Dissertationen

Axel Brennicke


Editorial

(09.09.2009) Drei Jahre haben Doktorandin oder Doktorand die wackeligen Stehhilfen am Labortisch gedrückt, Mikroliter um Mikroliter farbloser Wässerchen gemischt und versucht sich vorzustellen, was da vor sich geht. Wenn sie Erfolg haben, werden sie Mitautoren mehrerer Publikationen. Die werden an die schriftliche Zusammenfassung ihrer Arbeiten und Ergebnisse angeheftet und so Teile der Dissertation. Dies nennt sich kumulative Dissertation und diese wollen wir hier kumulieren und degoutieren.

Der Weg zur kumulativen Dissertation geht so: Die Arbeit wird begutachtet und akzeptiert. Darauf folgt die mündliche Prüfung, auch Verteidigung genannt. Ist die gut gelaufen, muss das Werk bei der Uni eingereicht und öffentlich zugänglich gemacht werden.

„Öffentlich“ bedeutete früher, 200 gedruckte Exemplare abzugeben. Sie pflegten in den Kellern der germanischen Uni-Bibliotheken zu Zellulose-Pulpe zu verrotten, um dann von den Botanischen Instituten als Dünger untergepflügt zu werden. Daher die nach immer höheren Höhen strebenden Bäume in den Botanischen Gärten, auch Kopfsalat gedieh nirgends besser. Das hat sich geändert. Heute gibt die Infoseite der Universität zur Veröffentlichung von Dissertationen folgende Hinweise:

Editorial

„Derzeit mögliche Abgabeformen für ... Dissertationen (alternativ): 15 Papierkopien (Medizin: 10 Papierkopien); 5 Papierkopien der Originalarbeit und Sonderdrucke bzw. hochwertige Kopien der Artikel (eingebunden in die Originalarbeit); 3 Verlags-Monographien; 5 Verlags-Monographien (Fak. für Ingenieurwissenschaften).

Bei Veröffentlichung auf dem Volltextserver [VTS]: 4 Papierkopien (bisher: 5), Abgabeerklärung (unterschrieben) (http://vts.uni-x.de/help/uebereinstimmungserklaerung.pdf) (Am PC ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und an die Hochschulschriftenstelle senden.). Außer bei den Verlags-Monographien müssen jeweils 2 der erforderlichen Papierkopien als Steifbroschur (Hardcover) mit Klebebindung abgegeben werden. Genauere Informationen sind von der Hochschulschriftenstelle der Bibliothek erhältlich.“

Lassen wir mal die Steifbroschur außen vor. Vergessen wir die Verlags-Monographien. Wir können also entweder 15 oder 5 Papierkopien abgeben, letzteres aber nur, wenn es „Artikel“ gibt, die mit eingebunden werden. Hier sind wir bei der oben erwähnten „kumulativen Dissertation“. Wer also ein Paper hat, spart sich zehn Exemplare; das kann viel Geld sein, mindestens eine Einladung zur Pizza mit zwei Gläsern Lambrusco. Wer den ganzen Text seiner Dissertation auf den „Volltextserver“ tut, spart noch mal ein Exemplar. Zudem ist die Dissertation online und damit angeblich für jedermann zugänglich.

Die Regeln zur kumulativen Dissertation sollten sich schnell finden lassen, auf der Webseite meiner Uni gibt es ja eine Suchmaschine. Doch sowohl „kumulative Promotion“ als auch „kumulative Dissertation“ liefern kumulativ: „Ihre Suche ergab keine Treffer.“ Schade.

Auf die E-Mail-Anfrage an die Abteilung „Hochschulschriften“ im „Kommunikationsund Informationszentrum der Universität“ kommt eine „kurze“ Anleitung mit einem „kurzen Lehrfilm zum Upload auf den Volltextserver: http://www.bibliothek.uni-x.de/documents/ilias/vts1. html“ und dem Hinweis: „Zusätzlich zum Upload Ihrer Dissertation im PDF-Format erhalten wir noch ... die handschriftlich unterschriebene _*„Abgabeerklärung“*_: http://vts.uni-x.de/help/uebereinstimmungserklaerung.pdf. Mit der Abgabe der _*„Abgabeerklärung“*_ akzeptieren Sie gleichzeitig auch den Autorenvertrag für Prüfungsarbeiten...“

Was sagt dies dem armen, bisher glücklichen Doktoranden? Dass das Hochladen einer PDF-Datei auf einen Server irre kompliziert ist! Wozu sonst bräuchte es einen Lehrfilm?

Lohnt es sich denn wenigstens? Gucken wir uns an, was auf diesem „VTS“ zu finden ist. Tatsächlich, da ist eine Dissertation von 2009, die gerade gestern auf den Server gestellt wurde. Aber dann kommt eine endlose Liste von veralteten „Research Papers“ und „Aufsätzen“, die alle schon mal veröffentlicht waren und anderswo im Internet zugänglich sind, aber an der Uni offensichtlich noch mal eingespielt wurden. Die meisten „Research Papers“ sind so um die zwanzig Jahre alt, ein „Aufsatz“ stammt sogar aus dem Jahre 1977. Klickt man den an, steht oben: „Bitte zitieren Sie dieses Dokument als URL: http://vts.uni-x.de/doc.asp?id=6948, URN: urn:nbn:de:bsz:289-vts-69488, Erstveröffentlichung in Die Naturwissenschaften 64 (1977), S. xx - xy, Peer reviewed postprint“.

