Der akadämliche Mitarbeiter

Axel Brennicke


Editorial

(31.03.2008) Sie haben schon immer gewusst, dass Forschung an der Universität schwieriger ist als anderswo? Die letzte Erhöhung der Lehrverpflichtungen um 12,5 Prozent vor ein paar Jahren ließ Ihnen die Galle hochkochen? Sie haben gedacht: Und trotzdem! Wir werden es denen zeigen und dennoch gute Forschung machen? Damit ist es jetzt endgültig vorbei. Forschung an der deutschen Universität wird abgeschafft, indem man dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Forschungszeit stiehlt.

Das „Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich“ gibt die Losung aus: „Die Lehre gewinnt in steigendem Maß an Bedeutung…“. Was das bedeutet findet sich, versteckt in Klauseln und Kleingedrucktem, im Gesetzblatt vom 23.11.2007. Danach erhöht sich die Arbeitszeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Universitäten im Normalfall auf über hundert Wochenstunden – falls sie oder er Forschung machen will. Wie das? ät.

Lehrende Mitarbeiter

Bisher wurde der wissenschaftliche Nachwuchs als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ bezahlt. Bis zu seiner Promotion im familiengründungsfähigen Alter von 27 bis 30 Jahren erhielt er für gewöhnlich die Hälfte einer „wissenschaftlicher Mitarbeiter“-Stelle, danach eine ganze. Die Stellenbeschreibung „wissenschaftlicher Mitarbeiter/in“ wird jetzt ersetzt durch die famose „akademischer Mitarbeiter/in“. Nomen est Omen: Der Mitarbeiter soll nicht mehr wissenschaftlich arbeiten, sondern akademisch – er soll lehren.

Editorial

Wieviel lehren?

Artikel 7, § 1, (4) des obigen Gesetzes der Landesregierung Baden-Württemberg definiert den Normalfall für die Lehrverpflichtung: „...für einen akademischen Mitarbeiter…beträgt die Lehrverpflichtung 25 Lehrveranstaltungsstunden.“

Ja, Sie haben richtig gelesen: 25 Lehrveranstaltungsstunden!

Mit „25 Lehrveranstaltungsstunden“ kommt der akademische Mitarbeiter locker auf hundert Wochenarbeitsstunden, wenn er zusätzlich forschen und den Verwaltungswahnsinn erledigen soll. Dazu gleich mehr.

„25 Lehrveranstaltungsstunden“ bedeuten zudem eine Absenkung des Lehrniveaus der Universität auf das Niveau am Gymnasium oder darunter. Die Einstufung der Lehrqualität lässt sich einfach an den Lehrverpflichtungen der Lehrer in den diversen Schularten fest machen: So ist zum Beispiel in Bayern die Dressurveranstaltung an der Grundschule am wenigsten vorbereitungsintensiv und am leichtesten durchzuführen, so dass 29 Stunden unterrichtet werden können. An der Hauptschule sind es nur noch 28, an der Realschule noch 25 und am Gymnasium nur noch 24 Stunden. Dies gilt für eine Gesamtarbeitszeit für Lehrer von 42 Stunden, denn die Lehrer müssen sich ja auf ihre Unterrichtsstunden auch vorbereiten. Ähnlich ist es in fast allen Bundesländern. In Sachsen sind es 27 Stunden an der Grundschule, Hauptschulen gibt es nicht, an der Realschule sind es wie am Gymnasium 25 Dompteurstunden bei einer Arbeitszeit von insgesamt 40 Stunden in der Woche.

Mit 25 Stunden Lehrverpflichtung sind die Lehrer an Gymnasien in Baden-Württemberg für 41 Wochenstunden voll ausgelastet. Der Schluss also: Das Niveau von Unterricht und Lehre an den Universitäten sinkt auf das Niveau von bayerischen Realschulen. Was auch immer unsere Politiker sagen und versprechen – Realschule statt Universität ist das, was sie tun.

Sinkendes Niveau

Das Niveau des naturwissenschaftlichen Unterrichts der Universitäten dürfte noch unter den einer Realschule sinken: In den Naturwissenschaften sind ja nicht nur theoretische Unterrichtsstunden abzudienen, die Studenten müssen zudem in praktischen Kursen wissenschaftliches Denken und Arbeiten erlernen.

Wenn nun unser akademischer Mitarbeiter zwei Nachmittage in der Woche ein Praktikum von jeweils fünf Stunden veranstaltet, so zählt dies nicht als zehn Pflichtstunden, sondern lediglich zur Hälfte. Zwei volle Nachmittage schlagen nur mit fünf Pflichtstunden zu Buche. Will der Hoffnungsträger unserer wissenschaftlichen Zukunft das Praktikum noch vorbereiten, zum Beispiel die Experimente durchprobieren, oder Gewebematerial für die Mikroskopie oder DNA für PCR Versuche beschaffen, so bleiben ihm dazu nur die schlaflosen Nächte.

