Wozu diese Maul-Serie?

Axel Brennicke


Editorial

(01.06.2004) Zahlreiche kontroverse Reaktionen erreichten Axel Brennicke zu den bisherigen Folgen dieser Serie. Anlass für ihn, noch einmal mal genau zu erklären, was er mit ihr eigentlich bezwecken will.

Heute kein neuer Skandal im Sperrbereich, tut mir leid. Bitte erlauben Sie mir heute eine kleine Rück- und Vor- und Überhauptschau: Wozu soll eigentlich diese Serie gut sein? Warum setze ich mich hin und schreibe dies und jenes für Sie auf? Klar gibt es viel positive Rückmeldungen nicht nur von Kollegen, sondern auch aus der Verwaltung, aber es gibt auch viel Ärger – bisweilen sogar mehr als Betroffene – und es trifft manchmal unabsichtlich auch die Falschen. Wieso halse ich mir Ärger mit der Universität auf? Was ist mir so wichtig, dass ich das auf mich nehme und sogar unschuldige Harmlose mit reinziehe?

Mehrere Ziele stelle ich mir vor, die sicher nicht erreichbar sind, aber vielleicht kann ich etwas zum Nachdenken anregen. Vor allem die Hauptaufgabe der Universität möchte ich in Erinnerung rufen, die immer wieder und besonders heutzutage gern vergraben wird: Forschung und Lehre (F&L).

1. Verzettelung

Die Unis (wie natürlich auch die Gemeinden und viele andere) werden mit nebensächlichen Aufgaben zugeschüttet, die teils von oben herabfallen, teils aber auch hausgemacht sind – meist getreue Kopien der Fehler in der größeren Politik. Diese Nebensächlichkeiten werden mit Personalstellen bedacht, die aus dem Kernbereich der Uni abgezogen werden müssen, speziell im Zeitalter des angeblichen Globalhaushaltes.

Editorial

Einige habe ich ja schon vorgestellt: Leute, die sich um Patente kümmern sollen (inzwischen werden noch mehr neue (zusätzliche) Stellen von der Landesregierung geschaffen, so zum Beispiel Techniktransferbüros ... Ich dachte, es sei kein Geld da??); Leute, die den Kontakt nach Brüssel zur EU halten sollen; Leute, die den Sport organisieren; die Musik mit den Studenten machen; ... Im Kernbereich aber werden es immer weniger, und bald gibt es kaum noch jemanden, der ihnen die Chemie oder die Biologie erklären kann.

2. Ablenkung durch Duplikation

Indirekt oder auch direkt lenken die Verzettelung und die Bürokratisierung auch die im Kerngeschäft Arbeitenden immer mehr von ihrer Arbeit ab: Da so viele Leute an der Uni vorhanden (und unkündbar) sind, die für das Funktionieren und für Nebensächlichkeiten da sind, haben die eigentlich nicht viel zu tun. Um ihre Daseinsberechtigung (und manchmal auch ihr Gewissen) zu beruhigen, denken sie sich was zu tun aus. Wenn sie nur sich selbst beschäftigen würden, wäre das noch nicht so schlimm. Zur Katastrophe wird dies aber durch die so geschaffene Mehrarbeit für die Leute im Kerngeschäft, die jetzt diese Anfragen beantworten müssen, diese neuen Statistiken ausfüllen sollen – und immer wieder das Gleiche für andere Abteilungen machen.

Nehmen Sie nur einmal die Leistungskontrolle: das ist an sich eine prima Sache, bin ich immer dafür. Aber die gleichen Informationen alle paar Wochen neu in etwas andere Formulare einzutragen und als „Bericht“ zu formulieren, wird nervig. So gibt es parallel: 1. eine Evaluation durch die Verwaltung für die Verteilung des Grundhaushaltes; 2. ein Ranking für die Verteilung der Stellen für die Wissenschaftler und technischen Angestellten zwischen den einzelnen Abteilungen; 3.-n. obskure Rankings für Zugangsberechtigungen zu HBFG-Anträgen und Ähnliches, 4.-n. endlos viele Rankings für die Verteilung von Geldern, beispielsweise für Reparatur und Wartung von Geräten, Ersatzbeschaffungen etc. Nicht so billig zu erstellen, wie es sich anhört, ist etwa der „Nachweis der Bedürftigkeit von Wartungen“, die der TÜV vorschreibt. Hat man dies vom Hersteller mühsam beigebracht, muss man die Notwendigkeit des Gerätes nachweisen.

