Verzettelung

Axel Brennicke


Editorial

(01.12.2007) Kinderuniversität, Studium generale, Universitätsfeste und Jubiläumsfeiern für alle: Lobenswerte Veranstaltungen! Doch können wir uns das leisten in Zeiten sinkender Mittel und immer mehr Studenten?

Sollten wir uns nicht auf die eigentlichen Aufgaben der Universität konzentrieren, die Forschung und die Ausbildung von Studenten? Dann sollten wir einige Veranstaltungen auf ihre Notwendigkeit prüfen. Vor allem solche, die aus einem Katalog der Volkshochschule (VHS) zu stammen scheinen. Denn als Konkurrenzunternehmen zur VHS hat die Universität schlechte Karten.

Ihr fehlt die Erfahrung in der Ausrichtung von Kochrezeptaustauschbörsen und Reiseklubs, während die VHS dies zur hohen Kunst entwickelt haben. Die VHS hat die Deckmäntelchen von Sprachkursen perfektioniert. Sie mögen einwenden, dass ein wissenschaftlicher Kongress im Grunde auch nur eine mit Reiseklubs verbundene Kochrezeptaustauschbörse ist, und damit haben Sie recht. Aber diese Clubtreffen werden von einzelnen Köchen organisiert, nicht von der Universität.

Hat die Universität wirklich Veranstaltungen nötig wie: „Daoistische und buddhistische Meditations-, Qi- und Bewegungsübungen für Fortgeschrittene”, „Keramik: Dreh- und Aufbautechnik” oder „Experimentelle Malerei: Öl- und Acrylmalerei für Anfänger und Fortgeschrittene”? Fraglich ist auch, ob der „Kurs zum amtlichen Sportbootführerschein See (theoretischer und praktischer Teil)” unter dem Markenzeichen „Studium generale” richtig eingeordnet ist.

Editorial

Voller Merkwürdigkeiten ist auch das sogenannte „Fortbildungsprogramm”. In einer Glanzcover-Broschüre sind auf 52 Seiten Fortbildungsmöglichkeiten aufgelistet für „...alle Beschäftigten, deren Personalvertretung durch die Zentrale Universitätsverwaltung (ZUV) erfolgt”. Wird da etwa diskriminiert? Keineswegs, die fürsorgliche Universität denkt auch an die Anderen (wie mich?): „Anmeldungen von allen anderen Beschäftigten der Universität sind ebenso willkommen...”.

Und dann: „Die Teilnahme an den Kursen wird grundsätzlich auf die Arbeitszeit angerechnet.” Umso besser.

Yoga fürs Büro

Statt langweilige Vorlesungen zu halten, kann ich auch mal selbst was Frisches lernen! Man will ja nicht auf dem Stand von vorgestern stehen bleiben, sondern sich weiterbilden für unsere dynamische Gesellschaft. Wo habe ich Lücken und Nachholbedarf? Was ist am zukunftsträchtigsten? Vielleicht: „Zeitmanagement – Beruf und Familie”, „Bildbearbeitung fürs Internet”, „Die neue deutsche Rechtschreibung” oder „Innovativer Briefstil und ‚kundenorientierte’ Telefonate”. Das hier, das wäre doch was: „Konfliktmanagement ...” – ach nee, schade, leider doch nicht, ist bloß „...für Führungskräfte”. Da darf ich bestimmt nicht rein.

Ganz sicher nötig hätte ich dagegen „Fit for Job”. Was macht man da: „...Yogaübungen für den Rücken... Tiefenentspannungstechniken führen zum Abbau von Stresshormonen”. Aber was geschieht, wenn mich meine Doktoranden im Schneidersitz auf dem Schreibtisch erwischen? Oder gar der Dekan! Nicht auszudenken...