Aber der akademische Mitarbeiter wird noch mehr geplagt. Da die Politik den Unterricht am liebsten vollständig über Studiengebühren finanzieren würde, verlangen die zahlenden Studenten (zu Recht), dass sie besser mit Materialien versorgt werden. Sie wünschen zum Beispiel ausgedruckte Anleitungen für die praktischen Experimente. Diese Anleitungen muss unser junger Dozent schreiben und herstellen, was wiederum nur in einer anderen Nacht möglich sein wird.

Dazu kommen die mit Bachelor und Master immer aufwendiger werdenden Klausuren. Sie müssen entworfen werden und dann außerhalb der und zusätzlich zur normalen Praktikumszeit geschrieben und in der nächtlichen Freizeit des akademischen Mitarbeiters korrigiert werden. So werden aus 25 „Lehrveranstaltungsstunden“ schnell 50 oder 60 Arbeitsstunden, je nach Wissen und Gewissen des akademischen Mitarbeiters.

Lehrer, die 41-42 Wochenarbeitstunden ableisten, sollen oft unter „Burn-out“-Syndromen leiden. Für unseren akademischen Mitarbeiter fängt nach 60 Arbeitsstunden die Arbeit erst richtig an: Jetzt soll er forschen ... Aber wann eigentlich? In den Praktikumspausen? Es können nur die Wochenenden inklusive der Nächte gemeint sein, denn wer forscht, muss dran bleiben, Versuche ansetzen, die wiederum Termine setzen: Forschen ist keine Tätigkeit, die einen Dienstplan verträgt.

Vielleicht machen sich die Ministerialbeamten einmal klar, dass die Woche insgesamt nur 168 Stunden hat und die Leute auch schlafen und einkaufen müssen. Zudem sollten sie es sich abgewöhnen, den wissenschaftlichen Nachwuchs für dämlich zu halten, denn dämlich ist, wer sich auf solche Arbeitsbedingungen einlässt.

Forscher ohne Zeit

Den neuen „akademischen Mitarbeitern“ 25 Lehrveranstaltungsstunden aufzubrummen bedeutet, ihnen die Forschung unmöglich zu machen. Werden die wissenschaftlichen Mitarbeiter vollständig durch akademische ersetzt, geht die universitäre Forschung perdu. Darunter leiden dann auch die Max-Planck-Institute, die Helmholtz-Gesellschaft und die Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft – die ganze deutsche Wissenschaft.

Und die deutsche Wirtschaft. Der Nachschub an fähigen Forschern, auf den sie angewiesen sind, trocknet aus. Denn wie soll eine Universität wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden, wenn sie keine Forschung betreiben kann? Wenn es stimmt, was die Politiker gebetsmühlenartig wiederholen, in unserer Wissensgesellschaft seien Wissenschaft und Forschung unerlässlich für die weitere Entwicklung, dann haben sie mit dem akademischen Mitarbeiter den Totengräber für diese Entwicklung bestellt.

Noch einmal zurück zu den 25 „Lehrveranstaltungsstunden“ pro Woche, der Norm für die akademischen Mitarbeiter. Wir sind im Gesetz von ganz vorne nach hinten in das Kleingedruckte gesprungen. Dazwischen steht aber auch noch was. So ist in Artikel 7 der Paragraph 1 neu formuliert, der den „Umfang der dienstrechtlichen Lehrverpflichtung“ definiert. Hier werden die Lehrverpflichtungen für die akademischen Mitarbeiter unter Punkt 5 aufgesplittet. Es gibt vier Kategorien. Akademische Mitarbeiter, die „ihre Dienstleistungen

a) zu gleichen Anteilen in Forschung und Lehre erbringen, müssen 7 bis 13 Lehrveranstaltungsstunden abhalten,

b) überwiegend im Bereich der Forschung erbringen, 5 bis 12 Lehrveranstaltungsstunden,

c) überwiegend im Bereich der Lehre erbringen, 13 bis 19 Lehrveranstaltungsstunden,“

d) „ausschließlich im Bereich der Lehre erbringen, 20-25 Lehrveranstaltungsstunden“.

Letzteres ist der schon besprochene Normalfall. Der Punkt ist: Im Kleingedruckten ist der Normalfall eindeutig mit 25 Lehrveranstaltungsstunden definiert. Die Freiheitsgrade von 5 Unterrichtsstunden fielen also unter den Tisch. Das gleiche dürfte mit den Freiheitsgraden der anderen Kategorien von akademischen Mitarbeitern geschehen.

Zudem müssen diese aktiv von den einzelnen Instituten innerhalb von zwei Jahren konkret neu festgelegt werden, sonst werden sie automatisch in die Stufe Normalfall 25 „Lehrveranstaltungsstunden“ eingruppiert. Es ist also ein „Trend zum Normalfall“ einprogrammiert.

Nun könnte man die neuen akademischen Mitarbeiter überwiegend unter a) oder gar b) eingruppieren, dann ändert sich wenig im Vergleich zu dem früheren akademischen Rat. Doch liegen mit Sicherheit schon Pläne in den Schubladen der Ministerien, die vielleicht unter dem Deckmäntelchen von Ausführungsbestimmungen, oder als Ergänzungsbestimmungen in Kraft treten.

