Formulare auf die Bahre

Axel Brennicke


Editorial

(16.04.2008) 25 Stunden Lehre pro Woche kommen auf uns zu! In Baden-Württemberg ist das bereits Gesetz (siehe Laborjournal 3/2008). Schlimm genug. Aber es geht schlimmer. Das Gesetz ist ein weiterer Pflasterstein auf dem Weg zu einer zum Selbstzweck werdenden Bürokratie. So muss, wer seine Doktoranden und wissenschaftlichen (neu: akademischen) Mitarbeiter vor den 25 Semesterstunden schützen will, für jeden eine Begründung schreiben. Dazu gehört eine ausführliche Dienstaufgabenbeschreibung.

Lizenz zum Forschen

Das entsprechende Rundschreiben Nummer 23/2007 der Universität Ulm formuliert dies juristisch korrekt folgendermaßen: „Für vor Inkrafttreten des Gesetzes vorhandene wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrkräften mit besonderen Aufgaben sind die Dienstaufgabenbeschreibungen innerhalb von zwei Jahren zu erlassen.“

Die Rechtfertigung, warum ein „vorhandener“ wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Doktorand noch forschen soll, darf also nicht nur „erstellt“, sondern muss „erlassen“ werden. Natürlich kann nicht Hinz und Kunz erlassen, sondern: „die Einrichtungen sind daher gehalten, ab sofort für alle neu eingestellten akademischen Mitarbeiter Dienstaufgabenbeschreibungen… vom Fakultätsvorstand beziehungsweise vom Präsidium (für zentrale Einrichtungen) beschließen zu lassen“.

Editorial

Armer Fakultätsvorstand, armes Präsidium: Der Fakultätsvorstand, sprich der Dekan und die Prodekane, muss für jeden Doktoranden, der neu eingestellt wird, die Dienstaufgabenbeschreibung beschließen und erlassen. Selbstverständlich ist das in den Sitzungen des Fakultätsvorstandes zu besprechen, zu protokollieren und zu dokumentieren.

Die Zeit dieser Herren mag nicht viel wert sein, aber das Papier, das dabei verschrieben wird! Und das Holz, das für das Papier zermahlen wird! Das fehlt der Bioenergiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen.

Apropos zusätzliches Papier: Hier muss man die Verwaltung der Universität Ulm wieder lobend erwähnen. Sie hat ein Formular ausgearbeitet, das die Erstellung dieser Dienstaufgabenbeschreibung erleichtert. Es umfasst lediglich zwei DIN A4-Seiten statt der ursprünglich vorgesehenen fünf.

Allerdings lässt sich auch dieses Kurzformular noch kürzen. So die halbseitige Rubrik, die wissen will, was die akademischen Mitarbeiter während der vorlesungsfreien Zeit treiben. Davon will das Gesetz vom 23.11.2007 über die Föderalismusreform aber gar nichts wissen. „Schreibe nie, was nicht verlangt wird“, ist ein Grundgesetz im Umgang mit Behörden und Verwaltungen. Die Uni Ulm sollte sich daran halten.

Überhaupt ist die Frage nach der „Bezeichnung der Dienstaufgaben“ während der vorlesungsfreien Zeit müßig. Die meisten Dienstaufgaben sind nicht an die vorlesungsfreie Zeit gebunden, sondern können (und müssen) auch in der Vorlesungszeit erledigt werden. So die Betreuung von wissenschaftlichen Aufgaben, Öffentlichkeitsarbeit, Erarbeitung von Dienstgutachten, Mitarbeit bei Evaluationen oder eine hingebungsvolle „Betreuung von Kommissionen und Ausschüssen“.

Ein anderes Grundgesetz gilt für die Arbeit von Universitätsbehörden und -verwaltungen: Neue Gesetze bringen für die Universitäten und die akademischen Mitarbeiter schlechtere Arbeitsbedingungen und mehr Formulare.

Apropos Formulare.