Die Kriterien für die internen Rankings unterscheiden sich alle nur marginal, aber wir im Kerngeschäft F&L müssen die Informationen immer wieder neu zusammenstellen und umformatieren. Die Ergebnisse sind entsprechend ähnlich, und man fragt sich, wozu die duplizierte Ausfüllerei, mit der sich dann wieder die Verwaltungen immer neu beschäftigen dürfen. Nebenher werden die Kriterien für jedes Ranking endlos neu diskutiert, anstatt erprobte Systeme effektiv zu übertragen und zu nutzen.

3. Feigheit der Einzelnen statt Zivilcourage

Mit dem (ver-)schwindenden Forschungs- und Lehrgeld bekommen immer niedrigere Chargen in der Hierarchie der Universität immer mehr Freiheit in dem Einsatz des Mangels. Das ist im Prinzip gut. War früher die kameralistische Haushaltsführung oberstes Gebot und legte die Verteilung der Gelder auf Lehrbuch, Doktorand, Telefon, Radioaktivität und Toilettenpapier fest, so kann heute sogar ein x- beliebiger kleiner Professor entscheiden, ob er oder sie lieber letzteres oder vor- letzteres kauft.

Aber die den Ministerien nachgeordneten uniinternen Ebenen, eben die Profs, sind ja durchweg keine Profis der Organisation, sondern Amateure. Als solche erfinden sie das Rad immer wieder neu: Sie sind zu feige, selbst zu sagen „Machen wir das so, weil ...“, sondern kopieren erst mal die Fehler von oben, um sich „abzusichern“. Da sie, so wie ich natürlich auch, keine Ahnung von Uni- und Verwaltungsgesetzen haben (will ich auch gar nicht, dafür gibt es Profis), geht das immer in die Hose und endet damit, dass wir (die Forschenden und Lehrenden) noch mehr Formulare und Bittschreiben erfüllen müssen, die dann bloß als Windeln für die lokalen Entscheidungen dienen.

4. Die notwendige Flexibilität in Forschung und Lehre wird nur noch für Kürzungen genutzt

In den Nebensächlichkeiten sind unendlich viele Ressourcen gebunden. Und – der größte Fehler – sie sind permanent gebunden, da diese Nebensächlichkeiten gleich für Dauerstellen genutzt wurden (und werden). Wohlbemerkt, unbefristete Stellen in den Kernaufgaben der Verwaltung sind essentiell, keine Diskussion, das ist klar. Aber sicher nicht zu 100%. Dort sollten und können die gleichen Regeln gelten wie im Kerngeschäft F&L: 25% Dauerstellen, der Rest flexible Zeitverträge.

Da aber auch die Verwaltung der Flötenkurse und der neuen Sporthalle unkündbar sind, bleibt bei den zyklisch auftretenden Kürzungen nur der Bereich der Uni übrig, der flexibel ist. Und das ist natürlich – richtig geraten – der Kernbereich F&L.

Mit der letzten bundesweiten Regelung sind die Möglichkeiten für Kürzungen sogar noch besser geworden: Konnte früher ein vom jeweiligen Bundesland der Uni angestellter Wissenschaftler nach fünf Jahren in ein anderes Bundesland und damit zu einem neuen Arbeitgeber wechseln, so ist dies nicht mehr möglich. Unter den neuen Gesetzen wäre ich selbst auch seit vielen Jahren eine Nummer in Nürnberg (und meine Stelle frei zum Streichen): Seit Beginn des Hauptstudiums im zarten und unbedarften Alter von 20 Jahren habe ich nebenher als HiWi gejobbt, das BAFöG-Darlehen war zu mager. Da- nach immer mit Stipendien, ebenso geliehenem GradFöG und dann echtem DFG-Postdoc, bis zur Krönung durch eine Zeitstelle als WiMi ab dem deutlich reiferen (na ja) Alter von 28. Das alles zählt voll, so dass ich mit 32 Jahren von der Uni geflogen wäre. Klar sagen manche, schade dass es das neue Gesetz damals noch nicht gab, jetzt weiß man wofür es gut ist ... aber Sie verstehen auch, warum ich diese neue Regelung einfach Sch...*** finde... (*Schwachsinnig, nicht das, was Sie gerade dachten, das ich denke).

