Oh Sonja... - Akkredititis und Certificationitis

Axel Brennicke


Editorial

(01.05.2005) Vor kurzem bekam Axel Brennicke Post von Sonja aus einem Akkreditierungsbüro. Dieses wollte ihn als kostenlosen Gutachter, seine Uni aber sollte zahlen für die Gutachten. Damit kam Sonja dem Axel gerade recht ...

Neulich bekam ich eine E-Mail. Von Sonja. Na ja, ich habe nicht gleich gesehen, dass es Sonja war, die geschrieben hat, sonst hätte ich die Mail vielleicht gar nicht geöffnet. Aber bei diesem Absender: name@acquin.org, mit dem „.org“ hintendran denkt man sich eigentlich nichts Böses. Aber dann musste ich lesen:

Subject: Gutachtertätigkeit in Akkreditierungsverfahren – Anfrage [Gleich zwei Übles verheißende Wörter schon in der Überschrift: eine Anfrage ist immer schlecht, das verspricht Arbeit; und Gutachter ist gleich doppelt schlecht, das verspricht Nachdenken, Verantwortung, viel Schreiben und gerecht sein müssen. Sie merken bereits: Schon beim Lesen kann ich meine Klappe nicht halten und muss immer gleich meinen Senf dazu geben – der steht in diesen eckigen Klammern. Also weiter:...]

Drohende Ungetüme

Sehr geehrter Herr Professor Brennicke,

die Akkreditierungsagentur ACQUIN begutachtet im Auftrag des deutschen Akkreditierungsrates Universitäts- und Fachhochschulstudiengänge. [Fast in jeder Zeile dieses Ungetüm von „Akkreditierung“, da hat ganz offensichtlich jemand Komplexe, fühlt sich vielleicht nicht richtig akkreditiert?]

Editorial

Wir sind gerade dabei, die Gutachtergruppe für den konsekutiven Bachelor/Masterstudiengang „Biologie“ an der Universität xy zusammenzustellen. [Ein konsekutiver B/M-Studiengang – was mag das wohl heißen? Zwei Dinge können konsekutiv sein, aber doch nicht einer, oder? vielleicht eine Schlange? Oje, Sonja...]

Sie wurden uns von Herrn Professor XY empfohlen, und daher wende ich mich an Sie mit der Frage, ob Sie bereit wären, als Gutachter an diesem Verfahren mitzuwirken.

Ich will gleich versuchen, einige Fragen, die sich Ihnen in diesem Zusammenhang sicherstellen werden, zu beantworten:[Einige Fragen sicherstellen? – Komisch...]

Honorar? – Nee, gemeinnützig!

Der Arbeitsaufwand umfasst die Durchsicht der Selbstdokumentation der Hochschule und ein knapp zweitägiges Peer Review vor Ort sowie – in Arbeitsteilung mit den Gutachterkollegen und -kolleginnen – die Erstellung eines Gutachterberichts.

[Wusste ich’s doch, ein Haufen Arbeit, den ich niedermachen soll.]

Eine Gutachtergruppe umfasst i.d.R. drei Hochschulvertreter/innen und je 1 Vertreter/in der Studierenden und der Berufspraxis... [Wozu gehöre dann ich am Ende des Tages? Zum „Hochschulvertreter“ oder zur „Berufspraxis“? „Studierender“ scheidet aus, schätze ich mal. „Vertreter“ bin ich aber auch nicht, verkaufe keine Zahnbürsten oder Petrischalen oder Gelphotos. Und was heißt „Berufspraxis“? Habe ich Berufspraxis oder nur Elfenbeinturm?]

Ein Honorar [Aha, jetzt wird’s endlich interessant!!!], das dem Arbeits- und Zeitaufwand der Gutachter und Gutachterinnen [schon wieder zuerst die Herren dann die Damen! Oje, Sonja, was hast Du Dir nur dabei gedacht?] angemessen wäre, kann ACQUIN als gemeinnützige Selbstverwaltungseinrichtung von Hochschulen leider nicht zahlen. [Leider, nicht wahr? Ironie, ick hör Dir trapsen – vielleicht findet sich ein Dummer, der darauf herein fällt – Selbstverwaltungseinrichtung der Hochschulen!]

Neben der Erstattung aller Reise- und Aufenthaltskosten erhalten die Mitglieder der Gutachtergruppe eine Tagespauschale von 150 Euro. [Das ist ja super, vielleicht doch nicht so schlecht – oder doch? Mal sehen: das kommt auf unter 9 Euro pro Stunde vor Steuern, das Berichtverfassen nicht vergessen, bleiben netto vielleicht 5-6 Euro – nee, das scheint nicht einmal für einen Vertreter richtig üppig, von jemanden mit Berufspraxis ganz zu schweigen]

Die Selbstdokumentationsunterlagen der Hochschule liegen uns vor, für die Begutachtung unterbreiten wir die folgenden Terminalternativen: a) 21./22. b) 28./29. c) 02./03. d) 04./05. [Aha, der erste Termin ist etwa vier Wochen nach dem Erhalt dieser E-Mail datiert, der letzte etwa sechs Wochen; kein Problem, man hat ja sonst nichts zu tun].

