Profilierungssucht – der Tod der Forschung

Axel Brennicke


Editorial

(01.04.2006) Nicht die Profilierungssucht der Forscher ist das Übel –, nein, diejenige der Politiker wird zum Coup de Grace für die Forschung an den deutschen Universitäten und damit für die Qualität der deutschen Forschung und Lehre an den Hochschulen.

Nein, nicht die Profilierungssucht der Forscher meine ich. Die Profilierungssucht der Politiker bringt der Forschung an den deutschen Universitäten und damit der Qualität der deutschen Forschung und Lehre an den Hochschulen den Tod. Die innovativen Programme – die sind der Forschung Tod.

Merkwürdige Individualisten

Stellen wir uns den offensichtlichen Fragen:

  1. Warum werden für Wortschöpfungen wie »Säulen der Exzellenzinitiative«, »Kompetenzcluster«, »Leuchttürme unter den Forschungszentren«, »ElitehochschulFörderprogramme«, »Clusterbildung«, »Profilschärfung« et cetera Gelder ausgegeben? – Antwort: Damit sich die Wortschöpfer profilieren können.
  2. Was bringen solche Programme für die Unis und ihre Forschung? – Antwort: Geld ja, aber das wird vorher woanders weggenommen.
  3. Wird mit solchen Programmen die Forschung gefördert? – Antwort: Nein, es werden unter Druck künstliche Konglomerate gebildet, die nicht funktionsfähig sind, die nur dazu dienen, an das Geld zu kommen, das sonst weggenommen wird. Diese Hohlköper werden mit Gewalt auf die Unis übertragen, das kann nicht gehen. Das erstickt jede Initiative, jede Profilierung der Forscher.

Editorial

Denn: Forschung wird nicht von oben gemacht, Forschung kann nicht befohlen werden. Forschung wird von Forschern gemacht. Und Forscher sind Individualisten, das sind die etwas Merkwürdigen, die Versessenen, die egal wie schlecht ihre Bezahlung und ihre Zukunftsaussichten sind, dennoch weiter forschen, die Neugierigen. Und die Ehrgeizigen. Die eher als der Kollege wissen wollen, wie die Natur funktioniert, und die sich deshalb doppelt anstrengen.

Geld regiert die Forschung

Forschung von oben befohlen, von oben gerichtet, das wurde (und wird) immer wieder probiert. Aber Forschung lässt sich viel diskreter steuern: über das Geld. Über die Mittel zur Forschung wird kein direkter Befehl ausgegeben, sondern es werden schlicht die Projekte und Forschungsvorschläge der Wissenschaft mit Geld versehen, die in die gewünschte Richtung passen.

So sind Politiker aller Couleur bisher verfahren – und haben sich verlaufen:

Bei Stalin hatte die Förderung der nicht-kapitalistischen Forschungsergebnisse verheerende Folgen für die Landwirtschaft. Lysenko und seine politisch geförderten und entsprechend obstrusen und falschen Vorstellungen kosteten nicht nur Menschenleben, sondern (viel wichtiger für die Politiker) auch Verlust an Einfluss und Macht für eben diese Politiker bis zum Fall der SU.

Im Dritten Reich wurden gezielt die politisch gewünschten Forschungsprojekte gefördert, die versprachen, die Nazi-Ideologie zu bestätigen und zu stützen. Wer als Biologe oder Arzt ein Projekt vorschlug, durch Messungen des Kopfumfanges oder der elektrischen Hirnströme Unterschiede der arischen Rasse gegenüber anderen Menschen herauszufinden, der bekam reichlich Geld. Und heute? Heute ist es genauso: Wer verspricht, ein Forschungscluster zu bilden, eine Universität mit Profil zu versehen, der bekommt die richtig dicke Kohle. Wer dagegen mit einem kleinen aber feinen Team Knochen ausgraben will, um zu sehen, ob Neandertaler und moderne Menschen gleichzeitig in Deutschland lebten, dem muss von der DFG mit Bedauern bescheiden beschieden werden, dass das ein prima Projekt sei, aber leider nicht mehr Geld zur Verfügung stünde.

Vertrauensvorschuss

Aber ich will nicht nur meckern: Wie könnte das Geld für die Forschung besser verteilt werden?

Ganz einfach: Gebt es der DFG. Die DFG vergibt ihr Geld nach Leistung. Nach echter Forschungsleistung. Wer etwas voranbringt, Licht in das Dunkel bringt, der bekommt Geld. Wer das Geld der DFG für ein neues Auto ausgibt statt für Forschung, der bekommt nichts mehr.

