Einfache Kontoführung

Axel Brennicke


Editorial

(01.11.2007) „Letzte außergerichtliche Mahnung” steht dick und fett auf dem Brief. Darunter: „Unsere bisherigen Mahnungen haben Sie leider nicht beachtet... Bei erfolglosem Ablauf dieser Frist wird die Gesamtforderung eingeklagt und per gerichtlichem Inkasso eingezogen.”

Akribisch werden Forderungen und Gebühren aufgeführt: Die Rechnung für eine Chemikalie über 157,09 € ist 57 Tage im Verzug, die erste Mahnung mit 3 € Gebühr 47 Tage, die zweite mit 4,25 Gebühr 35 Tage und jetzt sind noch einmal 3 € und 1,87 € Zinsen fällig. Hätten wir gleich gezahlt, hätten wir 12 € gespart. Was wohl die DFG und der Steuerzahler dazu sagen?

Neues Abrechnungssystem...

Unsere Schuld ist es nicht, dass die Rechnung nicht bezahlt wurde. Wir haben sie sofort an die zentrale Kontoführung unserer Universität weitergeleitet. Die Verwalterin opfert sogar einen Urlaubstag, damit die Rechnungen mit dem fünfzeiligen Stempel und den ausgefüllten Verrechnungsstellen (das bedeutet: Kontonummern) nur ja pünktlich und schnell zur zentralen Abrechnung kommen.

Editorial

Aber dort geht gar nichts. Man kann uns nicht einmal sagen, wieso die Rechnung nicht bezahlt wurde. Manchmal heißt es, sie wurde angewiesen, aber das Geld ging nicht weg. Wieso? Das neue Abrechnungssystem funktioniere nicht, heißt es. „Neu” ist das Kontenprogramm seit nunmehr elf Monaten.

Wer hat uns das wieder eingebrockt? Unsere Verwaltung war es nicht. Die stöhnt auch und weiß auch nicht mehr, was tun. Die Kontenverwaltung der Universität läuft jetzt nämlich über SAP. Das heißt, sie läuft nicht. Seit dem letzten Nikolaus wird ohne Pause auf SAP-Programme umgestellt.

Eingeführt wurde SAP von der Landesregierung, angeblich um ihren Unis wundersam viele Freiheiten zu ermöglichen. Auf den Seiten des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft (MWK) liest es sich sogar so, als ob das Musterländle Baden-Württemberg allein für diese Segnung der Moderne verantwortlich sei:

„Die dezentrale Finanzverantwortung, die durch die Einführung des Globalhaushalts ermöglicht wurde, gibt den Hochschulen große Freiheiten bei der Verwendung ihrer Mittel. Im gemeinsamen Interesse von Regierung und Parlament sowie der Hochschulen lag daher die Ergänzung der dezentralen Finanzverantwortung durch ein Rechnungswesen, das einen Nachweis darüber gibt, wie die vom Land bewilligten Mittel verwendet werden.”

Also wohlwollendes Vertrauengekoppelt mit Kontrolle. Es stimmt auch nicht, dass die Landesregierung diese Freiheit selbst beschlossen habe, es war ein bundesweiter Beschluss. Entsprechend wird und wurde SAP auch an vielen anderen Universitäten in vielen anderen Bundesländern eingeführt.

...alte Probleme

Für die Umstellung von der Kameralistik auf die betriebswirtschaftliche Buchführung ist also eindeutig die Politik verantwortlich. Wer aber kam auf die Schnapsidee, dass SAP für die Universität geeignet sei? Waren es Politiker, die SAP-Aktien besitzen? Waren es die Obersten in der Universität? Ist die Fixierung auf SAP bundesweit zentral gesteuert? Diese Fragen harren noch der Erforschung.