Wir wären sehr froh, Sie als Gutachter gewinnen zu können, [Klar, ich wäre auch froh, wenn ich einen Arbeiter für umsonst finden könnte] und würden uns über eine baldige Rückmeldung freuen, auch über eine Rückmeldung aller für Sie in Frage kommenden Termine.

Sonja kann ja nix dafür

Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung (Tel.0921-55-5146). [Eine Menge „Rück“ steht da kurz hintereinander... Das ist hoffentlich keine gebührenpflichtige Nummer wie bei Günther Jauch, muss ich nachher einmal ausprobieren.] Weitergehende Informationen zu ACQUIN finden sich zudem auf unserer Webseite unter www.acquin.org.

Mit freundlichen Grüßen
Sonja XY
Programmkoordinatorin
ACQUIN (Akkreditierungs-, Certifizierungs- und Qualitätssicherungs – Institut) [Starker Tobak! Können Sie das flüssig aussprechen?]
c/o Universität Bayreuth
95440 Bayreuth
Tel.: 0921-55-4846
Fax.: 0921-55-4842
www.acquin.org
Besucheranschrift:
Prieserstr. 2
95444 Bayreuth

[Besucheranschrift? Will Sonja, dass ich sie besuche? Da war doch was mit Reisekosten und Unkosten oder?]

In unserem Telefongespräch bestätigt Sonja dann, dass ich als Gutachter leider, leider kein Honorar erhalten könne, weil sie ja eine gemeinnützige Organisation seien. Sie hat eine so freundliche, ruhige und nicht gestresste Stimme, dass ich nicht gleich das fragen kann, was ich eigentlich hätte fragen sollen: ob sie denn auch für umsonst arbeite und sich nur für die Fahrt zur Arbeit jeden Tag entschädigen lasse....wegen gemeinnützig und so...

Aber genug von Sonja, sie kann ja auch nichts dafür, diese ganze komplizierte Akkreditierung ist vermutlich nicht ihre Idee.

Wessen Idee ist es dann? Der Typ von Schlagwort „Akkreditierung“ lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Wichtigtuer. Und dann ergibt sich von ganz allein, dass irgendein Profilberater irgendeinem (oder mehreren) Typen auf der Politikbühne eingeflüstert hat, dass man mit dem Wort „Akkreditierung“ in der Presse punkten kann, sich profiliert, wenn man es jetzt mit Aktivismus – Entschuldigung: mit Aktivität – verbindet. Damit akkreditiert man sich in der Szene...

Die Macht der Evaluatoren

Und das haben inzwischen auch die schlichteren politischen Gemüter begriffen und sind in entsprechenden Aktivismus verfallen: sogar an der Schule, am Gymnasium wird inzwischen certifiziert, evaluiert und akkreditiert. Die oberste Schullehrerin in Baden-Württemberg hat um freiwillige Meldungen gebeten, wer vom Lehrpersonal bei den Evaluierungen der Lehrprogramme an anderen Schulen mitmachen möchte. Und natürlich melden sich da sogar welche, genau wie an den Hochschulen: die Wichtigtuer – die, die sich im Unterricht nicht so leicht tun –, die melden sich mit Begeisterung. Schließlich werden sie ja von den zu Evaluierenden und zu Akkreditierenden mit Hochachtung und Ehrfurcht behandelt, denn plötzlich haben sie die Macht, über Ja oder Nein zu entscheiden.

Ideal für Wichtigtuer

In der Schule wird das sofort problematisch: Ausbaden müssen es die normalen Kollegen, die ihren Unterricht für wichtig halten und richtig und gut machen wollen. Die müssen jetzt den Unterricht der Wichtigtuer mit übernehmen, da diese vom Unterricht frei gestellt werden für die so wichtige Certifizierung und Akkreditierung. Noch ist dies mit der Freistellung an der Uni nicht so weit, aber wer weiß das schon. Sicher bohren die G’schaftlhuber schon Wege für analoge Bonusprogramme aus.