Vielleicht mach ich doch lieber „Nordic Walking auf dem Campus”? Oder „Leitern und Tritte”? Vielleicht sollte ich mein Englisch verbessern mit „English – easy talking” oder „English – intermediate”. Der „Referent” ist Guiseppe O’Bruadair, schon der Name ist toll. Speziell mit den Englischkursen liegt die Uni exakt auf dem Niveau der VHS. Hier wie dort werden endlos Kurse zu abgestuftem Englisch angeboten, zum Beispiel „Englisch Mittelstufe ½”. Auch „Nordic Walking” gibt es bei der VHS – und besser unterteilt als an der Uni, nämlich für Anfänger, Angefangene und Fortgegangene beziehungsweise -geschrittene.

Selbstverständlich bietet die VHS auch „Aquarell, Pastell, Acryl, Temperamalen”. Rückenschmerzen lassen sich sowohl an der Uni wie der VHS vielfältig erleichtern, vorsorgen, vorbeugen, lindern. Das Wort „fit” taucht in beiden Institutionen in vielen Zusammenhängen auf, mal mehr geistig, mal für den Alltag, mit Gymnastik, „Job”, „starke Frauen” oder „Mix”.

Krisenbewältigung

Man staune: Ein Kurs der VHS heißt tatsächlich „Authentisches QiGong” – vielleicht ist das an der Uni gar nicht authentisch? Auch hier ist die VHS professioneller und differenzierter, denn an der VHS gibt es auch „QiGong Vierjahreszeitenform”, mal für Anfänger oder Fortgeschrittene, mal „Tiger- und Drachen-Chi Gung”, mal „I ging an die Natur”. Nur das Bayerisch müssen die an der VHS noch üben.

Ganz heiß auch: „‚Da krisse die Krise’, Krisenerlebnisse und Krisenbewältigung im Fußball” (Uni Bochum).

Fachkundig geleitet von einer zur Suggestopädie und NLP-Practitioner ausgebildeten Mitarbeiterin einer Computer-AG, die nebenbei Gründerin und Geschäftsführerin der „moreOffice GmbH” ist, wird das Seminar „Work Life Balance” über „Eigene Wünsche erkennen” und „Aktivierung innerer Kraftquellen” an der LMU in München. Obwohl diese Uni Elite-Status hat, scheint es dort wenig kompetente Leute für so wichtige Themen zu geben. Seltsam.

Von undurchschaubarer Qualifikation ist dagegen die Leiterin des im Prinzip lobenswerten und wichtigen Seminars „Wissenschaftsjournalismus” an der Elite-Uni in Karlsruhe. Es handelt sich um eine Frau Doktor B., die von Uni-Mitarbeitern über 300 € für ein Wochenendseminar kassiert, von normalen Leuten über 400 €. Sie wird geführt als „Journalistin und Sprachwissenschaftlerin”. Journalistische Arbeiten hat sie vor Jahren mal bei der Schwetzinger Lokalzeitung und im Reformhauskurier gemacht, Aktuelles findet sich nicht im Netz, dafür scheint sie seit sieben Jahren von „Schreibtrainings” zu leben. Offensichtlich kann man (oder frau) hochkompetent für „Wissenschaftsjournalismus” sein, ohne je mehr gemacht zu haben als PR-Blahblah für einige Unis.

An der Uni Gießen gibt es sogar eine „Professur für Weiterbildung” und entsprechend hochkarätige Veranstaltungen wie „SAP R/3 EBP-HELF (elektronische Beschaffung) für Neueinsteiger”. Das ist sinnvoll. SAP funktioniert ja nicht für die Uni und deswegen ist SAP-Weiterbildung nötig – vermutlich in alle Ewigkeit. „Gender Mainstreaming” ist wahrscheinlich auch gut, obwohl ich nicht weiß, was das ist, ich hätte wohl doch einen einschlägigen Englischkurs belegen sollen.

Inhaltlose Komplexität

Apropos Sprache. In bestimmten Situationen hilft es, sich mit anderen Vertretern der eigenen Spezies verständigen zu können. Auch an der Universität ist die Fähigkeit nützlich, Informationen präzise zu formulieren und verständlich mitzuteilen. Zumindest manchmal. Nützlicher und innovativer ist allerdings die Fähigkeit, mit Sätzen maximaler Komplexität und minimaler Aussage ein Maximum an Eindruck zu schinden. Auch hier setzt die Universität Maßstäbe. Dies zumindest in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten, während manche Naturwissenschaftler in diesem Aspekt noch Defizite erkennen lassen. Deshalb ist es eine zu begrüßen-de Idee und Praxis, den Wissenschaftlern Sprach- und Sprechübungen anzubieten und ihre diesbezüglichen Fähigkeiten zu schulen.

