Ausbildung ohne Bildung

Axel Brennicke


Editorial

(01.06.2005) Die deutsche Forschung dümpelt im unteren Mittelfeld. Doch mangelt es nicht an Kreativität. Die hat sich nur verlagert: In die Schreibstuben der Ministerialbürokraten. Erstaunlich was deren Phantasie an Einfällen gebiert.

Der KREBS-Erlass sorgt immer noch für Aufregung im Lande Nordrhein-Westfalen. Darin verfügt Hartmut Krebs, Staatssekretär des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, dass Studenten, die den neuen Bachelor erworben haben, von der Universität geworfen werden.

Bachelor-Ausbildung statt Bildung

Die Ausnahmegenehmigung zum Bleiben soll die Ausnahme bleiben: maximal 20% ihrer Zeit dürfen Hochschullehrer in NRW für die Weiterbildung der Studenten zum Master investieren. Ach ja, die Betreuung von Doktoranden ist in den 20% auch noch mit drin. In dem Schreiben von Staatssekretär Krebs vom 16.2.2005 klingt es so nebensächlich heraus „...dass ein Anteil von 20% des Lehrangebots an Universitäten und 10% des Lehrangebots an Fachhochschulen für das konsekutive Masterstudium, an Universitäten auch für das strukturierte Promotionsstudium, verwendet werden kann.“ Selbst wenn die Ministerin für Wissenschaft und Forschung in NRW, Hannelore Kraft, am 31.3.2005 in einer Pressemeldung versucht, den schwarzen Peter nach Niedersachsen abzudrücken, und sie den Zwang zur Quote euphemistisch „Planungssicherheit“ nennt: der Druck zur Bachelor-Ausbildung statt Bildung bleibt.

Editorial

Damit verkommen die Universitäten auf das Niveau von Fachhochschulen – zwar dürfen sie noch Doktoranden ausbilden, aber nur in ihrer Freizeit. Den Universitäten bleibt auch keine Zeit für die hochgelobten Graduiertenkollegs mit international attraktiven Programmen und besonderen Curricula mit speziellen Lehrveranstaltungen. Die können nur noch echte Forschungseinrichtungen wie die MPIs durchführen. Daher wird die internationale Attraktivität von Graduiertenkollegs und anderen Doktorandenprogrammen eine ganz neue Bedeutung erlangen, eine, die sich die Politsprücheklopfer nicht erträumt haben. Wissenschaftlich wenigstens angebildete Nachwuchsstudenten werden ja von den Unis kaum noch kommen. Die müssten ja wenigstens einen Master haben, um in ein Doktorandenprogramm aufgenommen zu werden. Also wird man auf den Zuzug vom Ausland angewiesen sein.

Nach sechs Semestern fertig

Nein falsch, ruft jetzt die Bürokratie der Wissenschaftsfunktionäre (wer das ist, erläutern M. Nagelschmidt und G. Giebel in der FAZ vom 18.5.2005, S. N2), das neue System soll doch gerade durchlässiger sein, schneller. Der begabte Student soll schon nach dem BSc in Biochemie oder Biologie direkt als Doktorand zugelassen werden können, dann sei sie/er schon nach 6 Semestern fertig und könne viel früher als Doktorand anfangen. Statt wie bisher nach der Regelzeit von 8 Semestern sei man schon nach sechsen soweit. Dass dies völlig an der Realität vorbei geht, ist dem Praktiker längst klar: ohne MSc-Master kann kaum ein Student als Doktorand zugelassen werden, bis zum BSc hat noch niemand jemals pipettiert oder selbst ein Gel laufen lassen. In den „international attraktiven“ Graduiertenkollegs hat so einer sowieso nichts verloren.

Bis zum MSc, dem offiziellen Äquivalent zum bisherigen Diplom und Magister (Beschluss der KMK vom 10.10.2003; § 8, Gleichstellungen), dauert es in der Regel noch einmal zwei Jahre. Damit verlängert sich die Regelstudienzeit bis zum Diplom- oder Magister-äquivalenten Abschluss um ein Jahr von acht auf zehn Semester – Ergebnis der Studienzeitverkürzung... In NRW bleibt für die Lehre in den Master-Programmen sowieso nicht mehr viel Kraft – ganze 20%.