Diese Pläne legen Kontingente fest. Zum Beispiel neunzig Prozent aller akademischen Mitarbeiter an einer normalen Universität seien als ‚normal’ und mit 25 Wochenstunden Lehre einzustufen. Falls – wie abzusehen – wieder einmal mehr Studenten kommen, werden diese Kontingente erhöht und die Real-Universität kann auch die neuen schlucken – ohne zusätzliche Kosten.

Kostenbekömmliche Gesetze

Apropos zusätzliche Kosten: Im Entwurf dieses Gesetzes vom 9.7.2007 wurde es dem Parlament als kostenbekömmlich angedient. Dort findet sich auf Seite 4 der Punkt „D. Kosten für die öffentlichen Haushalte: die finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte sind kostenneutral.“ Das heißt natürlich, dass für die Einführung dieser Maßnahmen und die Umstellungen der Verwaltung kein einziger Euro extra zur Verfügung gestellt wird. Die Universitäten müssen dies aus eigener Kraft neben dem normalen Haushalt bewerkstelligen.

Lassen Sie uns den Ausnahmefall eines akademischen Mitarbeiters betrachten, der „überwiegend im Bereich der Forschung“ seine Dienstverpflichtung finden soll. Dieser solle nebenher „5 bis 12 Lehrveranstaltungsstunden“ erbringen, (im Klartext: er macht 12 Stunden Lehre). Bei einer Vollzeitbeschäftigung eines Gymnasiallehrers in Bayern mit 24 Unterrichtsstunden bei 42 Wochenstunden Arbeitszeit sind diese 12 Stunden Lehre exakt fünfzig Prozent der Wochenarbeitszeit.

Gut, das Gesetz gilt erst in Baden-Württemberg. Hier dressiert ein Gymnasiallehrer 25 Stunden in der Woche. Damit entsprechen 12 Stunden Lehre 48 Prozent der gesamten Arbeitszeit. Damit ist tatsächlich der Wortlaut erfüllt, dass in Baden-Württemberg ein Mitarbeiter, der seine Dienstverpflichtung überwiegend im Bereich der Forschung findet, über die Hälfte seiner Arbeitszeit – satte 52 Prozent! – forschen darf.

Leider wurde dabei vergessen, dass neben Forschung und Lehre die Bürokratie und die Kommunikation mit der hauptamtlichen Verwaltung fast ebenso viel Zeit kosten, wie für Forschung oder Lehre eingeplant werden können.

Die 52 Prozent können sich nur Leute ausgedacht haben, die selber noch nie geforscht haben und nicht wissen, was es dazu an Zeit und Energie braucht. Diese Leute scheinen auch wenig von Forschung zu halten, viel aber von Planziffern und Dienstplänen. Das „Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich“ ist eine in Papier gewalzte schäbige Kleinlichkeit und eine Verhöhnung der Forschungsarbeit!

Außerdem: Welches Schicksal droht akademischen Mitarbeitern, die aus Drittmitteln bezahlt werden, so von der DFG? Die Arbeitsverträge mit diesen Mitarbeitern schließt die Universität ab. Befolgt diese die Gesetze der Föderalismusreform, werden die DFG-Gelder zu mindestens 48 Prozent in der Lehre verheizt. Ist das legal?

Alternativen: Keine

„Das ist ja nur ein Gesetz der Landesregierung Baden-Württemberg!“, denken Sie jetzt schadenfroh. Aber in welchem Bundesland Sie auch immer sitzen, es wird auch Sie treffen. Explizit betont das Land Baden-Württemberg in dem Entwurf, dass dieses Gesetz eine Vorreiterrolle für die Gesetze in anderen Bundesländern zur „Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich“ spielen soll. Ist ja auch verständlich, dass zuerst im konservativen Baden-Württemberg ein solcher Gesetzesentwurf umgesetzt wird, wo der Obrigkeit treu und brav gehorcht wird und niemand an Aufmucken auch nur denkt.

Es wäre besser, offen zuzugeben, dass mit dieser Maßnahme die universitäre Forschung abgeschafft und die Universitäten zu Schulen degradiert werden sollen, die junge Leute auf das Arbeitsleben vorbereiten. Es wäre besser, dies auch im Namen der Institution zum Ausdruck zu bringen und die Bezeichnung „Universität“ durch „weiterführende Schule“ oder „neoakademische Schule“ zu ersetzen. Dann lägen wenigsten die Karten auf dem Tisch und man könnte darüber reden.

Auch hätte man den Eindruck, ernst genommen zu werden. So jedoch fühlt man sich als Verschiebungsmasse ohne Sinn und Verstand. Der Abschnitt C in der Präambel zum Entwurf dieses Gesetzes bringt dies auf den Punkt. Er formuliert die Freiheitsgrade der Universität und von uns Lehrern an den Hochschulen lakonisch mit: „C. Alternativen: Keine.“