Zweimal registriert und dreimal abgestempelt

Axel Brennicke


Editorial

(01.10.2005) Wohin mit schrottreifen Geräten? An deutschen Unis ist das keineswegs eine triviale Frage.

Jedes Gerät an meinem Arbeitsplatz trägt einen Kuckuck. Trägt der Kuckuck „Universität Landeseigentum“, dann entspricht die Nummer 2355/3112/49873 auch derjenigen auf einer grünen Karte in der Lehrstuhlverwaltung. Diese grüne Karte entspricht wiederum einer gelben oder roten Karte in der zentralen Verwaltung – völlig unnötiger Papierkram. Wirklich unnötig? – Ja, ganz sicher:

Der Drucker in unserer Abteilungsverwaltung ist verreckt. Irreparabel, sagen unisono der Fachmann aus dem hauseigenen Rechenzentrum wie auch der Computerhändler. Die Frage nach Ersatzteilen bringt nur ein müdes Lächeln, den 486er Computer daneben sollen wir am besten gleich mit entsorgen, sooo alte Kisten gibt es schon lange nicht mehr. (Erinnern Sie sich noch an das Staunen vor vielen Jahren, als der 486er den 386er ablöste?). Dabei hat das Druckerchen bis gestern treu und brav die unendlichen Schreiben an die Verwaltung anstandslos und sauber genug gedruckt, und in den mehr als acht Jahren hat man sich richtig dran gewöhnt. Jetzt können wir die Maschine nur noch zum Recycling-Schrott geben.

Editorial

Aber das ist leider nicht so einfach. Zuerst müssen wir einen Antrag bei der Uni-zentralen Kartenverwahranstalt auf Austragung des Druckers stellen. Dann warten wir hoffnungsvoll auf das/die Antwortschreiben. Das kann ein paar Tage/Wochen dauern. Stimmt die Zentrale der Verwaltung zu, müssen wir unsere grüne Karte dorthin schicken und versichern, dass wir dieses Gerät nicht mehr einsetzen, nicht mit nach Hause nehmen, oder gar an ein Museum verkaufen und dickes Geld abzocken.

Seit Monaten schon stehen drei alte Laptops zum Aufräumen bereit, aber keiner traut sich, die Verhandlungen mit den Karten zu führen – dabei ist der Zielort dieser Flachmänner ziemlich klar: Zwei haben nur schwarz-weiß Bildschirme und sind nicht internetfähig, der dritte ist einfach tot. Nach sieben Jahren geht nichts mehr, USB kennt er auch noch nicht.

Veraltete Flachmänner

Vor dem Gesetz ebenso wie beim Finanzamt sind Computer und Drucker nach maximal drei Jahren abgeschrieben – in jedem Sinne. Nicht so bei der Universität: hier liegt die Bagatellgrenze ebenso schief wie bei der Deutschen Bank, nur eben in der anderen Richtung. Die modernen Unis sind so abgewirtschaftet, dass das endgültige Ableben eines zehn Jahre veralteten Computers ausführlich dokumentiert und begründet werden muss.

Dabei ist die Verschrottung noch der am wenigsten aufwändige bürokratische Vorgang. Aber kommen Sie ja nicht auf die Idee, einen Computer dem Kindergarten vor Ort schenken zu wollen (die Hauptschüler würden Sie mit der Opakiste sowieso nur auslachen). Sie werden auch nach tagelangen Telefonaten in der Verwaltung keinen Verantwortlichen auftreiben, der die Erlösung ausspricht und Sie anmault: „Lassen Sie mich bloß in Ruhe mit so alten Kamellen, schmeißen Sie die Kiste und die Registraturblätter weg und vergessen Sie es.“ Nein, niemand sagt das zu Ihnen, da ist sicher jemand anderes zuständig.

Genauso oder noch langsamer altern an der Universität die eigentlichen Geräte für die moderne wissenschaftliche Forschung. Vor zwanzig/dreißig Jahren haben wir noch viel mehr Ultrazentrifugen gebraucht als heute. Eine saubere DNA-Aufreinigung aus Pflanzen oder Bakterien kostete immer einen 48 Stunden-Lauf bei 100.000facher Erdbeschleunigung. Heute gibt es teure, aber schnelle Kits, mit denen auch ein Skater lässig DNA präparieren kann, und wir brauchen die zweite Ultrazentrifuge nicht mehr.

Im Zuge der Sparmaßnahmen können wir die vorgeschriebene Wartung und den TÜV sowieso nicht mehr zahlen, also suchen wir einen Käufer für die eine Zentrifuge, die nur 20 Jahre auf der Spindel hat. Wir machen alles richtig, melden sie bei der uni-internen Verwertungsstelle an – leider kein Kunde. Wir setzen forsch eine Annonce in die hausinterne Uni-Postille – und haben Glück. Ein Kollege aus der Physik wechselt zur MPG (der Glückliche) und braucht dort gelegentlich eine Ultrazentrifuge genau wie unsere. Ordnungsgemäß überweist die MPG das Entgelt auf unser Haushaltskonto bei der Universität, wir schicken die grüne Registraturkarte vorschriftsmäßig an die zuständige Stelle in der Verwaltung zur Entregistrierung – und die Gerüchteküche kocht üblen Gestank über uns durch die Uni: Der Brennicke mal wieder, sowieso nicht innig geliebt wegen dieser Erlebnisberichte im LJ, jetzt verkauft er Uni-Geräte, bereichert sich, übergeht die zuständigen Stellen...usw.