Bekannt ist dagegen, dass viele Universitäten immer noch auf SAP-Programme umstellen beziehungsweise versuchen, dies zu tun. Bekannt ist auch, dass viele Universitäten die gleichen Probleme haben und hatten wie wir. Dennoch muss jede Universität das Rad wieder neu erfinden. Keine Universität lernt von der anderen, dass die SAP-Programme nicht für die Uni taugen. Keine Universität übernimmt die überarbeiteten Programme einer anderen Universität.

SAP Programme wurden für Unternehmen geschrieben, für produzierende Firmen wie Daimler, die eine Lagerverwaltung haben, die Ersatzteile produzieren und Dinge verkaufen. Eine Uni verkauft nichts und lagert auch keine Ersatzteile - zumindest nicht im Hauptberuf. Die Firma SAP hat verständlicherweise kein Interesse daran, extra an Universitätsverhältnisse angepasste Programme zu entwickeln, denn das kostet sie Geld.

Also dreht sie den Universitäten die Firmenprogramme an, die dann angepasst werden müssen. Die Anpassung kostet auch Geld, aber es ist das Geld der Universitäten. So wird jede Universität aufs neue ausgebeutet. Auf ihren knappen Ressourcen blüht SAP. Übrigens sitzt auch den Firmen der Wirtschaft ständig einen Trupp von hochbezahlten SAP-Fachleuten im Pelz, die Teile der Programme an neue Gesetze oder Modelle anpassen.

Schauen wir noch einmal auf die Informationen des MWK im Musterländle:

„Durch die Kosten- und Leistungsrechnung wird diese notwendige Transparenz geschaffen. Darüber hinaus ermöglicht sie in Form von Benchmarkings den hochschulübergreifenden Vergleich. Die Kosten- und Leistungsrechnung ist an den Hochschulen bereits erfolgreich eingeführt worden. Die ersten Ergebnisse werden derzeit evaluiert. Hierauf aufbauend wird ein mehrstufiges Controlling-System entwickelt, das der Darstellung der vereinbarten Leistungen und Ziele dienen wird.

Zur Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung an den Hochschulen und den Berufsakademien hat die „Lenkungsgruppe zur Einführung der NSI im MWK” am 11. September 2003 das KLR-Fachkonzept verabschiedet. Eine überarbeitete Version wurde am 21. März 2006 von der AG Fachkonzept beschlossen. Diese Version kann über den nebenstehenden Link „Informationsmaterial” heruntergeladen werden.”

Da bleibt einem vor Ehrfurcht der lose Mund offen stehen: Benchmarkings, Controlling-System, Lenkungsgruppe, KLR-Fachkonzept... Ja, diese Behörde ist hyperultramodern, da sollten wir uns mal eine Scheibe abschneiden. Andererseits fragt man sich, was wohl der Satz bedeutet:

„Die Kosten- und Leistungsrechnung ist an den Hochschulen bereits erfolgreich eingeführt worden.” Soll das heißen, dass an den Hochschulen bereits ein Rechnungswesen existiert, das den Ansprüchen der Landesregierung genügt? Oder will uns das MWK sagen, dass an den Hochschulen das SAP-System erfolgreich etabliert wurde? An meiner Hochschule ist das auf jeden Fall nicht der Fall.

Verzweifelte Unileitung

Die Verzweiflung der Verwaltung wird durch ein Rundschreiben der Universitätsleitung (Nr. 13/2007 vom 18.5.2007) deutlich, mit dem versucht werden soll, die Mitarbeiter zu trösten:

„...die Universität [...] ist seit dem 01.01.2007 Landesbetrieb nach §26 Landeshaushaltsordnung. Damit verbunden war die Einführung der kaufmännischen Buchführung mit Unterstützung des Systems mySAP ERP. Die Umstellungsarbeiten konnten leider nicht alle wie geplant zu Jahresbeginn umgesetzt werden. Es sind noch Nacharbeiten und Feineinstellungen durch SAP notwendig, die noch einige Zeit in Anspruch nehmen.”

