Unsere Universität wird international

Axel Brennicke


Editorial

(01.04.2004) Überall heißt es: Studenten aus allen Ländern, herzlich willkommen an unserer Universität! Die Praxis jedoch ...

Glaubt man den Worten unseres großen Vorsitzenden, seiner Magnifizenz des Rektors, so sind wir eine internationale Universität, heißen alle guten Studenten willkommen, egal ob aus Burkina Faso, Kasachstan, Papua, der Mongolei oder Uruguay – ja sogar aus Amerika oder Bayern dürfen sie kommen. Sinkende Studentenzahlen, endlich ein besseres Lehrer-Studentenverhältnis, eine bessere Lehre gar? Bei uns nicht, so tönt der Rektor der Universität Ulm. Holen wir eben frisches Blut aus dem Ausland und falls die kein Schwäbisch können, radebrechen wir halt deutsche Betriebswirtschaft, Chemie oder Biologie in Englisch. Dafür jettet seine Magnifizenz sogar nach Kairo und gründet eine neue Uni. Der oberste Anführer beschwört die schöne offene Gesellschaft an der Hochschule, eingebettet in die internationale Gesellschaft und so weiter.

Wie aber sieht die Realität hinter der Selbstbeweihräucherung aus? Ein paar kleine Beispiele aus unmittelbarer Erfahrung, so zugetragen dieser Tage im Zuge der Internationalisierung einer Universität: Ein junger Mann aus Südafrika will in einem Labor hier in Deutschland seine Doktorarbeit machen. Er arbeitet bis Ende letzten Jahres an seiner Master Thesis, auf Deutsch (Eigentlich-)Diplomarbeit, und möchte nach einer kurzen Familienpause über Weihnachten im Januar anfangen. Um nichts zu versäumen, wird er sofort, als dies klar wird, fünf Monate vorher im August der Verwaltung der Universität gemeldet. Seine Daten und Urkunden gehen per Fax an die Verwaltung mit der Bitte um Vorbereitung seiner Einstellung als Doktorand – wohlgemerkt nicht aus Mitteln der Universität, sondern von einem Forschungsprojekt, das die DFG in Bonn finanziert.

Editorial

Die Aktenordner der Bürokratie müssen gefüllt werden, und der junge Mann schickt per Fax Kopien seiner Geburtsurkunde, Schulzeugnisse, benotetes Abschlusszeugnis seines Bachelor of Science (auf Deutsch etwa Vordiplom).

Der Chef streckt was vor

Ja, sagt die zuständige (?) Institution in der Uni-Verwaltung, so geht das nicht, da muss auch das benotete Zeugnis für den Master her, sonst hat er ja keinen Uni-Abschluss entsprechend dem Diplom So könne die Universität ihn nicht als Doktoranden annehmen und schon gar nicht für Bezahlung aus einem Projekt vorsehen. Auf Nachfrage heißt es, ja, der „Master of Science“ von dieser Universität in Südafrika wird anerkannt, kein Problem. Aber den hat er ja noch nicht, das offizielle Zeugnis bekommt er erst, wenn die Arbeit korrigiert ist. Und das kann dauern, kennen wir von unseren Diplom- arbeiten, da gehen leicht noch ein paar Monate ins Land. Soll der junge Mann so lange Ferien machen und älter werden?

„Catch 22“ lässt grüßen.

Nein, er will gern arbeiten, will nicht Däumchen drehen – prima, solche Leute braucht das Land. Er kommt an im Januar, aber sieht nichts von den Forschungsmitteln, die die DFG für die Bezahlung eines Doktoranden zur Verfügung gestellt hatte. Und auf der Tasche seiner Eltern liegen, Geld umtauschen geht nicht, der Rand steht zu schlecht zur Zeit. Also streckt der Chef ihm privat etwas vor, schließlich ist es Winter in Deutschland und kalt und er muss in der Mensa sein Essen bezahlen – nur illegal bekommt er den verbilligten Doktorandentarif, er kann ja noch nicht eingeschrieben werden ....

Schön, wenn er bleiben dürfte

Ach ja, er muss auch irgendwo wohnen: die Uni und ihr extra dafür vorgesehenes Auslandsamt zuckten schon im Herbst nur das Telefon, drüben in der nächsten Stadt, da gäbe es vielleicht noch ein Zimmer für 300 Euro, ist nur eine knappe Busstunde bis zur Uni. Also setzt man eine kleine Anzeige in die Zeitung und hat binnen einer Woche ein Zimmer mit Anschluss in einer WG mitten in der Stadt und eine Busviertelstunde zur Uni. Und dann gibt es noch einen exzellenten, bereits promovierten Wissenschaftler aus Japan, der als Postdoc in Deutschland arbeiten will. Der hat seinen Doktor an der Universität Kyoto gemacht, der nach der Uni Tokyo zweitbesten Universität in Japan. Er arbeitet hier schon sehr erfolgreich ein Jahr, und jetzt wäre es schön, wenn er noch ein bisschen länger in und für Deutschland forschen könnte.

