Volle Kompetenz

Axel Brennicke


Editorial

(01.09.2007) Einen guten Abteilungsleiter machen vor allem eine Führungspersönlichkeit und exzellente Forschung aus? Denken Sie! Auch in einer Forschungsabteilung sind die Leitungs-Kernkompetenzen viel breiter gefächert – von Schreiner- und Malerarbeiten über Bausanierung bis – natürlich – zur Geldverwaltung.

Der Verantwortliche muss alles wissen und alles können. Verantwortlich für ein S1-Genlabor sind der Betreiber, der Direktor des Institutes beziehungsweise der Leiter der Abteilung. Der Betreiber ist die Universität, aber die Universität darf die Verantwortung an die oder den untergebenen Direktor oder Abteilungsleiter abgeben.

Glatte Oberflächen

Dort bleibt die Verantwortung kleben. Der Direktor oder Abteilungsleiter darf sie nicht mehr weitergeben, er muss sich bestrafen lassen, wenn nicht alle Bestimmungen und Regeln eingehalten werden.

So flattert irgendwann eine Strafandrohung ins Haus: Wenn nicht binnen drei Monaten alle Vorschriften beachtet werden, ist Bußgeld von mehreren hundert Euro fällig. Aus der eigenen Tasche, versteht sich.

Editorial

Zu diesen Vorschriften gehört vieles. So auch, dass in einem S1-Labor für transgene Pflanzen alle Oberflächen glatt sind und abgewischt werden können. Deshalb stehen wir heute vor wichtigen Fragen: Ob sich die Ritze zwischen dem vierzig Jahre alten Glasschrank und dem Fußboden mit Silikon abdichten lässt?

Ob im Flur des S1-Bereichs neue Schränke mit glatten Kanten her müssen, in denen Glaskolben, Messbecher und Zentrifugenröhrchen sicher stehen können? An den alten Schränken sind die Ecken der Plastikoberflächen abgebrochen und der Pressspan liegt frei. Der ist gequollen und verzogen, weil der Fußboden zu feucht gewischt wurde.

Eine der Kernkompetenzen eines Universitätsprofessors ist gefragt, der gesunde Menschenverstand. Danach ist die Lage eindeutig: Gequollener Pressspan lässt sich nicht mehr reparieren. Dem stimmt auch der wirkliche Fachmann zu, der Schreiner der Universität.

Aber so einfach ist das nicht: Ein neuer Schrank kostet Geld, und das muss jemand bezahlen. Die fachkompetente Abteilung der Universität, das Dezernat Bau, winkt ab: Schränke sind nicht fest eingebaute Teile, also beweglich, und daher nicht der Baumasse zuzurechnen. Auch das Amt VW–BW (Amt für Vermögensverwaltung Baden–Württemberg, zu Deutsch: Landesbauamt) erklärt sich mit der gleichen Begründung für nicht zuständig.

Da haben wir zu naiv gedacht. Wir haben vorausgesetzt, dass die Abteilungen von Land und Universität gleiche Definitionen benutzen würden: Die Abteilung für Sicherheit sieht das jedoch ganz anders und zählt von der Brandlast und den Fluchtwegen her die an den Wänden angeschraubten Schränke nämlich zum unbeweglichen Teil der Universität, in dem vergammelter Pressspan keine Brandgefahr darstellt – anders als etwa eine Kühltruhe aus Metall.

Der Schreiner fragt, ob er neue Schränke bauen soll oder nicht. Wenn er jetzt den Auftrag bekäme, könne er in etwa drei bis vier Monaten damit anfangen.

Aber so einfach ist das nicht: Wir können diese dreitausend bis viertausend Euro nicht aus den Haushaltsmitteln nehmen. Tun wir’s doch, haben wir für das ganze Jahr kein Geld mehr für Porto oder Telefon oder die Nutzungsgebühr des universitätseigenen Isotopenlabors. An Chemikalien oder Eppendorf–Gefäße ist ja schon lange nicht mehr zu denken, und nach den neuesten Kürzungen wegen gestiegener Heizkosten bleibt dann gar nichts mehr übrig für Forschung und Lehre, was ja angeblich die Kernkompetenzen der Universität sein sollen. Die Studiengebühren dürfen für Schränke für Glaswaren sowieso nicht verwendet werden, und das ist auch gut so.

Also müssen wir versuchen, das Geld für die neuen Schränke irgendwo in der Universität zu beantragen. Dazu brauchen wir ein Papier auf dem ein kompetenter und zuständiger Fachmann, eben der Schreiner, bestätigt, was die Schränke kosten werden. Also bitten wir ihn, einen Kostenvoranschlag anzufertigen.

Kanzlers Allround–Kompetenz

Aber so einfach ist das nicht: Wir müssen uns an die zuständige Stelle wenden. Aber welche Stelle der Universität ist zuständig? Welche Stelle wird uns den Antrag nicht mit dem Vermerk zurückschicken, dass dieses nicht in ihren Bereich falle? Da hilft nur, in den diversen Abteilungen des Verwaltungsdschungels herumzufragen, wer denn wohl zuständig sein könnte. Das Bauamt winkt auch bei wiederholter Frage lakonisch ab: Das geht uns nichts an, das ist beweglich. Kurzum: Die Zuständigkeit ist nicht zu klären.

Es bleibt uns nur zum letztlich für alles Zuständigen zu gehen, zum Kanzler oder zum Präsidenten. Die wissen sicherlich am besten, wer uns Geld für neue Schränke geben kann. Armer Kanzler! Armer Präsident! Beide haben wahrlich genug um die Ohren und sollten sich eigentlich mit wichtigeren Dingen beschäftigen.