Und die jungen Leute? Nachwuchsforscher, die noch nichts geleistet haben, noch nichts leisten konnten, weil sie noch nie ein eigenes Projekt hatten, weil sie zum ersten Mal DFG Geld beantragen? Die bekommen fast immer den Vertrauensvorschuss, den sie so dringend brauchen. Ist ihre Idee einigermaßen pfiffig und verspricht etwas Neues, so bekommen sie ihr Startgeld, können ein paar Jahre losforschen und zeigen, was in ihnen steckt. Forscher sind eben auch nur Menschen, wenn auch manchmal ein bisschen merkwürdig. Sie brauchen Geld für ihre Forschung, sonst können sie nicht arbeiten.

Und so nehmen sie dann auch Geld, dass sie eigentlich ablehnen müssten, weil sie damit nicht das bezahlen dürfen, was sie eigentlich machen wollen. Geld, mit dem die Politik die Forschung gängeln und zielrichten will.

Manchmal ist dabei noch nicht einmal eine Idee, eine Richtung oder gar eine Ideologie dahinter. Manchmal beschränkt sich die Profilierungssucht der Politiker auf banale Wichtigtuerei durch fast kriminelle Machenschaften.

Erzwungene Steuerhinterziehung

Ein Beispiel für solch eine schäbige Misswirtschaft mit öffentlichen Mitteln ist die Landesstiftung in Baden-Württemberg. Dieses Unternehmen wurde von den Politikern dieses Bundeslandes einzig zu dem Ziel gegründet, Steuern zu hinterziehen.

Der Stromversorger EnBW gehörte vor ein paar Jahren noch dem Land BW. Dann wurde die EnBW an Privatanleger verkauft. Die Politiker des Landes kamen auf die Idee, dass sie keine Steuern auf das eingenommene Geld zahlen müssten, wenn sie das Geld für „besondere Aufgaben“ wie diese Stiftung verwendeten. Also wurde die Stiftung gestiftet, das Geld eingezahlt.

Heute kann man Anträge auf Geld von dieser Stiftung stellen, wenn man etwas Besonderes damit vorhat. Die Universitäten zum Beispiel können Geld für einen Neubau beantragen.

Sie bekommen aber nichts für die Renovierung vorhandener Räume, die leer stehen, weil sie seit 40 Jahren nicht mehr gestrichen und nur mit verbotenen Holzstühlen ausgestattet sind. So werden Neubauten für viele Millionen hochgezogen, für die Politiker Wissenschaftler drängen, neue Ideen und Projekte einzureichen. Die Forschung, die sie bisher erfolgreich unternommen haben, die dürfen sie dort nicht weitermachen. Ihre Forschungsarbeiten, auf denen sie sich in mühevollen Jahren zu Experten gebildet haben, die dürfen sie nur in den vergammelten und abgewirtschafteten Räumen durchführen.

Für Hörsäle oder anderes für die Studenten gibt es sowieso nichts, das ist ja nichts Neues. In den Schulen spiegelt sich das wieder: Anbauten werden finanziert, die angeblich für die ganz neue, innovative Ganztagsschule neue Konzepte darstellen: Küche und Speisesaal, ein Ruheraum (Pardon: ein Raum der Stille) direkt neben dem fortschrittlichen Raum für Proben der Schülerbands (Jazz und Rock sollten dabei wohl leise genug sein, um den »Raum der Stille« nicht zu stören). Was es nicht gibt, ist Geld für Klassenzimmer oder für Lehrer, damit die Klassen kleiner und der Unterricht besser werden.

Leider hat niemand an Uni oder Schule den Mut zu sagen: das Geld für einen Neubau nehmen wir nicht, wir brauchen Geld für die Renovierung. Für Lehrer. Damit machen sich alle daran schuldig, dass Steuern hinterzogen werden, aus denen die Forschung und die Renovierung bezahlt werden könnten. Wenn sogar die Regierung eines Bundeslandes alle möglichen Kniffe und Tricks anwendet, um keine Steuern zu zahlen, warum sollen wir als Bürger dieses Landes denn eigentlich Steuern aus unserem verdienten Lohn abdrücken?

Es kann nicht angehen, dass die Politiker und Regierungen, die von unseren Steuergeldern leben, diese nicht zahlen wollen und sich damit profilieren, dass sie Wege finden, sich vor den Steuern zu drücken.

Mit dieser obskuren Landesstiftung wird die Forschung eben doch gegängelt: zwar bekommt sie Geld, aber nicht zum freien Einsatz für gute Ideen, sondern für politisch opportune Gelegenheiten.

Und die Freiheit der Forschung ist essentiell für den Fortschritt: Politiker können nicht die Ideen für die Forschung haben. Sie sind keine Forscher. Das können nur die Forscher. Kein Politiker kann sagen, wohin die Forschung gehen soll. Das kann sogar der Fachmann, der Forscher, nur selten. Und so werden die echten Fortschritte aus der Forschung verkannt und übersehen, werden verschlafen.

Viele gute Forscher bekommen kein Geld, weil sie nicht stromlinienförmig den Mehlwürmern der Politik hinterher hecheln, und können deshalb nicht optimal arbeiten. Ihre Ideen gehen Deutschland verloren.