Biowissenschaften - Potenzial ohne Zukunft?

Axel Brennicke


Editorial

(01.05.2006) Interdisziplinarität soll die Biowissenschaften vorantreiben. Doch die Idee verkommt nur allzu oft zur Rangelei um Stellen, Fördergelder und Renommee. Die eigentliche Biologie wird an deutschen Universitäten aufgeweicht und bleibt auf der Strecke.

Alle schmücken sich gern mit dem Label Leben, kleben ein Bio drauf und dran. Ist das Brot Bio, ist es gut. Bioäpfel sind gesünder als normale Äpfel, egal ob fleckig vom Schimmelgift und von Würmern durchbohrt. Die Kanzlerin unseres Landes setzt zumindest verbal auf die Zukunft der Biowissenschaften, die Politik liebt das inzwischen entsprechend abgegriffene Schlagwort Bio ebenso wie das ominöse Nano und die unproduktiv gigantomanische Interdisziplinarität.

Ran an die Biomasse

Auf dem Bio-Zug möchten auch viele andere Fächer neidisch mitfahren und von dem vermeintlichen Segen der Biowissenschaften eine Scheibe abknapsen. Dabei tun sich natürlich besonders die anderen Naturwissenschaften hervor: die Physiker machen plötzlich auch alle in Bio und heißen Biophysiker, die Chemiker initiieren Studiengänge für Biochemie und würden am liebsten pauschal die Organische Chemie in Biologische Chemie umtaufen. Wenn es nur Geld und Studenten bringt. Letztere vergessen so vielleicht die merkwürdige Scheu vor den harten Naturwissenschaften. Gleichzeitig aber bleiben die anderen Fächer misstrauisch neidisch gegenüber den echten Biologen und versuchen, ihnen wo nur möglich die Creme vom Brot zu nehmen, um den versprochenen Geldstrom und die politisch korrekte Masse statt Klasse der Studenten in die eigenen Hörsäle umzulenken.

Editorial

Schauen wir uns am Beispiel einer Universität irgendwo in Deutschland einmal an, welche Widersinnigkeiten unter dem Deckmäntelchen der Bio-Modernisierung parallel durchgeboxt werden können und wie die Partikularinteressen einzelner Fachgruppen die Euphorie der Neuerungen ausnutzen und die eigentliche Biologie zerreiben.

Biodynamische Wirtschaftsweise

Auch die politisch stets aktuellen Mediziner mischen kräftig mit und holen unter dem Schlagwort Lebenswissenschaften den Löwenanteil der politischen Zukunftsinvestitionen in Bio ab. Wen wundert es da, wenn in den resultierenden internen Querelen jeder Energieschub verpufft und die deutsche Forschung kümmert und leidet. Einige der kreativen Maßnahmen zur Biologisierung der nicht-biologischen Fächer an unserer Beispieluni:

  1. Die Chemiker engagieren sich für einen neuen Studiengang „Biochemie“, der kreiert wird, um den Schwund an Chemiestudenten zu kompensieren und die vielen Professuren in der Chemie wenigstens halbwegs zu legitimieren.
  2. Die Physiker widmen eine freiwerdende Professur zu einer neuen Stelle für Biophysik um. In der Stellenausschreibung wimmelt es von interdisziplinär, integrierend und Bio.
  3. Die Mediziner benennen die neu geschaffene Stelle eines Ordinarius und Abteilungsleiters für Genetik um in Stammzellbiologie. Pfiffig wird dies über eine Kooperation mit der MPG begründet, wär doch schade, wenn diese Geld- und Renommee-Quelle nicht angezapft würde.
  4. Die Chemiker widmen eine freiwerdende Professur um in eine Stelle für Bioanalytik. Was das bedeuten soll, zeigt sich in der Stellenausschreibung: es soll jemand sein, der die komplizierten Maschinen kaufen und bedienen kann, mit denen Proteine identifiziert werden können. Zwar existiert in der Chemie bereits eine solche Arbeitsgruppe, aber dort gibt zu recht kein Biologe seine kostbaren Proteinproben ab.

Hand in Hand gehen hiermit die destruktiven Maßnahmen zur Demontage der echten Bio-Wissenschaftler:

  1. In der Biologie wird die Stelle des Ordinarius und Abteilungsleiters für Botanik und gleichzeitigen Leiters des schönen botanischen Gartens gestrichen.
  2. In der Biologie wird die Stelle des Ordinarius und Abteilungsleiters für Zoologie mit molekularer Ausrichtung gestrichen.
  3. In der Biologie wird die Professur eines Proteinchemikers gestrichen.
  4. In der Biologie wird die Professur eines Ordinarius und Abteilungsleiters für Genetik umgewidmet in Stammzellbiologie und gerät so in die Machtsphäre der Medizin.

Abwicklung der Biologie

In diesem Beispiel quellen die Merkwürdigkeiten aus den Nanosolidargemeinschaften, die sich auf die Ebene der einzelnen Fächer beschränken. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit der Nicht-Bio-Fächer wird die Biologie erfolgreich abgewickelt. Nicht einmal für eine einzige Universität reicht so ein kurzsichtiges Weltbild aus, wie kann man da eine am gemeinsamen Ziel »Lernen, Verstehen, Wissen« ausgerichtete Solidarität der Wissenschaftler allgemein erwarten? Bekanntes Symptom für die kleinkarierte und dünngestreifte Zusammenarbeit gegen künstliche Feindbilder sind die in unendliche unpassende Puzzleteile zersplitterten wissenschaftlichen Gesellschaften, die sich schneller neu gründen als fusionieren lassen.

Bis in die BILD-Zeitung hat es sich herumgesprochen: Die Biowissenschaften sind die Leitwissenschaft im 21. Jahrhundert. Unsere Beispieluniversität macht vor, dass Einsparen in den Biowissenschaften besonders zukunftsträchtig ist... Was herauskommt, wenn alle Bio machen wollen, aber die Biologen nicht mehr dürfen? Was passiert mit den der Biologie entfremdeten Professuren und anderen Stellen? Chaos, logisch:

Operation geglückt, Patient tot?

Unsere Muster-Uni findet keine guten Kandidaten, kann die Stammzellen-Stellen nicht besetzen. Sie stößt wie erwartet auf die gleichen Probleme wie die anderen Unis, die erst dann merken, was aktuell ist und sein wird, wenn es schon Mode ist.

Das Problem mit der Mode ist ja, dass etwas deshalb Mode ist, weil es alle machen. Und weil es alle machen, ist es zu spät, um neu zu sein. Es ist zu spät, um etwas Besonderes, Einzigartiges zu werden, auf Polit-Büro-Neudeutsch ein „Alleinstellungsmerkmal“ abzugeben. Alle haben die gleiche Idee, wollen auf dem Interdisziplinär-, dem Bio- und dem Stammzellzug mitzocken, wollen die besten Leute auf diesen Modegebieten bei sich werkeln haben – entsprechend schnell sind die guten Forscher vom Markt verschwunden. Aber man will unbedingt dabei sein – also muss man nehmen, was übrig bleibt... Bleibt die traurige Überlegung: Wenn nicht einmal in einer Uni die Biowissenschaften im Konsensus gefördert werden, wie soll da in einem Bundesland oder gar in der ganzen Republik die Biologie als Wissenschaft des 21. Jahrhunderts kompetitiv fit gemacht werden, um in der Welt bestehen können?