Dennoch denken sie über unsere Schränke nach und kommen wahrscheinlich zu dem Schluss: Leider ist kein Geld da. Neue Schränke aus Universitätsmitteln können nur bei Erstausstattungen bezahlt werden oder im Zuge von großflächigen Sanierungsmaßnahmen. Dies aber auch nur falls Landesmittel explizit dafür und nicht nur für Neubauten zur Verfügung gestellt werden. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass wir mit den neuen Schränken warten müssen, bis wir mit der Sanierung an der Reihe sind. Allerdings wird diese von dem Bauamt organisiert und die befassen sich ja nicht mit Beweglichem. Und selbst wenn...

So einfach wäre das nicht: Wir dürfen nicht jahrelang warten, das Regierungs–präsidium hat uns ja (zu Recht) unter Androhung von Geldstrafen eine Frist von drei Monaten gesetzt, um die Schränke zu erneuern, die Ritzen zu verschließen, Fußböden zu reinigen, Kühlräume zu sanieren und die Säulen aus Sichtbeton spachteln und streichen zu lassen.

Unbewegliche Fußböden

Zum Glück sind Fußböden und Säulen unbeweglich und das Bauamt hat zuständigerweise veranlasst, dass die für die Organisation der Reinigung zuständigen Stellen der Reinigungsfirma den Auftrag gegeben haben, auch jene Ecken und Winkel einmal gründlich zu putzen, in die die Kosten sparenden Reinigungsmaschinen nicht kommen. Der in vierzig Jahren speckig und schmierig gewordene grobporige Sichtbeton ist tatsächlich auch bald gespachtelt und gestrichen.

Bei der nächsten Besichtigung werde ich dann vom Regierungspräsidium gefragt werden, welche Farbe verwendet wurde, und ob diese auch wirklich abwischbar ist: Das heißt, ich muss den Maler fragen, welche Farbe er verwendet hat und wie die Oberfläche dieser Farbe beschaffen ist. Das kann ich, ich hab ja sonst nichts zu tun, aber was ist mit den Schränken?

Ich werde an das Regierungspräsidium schreiben und um Gnade und Aufschub bitten. Verständnis kann ich nicht erwarten. Nach gesundem Menschenverstand sollten die alten gammeligen Schränke längst ersetzt worden sein, auch wenn sie durch Schrauben an der Wand noch in der Senkrechten gehalten werden. Pressspan ist nicht so dauerhaft wie Holz, aber dafür billiger und die Universität muss immer die billigsten Anbieter nehmen.

Schlecht und teuer

Aber so einfach ist auch das nicht: Manchmal darf die Universität nicht den billigsten Anbieter nehmen, sondern verpflichtet ihre Mitarbeiter, Schlechtes teuer zu kaufen. So verlangt die Uni Leipzig, dass bei dem Möbelhersteller gekauft werden muss, den das Land Sachsen bevorzugt. Die gleiche mindere Qualität hätte wohl auch das Möbelhaus aus Schweden geliefert – nur für ein paar tausend Euro weniger. Die gesparten Gelder hätte man dann für Forschung und Lehre einsetzen können. Aufheben bis zur fälligen Reparatur darf man sie nicht.

Aber so einfach ist das auch für Andere nicht: Falls das Geld für die Schränke vom Himmel fallen sollte, hat die Verwaltung noch schwierigere Probleme. Dort müssen auf die Rechnungen die richtigen Sachschlüssel laut Landesverordnung geschrieben werden. Schaut man in diese Listen, in das „Kontierungshandbuch für die Universitäten des Landes Baden-Württemberg”, findet man unter dem Schlüssel „0897 Möbel und sonstige Geschäftsausstattung (GWG)”:

  • Fahnen (von 60 bis 410 Euro netto)
  • Fußmatten (von 60 bis 410 Euro netto)
  • Musikinstrumente (von 60 bis 410 Euro netto)
  • Schirmständer (von 60 bis 410 Euro netto)
  • Möbel (von 60 bis 410 Euro netto)

Leider haben wir keine Fußmatten für mehr als sechzig Euro gekauft, wir haben überhaupt keine, die ließen sich leicht abbuchen. Immerhin lassen sich unter „Möbel” nicht nur Fahnen oder Schirmständer verbuchen, sondern sogar „Möbel”.

Doch gibt es in dieser Liste keine Möbel für mehr als 410 Euro netto. Was tun? Die armen Menschen in der Verwaltung müssen die Rechnung in zehn Rechnungen aufteilen. Was denkt sich nur unsere Landespolitik bei solchen Listen?

Ich kann es Ihnen nicht sagen, aber vermutlich hängt es mit den großen Zusammenhängen zusammen und die verstehen wir kleinen Denker hier unten nicht, da brauchen wir uns gar nicht anzustrengen. Es ist einfacher, die Vorschriften zu befolgen und den Mund zu halten. Nein, nicht nur einfacher, es ist lebensnotwendig, sonst kommt man überhaupt nicht mehr zu Forschung und Lehre.

So einfach bleibt das alles nicht: Gerade haben wir schon wieder neue Tipps zur Verbesserung unserer Arbeitsmöglichkeiten bekommen, diesmal vom Gewerbeaufsichtsamt – warum auch nicht?

Aber nein, jetzt ist eine Zentrifuge kaputt gegangen: gerade mal dreizehn Jahre alt, völlig ausgelutscht sagen die Techniker, so fertig wie ein Auto nach 700.000 km. Und für uns so wichtig wie in einer Küche der Herd. Die Schränke müssen warten.