Ansprache zur Abschaffung

Axel Brennicke


Editorial

(01.09.2006) Rektor oder Präsident, Vorstand, Senat, Aufsichtsrat, Dekan, Fakultätsvorstand, Fakultätsrat − die Landeshochschulgesetze schreiben den Unis Organe vor, die mehr Bürokratie verursachen als im Sinn der Selbstverwaltung ist.

Bildung ist Ländersache in Deutschland, und so gibt es eine Reihe von Landeshochschulgesetzen (LHG). Die nehmen sich aber nix, sind mal in der Satzstellung etwas verschoben, mal wird eines ein paar Monate später auf den Stand der anderen gebracht, aber dafür können eine ganze Reihe von Politikern und Papierbeschmutzern in und neben den Landtagen ihre Existenz rechtfertigen. Blättern wir ein wenig in einem solchen LHG-Standardtext und schauen uns die durchschnittliche „Universität des Deutschlandes“ an!

Nach der Aufgabendefinition (Forschung, Lehre, Weiterbildung, Selbstverwaltung) und anderem Allgemeinblabla kommen seitenweise Richtlinien für die Sich-Selbst-Verwaltung. Das LHG schreibt Gremien ohne Ende vor: Rektor oder Präsident, Vorstand, Senat, Aufsichtsrat, Dekan, Fakultätsvorstand, Fakultätsrat und so weiter. Wie in der Politik sollen die wieder Ausschüsse bilden, in denen sich unliebsame Fragen totlaufen können und in Vergessenheit geraten. Wozu die aufgelisteten Organe notwendig sind, ist nur in einem Punkt klar: Kontrolle. Die Gremien sollen sich gegenseitig beaufsichtigen. So, wie sich der Hund in den Schwanz beißt. Deshalb ist es gleich, wo wir anfangen. Gucken wir uns einfach mal in der Mitte um: Was macht denn so ein Senat einer Universität außer Kaffeetrinken? Im Alten Rom kontrollierte der Senat den Caesar. Ein Senator war wer! Wie ist das mit den ehrwürdigen Senatoren an unserer Universität des Deutschlandes?

Editorial
Der Nachmittag eines Profs

Um Ihnen die echt drögen Paragraphen des LHG zu ersparen, gucken wir in ein Sitzunsprotokoll unseres Uni-Senats: Denn da zeigt sich fast alles, was der Senat soll und darf. Und was hier nicht steht, ist auch nichts anderes als Kontrolle im Kreis. Nehmen wir an, wir sind ehrwürdige Senatoren mit wallender Toga und ernster Miene und lenken Schicksale. Dann haben wir für die Uni einen ganzen Nachmittag lang Bedeutsames in die Wege geleitet und entscheidende Entscheidungen gefällt (Protokoll der Sitzung vom 01.04.2007 des Senats der Universität des Deutschlandes):

TOP 1: Feststellung der Tagesordnung. Angenommen. TOP 2: Protokollgenehmigung der letzten Sitzung. Wortmeldung: In das Protokoll ist der Satz aufzunehmen, dass das Protokoll der vorherigen Sitzung mit der Auflage einer Verbesserung verabschiedet wurde. Abgenickt. TOP 3: Personalangelegenheiten. Verleihung der Bezeichnung »außerplanmäßiger Professor« an jemanden. Durchgewinkt. TOP 4: Berufungsliste der W2-Professur für Irgendwas und was Anderes. Entscheidung: Alle im Boot. TOP 5: Grundordnung der Universität des Deutschlandes in einer erneuten Neufassung. Entscheidung: OK.

TOP 6: Einrichtung eines Graduierten-Kollegs für Alleinstellungsmerkmale und andere Profilbebilderungen. Entscheidung: Nix dagegen. TOP 7: Satzung über die Erhebung von Studiengebühren im Nicht-konsekutiven Masterstudiengang für Clusterbildung. Entscheidung: Alle dafür. TOP 8: Promotionsordnung der Universität für die Fakultät für Allerlei. Entscheidung: Halb geknickt. Zur abschließenden Beschlussfassung des Senats in einer seiner nächsten Sitzungen sollen diese Punkte überarbeitet werden: § B707 Abs. A300 (Differenzierung/Begriffsbestimmung von Promotionsausschuss/Promotionskommission) sowie § B747 Abs. A310 (Umformulierung „Prorektoren“ anstelle »Rektoratsmitglieder«). TOP 9: Bildung eines Ausschusses gem. § 2006 Abs. 8X4 Satz pBR322 LHG (siehe auch 1. Buch Mose, Satz 2) zur Auswahl der Mitglieder des Universitätsoberrates. Entscheidung: Drei aufgeforderte freiwillige Vertreter des Senats werden abgeschickt.

TOP 10: Gemeinsame Kommission gem. § 0815 Abs. 00 LHG der Fakultät für Allgemeines über das Studienangebot im Studiengang Alles und Nichts. Entscheidung: Der Senat bestellt die nachstehend genannten Vertreter aus der Gruppe der Professoren, Vertreter des akademischen Mittelbaus und einige Studierende zu Mitgliedern der gemeinsamen Kommission mit der Amtszeit beginnend am 31.02.1984 und endend am 30.02.2068. Abgenickt. TOP 11: Ausschuss für den Hochschulsport. Entscheidung: Vier studentische Mitglieder werden abgenickt. TOP 12: Forschung, Lehre, Studium. Kein Verhandlungsgegenstand. Entscheidung: keine. TOP 13: Erörterung des Jahresberichts des Vorstandsvorsitzenden (Rektors/Präsidenten) gem. § E605 Abs. 007 Satz A4 Ziffer 911 LHG i.V.m. § 100% Abs. 7-11 Satz 601 LHG. Entscheidung: Keine. Lediglich ist für das Protokoll festzuhalten, dass der Senat den Jahresbericht gemäß obigem Paragraphen zur Kenntnis genommen hat.

