The Kits are not allright – Produkte in der Praxis

Axel Brennicke


Editorial

(01.12.2005) Auch der Professor leidet, wenn die Mitarbeiter mit miesen Kits arbeiten müssen.

Daniil flucht auf russisch. Dré schimpft auf Afrikaans. Mizuki ruft japanische Götter an. Dagmar schmeißt frustriert auf Schwäbisch die Pipette weg. Frohnatur Sabine ist die einzige, die sagt: „Eines Tages wird sie wieder funktionieren.“

Wer da nicht funktioniert, ist die PCR. Die ganz triviale PCR. Seit 14 Tagenschon. Kein Produkt.

Alles haben sie im Labor schon probiert. DNA neu gemacht, gekaufte DNA genommen, Primer gewechselt. Neue Primer bestellt, vermessen und ausprobiert. Das Wasser gewechselt. Nichts. Das Gel ist so leer und sauber, als ob man nie eine PCR angesetzt hätte.

Vorgestern aber hat es geklappt: mit dem Kit aus dem Nachbarlabor. Eine dicke fette Bande in dem Gel, wie es sich gehört. Mit unserem Kit daneben: nichts.

Die Stimmung ist am Boden. Der geringste Anlass und einer fängt an zu heulen, ein anderer zu schreien. Verständlich, die PCR ist schließlich nur ein schlichter kleiner Schritt in dem komplexen System des Versuchsansatzes, der ohne Murren und Knurren klappen muss.

Editorial

Ist die Taq schlecht? Nehmen wir die von den Nachbarn – nichts. Gegenkontrolle: Taq-Polymerase aus unserem Kit mit Puffer aus dem Nachbarkit – klappt. An der Taq liegt es also nicht, kann nur noch der Puffer in unserem Kit sein.

Ganz hinten im Kühlschrank findet sich ein Bodensatz Puffer von einem alten PCR-Kit. Der wird herausgeholt und ausprobiert. Großes Wunder, ein feistes Fragment leuchtet im Gel.

Es liegt also an dem Puffer im neuen Kit. Keine Frage mehr. Der Griff zum Telefon, die Nummer der Herstellerfirma gewählt. Nach drei Runden Shopping-Center-Musik endlich jemand in der Leitung, der nicht abstreitet, möglicherweise zuständig zu sein.

„Ach so, der PCR-Kit. Die Pufferlösung“, säuselt die Staubsaugervertreterstimme aus dem Hörer, „kein Problem, Sie bekommen umgehend Ersatz. Wir schicken Ihnen einen neuen Puffer ohne irgendwelche zusätzlichen Kosten.“

„Und was ist mit der Taq, die wir verbraucht haben? Durch das wochenlange Rumprobieren ging eine Menge Taq den Bach herunter. Die ganzen anderen Chemikalien, und die Zeit.“

Neuer Kit, neues Glück

„Also gut, wir schicken Ihnen gleich noch eine neue Taq-Polymerase zum Ersatz mit, ebenfalls auf Kulanz.“

Auf die Nachfrage, ob das Problem mit diesem PCR-Kit, beziehungsweise dieser Charge des Kits, der Firma bekannt sei, erhalten wir keine direkte Antwort. Am anderen Ende der langen Leitung habe man keine Informationen zu dem Kit, es würden alle Waren genauestens in den eigenen Labors getestet und überprüft.

Auf das Nachbohren, ob denn schon andere Kunden Probleme mit diesen Lot-Nummern gehabt haben, wieder nur eine ausweichende Antwort: Normalerweise seien die Produkte ihrer Firma zuverlässig und funktionierten einwandfrei.

Der neue Kit kommt – und die PCR läuft wie eine Eins. Dicke fette Schlappen im Gel, eine wahre Pracht.