Konflikte mit Drittmittelgebern

Dabei muss uns (fast) jedes Mittel recht sein, um den Etat zum Überleben auch nur etwas wieder aufzubessern, den Land und Bund Hand in Hand zur Sicherung der Zukunft unseres Landes munter zusammenstreichen. Inzwischen muss auch das Tafelblech dran glauben, wo es nur einer haben will – und das ist selten genug.

Zurück zu Computer und Drucker: die Univerwaltung schickt uns keine Kontoauszüge mehr, die sollen wir online anschauen. Leider geht das auf dem antiquarischen 486er kaum, viel zu langsam und online Formulare zu laden schafft er nur über Nacht. Also sollten wir mit dem Drucker gleich ein Paket Computer kaufen, ist dann sowieso günstiger. Langweilig, weil selbstverständlich? Ja, sicher. Aber: wer zahlt? Die Uni lehnt ab. Ersatzbeschaffung: abgelehnt. Ausstattung des Arbeitsplatzes: abgelehnt. Genauso abgelehnt: Handwerkszeug für neue Mitarbeiter.

Und hier erreichen wir ein echtes rechtliches Dilemma: Wir haben Mitarbeiter gewonnen. Die kosten die Uni kein Gehalt, das zahlen die begehrten Drittmittelgeber wie DFG, DAAD und Humboldt-Stiftung; sogar Japan bezahlt uns zwei volle Wissenschaftler. Aber dazu mussten wir uns den Drittmittelgebern gegenüber verpflichten, die Grundausstattung des Arbeitsplatzes bereitzustellen. Dazu gehören nun mal auch Computer für die Mitarbeiter – sie müssen Daten verarbeiten, Zeitschriften online anschauen, billigen und schnellen Kontakt weltweit per E-Mail etablieren. Diesen Eid musste ich leisten, klar, sonst kommen keine Drittmittel; die DFG zahlt ausdrücklich nur Spezialgeräte und besondere Chemikalien für das spezifische Projekt.

Bioinformatik ohne Computer?

Vom Land, und im Endeffekt auch von der Uni, kommt nur der lakonische Bescheid: Computer und Grundausstattung können wir nicht zahlen; dafür brüstet man sich überall mit Innovationen wie Veranstaltungen (synonym für Laberei und Selbstbeweihräucherung) zu „Bioinformatik“ und „Interdisziplinärer Profilbildung zwischen Informatik, Medizin und Biologie“. Wahrscheinlich soll hier Bioinformatik á la Hogwarts-School ohne etwas derart Banalem wie einem Computer geübt werden.

Auf den Spezialgeräten, die DFG, VW, FCI oder andere Drittmittelgeber finanziert haben, klebt übrigens auch ein Kuckuck, meist ganz modisch aus Aluminium oder gebürstetem Edelstahl mit der Gravur „Eigentum der DFG“ und entsprechenden Karteikarten. Das verstehe ich ja im Prinzip: das Gerät kann einem anderen Antragsteller untergeschoben werden, wenn das Projekt beendet oder aufgegeben wird, der Antragsteller innerhalb der Abschreibungsfrist verstirbt, oder weil seine maximale Nützlichkeit für Land und Staat sechs Jahre nach einer Ausbildungszeit von 23 Jahren bis zur Promotion endet.

Das hört sich vernünftig an – aber wie ist es mit der Realität? Wann hat die DFG zum letzten Mal ein gebrauchtes Gerät weiter vermittelt? Und konnte man in diesem Fall das fragliche Gerät nicht auch ohne Registrierkarten und Aufkleber identifizieren? Laut „Lex Drittmittel“ sind dies immer und nur Spezialgeräte für das spezifische Projekt. Der Antragsteller hat es geliehen bekommen, weil er keines aus Uni-Mitteln hat – also ist es das einzige seiner Art im Labor und sollte eigentlich nicht so schwer zu identifizieren sein. Es sei denn, dass, wie bei den Geräten aus Uni-Geldern, verhindert werden soll, dass der Empfänger des Refraktometers oder eines Fraktionssammlers diese privat in seiner Küche einsetzt...

Karten in den Müll!

Fazit: Schmeißen wir diese ganzen Karteileichen und -karten in den Müll. Streichen wir die Inventarisierung – bis ein Gerät fehlt, ist es schon längst per Gesetz abgeschrieben. Das sollten auch die Uni-Verwaltungen so langsam lernen, dann kann die zentrale Verwaltung ebenso wie die doppelte Verwaltung in den Instituten und Abteilungen wieder produktivere Aufgaben erledigen.

Wahrscheinlich aber scheitert diese wie jede Änderung an der Beharrlichkeit der bürokratischen Wege – nach dem Motto: „Das war schon immer so“ und „Wo kämen wir denn da hin“.