Noch mehr Top-Acts!

TOP 14: Erörterung des jährlichen Berichts der Gleichstellungsbeauftragten der Universität gem. § 4711 Abs. No. 5 Satz 313 Ziffer 6 aus 49 LHG i.V.m. § C180 Abs. 7er Satz 17+4 LHG. Entscheidung: Keine, für das Protokoll ist festzuhalten, dass der Senat den jährlichen Bericht gem. § s.o. entgegengenommen hat. TOP 15: Bestellung des Vorstands des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung. Entscheidung: Die gemeinsame Kommission nach § LA9 Abs. BY2 LHG für Geistes- und Kulturwissenschaften bestellt auf Vorschlag der gemeinsamen Kommissionen den Vorstand und dessen Sprecher. Die Amtsperiode dauert bis zum 1. April 2099.

TOP 16: Berichte, Mitteilungen, Anfragen. Der Kanzler kündigt ein Rundschreiben an alle Einrichtungen an. Der Vorsitzende informiert unter Bezugnahme auf die vorliegende Tischvorlage über die bald stattfindenden Gremienwahlen. Der Rektor informiert, dass das Rektorat dem Ministerium für Sport und Vergnügungen einen Bericht vorgelegt habe. Der Rektor informiert, dass das Rektorat die vorlesungsfreie Zeit zum Jahreswechsel wie folgt festgelegt habe: 27.12. – 05.01. [Anm. des Verfassers: Gut zu wissen, dass vom 24. – 26.12. keine vorlesungsfreie Zeit ist.] Der Rektor informiert, dass mehrere Kollegen der Universität in jüngster Vergangenheit ehrenvolle Auszeichnungen erhalten hätten. Er habe allen Kollegen und ihren Arbeitsgruppen zu diesen äußerst ehrenvollen Auszeichnungen gratuliert. TOP 17: Verschiedenes.

Da kommt man ins Grübeln

[Unterbrechen wir kurz das Protokoll – das ist der Moment, über den Verlauf der Sitzung und die Notwendigkeit unseres Herumsitzens nachzudenken: Entscheidungen waren heute zu zwölf Punkten nötig, elf davon waren problemlose Abnickungen. Eine einzige Entscheidung wurde vertagt – mit der Auflage, diese für die Abnickung in der nächsten Sitzung vorzubereiten.

Das ist eine geschickte Arbeitsbeschaffung mit dem selbstagrandierenden Ziel, dass uns der Stoff für die nächsten Sitzungen nicht ausgeht – reine Wichtigtuerei von uns für uns. Ansonsten haben wir allem zugestimmt, was unser Vorsitzender (Rektor/Präsident) vorgeschlagen hat, und was er schon längst hätte auf den Weg bringen können – wenn er nicht nach Paragraph Sowieso die Zustimmung unseres Gremiums gebraucht hätte.] Nehmen wir unser Protokoll wieder auf – wie wäre es, wenn es so weiterginge:

TOP 17: Verschiedenes. Wiedergabe der Wortmeldung eines Mitglieds des Senats: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit beantrage ich die Selbstauflösung des Senats der Universität des Deutschlandes. Sie sehen mich verwundert an und fragen ,Warum?‘ Fragen Sie sich doch bitte einmal: ,Warum nicht?‘ Hier sitzen dreißig aus Steuermitteln bezahlte Angestellte und Beamte des Deutschlandes und machen – Demokratie? Kontrolle? Mitbestimmung? Selbstverwaltung? Was haben wir in den letzten drei Stunden hier gemacht?

,Entscheidungen getroffen‘, sagen Sie. Aber welche? Welche wurde nicht nur abgenickt? Welche hätte der Rektor oder Präsident nicht in einem Zehntel seiner Zeit genauso gut gefällt? Welche hätte er anders entschieden? Vertrauen Sie ihm nicht? Ich schon. Wenn wir hier nicht unsere Zeit und das Geld der Steuerzahler vergeudet hätten – es wäre auch nichts Anderes passiert.“

Demokratie ja, Selbstzweck nein

Was meinen Sie, wie viele Senatoren wohl ehrlich sind und hier zustimmen und wie viele sich für so wichtig halten, dass sie nicht auf sich als Senatoren verzichten können? Aber müssen wir der Politik wirklich die endlosen Sitzungen sinnloser Gremien nachmachen? Bitte verstehen Sie mich richtig: Ich will kein autoritäres System anstelle der Demokratie. Ich bin aber für Effizienz statt Bürokratie. Nichts gegen einen Senat, wenn er nötig ist. Doch wie viele der vom LHG erzwungenen Gremien, Ausschüsse und Sitzungen sind nötig?

Die Wortmeldung unter »Verschiedenes« hat nach dem LHG keine Chance. Die Politik duldet nicht, dass jemand keine so unsinnigen Sitzungen veranstaltet wie sie selbst, und verpflichtet uns Unis zum Senat. Wir können ihn nicht einfach verschwinden lassen. Aber es steht (bisher) nirgends, dass der Senat tatsächlich tagen muss. Also könnten die Mitglieder auch einmal im Jahr per E-Mail gefragt werden, ob sie mit den Entscheidungen des Rektors/Präsidenten einverstanden sind – und es würden ein paar Nachmittage frei für produktive Arbeiten.

Nachbemerkung für Nichteingeweihte: Die Zahlen und Bezeichnungen in unserem Sitzungsprotokoll sind erfunden. Doch solche Nachmittage tragen sich in den Senaten deutscher Universitäten wirklich zu. Regelmäßig und ernstgemeint.