Allein im Zentrum für Datenverarbeitung der Universität Tübingen gibt es 23 Antragsformulare zum Herunterladen – alle mit einem extra Deckblatt. Unüberschaubar wird die Formularflut im Zusammenhang mit Dienstreisen. Dies sowohl für den Reisenden als auch für die einladende Universität. Exakte Definitionen sind daher unverzichtbar. Der Begriff des Reisenden ist klar: ein Reisender ist einer, der reist. Aber was ist ein Dienstreisender? Zum Glück definiert die Uni Tübingen dies mit unnachahmlicher Präzision:

„Dienstreisende sind im Landesdienst stehende Hochschullehrerinnen und -lehrer, Beamtinnen und Beamte, Angestellte, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie wissenschaftliche Hilfskräfte, die eine Dienstreise oder einen Dienstgang durchführen.“

Dienstreise-Bürokratie

Aha, ein Dienstreisender ist also, wer eine Dienstreise tut. Für den Fall, dass dennoch Unklarheiten auftauchen, sagen die Tübinger zudem, wer kein Dienstreisender sei:

„Keine Dienstreisende sind: Honorarprofessorinnen und Honorarprofessoren, Privatdozentinnen und Privatdozenten, Lehrbeauftragte, Studierende, Stipendiatinnen und Stipendiaten, Diplomandinnen und Diplomanden, Doktorandinnen und Doktoranden (ausgenommen sie stehen als Angestellte oder wissenschaftliche Hilfskräfte im Landesdienst), Personen, die nicht bei der Universität Tübingen beschäftigt sind (z. B. Gastwissenschaftler) und Privatbedienstete von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern.“

Die Tagesmutter einer Hochschullehrerin macht also keine Dienstreise – gut zu wissen.

Erfüllt ein Mitarbeiter die Kriterien eines Dienstreisenden, so hat er vor dem Antritt der Dienstreise elf Pop-ups zu lesen und zu beachten. Die sind ebenso informativ wie erbauend. Zum Beispiel:

„Was versteht man unter „genehmigende Stelle“? Innerhalb der Fakultäten, Institute, Seminare, Sonderforschungsbereiche (SFB), Graduiertenkollegs sowie alle Einrichtungen, die Reisekostenmittel selbst bewirtschaften:

Leiter/Leiterinnen der jeweiligen Einrichtung (Dekan, Institutsdirektor, Seminardirektor, Projektleiter von SFB und Drittmittelprojekten). Diese Zuständigkeit kann delegiert werden, ist jedoch dann dem Sachgebiet Reisekosten mitzuteilen. Dienstreisegenehmigungen in eigener Sache sind jedoch unzulässig. Daher sind bei Personalunion die Dienstreisen des Dekans vom Prodekan, bei Instituts-, Seminardirektoren vom Dekan genehmigen zu lassen.“

Aha: Genehmigst Du mir eine Dienstreise, genehmige ich Dir eine. Aber nicht Du Dir oder ich mir. Ansonsten: Armer Dekan.

Hat man das ver- und ausgestanden und die Dienstreise überlebt, so kann man versuchen, das Geld für das Bahnticket zurückzubekommen. Hier gibt es zwei Fälle: erstens, man fährt auf eigenen Antrieb, und zweitens, man wurde eingeladen. Zum ersten Fall: Wir erkunden, wie man sich das DB-Ticket zum Beispiel vom eigenen DFG-Projekt erstatten lässt. Dazu braucht man das sogenannte Reisekostenerstattungsantragsformular und eine Menge Wissen.

Letzteres ist an der Uni Tübingen handlich aufbereitet und in insgesamt elf Pop-ups sauber gegliedert. Hier Auszüge aus einem der Elfen:

