Heizen mit Studiengebühren

Axel Brennicke


Editorial

(01.10.2007) Baden-Württemberg gibt Geld aus: 1,4 Mrd € für die Bahn, davon 750 Mio für den Bahnhof Stuttgart – nur dafür, dass der ein paar Jahre eher kommt. Die neue Bahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm bringt zwanzig bis dreißig Minuten weniger Fahrtzeit. Aber der Bahnhof, der 750 Mio kostet, soll nur drei bis vier Minuten bringen. Hört sich nicht wirklich sinnvoll an, oder? Ein Prestigeprojekt für unseren Landeschef? Was Berlin kann, kann Stuttgart schon lange...

Wo kommt das Geld her? Aus dem Abbau von Investitionen in die Zukunft unserer Kinder. Die Spitzhacke ist der Solidarpakt II zwischen Land und Universitäten: Er zerkrümelt die Universitätsetats.

Keine Butter bei die Fische

In Amtsdeutsch steht auf der Webseite des MWK BW (Ministerium für Wissen- schaft und Kultur Baden-Württemberg): „Planungssicherheit auf der Basis des Haushalts 2007” und im Solidarpakt heißt es: „...finanzielle Planungssicherheit für den Zeitraum bis 31.12.2014. Die Etatansätze für Bildung und Forschung mit einem Gesamtbetrag von 2,2 Mrd € jährlich werden in den Folgejahren fortgeführt...”. Auf Deutsch: Von 2007 bis 2014 gibt es keinen Cent mehr für die Unis!

Editorial

Und gekürzt wird eben doch: „Die auf der Grundlage des Landeshochschulgebührengesetzes in der Fassung vom 19.12.2005 von den Hochschulen und Berufsakademien vereinnahmten Studiengebühren stehen diesen zweckgebunden für die Erfüllung ihrer Aufgaben in Studium und Lehre zur Verfügung. Die staatliche Finanzierung wird aus diesem Anlass nicht abgesenkt.” Aber auch nicht der Inflation angepasst! Alles wird teurer, Butter, Fische und Eppendorf-Cups, aber auch die Heizkosten: „Für das laufende und das kommende Jahr rechnen die EZB und die EU-Kommission mit einer Inflation von jeweils um die zwei Prozent. Am stärksten kletterten die Gaspreise mit plus 17,7 Prozent ..., leichtes Heizöl um knapp 11 Prozent.” (Spiegel, 17.1.2007).

Die versteckten Kürzungen ergänzt das Ministerium durch direkte. Zitat Solidarpakt: „Zur Finanzierung einer qualitätsbasierten leistungsorientierten Mittelverteilung und für Zielvereinbarungen, die insbesondere Ziele und Schwerpunkte der Entwicklung der Hochschulen (ohne Hoch- schulmedizin) und Berufsakademien unter Berücksichtigung der übergreifenden Interessen des Landes zum Gegenstand haben, wird ein Innovations- und Qualitätsfonds eingerichtet. Dieser Fonds wird vom Land, den Hochschulen und Berufsakademien gebildet. Ab dem Haushaltsjahr 2011 werden jährlich 30 Mio € zur Verfügung stehen. Davon werden 15 Mio € vom MWK aus den Zentralkapiteln bereitgestellt. Die Hochschulen und Berufsakademien verpflichten sich die weiteren 15 Mio € aus den nach Nr. 1.1 dieser Vereinbarung auf sie entfallenden Haushaltsmittel in den zentralen Fonds einzubringen. Die Übertragung der Mittel erfolgt in drei gleichen Tranchen in den Jahren 2009 (5 Mio €), 2010 (10 Mio €) und 2011 bis zum Gesamtbetrag von 15 Mio € pro Jahr.

Hier werden hinter einer Nebelwand von Innovations- und Qualitätsgeschwafel den Unis 15 Mio € pro Jahr abgenommen. Sie wenden ein, dass ja dieser Fonds mit zusätzlichen 15 Mio € wieder an die Unis zurückfließen soll: „für Zielvereinbarungen”. Aber was geschieht, wenn man sich über diese Ziele nicht vereinbaren kann? Dezent steht da: „...unter Berücksichtigung der übergreifenden Interessen des Landes”. Ins Deutsche übersetzt: Wenn das Land dringend Geld braucht, kann es die 15 Mio nicht locker machen. Das Land braucht immer dringend Geld. Zum Beispiel für den Stuttgarter Bahnhof: Was das Land bisher auf die Schienen geworfen hat, dürfte bald zermahlen sein.

Selbstredend gibt es keinen Cent für die gestiegenen Heizkosten: Dabei zahlt 2007 allein meine kleine Ulmer Universität 1,4 Mio € mehr für Heizung als 2006. Davon allerdings gehen 0,2 Mio € für das neue Gebäude drauf, das die Landesstiftung Baden-Württemberg für nicht-universitäre Aufgaben und explizit nicht für Kernkompetenzen gebaut hat. Für den Solidarpakt darf die kleine Uni Ulm pro Jahr noch 0,75 Mio € extra abliefern. Macht zusammen 2,15 Mio €.

Also muss wieder gekürzt werden. Zum Beispiel die Studentenbetreuung in den Praktika. In der winzigen Biologie werden fünfzig Prozent der Gelder für die studentischen Hilfskräfte gekürzt. Die Betreuung wird also deutlich schlechter. Damit sie nicht viel schlechter wird, ersetzen wir einen Teil der fehlenden Gelder aus den Studiengebühren.

