Propaganda der Akkrediteure

Axel Brennicke


Editorial

(01.11.2006) Über die Existenzberechtigung von Akkreditierungsagenturen hat sich Axel Brennicke bereits ausgelassen (siehe LJ 05/2005, S. 26). Diese „gemeinnützigen Selbstverwaltungseinrichtungen der Hochschulen“ werden gemeinhin mit „neutral, unabhängig, ohne finanzielle Eigeninteressen“ assoziiert – zu Unrecht, wie eine als Artikel in BIOspektrum getarnte Eigenwerbung der Agentur ASIIN zeigt.

Beim Durchlesen/Durchblättern der letzten Ausgabe vom Oktober (6/2006) der eigentlich lesenswerten und in der neuen Aufmachung noch mal ansprechenderen einschlägigen Biochemiker/Biologen-Zeitschrift „BIOspektrum” blieb ich auf der Seite 675 bei dieser Überschrift hängen: „Evolutionäre Quantensprünge bei der ASIIN.” Einer biochemischen Zeitschrift rutscht die Formulierung „Evolutionäre Quantensprünge” durch? In der Überschrift? Was mag es bedeuten? Eine neue Universaltheorie als Kreuzung aus Biologie und Physik?

Das macht skeptisch, aber auch neugierig. Ebenso ein Enigma auch die Abkürzung ASIIN – nie gehört. Eine Bildungslücke? Aber so etwas will nichts heißen bei der Tsunami-haften Inflation unaussprechlicher Buchstabenkombinationen. Steht AS für Aminosäuren? Oder kommt das Pseudowort aus dem Lateinischen, vom Wort „asinus”? Auf dieser Seite 675 ist unten rechts das Bild eines jungen, dynamischen „wissenschaftlichen Mitarbeiters” abgedruckt, der als „Dipl.-Geogr.” Fachkompetenz ausstrahlt. Aha, Geogr. – trotz „wissenschaftlich” kann man da kein tieferes Verständnis von Quantensprüngen oder Evolution erwarten, daher wohl die Boulevard-Überschrift...

Editorial
Verkappte Werbung

Links oben auf der Seite wird in der mager gehaltenen Klassifizierung in dezentem Durchfallbraun deutlicher, worum es überhaupt geht: Studiengang-Akkreditierung. Ob hier etwas Anderes steht, als ich vor einem Jahr in dieser Kolumne schon einmal über Akkreditierung lästern musste (LJ 05/2005: 26-27). Tatsächlich habe ich keine andere Wahl, als etwas dazu zu sagen (tut mir ausdrücklich leid, dass es wieder um diese langweilige Akkreditierung geht): Der forsche und unkonventionelle Mitarbeiter des ASIIN e.V. in Düsseldorf hat es tatsächlich geschafft, in diese seriöse und renommierte Zeitschrift ein verkapptes Werbepamphlet einzuschmuggeln, das im Druck wie ein seriöser Beitrag aussieht und nicht als Anzeige deklariert ist. Nicht mal die Überschrift ist der Redaktion von BIOspektrum aufgestoßen.

Und dann ist die Eigenwerbung auch noch primitiv schlecht. Sie ist nicht nur unseriös in ihrer Form, sondern voller Falschaussagen und schiefer Darstellungen. So etwas könnte bei Bild-Lesern nach dem dritten Bier unkritisch ankommen, aber nicht bei Wissenschaftlern, die geschult sind, Balkendiagramme auf ihren tatsächlichen Inhalt zu hinterfragen. Die Legende der einzigen Abbildung ist völlig unverständlich: „Verteilung der Akkreditierungen nach Hochschulen pro Agentur” hat der Dipl.-Geogr. darunter gedichtet – was immer die grammatischen oder logischen Verknüpfungen ...nach...pro... bedeuten mögen. Den größten Balken mit der Zahl 115 hat er selbstverständlich seinem Arbeitgeber, der ASIIN, zugeschanzt. In Anlehnung an Werbetechniken der sechziger Jahre glänzt dieser Balken strahlend weiß ins Hellgelb übergehend, während die Balken der Konkurrenzunternehmen in stumpfem Grau vor dem blassgrauen Hintergrund leuchten. Ob mit 115 die Zahl der Hochschulen gemeint ist? Das kann nicht sein, da einige Akkreditierungsagenturen fachspezifisch agieren und daher durchaus von ein und derselben Uni einträchtig Geld abzocken können.