Was mag das wohl sein, ein „Peer reviewed postprint“? Ein begutachteter Nachdruck? Hat schon mal jemand ein publiziertes Paper für eine Photokopie noch einmal begutachtet? (Sollte man vielleicht, ich erinnere mich an etliche Paper von Marion Brach und Friedhelm Herrmann, bei denen dies zu Aufsehen erregenden Erkenntnissen führte).

Interessiert sich etwa jemand für diese Uralt-Klamotte? Möchten Sie Ihre jugendfrische Dissertation, das Werk, dem Sie Ihre Handgelenksverkrümmung verdanken, neben diesen alten Gilbblättern kümmern sehen?

Wohlgemerkt, ein Aufsatz ist nicht schlechter dadurch, dass er alt ist, meine Papers von seinerzeit sind auch ausnahmsvoll top. Man fragt sich nur, welcher Mitarbeiter der Uni auf die Idee kommt, bereits veröffentlichte und im Internet zugängliche Papers noch mal auf den VTS zu stellen. Zumal das Rechenzentrum klagt, dass die Speicherkapazität knapp werde. Man wundert sich, wie viel Zeit manche Leute an der Uni haben ...

Zurück zum Thema. Wir wollen gedruckte Dissertationen, sprich Geld, sparen und unsere Ergebnisse auf dem VTS der Welt, die darauf wartet, verfügbar machen.

Stand da nicht etwas mit „die handschriftlich unterschriebene _*„Abgabeerklärung“*_“? Wozu dienen wohl die _*„ und die “*_ ? Wir wissen es nicht, klar ist nur, es hat nichts mit Abgasklärung zu tun. Aber der Spruch „Mit der Abgabe der _*„Abgabeerklärung“*_ akzeptieren Sie gleichzeitig auch den Autorenvertrag für Prüfungsarbeiten.“ – der klingt seltsam. Der klingt nach:

Sie haben sich vertraglich verpflichtet, als Autor für jede Seite Ihrer Arbeit 22,70 Euro an die Uni zu zahlen. Sie erklären sich mit den Bedingungen des Flatrate-Vertrages Superspar einverstanden und bekommen eine Heizdecke bester Qualität als kostenfreie Zugabe.

In der Tat stehen in der _*„Abgabeerklärung“*_ merkwürdige Sätze, die überdacht werden sollten:

„ ... Ich erkläre, dass von mir die urheber- und lizenzrechtliche Seite (Copyright) geklärt wurde und Rechte Dritter der Publikation nicht entgegenstehen. Dem „Veröffentlichungsvertrag für Prüfungsarbeiten mit der Universität X“ stimme ich hiermit ebenfalls zu ... Ich erkläre, dass das vorstehende Erklärungsformular von mir nicht verändert wurde.

Leider findet man den „Veröffentlichungsvertrag für Prüfungsarbeiten“ nicht über die Suchmaschine. Das Veränderungsverbot kann auch nicht eingehalten werden: Wenn man wie gewünscht seinen Namen einfügt und Kreuzchen macht, ändert sich das Formular, tauchen neue Zeilenumbrüche auf, wird über die Linien geschmaddert und dann klebt noch Schokolade drauf ...

Der Teufel aber sitzt im Satz mit dem Copyright.

Das Copyright für ein wissenschaftliches Paper liegt bei dem jeweiligen Verlag. Dies auch dann, wenn man 1.000 Euro als „Page charges“ an den Verlag abgedrückt hat.

Kumulative Dissertationen dürfen also nicht auf dem VTS veröffentlicht werden, weil darin ausdrücklich „eine oder mehrere substantielle Abhandlung(en), die in referierten internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht ... wurden, ... zusammengefasst werden“, und also in der Dissertation enthalten sind!

Das heißt: Nur Dissertationen mit unpublizierbaren Ergebnissen können auf dem VTS im Internet zugänglich gemacht werden, die besseren Arbeiten, die zu Veröffentlichungen geführt haben (sprich: alle kumulativen Arbeiten) muss man beschweigen.

Coole Sache, so ein Volltextserver. Endlich wurde das dritte Rad am Karren im Schlamm erfunden.

Ich habe mir dann doch den „kurzen Lehrfilm zum Upload auf den Volltextserver“ angeguckt. Er erklärt auf schwäbisch, der Sprache Schillers und Uhlands, was ein PDF ist. Dann schleift er mich durch trockene Upload-Steppen. Er zeigt sogar einen Link zu dem so verschämten „Vertrag“, leider zu kurz zum Mitschreiben. Auf das Problem mit dem Copyright geht das Filmchen nicht ein.

Anscheinend gibt es an meiner Uni eine Amateur-Abteilung mit (vermutlich) unkündbaren Planstellen für einen Vollzeit-Video-Amateur, einen Amateur-Juristen und einen Amateur-VTS-Steller. Oder jeweils mehrere.

Dafür wurden vermutlich einige Postdoc-Stellen gestrichen, damit frisch promovierte Wissenschaftler sich nach dem Uploaden auf Hartz IV einen faulen Lenz machen können und den Uni-Nebensachen-Betrieb nicht durch Forschung und Lehre stören.