  1. „Es genügt, die Reisekostenrechnung beim Sachgebiet Reisekosten einfach vorzulegen (im Gegensatz zur Dienstreisegenehmigung, die die genehmigende Stelle in zweifacher Form benötigt). Bitte beachten Sie aber die institutseigenen Abläufe, die teilweise die Vorlage in zweifacher Form erfordern.“
    Was denn nun, ein-, zwei- oder dreifach? Teilweise oder insgesamt?
  2. „Bitte stellen Sie den tatsächlichen Verlauf der Dienstreise nach Kalendertagen getrennt dar und geben Sie die Dauer des Dienstgeschäftes für jeden Geschäftsort bzw. Reisetag an.“
    Womöglich stellt da jemand einen fiktiven Verlauf dar, Forscher besitzen ja eine unbegrenzte Phantasie, oder vergisst die Dauer eines Geschäftes.
  3. „Trennen Sie die dienstlich gefahrenen Wegstrecken zum Geschäftsort und zurück und Wegstrecken für Fahrten am Geschäftsort.“
    Wehe dem, der die Kilometer zusammen angibt!
  4. „Legen Sie Ihre Reisekostenrechnung demjenigen vor, der Ihren Dienstreiseantrag abgezeichnet hat und lassen Sie Ihre Angaben von diesem Vorgesetzten bestätigen.“
    Der Vorgesetzte hat ja sonst nichts zu tun und könnte sich langweilen!
  5. „Fügen Sie der Reisekostenrechnung diejenigen Belege bei (Fahrtausweise, Parkscheine, Eintrittskarten etc.), für die Sie Aufwendungen geltend machen und für die keine pauschale Abfindung gewährt wird (z. B. Tage- und Übernachtungsgeld). Der Reisekostenrechnung ist ebenfalls das Original der Dienstreisegenehmigung beizufügen.“

Ohne Original nur Qual.

Bitte nicht hämisch über Tübingen grinsen, die anderen sind nicht besser. Die Uni in Karlsruhe hat acht Formulare nur zu Dienstreisen entworfen.

Ähnlich kompliziert wie auf eigene (respektive DFG-) Kosten zu Kooperationen zu fahren ist es, einen Kollegen von einer anderen Universität einzuladen beziehungsweise eingeladen zu werden. Die guten Beispiele zuerst: Die Unis in Karlsruhe und Ulm rechnen Gastvorträge auf einer Seite ab. Das ist lobenswert.

Dagegen muss man an der Humboldt-Universität in Berlin für die Erstattung mickriger Reisekosten einen sechsseitigen Vertrag abschließen. Dies selbstverständlich auch dann, wenn dem Referenten kein Extra-Honorar versprochen wurde. Gibt es überhaupt noch Honorare in der Wissenschaft? Wir nehmen doch ohne Murren und Knurren jede Strapaze auf uns und kennen Geld nur noch vom Hörensagen! Honorare erhalten höchstens hochrangige Mediziner, denen andere hochrangige Mediziner Schmerzengeld dafür zahlen, dass sie im ICE stundenlang Hämorrhoiden bebrüten.

Na ja, zugegeben, manchmal wird doch ein „Honorar“ von exorbitanten 20 bis 60 Euro ausgeworfen: als Pauschale für U- oder S-Bahn-Tickets, für die Fahrt zum Bahnhof und der Parkbeule dort sowie für die sonstige Ergänzung der belegten Reisekosten. Der glorreiche Rest dieser 60 Euro mehrt dann das private Vermögen. Damit der Vortragende diese Einnahmen nicht nach Liechtenstein schafft, muss er der einladenden Uni sein Finanzamt und seine Steuernummer angeben.

Der Einladende wiederum muss per Unterschrift bestätigen, dass der Vortragende da war und wirklich einen Vortrag gehalten hat. Zudem muss der Vortragende unterschreiben, dass er versteht, dass „...kein arbeitsrechtliches Verhältnis begründet...“ wird (so das Klinikum der LMU München in der „Dienstleistungsvereinbarung für einmalige Leistungen“). Die Universität Leipzig dagegen legt dem Vortragenden einen mehrseitigen „Honorarvertrag“ vor, der „...ansonsten mit einer Frist von einem Monat zum Schluss eines Kalendermonats gekündigt werden...“ kann. Alles für einen Vortrag von 45 bis 60 Minuten.

Die Humboldt-Universität Berlin schießt mit ihrem sechsseitigen „Vertrag über einen Gastvortrag“ jedoch den Vogel ab. Dabei kommt die HU nicht einmal selbst für die Kosten auf, sondern die werden zum Beispiel aus DFG-Mitteln finanziert. In dem Vertragswerk ist der einladende Kollege „ ...vertreten durch den Präsidenten für diesen handelnd...“. Da schwellt dem Forscher die Brust.