Da könnte ja jeder kommen ...

Da fällt dem zentralen Staatsrat für Ausländerverwaltung plötzlich auf, dass in den Aktenordnern die englischen Übersetzungen seiner Bachelor- und Master- Prüfungen fehlen – wie immer die auf Japanisch heißen mögen. Das Zeugnis seiner Doktorarbeit und seines Titels war in beglaubigter Übersetzung schon vor einem Jahr hinterlegt, selbstverständlich, denn sonst kann ja jeder kommen. Wozu dann noch die vorhergehenden Prüfungen, die eine auf der anderen aufbauen? Die japanischen Texte der Urkunden von Bachelor und Master wurden natürlich bereits bei der Zulassung zur Doktorarbeit in Japan anerkannt – gerade an einer Eliteschule wie Kyoto wird niemand ohne Master und gute Kinderstube zur Doktorarbeit zugelassen. Das kann die ausländerfreundliche deutsche Universität natürlich nicht glauben – da kann ja jeder kommen ...

Irgendwas fehlt immer

Ach ja, diese oberste Ausländerinstanz im akademischen Leben hatte ich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt: „Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD“ heißt diese „Alien-Polizei“ und berät die Universitätsverwaltungen kompetent und klar über den Umgang mit Fremden. Irgendjemand musste ja auch die Green Card-Initiative des Bundeskanzlers umsetzen und irgend- wie die Intelligenz wieder nach Deutschland holen, die durch perverse Beschränkungen für deutsche Wissenschaftler und fehlende Möglichkeiten an den Universitäten frustriert ausgewandert ist.

Was tut unser japanischer Kollege um dem deutschen Staat und Volk dienen zu können? Zwangsläufig läuft die Familie in Japan Amok und versucht, beglaubig- te Übersetzungen der längst verstaubten Prüfungszeugnisse anzubringen. Wie weit geht die Eskalation der Wichtigtuer der Bürokratie, der Herrschaft der Verwaltung: bringen wir ihnen morgen endlich die heute verlangten Kopien von Master und Bachelor, fehlen übermorgen plötzlich die Bescheinigungen der Schule und des Kindergartens. Wetten?

Und wie soll unser Gast aus Japan das machen? Hand aufs Herz, wenn Sie im Ausland sind, wo sind Ihre Zeugnisse, wer kann die zu Hause heraussuchen, ins Japanische übersetzen und das noch beglaubigen lassen?

Die „Alien-Polizei“ passt auf

Noch nicht genug? Ok, hier noch ein Wissenschaftler aus Argentinien. Promoviert vor einigen Jahren ebenda, in Argentinien. Zwei Jahre Forschungsarbeit für das CNRS in Bordeaux (so etwas wie ein französisches Max-Planck-Institut). Dann zwei Jahre in Deutschland als Stipendiat der renommierten Humboldt-Stiftung. Und nun soll er noch drei Monate für die letzten Experimente und fürs Schreiben der letzten Publikationen von Forschungsgeldern der Universität bezahlt werden. Die Verwaltung der weltoffenen deutschen Uni lehnt ab. Auf Nachfrage sagt nämlich die oberste Behörde in der akademischen Einwanderer-Bürokratie, das gehe nicht, weil seine argentinische Doktorarbeit nicht anerkannt wird. An der Universität in Mar del Plata könne man seinen Titel gegen Plata direkt erwerben.

Bayern könnten auch dabei sein ...

Wie gut, dass diese Behörde die Verwaltung an der deutschen Universität unterstützt, die lässt sich wenigstens nichts vormachen. Die fällt nicht auf potenzielle Hochstapler herein wie das französische CNRS oder die Humboldtstiftung. Ganz abgesehen von den Wissenschaftlern, die blauäugig auf die Ausländer hereinfallen und sogar Argentinier nehmen würden ...

Mal sehen, was als nächstes kommt. Ja, es kommen ja immer wieder neue Mitarbeiter aus dem Ausland, nicht nur mit Humboldt-Fellowship, sondern auch mit Stipendien aus dem eigenen Land. Und – wie leichtgläubig – sogar Norddeutsche oder gar Bayern können auch dabei sein ...