Broschüreritis

Axel Brennicke


Editorial

(05.10.2009) Der Sommer locht und es gibt nur einen Lichtblick: Pünktlich, rechtzeitig zum Ende des Sommersemesters, kommt per Hauspost ein dicker Umschlag vom Präsidium der Universität. Darin liegt das Juli- Anschreiben des Präsidenten. Geschrieben in blau, blau wie der Himmel über dem Berg der Esel und ebenso voll mit heißflimmernder Luft. Doch da steckt noch was, der Jahresbericht: Vierfarbdruck, hochwertiges dickes Papier, DIN A4-Querformat, dezent matt. Entsprechend gewichtig kommen die 75 Seiten daher: 347 g bringen sie auf meine Küchenwaage. Zu schwer, um im Bett darunter einzuschlafen, aber gut in der Hand liegend.

Der Bericht erscheint laut Impressum mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren. Das entspricht 510 kg Papier, etwa einer Tonne gefällter und geschredderter Fichten und einem Wasserverbrauch von sieben Tonnen allein für die Papierherstellung. Ersteres würde für einen Scheiterhaufen reichen, wahlweise für missliebige Professoren oder Präsidenten, und letzteres die Putzeimer sämtlicher Putzfrauen der Universität für ein Jahr füllen.

Aber was empfiehlt der Präsident in seinem Beischreiben: „Wie in den vergangenen Jahren haben wir einen Großteil der Texte wieder zweisprachig angelegt – in der Hoffnung, dass sie den Jahresbericht auch bei Besuchen nicht deutschsprechender Gäste oder bei eigenen Aufenthalten im englischsprachigen Ausland verwenden werden. Bitte wenden Sie sich bei Bedarf an das Dezernat -1 (Abteilung Forschung, Entwicklung, Wirtschaftskontakte, Frau…)“ – übrigens schreibt der Duden „deutschsprechender“ als deutsch sprechender. Und ja, ich kann auch kleinlich sein.

Editorial

Ich soll also dieses 347 g schwere Teil bevorzugt ins englischsprachige Ausland schleppen. Ins Ausland fliege ich meistens in der Holzklasse auch solcher Fluglinien, bei denen ich für jedes Gepäckstück extra zahlen muss. Bereits zehn solcher Exemplare schlagen mit 3,5 kg auf mein schwaches Kreuz und bringen mich näher an die Frührente. Die einfachste und meinen Rücken schonendste Lösung ist daher: Ich drücke den Angelsachsen das Heft in die Hand und lasse sie es selbst ins Ausland schleppen. Diese geniale Idee stammt natürlich vom Präsidenten (siehe oben), den wir schon deswegen niemals auf einem Broschürenscheiterhaufen verbrennen sollten. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Besucher das Heft nicht im Handgepäck unterbringen kann und es im Hotelzimmer liegen lässt.

Warum sollte der Besuch aus den USA oder Tonga das Heft auch mitnehmen? Sie oder er ist ja an der Universität gewesen und hat alles gesehen, was ich gezeigt habe. Möchte der Besucher wirklich zu Hause nachlesen können, wie viele Beschäftigte die Universität hat? Ist es ihm wirklich wichtig, zu wissen, ob der neue Vorsitzende des allgemeinen Studentenausschusses Löckebömmel oder Heilmeier heißt? Ist er wirklich bereit, einen Gepäckszuschlag zu zahlen für Sätze wie: „An der Universität … ist ein vielfältiges Angebot an Aktivitäten für Schülerinnen und Schüler entstanden.“ Ein Angebot an Aktivitäten? Merkwürdige Formulierung, die in der Übersetzung ins Englische noch merkwürdiger wird: „At the University … a diverse offering for pupils has developed.

You are on the woodpath, wenn Sie denken, dass dieses bedeuten soll, was es heißt. Jedenfalls wohl nicht, dass den Schülern ein Opfer dargebracht werden soll – oder doch? Vielleicht zahlt der Besuch den Gepäckzuschlag ja doch, immerhin kann er sich so auf dem Flug amüsieren und den Kollegen zuhause zeigen, welch köstlichen Humor die Deutschen haben.

Dabei war das möglicherweise nicht lustig gemeint. Vielmehr scheint sich jemand die Mühe gemacht zu haben, in einem deutschen Englisch-Schulbuch aus den sechziger Jahren nachzublättern, wie nach Meinung des deutschen Verfassers der Begriff „Schüler“ ins damals schon altmodische Oxford-Englisch übersetzt wurde. Es muss ihm entgangen sein, dass „pupil“ auch damals nur für die kleinen Schüler verwendet wurde, also jene, die man noch über die Bank legte und mit dem Rohrstock versohlte.

Eigenartig wirkt auch das „has developed“. Hat sich da was von ganz alleine entwickelt? Vielleicht kann man diese Broschüre Englisch radebrechenden Schülern in Turkmenistan überreichen. Aber auch diese werden Schwierigkeiten haben, sich weitere Informationen im Internet zu besorgen („You can find more about them on the internet at www.Uni.de keyword „Schüler“), da sie sicherlich über keinen Umlaut auf der Tastatur verfügen, um den „Schüler“ zu suchen. Dennoch sind diese Uni-Angebote offensichtlich für Vorpubertäre gedacht, denn auf Deutsch und Pidgin-Englisch erscheint eine Rubrik mit „Uni für Schülerinnen und Schüler“ auf dem edlen Papier.