Wie jeder ordentliche Vertrag so hat auch dieser eine Präambel: „Dieser Vertrag wird in deutscher und englischer Sprache ausgehändigt. Die englische Fassung ist eine Übersetzung der deutschen. In Zweifelsfällen ist von dem deutschen Wortlaut auszugehen.“ Das allerdings muss gerügt werden, es widerspricht dem angelsächsischen Zeitgeist: Maßgebend ist in Deutschland immer die englische Fassung (siehe Bachelor und Master).

Seniorvortragende

In „§ 1 Vertragsgegenstand“ steht unter anderem:

„(2) Der/die Gastvortragende ist verpflichtet, den Gastvortrag höchstpersönlich zu halten.“

In Berlin scheint es Sitte zu sein, sich Ersatzvortragende zu halten. Vermutlich sind sich dort die hochrangigen Mediziner zu schade dafür, selber zu sprechen. Sie schicken ihre Assistenten, buchen den Vortrag aber als Seniorvortragender für sich (analog zum Seniorautor).

„(3) Der/die Gastvortragende hält den Gastvortrag in eigener Verantwortung. Dabei hat er/sie zugleich die Interessen der Universität zu berücksichtigen. Er/sie unterliegt keinem Weisungs- und Direktionsrecht der Universität. Er/sie hat jedoch die Vorgaben der Universität soweit zu beachten, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordert.“

Ein Meisterwerk der Formulierungskunst! Einerseits hat der Vortragende die Interessen der Universität zu berücksichtigen, andererseits unterliegt er keinem Weisungsrecht. Er muss also Selbstzensur betreiben. Nur, woher kennt der Vortragende die Interessen der Universität? §1,3 könnte sich zum Eldorado für Juristen und Anwälte entwickeln.

Diese Vorgaben der HU Berlin werden in § 2A zur Sicherheit klargestellt:

„(3) Mit dem Honorar sind alle Aufwendungen des / der Gastvortragenden abgegolten.“

Das wird aber sofort wieder zurückgenommen:

„(4) Der/die Gastvortragende legt der Universität nach Durchführung der Veranstaltung eine Rechnung vor. Bei Umsatzsteuerpflicht des/der Gastvortragenden muss die Steuernummer bzw. Umsatzsteueridentifikationsnummer angegeben werden. Der Rechnungsbetrag ist zwei Wochen nach Eingang der prüfbaren Rechnung in der Universität zur Zahlung fällig.“

Dieser meisterlich konstruierte juristische Irrgarten, dieses an Doppelbödigkeit und Fluchtwegen kaum zu überbietende Paragraphensystem erstreckt sich wie gesagt über sechs Seiten. Ein Alptraum, der für sechs Euro verhindert, dass um sechs Cent betrogen wird.

Aber das wollen Sie sicher gar nicht wissen. Wissen wollen Sie, warum das alles so kompliziert sein muss und wohin das führt.

Wohin das führt, ist klar: Unsere Hauptbeschäftigung wird schnell aber sicher das Ausfüllen von Formularen, das Begründen, Protokollieren, Beisitzen und Vorsitzen. Lehre findet nur noch am Rande statt und Forschen ist unerhört. Es entwickelt sich ein sich selbst beschäftigendes System, getrieben von Steuergeldern, dessen nutzbarer Ausstoß für die Gesellschaft gegen Null tendiert.

Dem liegt eine Zwangsläufigkeit zugrunde. Ein Unternehmen, das nichts produziert und sich mit Verwaltungsmätzchen beschäftigt, geht früher oder später pleite und verschwindet. Nicht so die Universität. Die Steuermittel, die ihr zufließen, hängen nicht von ihrer Produktion ab – ausgebildete Studenten und publizierte Forschungsergebnisse – sondern hauptsächlich von ihrer Größe. Es gibt kaum Anreize, der Profilierungs- und Perfektionssucht ihrer Bürokraten Einhalt zu gebieten und das Gewicht auf das Wesentliche zu legen.

Im Laufe der Zeit organisieren sich die Abläufe daher – schleichend, unbewußt und in guter Absicht – zum Selbstzweck: Es entsteht ein Mechanismus in dem unzählige Rädchen und Federn, Kontrollen und Hemmungen ineinander greifen und am Ende nur bewirken, dass ein Kasper die Mütze zieht: Der Mechanismus läuft leer.