Weniger Promovierte

Die Universität Köln und insbesondere Prorektor Norbert Finzsch versuchen, diese bürokratische Gängelung zu lockern. Am 11.5.2005, taktisch geschickt vor den Wahlen in NRW, veranstalteten sie eine Diskussionsrunde (neudeutsch: Hearing) mit Vertretern der verschiedenen Parteien. Bemerkenswert war, dass fast alle Teilnehmer (SPD, Grüne und FDP) promoviert hatten: das wird sich in Zukunft ändern, da laut Krebs-Erlass Master und schon gar Promotion nur noch für wissenschaftliche Laufbahnen reserviert werden sollen. Ist das vielleicht eine Art Selbstschutz? – je weniger promovierte Leute es in Zukunft gibt, um so wichtiger sind die, die es sind... Analog zu den selbstbestimmten Zulassungsquoten für niedergelassene Ärzte: je weniger es gibt, umso mehr verdient jeder im Club.

Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung (MWF) in NRW hat seine namensgebenden Aufgaben „Wissenschaft und Forschung“ offensichtlich völlig aus den Augen verloren. Daher griff auch eine der zentralen Fragen von Prorektor Norbert Finzsch in Köln die Verknüpfung von Forschung und Lehre auf. Er erhielt aber keine eindeutige Antwort von den Politikern.

Widersprüchliche Empfehlung

Eine klare Aussage machen dagegen die Empfehlungen einer Kommission der VolkswagenStiftung (Presseinfo vom 29.4.2005). Die „neunköpfige Kommission“ (Hydra?) widerspricht sich auch sofort selbst: gleich der erste Satz „Studentisches Lernen muss auf jeder Qualifikationsstufe auf neuesten Forschungsergebnissen aufbauen“ verknüpft Forschung und Lehre, wenn auch nicht so eng, wie Humboldt es gemeint hat. Im selben Paragraphen verlangt die VW-Kommission jedoch die Trennung von „Teaching Universities“ und „Forschungsuniversitäten“ (man beachte die sprachliche Wichtung: die Lehre wird international, die Forschung lokal und provinziell).

Lassen wir die Hydra sich in den Schwanz beißen, zurück zum MWF in NRW. Prorektor Norbert Finzsch wundert sich über die Begründung des Ministeriums. Die Festlegung von 80% der gesamten Lehre im Grundstudium sei nötig, um das Einklagen von Studenten zu verhindern, sagt das MWF NRW. Komisch, dass die anderen Bundesländer diese Angst nicht haben, keines der anderen, nicht einmal Bayern, hat eine solche Quotenregelung. In Baden-Württemberg gibt es zwar Formulierungsansätze, aber die sind (noch?) ziemlich wischi-waschi. So können die Unis für die Zulassung zu Master-Studien „überdurchschnittliche Leistungen“ verlangen. Mit Durchschnitt muss die jeweilige Uni dann ja nicht unbedingt den mathematischen, den richtigen Durchschnitt meinen, das könnte ja auch „ziemlich gut“ bedeuten. Oder die Uni setzt selbst fest, wovon wie und wann ein Durchschnitt berechnet wird. So schaffen es die ersten Studiengänge, die jetzt gerade mit den noch zu druckenden Bachelor-Abschlüssen vor dem Übergang zum Master stehen, bis zu 90% !!! der BSc-gekrönten Häupter in den Tunnel zum MSc zu schleusen. Okay, man muss dies auch unter dem Aspekt verstehen, dass die frisch gekürten Bakkalaureaten null Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Und bevor sie in der Statistik als arbeitslos auftauchen, sollen sie lieber noch eine Runde richtiges Hauptstudium machen und an den Unis herumhängen.

NRW ohne Wissenschaft?

In NRW aber wird ein Hauptstudium zum Master bald die Ausnahme sein: dann hilft NRW auch das Verbot von Studiengebühren nicht mehr. Die Angst, dass alle zum kostenlosen Studieren nach NRW einwandern, wird sich ins Gegenteil verkehren, die meisten werden aus NRW ausziehen, um woanders den Master zu machen. Und auch gleich zu promovieren, wissenschaftlich zu arbeiten. Dann wird Wissenschaft eben nicht mehr in NRW gemacht ...