Genesen durch Spesen

Axel Brennicke


Editorial

(12.12.2008) Mal so richtig Kohle machen, nur durch Autofahren? Mal eine wirklich fette Rechnung schreiben? Davon kann der Otto-Normal-Professor nur träumen.

Winzige Einheiten sind es meistens, Mikroliter und Nanogramm, die Laborarbeiter alltäglich in Multiwells kleckern. Manchmal müssen sie aber auch klotzen: Zellkerne oder Mitochondrien aus saftigen Rinderlebern isolieren, Chloroplasten aus einem Pfund grüner Blätter aufreinigen oder Plasmide aus drei Litern Bakterienkulturen fischen. Unverzichtbar dabei: das Zentrifugieren. Man braucht große kühle Zentrifugen, die 100.000 g bringen oder sogar mehr.

Diese Geräte können ganz schön gefährlich werden. In München, so wird kolportiert, soll ein UZ-Rotor nicht nur die Schutzwanne, sondern auch die Wand durchschlagen haben.

Da ist es gut, wenn das Gesetz vorschreibt, dass UZs einmal im Jahr gewartet und vom TÜV abgenommen werden müssen. Nicht auszudenken, wenn solch ein Stück Titan den Professor im Nachbarzimmer erschlägt. Man bedenke das Genie, die Schaffenskraft und die Pensionsansprüche, die dadurch perdü gingen ...!

Editorial

Die TÜV-Abnahme-Vorschrift ist also sinnvoll. Leider kann man Zentrifugen nicht wie das Auto zum TÜV oder zu einem Konkurrenzunternehmen bringen und sich den günstigsten Anbieter aussuchen. Der TÜV muss ins Labor kommen. Diesen Service bieten die Zentrifugenhersteller natürlich gerne an. Zu Weihnachten schicken sie uns die sogenannte Servicepreisliste. Ein Blick auf diese Liste vertreibt uns dann jährlich jegliche Lust, Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Mit bleichem Gesicht und den roten Zahlen des Institutshaushalts im Kopf lesen wir: Kosten für die Arbeitszeit des Servicemitarbeiters pro Stunde: 168,00 €; für die Fahrzeit pro Stunde 168,00 €. Der erste Gedanke ist: Das kann nicht wahr sein. Und wie so oft ist der erste Gedanke richtig: Es ist nicht wahr.

Denn im Kleingedruckten steht: „Die oben genannten Preise verstehen sich netto, zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.“ Die Unsitte der wahrscheinlich illegalen Preisangabe ohne Mehrwertsteuer, wie sie die Chemikalienlieferanten praktizieren, haben sich auch die Gerätehersteller zu eigen gemacht.

Für den Service von Zentrifugen und die TÜV-Überprüfung errechnen sich also noch dickere Zahlen: Arbeitszeit pro Stunde: 199,92 €, und Fahrzeit pro Stunde: 199,92 €. Und das ist noch vergleichsweise billig! Denn die Firma weist auf Folgendes hin (zu Recht mit fettem Druck): Wenn in einer medizinischen Abteilung ein Notfall vorliegt und am Samstag oder Sonntag dringend eine Zentrifuge repariert werden muss, berechnet das Unternehmen an Samstagen 50 Prozent, an Sonn- und Feiertagen 100 Prozent Aufschlag auf die Stundensätze. Ach ja, nicht zu vergessen: Damit die Zentrifugenfirma sich nicht mit läppischen Beträgen unter 100 € abgeben muss, wird als kürzeste Arbeitszeit immer eine halbe Stunde berechnet.

200 € beziehungsweise 300 € beziehungsweise 400 € für eine Stunde Arbeit beziehungsweise für eine Stunde im Auto sitzen und zur Arbeit fahren, da kann man schon neidisch werden. Warum bin ich bloß ein läppischer Professor geworden?

Man kann nur hoffen, dass der Techniker schnell arbeitet, und die Zentrifuge nicht komplett zerlegen muss. Und eine Woche herumwerkeln muss. Selbst wenn der Techniker nur an Werktagen schraubte, kämen wir dann auf 8.000 €. Dies bringt uns zu dem interessanten Schluss, dass die Firma für den Techniker im Monat runde 32.000 € kassiert. Die bekommt natürlich nicht der Techniker, der ist ein netter normaler, meist wirklich kompetenter Mensch, der ohne Diener und Chauffeur mit seinem eigenen, betagten Kombi auf dem Hof rollt.

Das Geld muss also in der Firma und/oder im Finanzamt versacken, oder an die Aktionäre und Gesellschafter ausgezahlt werden. Ein heißer Tipp für jeden, der Geld für Aktien übrig hat: Kauft Zentrifugen-Papiere! Dies umso mehr, als die Firmen offensichtlich am unproduktiven Innendienst sparen. Fünfmal haben wir eine falsch adressierte Rechnung zurückgeschickt, bis endlich die „Medizinische Klinik“ durch die „Molekulare Botanik der Universität“ ersetzt war und die Rechnung bezahlt werden konnte. Doch wurde mit Augenmaß gespart: Mahnungen kommen schnell und zuverlässig. In der Mahnabteilung scheinen die Einnahmen effektiv angelegt worden zu sein.

Können wir also sparen? Nicht wirklich! Wer glaubt, er könne zwei Zentrifugen am gleichen Tag warten lassen und müsse dann die Fahrtzeit von München nach Ulm nur einmal zahlen, hat die Rechnung ohne den Zentrifugenbauer gemacht. Für die beiden an einem Tag gewarteten Zentrifugen benötigt der Techniker zusammen vielleicht eine, falls Teile ausgetauscht werden müssen, maximal zwei Stunden.