Was bleibt, ist die Unsicherheit, ob die Lieferfirma nicht doch schon von Kollegen aus Würzburg, Berlin, Bochum oder Rostock gehört hatte, dass diese Charge von PCR-Kits Schrott ist und nichts taugt. Die Firma, die uns für teures Geld ihre Kits mit dem Argument verkauft, dass die auf lange Sicht deutlich zeitsparender und damit billiger sind, als wenn man alle Puffer selber zusammen rührt und selbst etwas falsch macht. Die Firma, die unter Druck so bereitwillig Ersatz geschickt hat. Und nicht einmal ein Trostpflaster dazu legt.

Schwamm drüber. Hauptsache die PCR funktioniert wieder. Und das tut sie. Einwandfrei.

Endlich geht es weiter. Die Banden aus dem Gel ausschneiden und mit dem Elutions-Kit die DNA herausholen. Auf dem Kontrollgel prüfen, wieviel DNA herausgekommen ist.

Ergebnis: gar nichts. Keine DNA mehr da. Nach ein paar Tagen Herumprobieren ist die Stimmung wieder fünf Stockwerke tiefer angekommen. Alle Puffer werden gewechselt, neue Agarose gekauft, aus dem Nachbarlabor fertige Gele geliehen. Die PCR-Produkte sind immer da, aber nach der Präparation mit dem Elutions-Kit jedes Mal wieder verschwunden. Nach einer Woche ist klar: der Kit ist Mist.

Die superteuren Säulchen kommen von einem anderen Hersteller als der PCR-Kit. Also dort angerufen: das gleiche Spielchen wie oben. Hier gibt man aber immerhin zu, dass man den Subunternehmer gewechselt hat. Eine billigere Firma aus Litauen oder Estland stellt jetzt die Säulen her.

Aber natürlich werde alles in der Mutterfirma genau getestet, versichert augenwimpernklappernd eine weibliche Telefonstimme. Und nein, das Problem sei ihnen neu, sonst hat kein Kunde Schwierigkeiten mit dieser oder irgendeiner der anderen Chargen-Nummern gehabt.

Diplomarbeit futsch

Neue Säulen kommen als Ersatz und funktionieren ziemlich gut. Noch nicht so gut wie die alten, die es früher gab, bevor die Lieferfirma von einem großen US-Konzern aufgekauft worden war. Aber immerhin. Nicht alle DNA verschwindet im Nirwana des Säuleninhalts.

Ein Bericht über den Fortschritt der Arbeiten ist an die DFG abzuliefern. Kollegen fragen nach, wie die Experimente laufen und was dabei herausgekommen sei. Peinlich, sagen zu müssen, dass im Labor nicht einmal die PCR funktioniert hat, und wir uns ein paar Wochen damit herumschlagen mussten. Damit kann man leben, das geht jedem so. Der Alltagskampf mit der Tücke der Komplexität.

Viel schlimmer: Für Doktoranden und Postdocs ticken die Uhren, sie müssen Ergebnisse vorweisen, sonst sind sie ganz schnell viel zu alt für einen anständigen Job oder verlieren den Anschluss an den nächsten Zeitvertrag. Und für die Diplomanden ist die Uhr abgelaufen; in der Diplomarbeit steht nur, dass sie versucht haben, die Fehler in der PCR und in den Elutionssäulen zu eruieren – und schließlich bei den Herstellern gefunden haben. Klar, das ist ein Ergebnis, aber kein richtiger wissenschaftlicher Fortschritt, den man in einer These verteidigen könnte.

Man ist nicht allein

Den Kollegen kann man ehrlich sagen, dass es an der PCR gelegen hat und dass die Charge der Firma mies war. Beileid bekommt man dann zuhauf, die Sorgen kennen alle.

Der Kollege aus Berlin sagt, das Problem hätten sie auch gehabt. Sie hätten es der Firma gesagt und anstandslos Ersatz bekommen. Der andere Kollege aus Frankfurt hatte sich beim Hersteller der Säulen beschwert, da sie bei der Präparation von DNA aus Gelstückchen alles in den Säulen verloren hatten. Kollegen aus München und Freiburg haben die gleichen Erfahrungen gemacht und sich ebenfalls bei den gleichen Firmen beschwert.

