Zur Soziologie des akademischen Abortes

Axel Brennicke


Editorial

(10.11.2008) Man findet sie in Uni-Instituten in jedem stillen Örtchen: Die wuchtigen Trommeln der Endlospapierspender. Sind auch Sie dem Irrtum aufgesessen, dass diese Packpapier enthalten? Axel Brennicke vermutet dahinter kühle Kalkulation.

Die Universität ist wie eine Stadt unterteilt in viele einzelne Ab-Orte und Örtlichkeiten. Meist sind sie verborgen hinter grell-orangenen oder grell-grünen Plastik- wänden. Diese dienen vermutlich der visuellen Betäubung. Doch spätestens nach dem Eintritt und dem langsamen Wiedererwachen der Sinne wird mit einem olfaktorischen Hammerschlag deutlich, dass auch modernste Technik und im Niedergang des 20. Jahrhunderts prämierte Baukunst nicht mit den menschlichen Ausscheidungen fertig wird.

Ein nichtsahnender Besucher der kleinen Uni-Kabinen stößt unsanft mit einem sperrigen grauen Kasten zusammen, der schätzungsweise 2-3 Kilometer gilb-graues einlagiges Packpapier enthält. Diese Konstruktion ist ein genialer Ausstoß der ständig planenden, sorgenden und verbessernden Universitätsverwaltung. Leider fehlt die ausführliche Gebrauchs- anweisung oder Handlungsvorschrift, und der Besucher sitzt ratlos daneben.

Wie bei großen wissenschaftlichen Fragen lauern ganz vorn die technischen Probleme. Nur mit akrobatischen Verrenkungen gelingt es, eine oder zwei Handspannen des „Packpapiers“ zu isolieren. Der ungeübte Besucher dürfte leicht Verzerrungen und Verstauchungen erleiden, aber als Professor hat man ja Übung in Verrenkungen jeglicher Art. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass die herausgefummelten Materialfetzen wohl doch kein Packpapier sind, das Format stimmt nicht, die Festigkeit ist mies und in diesen Kabinen gibt es auch nichts einzupacken. Handelt es sich etwa um die neuen Formulare des BMBF?

Editorial

Eine Schriftprobe mit dem Kugelschreiber zeigt, dass das Material für Schreibzwecke nur bedingt geeignet ist. Ist es Ersatz für das fehlende Klopapier? Für diesen naheliegenden Zweck ist es allerdings auch nicht besser zu gebrauchen: Die extrem raue Konsistenz des Materials und noch zu analysierende Parameter der Oberflächenstruktur führen bei direktem Körperkontakt zu Hautreizungen. Ob dies die zuständigen Sicherheitsorgane des öffentlichen Dienstes überprüft haben?

Der ungetestete, möglicherweise unzulässige Einsatz dieses Papiers in den semi-öffentlichen Aborten der höheren Lehranstalten kann zu volkswirtschaftlich nachhaltigen Schäden im öffentlichen Dienst führen. Schließlich nehmen an den Universitäten, wie bei jeder Behörde, Le- bensalter und der Anteil ausschließlich Sitzender Hand-in-Hand zu. Trotz der vorgeschriebenen fünfbeinigen, gepolsterten Rollstühle leidet also gerade diese Berufsgruppe an den Auswirkungen der Notbenutzung des obigen Zelluloseproduktes.

Es wäre angebracht, den grauen Kasten mit einer Anwendungsvorschrift zu versehen – schon um die zu erwartenden Regressansprüche wegen menschenunwürdiger Zumutungen bis hin zur Körperverletzung auf ein Minimum zu reduzieren – und dafür zu sorgen, dass zusätzlich zu dem endlosen Packpapier auch ausreichend Klopapier vorhanden ist.

Der Sinn und volkswirtschaftliche Nutzen des auf den fest installierten Mammutrollen aufgespulten Zelluloseprodukts erschließt sich durch ein Experiment: Bei Benetzung mit wässrigem Lösungsmittel behält die Zelluloseschicht ihre Konsistenz bei. Diese Eigenschaft ist von der vorausschauend planenden Universitätsbehörde sicherlich als Hilfe für das leidende Abwasserrohrsystem der Universitätsbauten aus dem letzten Jahrhundert gedacht. Die durch den reversiblen Eintritt in die Wasserphase in voller Breite starr und unauflösbar bleibenden Papierklumpen reinigen beim Spülen mechanisch, vielleicht auch chemisch, die Abwasserrohre. Von dieser Eigenschaft des Zelluloseproduktes rechnet sich die Verwaltung sicher einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen aus. Wahrscheinlich hat eine Kommission in langen Sitzungen die Auswirkungen auf die Rohrfreiheit systemisch erfasst.

Sicher gibt es weitere gewichtige Vorteile dieser Modernisierungsmaßnahme, schließlich wurde der Rohrreiniger von vielen zeichnungsberechtigten Stellen überdacht und abgenickt. Der erhebliche technische Aufwand bei Konstruktion und Befestigung des Rohrreinigungsklumpenspenders muss ja gegengerechnet werden, damit auch der Rechnungshof nickt.