Mit dem Hinweis, dass es uns egal ist, wann diese Zentrifugen in diesem Jahr gewartet werden, dass diese Wartung mit weiteren Wartungen in anderen Abteilungen der Universität verbunden werden können und mit viel Gejammer, dass wir überhaupt arm sind, lässt sich nach einigem Herumtelefonieren die Zentrifugenfirma immerhin soweit erweichen, dass sie uns für jede Zentrifuge ausnahmsweise nur 160 € pro Anfahrt berechnet. Netto! Brutto wieder fast 200 €.

Ein kleines Rechenbeispiel: Bei einem Siebenstundentag und mit einer Anfahrt kann der Mechaniker an einer Uni im Schnitt locker sieben Maschinchen TÜV-überprüfen. Rechnen wir mal hoch: bei sieben Zentrifugen in Ulm kommen abgerechnete Reisespesen von 7 x 200 € = 1.400 € zusammen...

Was zahlen wir also regulär für eine Fahrt von München nach Ulm und zurück? (Für die Nicht-A8-Eingeweihten: Es sind circa 280 km hin und zurück plus 30 bis 60 Minuten Stau.) Die Uni bezahlt der Zentrifugenfirma für die Autofahrt den Technikerstundenlohn von 200 € pro Stunde, bei 3,5 Stunden insgesamt 700 €. Der Rest von 900 € sind die PKW-Kosten, pro gefahrenem Kilometer 3,25 €. Die stehen nämlich auch auf unserer Weihnachtspreisliste. 1.600 €! In Worten: eintausendsechshundert Euro.

Kein schlechter Stundenlohn für drei Stunden Autofahrt. Nicht einmal Fliegen ist schöner, obwohl sich die Firma von dem Geld locker einen Learjet leisten könnte, gerade auch weil der Techniker nicht im firmeneigenen Jet anreist.

Im Vergleich damit leben die Mitarbeiter der Universität von Wasser und Brot. Sie bekommen bei Dienstreisen für den Kilometer im eigenen Pkw 0,22 €. Dies aber auch nur bei stichhaltiger Begründung, sonst werden pro km nur 0,16 € erstattet. Beim Finanzamt werden pro Kilometer Dienstfahrt 0,30 € als Kosten angenommen, erstattet werden je nach Steuersatz um die 0,10 €.

Mal sehen, vielleicht haben wir ja noch Garantie drauf? Die Hersteller wissen, dass die Zentrifugen – auch bei normalem Gebrauch – schnell Macken entwickeln: Vakuumpumpen versagen, Dichtungen werden porös, der Motor läuft heiß oder die billigen Elektronik-Chips zeigen falsche (sic!) Fehlermeldungen an. Da die Firmen erst mit Reparatur- und Wartungsrechnungen so richtig Geld verdienen, sind sie daran interessiert, die Garantiezeit so kurz wie möglich halten. Dafür nutzen sie die speziellen Geschäftsbedingungen (das Kleingedruckte im Kaufvertrag der Zentrifuge). Danach läuft die Garantiezeit bereits nach 12 Monaten aus, manchmal noch schneller. Nachfragen bei der Rechtsabteilung der Universität ergeben, dass die gesetzlich europaweit vorgeschriebene Mindestgewährleistungsfrist von zwei Jahren durchaus unterschritten werden darf. Es muss nur beim Kauf der Zentrifuge in den Geschäftsbedingungen so festgelegt worden sein. Seltsam. Wenn das Gesetz so ohne weiteres ausgehebelt werden kann, warum hat man es dann überhaupt erlassen? Man könnte dann auch andere gesetzliche Vorschriften mit solch individuellen Absprachen an unsere Wünsche und unser finanzielles Wohlergehen anpassen: Steuerzahlen, Wehrpflicht, Höchstgeschwindigkeit.

Vielleicht sollte man sich ermannen und die 12 im Kaufvertrag streichen und mit der Zahl 36 ersetzen.

Man muss den Zentrifugenfirmen zugutehalten, dass sie sich doch auch Sorgen um das Wohl ihrer Kunden machen. Sie möchten nicht, dass wir uns unnötig über exorbitante Preise aufregen und dadurch Schaden an unserer Seele nehmen, ausgerechnet zur beschaulichen Weihnachtszeit. Sie bieten uns deshalb Wartungsverträge an. In diesen jährlich zu erneuernden Verträgen sind die normalen Wartungen und die TÜV-Abnahme sowie kleinere Reparaturen eingeschlossen. Letztere sind natürlich Definitionssache. Klar. Geregelt ist lediglich, dass „Generalüberholungen [...] bei keiner Vertragsart zum [...] Wartungsvertrags-Leistungsumfang gehören“.

Ein Wartungsvertrag kommt aber mit 2.050 € pro Jahr pro Zentrifuge nicht unbedingt billiger als kein Wartungsvertrag (siehe oben). Für das Geld erhält man zur Zeit gut 100 Gramm Barrengold, was gerade ausreicht, um sich daraus eine goldene Nase zu schmieden.

Ich bin eindeutig bei der falschen Firma!

Die logische Frage ist natürlich, warum gehen wir nicht einfach zur Konkurrenz? Ganz einfach, weil es sie nicht gibt. Die anderen Zentrifugenbauer nehmen die gleichen Preise. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.