An Schule wie an Uni: selbst wenn wir uns als Akkrediteure zurückhalten und nur auf der anderen Seite bleiben, haben wir wieder mal mehr (sinnlosen) Aufwand, mehr Papier zu verschmutzen, mehr Schreiberei. Denn die Akkreditierung von den neuen Studiengängen mit Bachelor- und Master-Abschlüssen erfordert natürlich anderes als die bisherigen Lehrpläne. Die normalen Studienprogramme, die Vorlesungsverzeichnisse, die jedes Jahr neu zu erstellenden 10-Jahres-Pläne, die Entwicklungspläne in Lehre und Forschung, die Forschungsberichte mit Publikationslisten und allem Drum und dran – die kann man natürlich nicht nehmen, das ist alles was anderes.

Nein, da muss ein eigenes Format her, chic aufgemacht und ansprechend (für die Wichtigtuer). Im Bewusstsein ihrer Macht fordern die Akkreditierungsbüros einfach, und die Certifizierungskommissionen verlangen: schickt uns den Kram, ihr wollt ja was von uns, ihr habt gefälligst den Mund zu halten, denn wir urteilen über euch!

Aber dazu brauchen sie offensichtlich auch eine Legitimation, brauchen Sachverstand, den die Kollegen und ich liefern sollen. Daher die Anfrage von Sonja. Aber: wieso sollte ich beurteilen können, ob die Kollegen in XY alles richtig gemacht haben? Die werden besser wissen, welche Möglichkeiten sie haben, warum sie den Studiengang so und nicht anders aufbauen: Schließlich nennen die Kollegen ihren Studiengang nicht ohne Grund beispielswesie „Ökobiologie (Ecobiology)“ – „Biologie“ können sie nämlich nicht mehr sagen, weil ihnen de facto die Stellen für Tier- und Pflanzenkunde ersatzlos gestrichen werden und damit den Studenten nicht mehr die ganze Breite der „Biologie“ erklärt werden kann.

Die haben sicher gut Gründe

Ach, ist das etwa ein taktischer Nebeneffekt der BSc- und MSc-Modewelle, dass die Euphorie der Umbenennungen in synthetischen Modebegriffen endet, die eben nicht mehr die langweilige Breite von „Biologie“ oder „Zoologie“ und „Genetik“ abdecken – weil es die nach den neuen Kürzungen und Stellenstreichungen gar nicht mehr geben kann? Geschickt, geschickt...

Irgendwann fragt man sich dann, wofür die eigentlich da sind, die Akkreditierungsbüros wie dieses obskure Acquin. Wofür die eigentlich noch bezahlt werden, wenn sie alles mundgerecht in Häppchen von Begutachteten und Gutachtern geliefert bekommen und nur an bürokratischen Details herumnörgeln? Und dann für ihre Akkreditierung (das Ausdrucken einer Urkunde) auch noch Geld verlangen und zwar nicht schlecht: Laut Webseite von Acquin 12.000 Euro pro Studiengang!

Von wem? Na klar, von den Unis. Von uns, den Opfern, die sie beurteilen sollen – wir müssen auch noch zahlen dafür, dass wir jede Menge sinnlose Arbeit zusätzlich machen dürfen.

Und für eine Universität geht diese Zwangsabgabe an einen gemeinnützigen Verein richtig ins Geld: Große Unis haben vielleicht 50 Studiengänge – die sollen auch bleiben, denn von den gerade modernen Hybriden wie Wirtschaftsmathematik oder Molekulare Medizin will man sich in dem neuen Wettbewerb ja auch nicht gleich wieder trennen. Das kommt dann locker auf 600.000 Euro für eine Universität, von potenziellen Mengenrabatten verraten die Akkreditierungsbüros nichts.

Geldgeil? – Darum geht‘s nicht!

Wir, die Unis, haben aber nix, das Geld muss irgendwo eingespart werden. Im Zweifelsfall irgendwo in Forschung und Lehre. Bei den Heizkosten geht es nicht – die werden eher mehr. Also am Besten bei der Lehre – da, wo ja gerade akkreditiert werden soll: weniger Betreuer in den Praktika, neue Geräte und Mikroskope noch einmal um ein paar Jahre verschoben.

Und schwupps, schon sind die noch gar nicht eingeführten Studiengebühren wieder ausgegeben.

Apropos Geld: Wenn Sie jetzt nachvollziehen, dass meine Universität aus ihrem (=meinem) jedes Jahr schrumpfenden Etat 12.000 Euro an dieses obskure Akkreditierungsbüro dafür abdrücken soll, dass dieses kostenlose Gutachter akkreditiert und sich dabei hinter einer gemeinnützigen Maske versteckt – dann verstehen Sie vielleicht, warum ich oben so viel Aufhebens darum gemacht habe, dass ich als Gutachter umsonst arbeiten soll, aber für meine eigene Begutachtung 12.000 Euro abdrücken darf. Sie dachten schon, der Brennicke sei einfach geldgeil – aber nee, so leicht ist das leider nicht: Ich frage mich ganz einfach, wo gehen die 12.000 Euro in dieser gemeinnützigen Stiftung eigentlich hin, wenn diejenigen, die die eigentliche Arbeit machen, nämlich die Gutachter, die alles, aber auch ALLES bis zum fertigen Bericht erarbeiten, gar nichts kriegen.