Woher sonst? Also dienen die Studi- engebühren nicht der Verbesserung der Lehre, sondern federn die Kürzungen aus dem Landeshaushalt und die Heizkosten etwas ab – die Gebühren werden im Wortsinne verheizt.

Gemilderte Verschlechterung

Dazu trompetet das MWK BW in einer Presseerklärung (13.7.2007): „Die Entscheidungen über die Verteilung der Studiengebühren werden vor Ort getroffen. Die meisten Hochschulen haben unterschieden zwischen Mitteln zur Verbesserung der allgemeinen Studiensituation und der fachspezifischen Studiensituation. Schätzungsweise 50 Prozent der Mittel wurden für Personal zur Verbesserung des Lehr- und Serviceangebots eingesetzt, rund 10 Prozent der Mittel wurden in Lehr- und Lernmedien investiert. Der Rest wurde unter anderem zur Verbesserung der Studien- und Prüfungsorganisation, für die Studienberatung und die Qualitätssicherung eingesetzt.

Entscheidungen vor Ort? Was soll da noch entschieden werden? Verbesserung der Lehre? Keine Rede: Milderung der Verschlechterung ist das einzige, was die Studiengebühren bewirken.

Die Verschlechterung geht weiter: Es werden mehr Studenten kommen und es wird weniger Geld geben. Behauptet wird im Solidarpakt: „Bis 2012/2013 wird in Baden-Württemberg auf Grund der demographischen Entwicklung und des doppelten Abiturientenjahrgangs mit einem zusätzlichen Bedarf von etwa 16.000 Studienanfängerplätzen gerechnet. Das Land und die Hochschulen sowie die Berufsakademien betonen in dieser Situation ihre gemeinsame Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an Studien- und Ausbildungsplätzen. Aus dieser Verantwortung wird das Land in den nächsten Jahren Mittel und Stellen bereitstellen, wobei der Umfang im Jahr 2012 bis zu 150 Mio € betragen wird. ...Soweit durch diese Mittel die tatsächlich entstehenden Kosten nicht gedeckt werden können, werden die Hochschulen und die Berufsakademien in Wahrnehmung ihrer Verantwortung und mit eigener Kraft die notwendigen zusätzlichen Beiträge leisten und diese schwierige Aufgabe in autonomer Gestaltung bewältigen. Das Land wird dafür gegebenenfalls gebotene Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen vornehmen.

Im Klartext: Das Land wird die Unis verpflichten, die Kosten für die zusätz- lichen Studenten selbst zu tragen. Von den 150 Mio € wird wenig bleiben, dafür sorgt das „bis zu”: Mit 1,58 € wäre das Versprechen auch erfüllt und es bliebe noch etwas für den Stuttgarter Bahnhof übrig. Wieso sollen 16.000 zusätzliche Studenten ein zusätzlicher Jahrgang sein? Das wären 160.000 Studienanfänger, also zehn mal mehr! Offensichtlich weiß das KMK nicht einmal sechs beziehungsweise zehn Jahre im voraus, wie viele Kinder dann soweit sind. Dazu müsste man ja wissen, wie viele geboren werden/wurden. Vielleicht sind dem KMK die Zahlen aus den Einwohnermeldeämtern zu unzuverlässig.

Vielleicht liegt es an der parteipolitischen Unmöglichkeit, Geld für Jahre im Voraus festzulegen und dann auch auszugeben. Parteistrategen sparen nicht für die nächste Wahlperiode, das käme ja möglicherweise dem Gegner zugute. Überhaupt: Mit Sparen gewinnt man keine Wahl. Besser, man spinnt das Blaue vom Himmel herunter.

Keine abschließende Bewertung

Wie leicht letzteres fällt, sieht man an der Pressemitteilung des MWK BW vom 13.7.2007 zur Verwendung der Studien- gebühren: „Das Wissenschaftsministerium hat von den staatlichen Hochschulen und Berufsakademien im Land Berichte über die ersten Erfahrungen mit Studiengebühren erhalten. Die gelieferten Informationen ergeben ein sehr heterogenes Bild und lassen noch keine abschließende Bewertung zu. Für einen detaillierten Bericht im Herbst gibt es Nacherhebungen. Auf Grund der vorhanden Daten hat das Wissenschaftsministerium heute einen Zwischenbericht vorgelegt. Wissenschaftsminister Professor Dr. Peter Frankenberg sagte: ‚Die ersten Verbesserungen durch die Studiengebühren sind schon spürbar.’

Die Berichte sagen, dass man nichts sagen kann, aber der Minister sagt trotzdem was: „...Verbesserungen sind schon spürbar...”. Er sagt nicht welche, er sagt nicht für wen und es stimmt auch nicht. Kann nicht stimmen: die Studiengebühren wurden ab dem SS 2007 eingeführt, das gerade zu Ende gegangen ist; sie konnten noch gar nicht eingesetzt werden.

Wie soll man das Verhalten des Minis- ters nennen? Lüge? Verhohnepiepelung? Wahrscheinlich ist es Gewohnheit: Der Selektionsdruck in Politikerkreisen fördert Individuen, deren Expertise im Drehen von Seilschaften liegt, im Erkennen von Antrieben, im Sitzfleisch, und darin, sich den Schein von Loyalität und den Schein von Erfolg zu geben.

Einen gewöhnlichen Menschen füllt dies vollständig aus.