Kein Problem gibt es nicht!

Axel Brennicke


Editorial

(13.05.2008) Baden-Württemberg versucht sich auf das Jahr 2012 vorzubereiten. Auf dem Papier jedenfalls. Nötig wäre es, denn 2012 beginnt eine schon heute absehbare Katastrophe an den Universitäten, weil dann die doppelte Zahl von Abiturienten von den Gymnasien entlassen wird und entsprechend viele Studenten in die Universitäten strömen.

Duell um Studienplätze

Die doppelte Zahl von Studenten wird nicht nur ein Jahr an den Unis herumlungern, die Universitäten werden von 2012 bis mindestens 2017 in Studenten ertrinken. In dieser Zeit werden die Lernwilligen sich um Stehplätze in Hörsälen, um sekundengetaktete Blicke durch ein Mikroskop und um Parkplätze streiten. Die Unis können sich über jeden Studenten weniger freuen. Die verbleibenden Studenten auch.

Vielleicht sollte man Duellbahnen anlegen, auf denen die Studenten den Kampf um Praktikumsplätze austragen können. Immerhin gehörte das Fechten jahrhundertelang zur studentischen Tradition. Der Degen würde nicht nur das Vorrangproblem lösen, sondern auch die Studentenzahlen herabsetzen, wenn man auf Schutzanzüge verzichtet. Zudem tun die Studenten damit etwas für ihren Kreislauf und es käme zu einer Selektion der wendigsten und phantasievollsten. Die Verlierer bezögen eine Versehrtenrente und wären lebenslang versorgt. Ich sehe da nur Vorteile. Aber vermutlich wird diese elegante Lösung wieder mal ignoriert.

Editorial

Woher kommt die Studentenschwemme? Annette Schavan hat sich als Baden-Württembergische Kultusministerin profiliert, indem sie die gymnasiale Schulzeit von neun auf acht Jahre verkürzte. Als Lohn für diese zukunftsweisende Idee, die in Thüringen schon lange gilt und die vor vierzig Jahren in den alten Bundesländern als altmodisch abgeschafft wurde, wurde sie zur Herrin der Forschung in Deutschland ernannt: zur Bundeswissenschaftsministerin. Was qualifiziert Frau Schavan für diesen Job? Sie sitzt für meinen Wahlkreis Ulm und Alb-Donau im Bundestag. Die Kandidaten der CDU in diesem Wahlreis bekommen immer die Mehrheit, was aber keine Qualifikation für das Amt einer Wissenschaftsministerin ist.

Schavans Qualifikation

Immerhin, Frau Schavan hat nach einem Studium der Erziehungswissenschaften, Philosophie und katholischen Theologie promoviert. Die Arbeit mit dem Titel: „Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung.“ wurde sogar veröffentlicht: Im Verlag Rita G. Fischer, Frankfurt am Main, 1980. Das ist ein Bezahlverlag: Man schickt sein Manuskript, der Verlag macht daraus ein Buch und schickt dem Autor eine Rechnung. Das Buch wird also gedruckt, egal, wie bescheiden Thema, Inhalt und Sprache sind. Verkaufen muss man es selbst; dazu wohl auch die Werbung auf der Webseite http://annette-schavan.de.

Nach der Herausgabe dieser wichtigen Veröffentlichung hat Frau (nun Doktor) Schavan mehrere Jahre im bischöflichen Vikariat in Aachen und im Cusanuswerk der katholischen Kirche gearbeitet und sich als Abteilungsleiterin für irgendwas eingesetzt.

Mit dieser Vorbildung und Qualifikation äußert sich die Forschungsministerin zu Themen wie Stammzellenforschung, Embryonenschutz, genetisch veränderten Pflanzen, Nanotechnologie oder dem Einsatz von gentechnisch hergestelltem TNF-alpha und seinen Derivaten. Dies ist umso mehr zu bewundern, als normale Physiker, Chemiker, Biologen oder Biochemiker nach dem Abitur 10 bis 20 Jahre intensiver und qualifizierter Ausbildung benötigen, um diese Themen auch nur einigermaßen im Detail, in der Tiefe oder gar in ihren Auswirkungen verstehen zu können.

Schavans Erbe

Offensichtlich hat das Muschterländle Baden-Württemberg mit der genialen Frau Schavan einen herben Verlust erlitten. Was blieb zurück? Auch nichts Gutes. Dies zeigt der Katalog von Antworten auf Fragen (FAQ auf gut neudeutsch), der sich auf der Webseite des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur Baden-Württemberg zu dem Thema Hochschule 2012 findet (http://mwk.baden-wuerttemberg.de/themen/hochschulen/hochschule_2012/faqszuhochschule2012). FAQ sind bekanntlich jene Fragen, die die oder der Gefragte beantworten möchte. Sie dienen auch dazu, den Frager von Fragen, die man nicht beantworten möchte, abzulenken.

Bei den FAQ zur Uni 2012 wird festgestellt, dass bis 2012, also bereits vor dem doppelten Jahrgang, in Baden-Württemberg etwa 30% mehr Studienplätze notwendig sein werden. Das sind 16.000 Studenten mehr allein im Ländle. Die Zahl der Studenten werde danach angeblich langsam absinken, aber 2020 immer noch deutlich höher sein als heute. Es wird angemerkt, dass diese Zahl verlässlich sei, da sie an der unteren Grenze liege und wahrscheinlich eher nach oben korrigiert werden müsse. Verlässlich sei diese Zahl auch, da die zukünftigen Studenten bereits auf dem Gymnasium seien und man so leicht ausrechnen könne, wie viele Studenten an die Universitäten drücken werden.