So wie es aussieht, wurde allerdings die Streichung von Klopapier gegengerechnet. Vielleicht hat man hier über die nächsten Jahrzehnte sogar ein Plus projektiert, denn in der Verwaltung wird geflüstert, dass die einschlägigen Örtlichkeiten von knapp bemittelten Studenten wie auch von sparsamen Professoren mit leeren Rucksäcken und Taschen aufgesucht und mit ausgebeulten verlassen wurden.

Es ergibt sich also die Notwendigkeit, letzteres Verhaltensschema mit umge- kehrtem Vorzeichen zu versehen: Jeder Universitätsangehörige bringt in Zukunft sein eigenes Klopapier mit. Das hat den Vorteil, dass jeder seine Lieblingssorte benutzen kann. Zudem hat jeder auf seinem Schreibtisch eine Rolle stehen, mit der er Kaffeeflecken oder verschüttete Acrylamidlösungen beseitigen kann. Doktoranden, die bei entsprechend talentierten TAs einen Stein im Brett haben, bekommen zum Geburtstag gehäkelte Klopapiermützchen geschenkt.

Sozial bewusste Professoren werden zusätzlich zur Kaffeekasse eine Klopapierkasse einrichten, in die jeder nach Können, Ermessen und Bedarf einzahlt – eine Maßnahme, die sicher auch in anderen mehr oder weniger geschlossenen Einrichtungen der Universität einen Beitrag zum sozialen Frieden leisten kann.

Über solche einrichtungsinternen Zentralkassen lassen sich auch Einkaufsrabatte mit einschlägigen Lieferanten aushandeln, eine Übung, die im regelfreien Basar der Chemikalien- und Gerätebestellungen an den Universitäten vom Endverbraucher gar nicht oft genug geübt werden kann.

Kurzum: Wieder wird die Laborkultur von der Verwaltung bereichert.

Und damit noch kein Ende: Die Ingenieure und Planer der Bauämter haben bei der seit mehreren Jahrzehnten fälligen Grundsanierung endlich die beiden Waschbeckenleitungen für kaltes und warmes Wasser durch eine rein kalte Wasserleitung ersetzt. Zu Recht sind sie wohl der Ansicht, dass Studenten, Lehrer und Wissenschaftler keine Weicheier und Warmduscher sind.

Leider haben die Bauämter, sie sind vermutlich nur mit Männern besetzt, bei ihrer Gebäudesanierung die Studentinnen, Lehrerinnen und Professorinnen vergessen: Männer bekommen wieder drei Sitz- plus zwei Stehplätze, Damen wieder nur zwei Sitzplätze pro Anlage. Nun argumentieren die Bauämtler sicherlich, dass dies schon immer so gewesen sei. Damit mögen sie Recht haben und die Verteilung der Kabinenplätze mag für die Physik-, Natur- und Ingenieurswissenschaften vor 40 Jahren auch durchaus adäquat gewesen sein. Doch die Zeiten haben sich geändert und die Biologie hat heute unter den Studenten einen 70- bis 80-prozentigen Anteil junger Damen. 90 Prozent der TAs sind sowieso weiblich. Zugegeben, die wenigen Professoren sind noch überwiegend männlichen Geschlechts, aber diese Stellen werden immer weniger: Klomäßig und auch sonst spielen sie bald keine Rolle mehr.

Vielleicht war es den Herren vom Bauamt zu umständlich, die Steh-Gelegenheiten im alten Männerabort in Kabinen umzuwandeln oder einfach wegzulassen und diese Räume mit einem Schild „Damen“ zu versehen. Wo bleiben die Gleichstellungsbeauftragten bei diesen lebenswichtigen Fragen?

Apropos Gleichstellung: Bei den intensiven praktischen Recherchen zu diesem Forschungsbericht wird selbst bei diesen, das Allerletzte der Biologie des Menschen betreffenden Angelegenheiten die Zweiklassengesellschaft an der Universität deutlich. Weder auf die Hintern der Studiengebühren-zahlenden Studenten, noch auf die der Arbeiter in den Kernaufgaben der Universitäten – Forschung und Lehre – kommt es an. Mit Rücksicht und Schonung werden allein die der Univerwalter behandelt. Nur in den Örtchen der Verwaltung findet sich weiches und saugfähiges, auf Standardrollen aufgespultes doppellagiges Papier.

Zugegeben: Auch die Verwaltung verzichtet auf 9-lagiges Superluxuspapier mit Kamillenextrakt und Aloebeschichtung – aber immerhin, es ist überhaupt welches da. Ein Traum nach dem Albtraum in den Katakombenkabinen für Forschung, Lehre und Lernen.

Sie haben natürlich recht: Klopapier ist ein analfixiertes Symptom, aber ist eben ein solches und damit typisch für unsere Uni. Sogar diese hinterletzte Paraphernalie belegt die relative Bedeutung von Verwaltung gegenüber Forschung und Lehre, von Formularentwerfern und Kontrolleuren gegenüber Professoren und Studenten.