So tat es vor kurzem auch die Universität in Graz: „Sprachfortbildung : Französisch für die Verwaltung (Sprachübungen für VerwalterInnen Montag und Dienstag)”, das ist voll in der Dienstzeit. Dagegen finden „Sprachübungen für Wissenschaftler Freitag und Samstag” statt. Für die teilnehmenden Wissenschaftler endet dann am Freitag Nachmittag die Dienstzeit schon 14.00 Uhr, dann beginnen die Sprachübungen. Und am Samstag versäumen sie ja sowieso nichts im Labor.

In Graz gibt es noch Weiterbildungsmöglichkeiten im internationalen Verkehr. So mit den Partneruniversitäten in Poitiers, Frankreich, und Little Rock, Arkansas. „Dienstreisen mit Eigenbeteiligung und [viel Freizeit- nein,] Rahmenprogramm” heißt das. Die Eigenbeteiligung sieht so aus: Poitiers: 31.8.-11.9.; Kosten 950 €; Zuschuss 550 €. Little Rock, Arkansas: 28.8.-18.9.; Kosten 1.960 €; Zuschuss 1.170 €. Wie man daran kommt: „TeilnehmerInnen aus dem administrativen Bereich bewerben sich mit einer kurzen Projektbeschreibung zu ausgewählten Themen aus ihrem Tätigkeitsbereich, die für sie selbst und ihre Einheit von besonderem Interesse sind. In diesem Fall ist geplant, den eigenen Tätigkeitsbereich an der Gastinstitution in einem Vortrag vorzustellen, in weiterer Folge einen Vergleich über Verwaltungsabläufe an der Universität Graz und der UALR zu erarbeiten und für einen Bericht vorzubereiten.”

Ach ja, das Rahmenprogramm zum Beispiel in Arkansas: „Das Programm bietet neben dem akademischen Aspekt die Möglichkeit, die amerikanische Kultur auf vielfältige Weise zu erkunden. So werden Exkursionen wie etwa nach Memphis und ein Besuch des Civil Rights Museums begleitend zum Programm angeboten. Abendveranstaltungen, Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Little Rock und Sportmöglichkeiten sind ebenfalls Bestand des Programms.”

Kein Wunder, dass die VHS über mangelnde Teilnehmerzahlen klagen, wenn ihr mit staatlicher Unterstützung, teilweise sogar mit Projektförderung (i.e. Drittmittel), Konkurrenz gemacht wird. Dies umso mehr, als sich die konkurrierenden Kochkursveranstalter sogar mit der Akkolade „Universität” schmücken können.

Was sollen wir denn tun, wird man einwenden, wenn im Rahmengesetz die „Weiterbildung” als eine der Aufgaben der Uni festgeschrieben ist? (Das ist sie übrigens auch für die VHS). Meine Antwort: Wir müssen die immer knapper werdenden Ressourcen (Zu den Zahlen siehe: Richard Münch „Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz.” Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2007) auf das Wichtige beschränken: Forschung und Lehre für die Studenten.

Für weitergehende Aufgaben gilt das Prinzip: Dienst nach Vorschrift. Konkret: Jeder, der möchte, darf sich als Gasthörer in die Vorlesungen setzen. Das ist auch Weiterbildung und das erlaubt auch jede Uni – und erfüllt damit die Vorschriften der Bürokraten. Praktika und Seminare dagegen, die Geld kosten, können nur gegen Erstattung der Unkosten geöffnet werden.

Zugegeben: Ich habe noch nie einen fort- und wegbildenden Kurs an der Uni besucht. Wer weiß, vielleicht sind die ja wirklich besser als die der guten alten VHS, bei der ich seinerzeit kurz nach dem Verlassen der Volksschule an einigen Veranstaltungen teilgenommen hatte...