Warum aber sollten sich Schüler in englischsprachigen Ländern wie der Elfenbeinküste oder Surinam für das Kinderangebot einer deutschen Provinzuni interessieren? Ist eine Universität nicht für Studenten und eine Schule für Schüler zuständig? Nun, das „International Office“, das die Übersetzung fertigte, wird wissen was es tut, es weiß jedenfalls, wie man ein Wörterbuch benutzt: Der englische Text der Broschüre liest sich wie mit einem Wörterbuch auf dem Schoß übersetzt:

  • In the medical faculty 5 people (4 men and 1 woman) changed habilitation.“ Schön, dass es in der medizinischen Fakultät Leute gibt.
  • The research training group ... experienced success as well ...“ Wir gönnen dem Forschungstrainingslager den erfahrenen Erfolg, besser man erfährt Erfolg als …?
  • 198 individual advising sessions on the topic of study orientation were carried out ...“ Ein echter Hingucker, die 198 individuellen beratenden Sitzungen, da möchte der Englisch sprechende Ausländer gleich dabei sein.
  • „... were awarded with the state teaching award ...“ Immer gut, wenn man mit einer Auszeichnung ausgezeichnet wird.
  • This programme advocates the first appointing of female scientists to professors.“ Lobenswert, dass dieses Programm das erste Ernennen von weiblichen Wissenschaftlern zu Professoren anrät oder gar unterstützt, mit dem Ziel ...
  • „... for a continued increase in the percentage of women where they are underrepresented.“ ... einer weiteren Steigerung der Prozentzahl von Frauen, wo sie unterrepräsentiert sind.
  • „... the University ... commits itself to further measures of making more compatible career/studying and family.“ Dazu machte die Uni mehr verträglich Karriere/ Studium und Familie.

Der Jahresbericht ist der dickste, aber nicht der einzige Bericht, den eine durchschnittliche Universität auf den nicht vorhandenen Markt wirft. Zwar gibt es keine gedruckten Vorlesungsverzeichnisse mehr, die müssen sich Studierende im Internet zusammensuchen, doch dafür gibt es Programmhefte für das Studium Generale, der Botanischen Gärten, von Studienzentren – mal mit Kommentaren, mal ohne.

Des weiteren stellen sich die einzelnen Fächer vor, dann geben einzelne Abteilungen und Institute Broschüren heraus. Ein Haufen weiterer bunter Hochglanzheftchen dürfte mir entgangen sein, da man diese sofort bei Eintreffen oder nach einer einmonatigen Nutzung als Unterlage auf dem Kaffeetisch über den Altpapierweg in den Kreislauf aller Dinge zurückführt.

Die Krönung der Auslese ist ein ebenfalls auf edlem Papier durchgehend im Vierfarbdruck aufgelegtes Pamphlet über die Isotopenanwendung. Wenn es schon für die anderen Broschüren kaum einen Interessenten gibt, dies ist mit Sicherheit verschwendetes Steuergeld. Wer im Kontrollbereich einer Universität mit Radioaktivität arbeiten darf, muss Angestellter der Universität sein und einschlägige Erfahrung nachweisen. Fremde bekommen keinen Zugang. Alle aber, die in einem physikalischen, chemischen oder biologischen Labor an der Universität arbeiten, werden von ihren Betreuern zum Isotopenlabor geführt, den dortigen Mitarbeitern vorgestellt und von diesen eingewiesen.

Das Pamphlet hilft niemandem. Auch die Liste der Messgeräte, die im zentralen Isotopenlabor zur Verfügung stehen, ist überflüssig, da ein Student sich unter einem „Mikrobeta Plus für Filtermates und Lumaplate“ ein Frühstücksbuffet oder eine Campingausrüstung vorstellen oder einen Tri Carb 2200 CA mit einer Kaffeemaschine verwechseln könnte.

Wenn das zentrale Isotopenlabor ein S1-Labor für gentechnische und radioaktive Arbeiten anbietet, so ist Letzteres für ein Isotopen-Labor selbstverständlich, und Ersteres nicht ohne weiteres zu benutzen, da für ein S1-Labor zuerst einmal gemeldet werden muss, mit welchen gentechnisch veränderten Organismen dort wie umgegangen werden soll.

Was in der Broschüre dagegen fehlt, aber interessant wäre, ist eine Preisliste, da jedes Labor für jeden Handschlag der Isotopenanwendung dem Isotopenlabor Forschungsgelder überweisen muss. Wohl bemerkt, ein zentrales Isotopenlabor ist eine sinnvolle Einrichtung und die Mitarbeiter dort sind – jedenfalls in Ulm – hilfsbereit und freundlich. Vermutlich ist ihnen das Pamphlet auch kein Herzensanliegen, sondern von einer zentralen Stelle aufgedrückt worden.

All das wäre noch zu ertragen, all das könnte man schulterzuckend als Peanuts abhaken – mehr als 100.000 Euro wird es pro Jahr wohl kaum kosten und ob sich die Kollegen in Togo darob schief lachen, ist mir gleich – auf all das könnte man also gedankenlos seine tropfende Kaffeetasse abstellen. Allein, da sind noch die selbstbeweihräuchernden Zweimonatsblättchen mit ihren Interna und Lobhudeleien. Die sind unerträglich. Da wird die Milch im Kaffee sauer.