In den Verwaltungen sollten – nein: müssen – die gleichen Bedingungen akzeptiert werden, die wir in F&L aufoktroyiert bekommen: gleiches Verhältnis von Zeitverträgen und gleiche Leistungskontrolle. Mit welchem Argument soll es Leistungskontrollen nur im Kerngeschäft F&L geben. Sind die in F&L Arbeitenden a priori Faulenzer? Sind die F&L-Leute gefährdeter, nahtlos vom Frühstück in die Mittagspause und anschließend in den Kurzschlaf überzugehen, um dann etwas früher heimzukommen? Ändern sich nicht auch in der Verwaltung laufend die Aufgaben und Projekte, werden Verfahren modernisiert und verkompliziert?

5. Die Macht der Masse

Im Vorspann zu meinem ersten Erlebnisbericht hatte ich bereits die verblüffenden Zahlen erwähnt, die jedem mehrere kalte Schauer den Rücken herunter- stürzen lassen sollten: An meiner Uni ist das Verhältnis der beschäftigten Personen zwischen F&L und denen, die diese verwalten, eins zu eins. Bei uns arbeiten ziemlich genau 500 Menschen in den Fakultäten (Verwaltungskräfte in den Dekanaten, Studien- und Promotionssekretariaten und Abteilungen sind ebenso dabei wie technische Assistenten, der berühmte „Mittelbau“ und die berüchtigten Profs.) Uns verwalten 526 Menschen, die uns die Arbeit abnehmen sollen, für die wir nicht qualifiziert sind, die aber notwendig ist, um das Kerngeschäft F&L durchführen zu können. Das heißt, hinter jedem direkt produktiv für die Kernaufgaben der Uni Tätigen (klar: mal mehr, mal weniger) steht einer, der ihm über die Schulter guckt.

Sicher, viele dieser indirekten Arbeiten sind absolut notwendig: die Lichter müssen funktionieren, das Wasser muss laufen, die Heizung muss angehen. Ebenso müssen die wenigen Gelder für F&L möglichst gerecht verteilt werden. Aber diese zugegeben schwierige und undankbare Aufgabe wird zum Beispiel von den Profis in der Verwaltung unter dem fadenscheinigen Deckmäntelchen der „Eigenregie“, „Selbstverwaltung“ und „Globalhaushalt“ zunehmend an uns Amateure delegiert. Komisch eigentlich, die Verwaltungen wer- den immer größer und geben immer mehr Aufgaben ab. Solche wundersamen Personalvermehrungen, wie sie sich die Bundesanstalt für Arbeit (oder wie auch immer die heute heißt) leistet, indem sie erst mal 500 neue Verwalter für die Wortschöpfung „Minijobs“ einstellt, bevor nur der erste Mini anfängt. Und das, obwohl es die „Minijobs“ und „Ich-AGs“ schon lange unter dem Namen „624-DM-Gesetz“ gab. So etwas darf nicht passieren, und wir an der Uni dürfen solche Auswüchse erst recht nicht zulassen.

Wie ist eigentlich der Proporz zwischen F&L und Verwaltung bei Ihrer Uni, an Ihrem Institut? Die Zahlen bekommen Sie wahrscheinlich nicht so einfach, da wird herumgeredet und entschuldigt. Schließlich hat nur die Verwaltungsspitze diesen Überblick, und die werden den Teufel tun, Ihnen (geschweige denn mir) diese Daten mitzuteilen. Diese Verwaltungen sind so groß, dass sie allein durch ihre Masse solchen Druck und solche Macht ausüben können, dass wir Kerngeschäftler und auch alle produktiven Umformer innerhalb dieser Moloche wie Kohlhaas oder Don Quijote dastehen. Wir müssen klein beigeben, sonst kommen wir nicht einmal an das Geld, das wir als Drittmittel eingeworben haben, geschweige denn an Haushaltsmittel, Reparaturfond oder gar Ersatzbeschaffungen. Das Peter-Prinzip gilt immer noch und bleibt wahr bis in alle Ewigkeit: Je mehr Untergebene, umso mehr Status und umso mächtiger wird man.