Die 115 kann aber auch nicht die Zahl der Akkreditierungen und schon gar nicht deren Verteilung angeben. Dies schließt ein Blick auf die Webseite der ASIIN aus, auf der steht: „Die ASIIN hat bisher 732 Studiengänge positiv akkreditiert.”

Bei diesem Satz stellt sich gleich eine ganz andere Frage, nämlich die, wie viele Studiengänge denn negativ akkreditiert worden sind. Und: kann man überhaupt „positiv akkreditieren”? Will man auf der Seite „Statistik” der ASIIN-Webpage Zahlen und Fakten statt trüber lauwarmer Luft sehen, so findet man die Nicht-Information: „Dieser Bereich wird derzeit überarbeitet.”

Verkrampftes Name-Dropping

Apropos Webpage der ASIIN: Dort findet man leider keine Hinweise auf die Kosten, dabei dachte ich immer, es sei ein Gesetz, das alle angebotenen Waren oder Dienstleistungen mit einem Preisschild versehen sein müssen. Die Preise sind vielleicht in den vielen pdfs versteckt, die man gar nicht alle angucken kann, ohne wirr im Kopf zu werden und Dinge zu sehen, die es nicht gibt.

Mit seiner nicht bezahlten Werbung im BIOspektrum bemüht sich unser dynamischer und versierter Dipl.-Geogr., möglichst direkt die Leserschaft in den Biowissenschaften anzumachen: was kann man Anderes als verkrampftes Name-Dropping erwarten? Da tut er sich nicht leicht: Die Bio-Kommission existiert nämlich noch gar nicht! Ein kurzer Blick wieder auf die Webseite des ASIIN e.V. stärkt das Vertrauen in die Kompetenz: in den Biowissenschaften, der Akkreditierungskommission II, fehlen zwei von drei Kommissionsmitgliedern und sind als N.N. gekennzeichnet.

Bevor eine Uni ihre per Gesetz verordnete Investition einer solchen Dipl.-Geogr. Vertrauensperson überweist, sollte sie sich die jeweilige obskure Organisation etwas genauer anschauen – sonst sind im Nu die sauer geliehenen Studiengebühren vieler Studenten verpulvert.

Finanzielle Interessen

Wieso ist das seriöse BIOspektrum auf diese Werbung hereingefallen? Liegt das daran, dass diese ASIIN e.V. ein „gemeinnütziger Verein” ist? Dass Wissenschaftler und Verlag dieses und ähnliche Unternehmen fälschlich mit „neutral, unabhängig, ohne finanzielle Eigeninteressen” assoziieren? Alle diese Eigenschaften haben diese Unternehmen zur Akkreditierung nämlich nicht – das belegt nicht zuletzt diese Eigenwerbung: so etwas machen nur Privatunternehmen, deren ehrlich erklärtes Ziel ist, möglichst viel der eigenen Produkte für möglichst viel Geld zu verkaufen.

Für ein Unternehmen ist das natürlich völlig legitim. Aber die Vortäuschung von Gemeinnützigkeit, staatlicher Anerkennung und Unabhängigkeit ist nicht sauber... schon gar nicht für einen Verein mit der Akkolade „e.V.”. Für Nicht-Juristen steht die Definition für e.V. im BGB auf der Webseite des Justizministeriums (http://bundesrecht.juris.de/bgb/): „Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts.”

Verständlicher erklärt wird das in Wikipedia : „Ein eingetragener Verein (Abkürzung e.V.) ist ein Verein, der in das Vereinsregister des jeweils zuständigen Amtsgerichts eingetragen ist. Das ist jedoch nur nicht-wirtschaftlichen Vereinen (Idealverein) vorbehalten.”

Und weiter: „Idealverein ist ein Verein, der

  • nicht primär die wirtschaftlichen Belange seiner Mitglieder fördert,
  • keine Leistungen und Waren auf dem Markt anbietet oder dies zumindest nicht als Hauptzweck ansieht,
  • seinen Mitgliedern keine unentgeltlichen Leistungen zukommen lässt oder seine Mitarbeiter nicht unangemessen hoch bezahlt.”

Nun weiß man ja nicht, ob unser dynamischer Werbetexter „unangemessen hoch bezahlt” wird, diesen Punkt müssen Profis prüfen. Schwierig ist das erste Kriterium, da die formalen Mitglieder Dachorganisatoren von Unis und FHs sind, die erst mal jeder 2.550 Euros pro Jahr für die Mitgliedschaft berappen dürfen. Dazu müssen natürlich die Unis noch für jeden Studiengang Tausende von Euros abdrücken. Indirekt fördert ASIIN e.V. selbstverständlich die wirtschaftlichen Belange seiner Mitglieder, da in absehbarer Zukunft nur mit Akkreditierung Studiengebühren an die Unis fließen werden.