Und alle erhielten die gleiche Antwort: Nein, das ist uns neu. Davon hat uns noch keiner unserer Kunden berichtet. Das kann kein Fehler in unserem Produkt sein, wir überprüfen immer alles auf das Genaueste in unseren eigenen Labors, bevor etwas an die Kunden verteilt wird.

Die Firmen lügen

Fazit: Die Herstellerfirmen lügen am Telefon, ohne rot zu werden. Sie denken nicht einmal daran, die Käufer ihrer Produkte zu informieren, wenn einmal ein Batch misslungen ist und nicht richtig funktioniert.

Im Labor denkt jeder, wenn etwas nicht klappt, dass sie/er selbst schuld ist und was ganz Dämliches falsch gemacht hat. Ist ja auch oft so. Aber manchmal eben nicht. Immer häufiger nicht. Im Gegenteil, in den letzten Jahren sind immer häufiger die Hersteller der „Wunder-Kits“ Verursacher von Schlampereien, statt die vergesslichen und chaotischen Wunderkinder im Labor.

Fehler können vorkommen, das ist nicht das Problem – das Problem ist die fehlende Moral. Die Firmen übernehmen keine Verantwortung mehr, sie verkaufen Kits, nur um etwas zu verkaufen. Sie denken nicht daran, Bescheid zu sagen, wenn was nicht funktioniert.

Nicht einmal wenn sie direkt gefragt werden, geben sie die Fehler zu. Der großzügige Ersatz des fehlerhaften Produktes ist lachhaft: Die Firmen denken nicht im Traum an Kompensation für die im Labor verlorene Zeit und Arbeit. Für die anderen Materialien, die auch Geld kosten: Gele, andere Kits,... Für die Gehälter für Wissenschaftler, Techniker, Doktoranden. Für die verlorene Diplomarbeit.

Die Strategie der Firmen ist Stillschweigen. Unschuldig ahnungslos tun, selbst wenn sie wissen, dass eine Produktcharge mies ist. Hoffen, dass die Kunden, wir Wissenschaftler, nicht untereinander darüber reden. Hoffen, dass der gute Name erhalten bleibt und sie weiter verkaufen können. Hoffen, dass manche Labors den Fehler gar nicht erst finden und sowieso eine neue Charge bestellen müssen, weil bei dem ganzen Probieren die miesen Kits schnell verbraucht sind.

An den virtuellen Pranger

Es wäre schon ein riesiger Fortschritt, wenn die Firmen die Käufer einer verpfuschten Produktion anrufen und ihnen sagen würden: Das war nix, schmeißt das Zeug in den Müll, ihr habt übermorgen eine neue Kiste auf dem Tisch, die funktioniert. Eine Rückholaktion wäre nicht nötig, die würde noch teurer und wir zahlen gerne die Entsorgung, das ist nicht unser Hauptproblem. Die Themen sind verlorene Zeit, vergeudete Arbeit und zerstörte Begeisterung.

Wir, die Kunden, sollten eine Negativliste der schwarzen Schafe erstellen, in der miese Erfahrungen mit den Firmen allen Wissenschaftlern zugänglich sind. Natürlich ohne dass wir verklagt werden können und ohne dass eine Firma die Konkurrenz anonym mies macht oder gegen Honorar herunterputzen lässt.

Bei einem Lieferanten unseres gerechtfertigten Vertrauens würden wir gern etwas mehr zahlen (na ja, nicht viel, da wir laut Verwaltungsvorschriften immer den billigsten Jakob nehmen müssen). Wir könnten aber die Firma bevorzugen, der wir vertrauen, dass die Ware wirklich gut ist. Von der wir sofort Bescheid bekämen, wenn etwas nicht stimmt. Damit könnte ein Hersteller punkten. Damit könnte eine Firma im Konkurrenzkampf einen Mordsvorteil in die Scheune fahren. Hoffe ich jedenfalls.