Bevor ich wieder an die Uni zurückgegangen bin, war ich in einer kleinen Forschungs-GmbH angestellt. Dort haben sechs Verwalter und drei Techniker/Handwerker zwischen 100 und 130 F&L-Personen hervorragend betreut. Sollten wir die „Zentrale Verwaltung“ zerschlagen und kleinere, effektivere Einheiten schaffen? Dagegen steht leider wieder das Peter-Prinzip... Ebenso lassen sich die unpersönlichen und ineffektiven Eingemeindungen kaum noch rückgängig machen, die raren Ausnahmen wie „Lahnstadt“ belegen das glänzend.

6. Das bezwecke ich mit dieser Serie:

  1. Das eigentliche Ziel der Uni in Erinnerung rufen: Forschung und Lehre;
  2. Auf die oberen Hindernisse aufmerksam machen;
  3. vielleicht bewirken, das einige davon besser werden und uns am untersten Ende der Nahrungskette das Leben erleichtern.

Ja, wir Profs und wissenschaftlichen Mitarbeiter sind ganz unten, denn wir sind laut Eid verantwortlich für das Grundgeschäft. Wenn ich sagen muss, ich kann bei 20% mehr Studis und 27 % weniger Geld dieses oder jenes Praktikum nicht mehr durchführen wie bisher und die Qualität der Lehre nicht mehr gewährleisten, heißt es schlicht, dazu haben Sie sich aber per Eid verpflichtet ...

Dazu müssen wir uns ab und zu auch mal wieder in Erinnerung rufen, dass wir alle Dienstleister sind. Wir sind die öffentliche Hand, für die jeder Bürger seinen Obolus in Form von Steuern abgibt, damit sie ihm, dem Steuerzahler, gewisse Leistungen erbringt. (Warum der Verkäufer von Energieunternehmen, das Land Baden-Württemberg, lieber Rechtsanwälte zahlt statt Steuern? Ein Vorbild? Wir normale Steuerzahler würden bei solchen Machenschaften ganz finster bestraft.).

Für uns im Kerngeschäft der Uni heißt die zu erbringende Dienstleistung F&L. Für die nicht direkt in F&L beschäftigten Mitarbeiter der Uni heißt das, dafür Sorge zu tragen, dass F&L so reibungslos wie möglich ablaufen können und vor allem optimal eingesetzt werden. Direkt oder indirekt werden alle an der Uni dafür bezahlt, dass F&L als Leistung erbracht werden. Verwaltung und andere Zuarbeiter für F&L sollen denen die Verwaltungsarbeit abnehmen, die direkt in F&L arbeiten, und nicht diese mit zusätzlichen Formularen und Spitzfindigkeiten den Alltag zumüllen.

Verstehen Sie mich bitte richtig, viele Verwalter wissen das noch und leisten echte Unterstützung. Viele aber haben eine intuitive Aversion gegen konstruktive und produktive Arbeit und verplempern ihre Zeit und unsere Steuergelder mit ABM-würdigen Zeitvertreiben. Das ist an sich schon schlimm, aber richtig zerstörerisch wird es, wenn sie auch die produktiven Kollegen, wie auch die direkt in F&L beschäftigten Dienstleister ebenso mit unsinnigen Anfragen belästigen und behindern und mit unnötigen Verkomplizierungen von ihrem eigentlichen Auftrag abhalten.

Diese Zeit- und damit Geldverschwendungen nehmen immer mehr zu, je weniger Personal für die Kernaufgabe F&L nach den fortschreitenden Kürzungen übrigbleibt, und konzentrieren sich auf die wenigen, die überhaupt noch F&L an einer Uni machen. Unter dem Mäntelchen von Umstrukturierungen und Rationalisierungen werden neue Organisationen gebildet, die aber immer noch nichts Produktives tun, sondern nur unter neuem Namen neue Fragebögen zu ihrer eigenen Definition herumschicken, deren Ergebnisse sie niemals umsetzen würden.

Dank

Bei dieser Gelegenheit ganz herzlichen Dank an die vielen Kollegen und vor allem auch die Mitarbeiter in den diversen Verwaltungen, die mich immer wie- der persönlich auf- und er-muntern und die (traurige) Allgemeingültigkeit meiner Schilderungen betonen: „Bei uns auch, neulich...“ Ausnahmen bestätigen natürlich nur die deutschlandweite (aber auch in Österreich und der Schweiz eskalierende) Verbreitung dieser erdrückenden, sich selbst vermehrenden Bürokratiewucherungen.

Nota bene: Einer muss ja mal was sagen.