Schwierig ist für einen „nicht-wirtschaftlichen” e.V. sicher der gesetzliche Zwang: alle Unis müssen per Gesetz die Leistungen einer Akkreditierungsgesellschaft e.V. kaufen – die freie Wahl ist nur ein Scheinargument: wir können auch zwischen Norma, Lidl, Aldi, Rewe und Netto wählen, aber die sind noch lange nicht gemeinnützig und e.V.

Ganz sicher ist das mittlere Kriterium für einen e.V. von ASIIN e.V. nicht erfüllt: ASIIN e.V. bietet Leistungen auf dem Markt an und sieht dies als seinen Hauptzweck (andererseits: der eigentliche, dezent verschwiegene und zerredete Hauptzweck ist natürlich das Einkommen der Mitarbeiter).

In dem ASIIN „Wegweiser” wird der Zweck deutlich, die Leser werden als „Sehr geehrte Kunden” angesprochen – so beginnt ein echter Geschäftsbrief eines echten Verkäufers! In diesem „Wegweiser” steht weiter: „...Unmittelbar nach Eingang der Akkreditierungsanfrage erhalten Sie von uns auf der Grundlage der von Ihnen gemachten Angaben ein Angebot über die Höhe der Kosten des Akkreditierungsverfahrens... Als zweiten Schritt benötigen wir von Ihnen bzw. der Hochschulleitung eine Bestätigung der Kostenübernahme. Mit der Bestätigung der Kostenübernahme entsprechend unserem Angebot erteilen Sie uns den Auftrag zur Durchführung des Verfahrens.”

Da wird sehr schnell Tacheles gesprochen: Schon der zweite Schritt in diesem „Wegweiser” ist die Forderung nach einer Bestätigung der Kostenübernahme, der Verpflichtung, zu zahlen. Dieses Geschäftgebaren soll gemeinnützig sein? Die ASIIN ist ein gemeinnütziger e.V., weil sie „keine Leistungen und Waren auf dem Markt anbietet oder dies zumindest nicht als Hauptzweck ansieht”?

Wer akkreditiert die Agenturen?

Woher kommen eigentlich diese merkwürdigen „Akkreditierungsagenturen”? Dazu findet sich: „Die Akkreditierungsagenturen selbst müssen sich vor der Aufnahme der Arbeit ebenfalls akkreditieren lassen: Hierfür wurde auf Bundesebene ein Akkreditierungsrat eingerichtet. Der Akkreditierungsrat formuliert außerdem einen Referenzrahmen für die Akkreditierung von Studiengängen...” (Aus: www.studentischer-pool.de). Dieser „Pool” hat übrigens nichts mit Schwimmunterricht zu tun, sondern ist der „studentische Akkreditierungspool”. Dieser wiederum ist ebenso beliebig kompliziert, hat Satzungen undsoweiter, zum Beispiel:

㤠8 Vernetzungstreffen... (2) Das Vernetzungstreffen hat insbesondere folgende Aufgaben:

a. Es trifft grundlegende Entscheidungen über die Arbeitsweise des Pools und beschließt dessen Richtlinien.

b. Es wählt den KASAP...” ...
wer auch immer der KASAP ist...

Immerhin sind die Studis ein wenig kritisch: „Ob das Akkreditierungssystem tatsächlich neue Gestaltungsspielräume eröffnet hat, ist allerdings umstritten. So zog der freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) die Bilanz [...], dass die informelle Standardisierung im Rahmen von Akkreditierungsverfahren den Detailliertheitsgrad der Rahmenprüfungsordnungen in manchen Bereichen inzwischen sogar übersteigt. Wegen der faktischen Monopolbildung einzelner Agenturen für die Studiengänge bestimmter Fachrichtungen oder für die Hochschulen in bestimmten Regionen ist auch die vermeintliche Absicherung fachlicher Pluralität durch die freie Wahl einer Agentur empfindlich beeinträchtigt.”

