bleibt neben der campusweiten Lizenz für die allgemeinen Zeitschriften immer noch die Alternative von Lizenzen für die Institute, die an dieser oder jener Zeitschrift interessiert sind. Solche beschränkten Lizenzen sind deutlich billiger, und wenn der Chemiker doch einmal in das Plant Journal oder der Botaniker in Neuron reingucken wollen, werden sie auch nicht weiter als bisher laufen oder organisieren müssen.

Eine Arbeit von Stunden

Die Gelder für diese spezielleren Zeitschriften könnten direkt und ohne Umweg über langwierige und langweilige demokratische Diskussionen in den einzelnen Abteilungen oder Instituten für die Zeitschriften der Wahl ausgegeben werden. Damit werden auch die viel billigeren persönlichen Abonnements möglich, die jetzt nach der Novellierung des Copyright-Gesetzes für ganze Arbeitsgruppen und Institute legal zur Verfügung stehen. Noch nicht klar ist indes, ob der „persönliche“ Zugang auch für die Universität als solche gilt, das wird aber sicher irgendwann in Karlsruhe oder sonst wo entschieden.

Die Verwaltung dieser Online-Abos müsste eigentlich eine kompetente Person in der ehemaligen Bibliothek lässig schaffen. Alle Abteilungsbibliotheken organisieren die Mitarbeiter nebenher, ohne kompetente Strukturierung. (Klar, sehen sie immer wieder auch so aus, aber alle paar Monate ein paar Stunden reichen locker, um die Grundstruktur wiedererkennbar zu machen, in die die neuesten Hefte eingeordnet werden sollten).

Einer statt Vierzig

Online-Abos sparen ebenso wie die Streichungen realer Abos auf jeden Fall viel Personal ein: Wir bräuchten eigentlich niemanden mehr in der Bibliothek, der die nicht mehr ankommenden neuen Hefte registriert und ins Regal einsortiert – und die alten Teile brauchen auch nicht mehr abgestaubt zu werden, seit eifrige Inder, Chinesen und Filipinos sogar die veralteten Ausgaben eingescannt haben. Die Forschungsbibliothek wird damit von einer Person locker online gemanagt, die anderen 20 oder 40 Mitarbeiter könnten endlich einmal sinnvollere Aufgaben übernehmen, eine viel befriedigende Karriereleiter verfolgen und müssen nicht mehr in der Depression der Beschäftigungstherapie versacken.

Mit dem frei werdenden Geld in der Ausstattung sollte unbedingt die Lehrbuchsammlung für die Studenten irgendwo zentral auf dem Campus erhalten und verbessert werden. Aber bitte zentral – dafür ist keine weitere Fehlinvestition in einen der allseits beliebten Neubauten fernab des Unibetriebes notwendig. Und die frisch gestrichenen Wissenschaftlerstellen geben an jeder Uni reichlich Raum frei.

Viele der neuen Lehrbücher sind so teuer, dass sich der Normalstudent nicht die zwei oder drei Parallelausgaben leisten kann, die erst gemeinsam das ganze Gebiet von verschiedenen Seiten beleuchten. Lernen macht erst dann richtig Spaß, wenn die Studentin in den beiden Konkurrenzbüchern zur Prüfung in einem Haupt- oder Nebenfach nachlesen kann, wie sich die Spezialisten wichtig machen und ihre Lieblingstheorien blass verteidigen oder ihre persönlichen roten Tücher heiß angeifern.

Schluss mit leerer Arbeit

Die Lehrbücher müssen wohl drei oder vier Personen bewachen, schon wegen der Öffnungszeiten. Den ganzen Rest der Bibliothek kann man getrost einstampfen – Räume werden frei und die Menschen dort werden aufatmen, nicht mehr sinnlose Tage mit leeren Arbeiten füllen zu müssen.

Einsparpotential: ziemlich viel ++