Das Geld fließt an die Besucheradresse von Sonja, fließt sicher in eine schicke neue Einrichtung nicht nur von Ikea, finanziert die Miete und die Gehälter für Sonja und Kollegen – alles so gemeinnützig...

Hat doch vorher gut geklappt

Halt, wir haben ja noch gar nicht nachgefragt, ob diese Akkreditierung nicht vielleicht eine richtig gute Sache ist – wozu soll dies eigentlich gut sein? Zur Information vorweg: Es ist Gesetz, dass grundsätzlich jeder Bachelor- und Masterstudiengang akkreditiert werden MUSS, sonst dürfen keine Studenten aufgenommen werden – und alle Studiengänge MÜSSEN in Bachelor- und Masterstudiengänge umgewandelt werden... Ist das produktiv? Schafft das etwas für die Volkswirtschaft? Kontrolle? Wovon? Mehr Qualität in der Lehre?

Dazu liegen doch alle Unterlagen im Ministerium für Wissenschaften und Unis, dort wurden bisher die Studienpläne geprüft. Oder im Ministerium für den Kultusunterricht und die Schulen. Die Ministerien aber schieben die Arbeit ab, die sie bisher gemacht haben – ohne dafür zahlen zu wollen und natürlich ohne jemanden zu entlassen. Was machen denn jetzt eigentlich die, die bisher im Ministerium diesen Job machten – und die es meist gar nicht so schlecht, eher richtig gut gemacht haben?

Bisher haben wir unsere Pläne für die Studiengänge bei den Ministerien einreichen müssen und haben von dort in der Regel sehr gute, richtige und wichtige Kommentare bekommen. Ich erinnere mich, wie viele von uns weit über das Ziel hinaus geschossen sind und bei einem solchen neuen Studienplan alles zur Pflicht gemacht hatten, was nur angeboten wurde – und damit die Studenten natürlich Tag und Nacht beschäftigt hätten. Das Ministerium hat uns freundlich Bescheid gestoßen, an die Studenten gedacht – und wir haben Vorlesungen, Praktika und Seminare auf ein erträgliches Maß zurückgeschraubt. Dabei hatte ich nur ganz egoistisch gedacht, zu einer Pflichtvorlesung würden mehr Studenten kommen als zu einer freiwilligen.

Alles mal wieder auf Kosten...

Die Neuerung um der Neuerung willen wird an den eigentlich Produktiven in Schule und Universität ausgebadet. Wenn wir die sowieso vielfach angefertigten Berichte einfach dort abgeben könnten – okay. Wenn wir nicht zahlen müssten – okay. Wenn die prima eingearbeiteten Fachleute aus dem Ministerium jetzt ihren Job in den neuesten, feinsten und chicsten Büros der Stadt machen würden – okay. Aber zusätzlich die ganze Arbeit für uns? Das geht ab von der Zeit für Lehre und Forschung – woher sonst? Damit wird Lehre und Forschung schlechter statt besser, das kann gar nicht anders sein...

Wer sich an dieser Akkreditierung als Gutachter für umsonst beteiligt, verschlechtert automatisch sein Engagement in der Lehre an Schule und Universität und in der Forschung an der Universität. Wer vernachlässigt denn damit bewusst seine eigentlichen Aufgaben, auf die sie oder er per Eid eingeschworen wurde? Wer lässt sich denn dann wohl von so einem Gefasel einlullen und für unbezahlte Arbeit gewinnen?

...von Forschung und Lehre

Man will ja bei so einer gemeinnützigen Stiftung nicht gleich von Eigennutz und Betrug reden, aber so ganz gemeinnützig riecht das auch nicht. Deshalb an dieser Stelle der Aufruf an alle, die von solchen dubiosen Organisationen angeschrieben werden: Vorsicht und Vorsicht! Für kein Geld kann man an vielen Stellen arbeiten und Gutes tun. Müssen wir in der Wissenschaft ja so schon: Gutachten über eingereichte Manuskripte, Gutachten über Diplom-, (bald Bachelor- und Master-)arbeiten, zu Doktorarbeiten und über Forschungsprojekte und Lehrveranstaltungen, die sich die Kollegen weltweit ausdenken. Diese Gutachten müssen sein, und diese müssen wir jeder so sorgfältig und gewissenhaft machen, wie wir nur können. Ganz klar, wer soll das sonst machen? Das ist Teil unseres Jobs. Und damit bereits bezahlt.

Ob mich jetzt wohl noch einmal jemand von so einem Akkreditierungsbüro fragen wird?

Oh Sonja...