Stimmt: es gibt nicht sehr viele dieser gemeinnützigen Akkreditierungsagenturen, die durch den Akkreditierungsrat akkreditiert sind. Folgende Agenturen „sind berechtigt, das Qualitätssiegel des Akkreditierungsrates an von ihnen akkreditierte Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor/Bakkalaureus und Master/Magister zu vergeben:

  • AQAS – Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen
  • ASIIN – Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften, der Informatik, der Naturwissenschaften und der Mathematik
  • AHPGS – Akkreditierungsagentur für Studiengänge im Bereich Heilpädagogik, Pflege, Gesundheit und Soziale Arbeit e.V.
  • ACQUIN – Akkreditierungs-, Certifizierungs- und Qualitätssicherungs-Institut
  • FIBAA – Foundation for International Business Administration Accreditation
  • ZEvA – Zentrale Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover” (www.akkreditierungsrat.de)

Das ist die volle Liste, um nicht unlauterer (Negativ-)Werbung verdächtigt zu werden. Und es gibt noch mehr dieser Akkr...institutionen in Deutschland, zum Beispiel die „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen”. Bei genauem Nachsehen bei www.akkreditierungsrat.de zeigt sich, dass es diesen gar nicht gibt: Der Akkreditierungsrat wurde laut Gesetz vom 15. Februar 2005 in die „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland” überführt.

Gemeinnützige Körperschaften

Zum Schluss noch einmal kurz zurück zu „gemeinnützig”: Die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft definiert sich in Deutschland aus §52 Abgabenordnung (AO): „Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.”

Ob die Mitarbeiter von ASIIN e. V. und Co., die ausnahmslos „selbstlos” für ihr eigenes materielles Gehalt sorgen, „die Allgemeinheit” darstellen, bleibt noch festzustellen.

Ach ja, unser Dipl.-Geogr. hat noch den (Bettel-) Aufruf vergessen: Wollen Sie nicht spenden? ASIIN und Kollegen e. V. stellen Ihnen Spendenquittungen aus, die können Sie von Ihrer Steuer abziehen.

Denn: Gemeinnützige Spenden sind steuerfrei!!!




Bonbons aus den „Kriterien zur Akkreditierung von Studiengängen” - zur Erheiterung

Die „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen” veröffentlicht „im Umlaufverfahren vom 17.07.2006“ unter dem Zeichen „Drs. AR 56/2006” folgende „Kriterien zur Akkreditierung von Studiengängen”:

  • Kriterium 1 (Systemsteuerung der Hochschule): Als Grundlage für eine qualitätsorientierte Entwicklung und Durchführung der Studiengänge hat die Hochschule ein eigenes Verständnis von Qualität in Studium und Lehre entwickelt...”
  • Kriterium 2 (Bildungsziele des Studiengangskonzeptes):
    • „Employability”, basierend unter anderem auf einer Berufsfeldanalyse
    • Befähigung zur bürgerschaftlichen Teilhabe (Democratic citizenship)
    • Persönlichkeits-/persönliche Entwicklung...
  • Kriterium 3 (Konzeptionelle Einordnung des Studiengangs in das Studiensystem): Der Studiengang entspricht [...] ggf. landesspezifischen Strukturvorgaben für die Akkreditierung [...]. Diesen Anforderungen entspricht der Studiengang jeweils insbesondere hinsichtlich
    • der Definition und typologischen Zuordnung des Studiengangs,
    • der Anwendung der den Qualifikationsstufen zugeordneten Deskriptoren,
    • der Anwendung von ECTS und Modularisierung,
    • der Outcome-Orientierung (Kompetenzorientierung).
  • Kriterium 4 (Das Studiengangkonzept): Das Studiengangskonzept ist
    • stimmig hinsichtlich des Aufbaus,
    • zielführend im Hinblick auf definierte Bildungsziele,...
    • studierbar.
    (Na, wer hätte gedacht, dass die Akkreditierung sich mit solch Nebensächlichkeiten wie der Studierbarkeit eines Studiums abgibt? Genug Salbader? Immer noch nicht? Also gut, noch ein Schwafel:)
  • Kriterium 7 (Transparenz und Dokumentation):
    ...Die Studierenden werden durch fachliche und überfachliche Beratung unterstützt.”
    (Cool, überfachlich – darauf muss man erst mal kommen! Das wird bestimmt ein neues Fach. Übrigens wird dann den armen Unis noch massiv gedroht:)
  • Kriterium 8 (Auflagenerfüllung): Die Hochschule hat gegebenenfalls die mit der vorherigen Akkreditierung ausgesprochenen Auflagen erfüllt.”
    (also war sie nun vorher akkreditiert oder nicht?)
  • Kriterium 9 (Qualitätssicherung): Die Hochschule hat Verfahren des hochschulinternen Qualitätsmanagements durchgeführt und gegebenenfalls Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen.”