Diese Verlässlichkeit kennt man: Alle Jahre wieder sind die einschlägigen Ministerien von den Schülerzahlen überrascht, auch wenn die Schüler schon lange vorher geboren wurden. An den Unis werden die Verwaltungen ebenso regelmäßig von den unvorhersehbaren Studentenzahlen schockiert, obwohl die Studenten noch viel länger vorher geboren wurden. Nein, die Zahlen sind nicht das Problem. Das Problem sind fehlende Planung, der Mangel an Aktivität und Investitionen, die dem Problem vorbeugen könnten.

Wie finanzieren?

Eine oft gestellte FAQ: Wer bezahlt diese zusätzlichen 16.000 Studienplätze? Die Berechnung des Ministeriums ergibt, dass 300 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich notwendig wären, um die steigenden Studentenzahlen auf dem bisherigen Niveau der Lehre abfertigen zu können. Nach der großzügig vorausschauenden Finanzplanung des Landes Baden-Württemberg, könne das Land maximal fünfzig Prozent davon aufbringen. Den Rest müsse die Bundesregierung zuschießen. Zwar sind nach der Föderalismusreform die Länder für die Bildung zuständig, aber in Berlin sitzt schließlich als Bundesministerin für Bildung, Forschung und Wissenschaft die Abgeordnete des Wahlkreises Ulm-Alb-Donau. Und die war vorher zehn Jahre lang Ministerin für Sport, Jugend und Kultus im Ländle und hat das Problem 2012 erst erschaffen. Das wird also schon klappen.

Nicht übersehen werden darf aber der Hinweis des Landes, dass sein Beitrag bis zu höchstens fünfzig Prozent gehen wird. Das bedeutet in der Realität, dass vielleicht fünf oder zehn Prozent dieser Summe tatsächlich vom Land zusätzlich aufgebracht werden. Den Rest werden mit Sicherheit die Universitäten ausschwitzen müssen.

Das steht schon explizit in den FAQ: „Es ist zwingend, dass die Hochschulen und Berufsakademien einen spürbaren Eigenbeitrag leisten, der in vielfältiger Form erbracht werden kann:…“ Die „vielfältige Form“ heißt ganz einfach „Mehrarbeit in der Lehre für alle an den Hochschulen“. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Richtig vermutet. Der Text geht genauso weiter, wie wir es in unseren Albträumen befürchtet haben: „In Frage kommen beispielsweise der Einsatz zusätzlicher Lehrpersonen mit hohem Lehrdeputat, die zeitweise Erhöhung der Lehrdeputate, …aber auch die verstärkte Einwerbung von Mitteln aus der regionalen Wirtschaft und von den Alumni.“

Unis werden zahlen müssen

Im Klartext: Die Unis sollen selbst sehen, wo sie das Geld herbekommen, um das Erbe der jetzigen Bundesministerin auszusitzen. Die „zeitweise Erhöhung der Lehrdeputate“ wurde vom Ministerium ebenfalls gut vorbereitet. Dazu hat es den akadämlichen Mitarbeiter aus der Taufe gehoben (LJ 3/2008).

Der „Einsatz zusätzlicher Lehrpersonen mit hohem Lehrdeputat“ ist nichts als heiße Luft, denn: Womit sollen die Unis diese Personen bezahlen, woher sollen diese Personen plötzlich kommen und wohin sollen sie nach ihrem Einsatz gehen? Wie naiv muss man sein, um zu denken, mit solch einer Planung eine auch nur halbwegs angemessene akademische Ausbildung (von Bildung reden nur Träumer) für die kommenden Studenten zu zaubern? Die Studentenflut kommt dennoch.

Was unternimmt die Landesregierung, um die selbst erzeugte Horde von wissbegierigen jungen Leuten angemessen auszubilden? Was wird investiert, um diese künftige Generation von Ingenieuren und Wissenschaftlern so gut vorzubereiten, dass sie unsere Renten erwirtschaften kann? Dazu findet sich nichts auf der Webseite der Landesregierung. Warum nicht? Weil sie nichts unternimmt. Das Problem wird totgeschwiegen. Um in 3-4 Jahren kompetent und erfolgreich Studenten unterrichten zu können, müssten jetzt akademische Lehrer geschult, eingestellt und eingearbeitet werden. Keine akadämlichen Mitarbeiter (LJ 3, 2008), sondern fähige und begeisterte wissenschaftliche Mitarbeiter der Universitäten müssen her. Jetzt. Nicht irgendwann. Und nicht vielleicht. Das aber würde Geld kosten und Geld ist keins da.

Bei den FAQ steht dazu lediglich nebulös zu lesen: „Welche Verbindlichkeiten haben die Vorschläge im Entwurf des Masterplans? Der vorgelegte Entwurf eines Masterplans bildet nicht den Abschluss einer Diskussion …, sondern den Beginn eines Dialogs, der kontinuierlich zur Konkretisierung der weiteren Ausbauschritte … fortgeführt werden muss.“

Alles klar? Klar ist, dass die Landesregierung nicht einmal etwas verspricht, am wenigsten Geld. Weiteres Palaver ist angesagt…dabei geht die Zeit rum und plötzlich ist 2012, na so etwas, wer hätte das gedacht, welche Überraschung, auf einmal so viele Studenten, was machen wir bloß?