Weiter heißt es abwiegelnd: „Das Kontoauskunftsystem kann ab sofort benutzt werden...” Diese Auskunft sieht so aus, dass im September 2007 die Universität plötzlich ein Guthaben von 1,3 Mrd € besaß. Am nächsten Tag war das Glück vorbei. Die Auskunft sieht so aus, dass in einem unregelmäßigen Zyklus, nein, eher nach einer Zufallsverteilung, Zahlen zwischen zehn und zehntausend und diese heute negativ, morgen positiv auf unserem Bildschirm flackern und Kontostände darstellen wollen.

Wir können nicht feststellen, wieviel Geld ausgegeben ist, wieviel wir noch haben, ob eine Rechnung schon angewiesen wurde oder irgendwo im SAP-Nirwana des Chaos in eine andere Dimension übergegangen ist. Wir erhalten die Information, es seien circa 10.000 € da, genauer kann es niemand schätzen, schriftlich schon gar nicht.

Nur gut, dass wir daran gewöhnt sind, eine doppelte Haushaltführung zu machen. So wissen wenigstens wir, was wir ausgegeben haben und wo wir weiter ganz doll sparen müssen. Aber wir wissen eben nicht, ob das Geld nun tatsächlich an die Lieferfirma gegangen ist. Die zentrale Kontenverwaltung der Universität weiß es leider auch nicht.

Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen, auch in den nächsten Jahren Mahnungen über Mahnungen zu erhalten, im Juni für Rechnungen vom November, zu Weihnachten für Rechnungen vom September...

Die Firmen drohen, uns nichts mehr zu liefern. Man kann das verstehen nach zehn Monaten Nichtbezahlens. In unserem Beruhigungsschreiben vom Mai sind die Kleinigkeiten aufgelistet, deren Behebung „in Bearbeitung durch SAP” ist. Zum Beispiel die Umbuchungen:

„Nicht alle universitätsinternen Umbuchungen erscheinen in der Kontoauskunft. Das bedeutet vom noch sichtbaren Budget sind schon Kosten abgebucht, die noch nicht zu sehen sind.” Ich glaube, das heißt, wir sehen noch, was noch nicht zu sehen ist. Oder sehen wir noch nicht? Was noch? Ach so. Noch nicht.

Und dann dieses:

„Bei dem Reiter „Budgetbelege” werden bei den Budgetbelegbuchungen die Texte in der Spalte Positionstexte noch nicht richtig ausgefüllt.” Heißt das, dass Reiter jetzt auch Positionstexte wie die Parteien tragen müssen? Unsinn, es geht um Budgetbelegbuchungen. Aber was ist das? Und was meinen die mit „Reiter”?

Zurück in die Freiheit

Ich glaube, dass allen, aber auch wirklich allen – außer vielleicht SAP – geholfen wäre, wenn jede Abteilung oder Institut ihr Geld auf ein Konto bekäme und selbst verwaltet. Der Vorschlag ist nicht neu, ich hatte ihn schon vor ein paar Jahren hier gemacht (LJ 11/2003), und einige Institute und Gruppen wie das ZMBP in Tübingen praktizieren das auch erfolgreich.

Entweder man gibt den Universitäten die Freiheit, ihre Gelder selbst zu verwenden und traut ihnen dann auch zu, über deren Verwaltung selbst zu bestimmen. Oder man kontrolliert die Vergabe und pfeift auf die Freiheit. Aber wir sind in Deutschland: Man will Kontrolle unter dem Schein der Freiheit.

Das ist das gleiche Problem, das die Vergabe von Arbeitslosengeld und die Eintreibungen von Geldern durch die Steuerbehörden oder die GEZ so teuer macht. Niemand rechnet nach, was die Kontrolleure kosten, die die wenigen schwarzen Schafe identifizieren und zur Strecke bringen sollen. Die Unverhältnismäßigkeit der Mittel war schon immer ein deutsches Problem und eskaliert heute wieder einmal zu stinkenden Blüten.