Postdoc-Schwemme

Axel Brennicke


Editorial

(26.03.2010) Unregelmäßig flattern bunt gedruckte Werbeplakate über die Schreibtische der Professoren in unserem Land. Jährlich werden es mehr. Alle bitten, aufgehängt zu werden. Meist in Ausländisch: „We kindly ask you to place the enclosed poster in a prominent location where it will attract the attention of students in life and natural sciences, engineering, informatics and medicine.“

Die penetrante Werbung um Doktoranden kommt zunehmend auch per E-Mail. Da soll ich die Poster sogar selbst ausdrucken und aufhängen, tunlichst in Farbe auf meinem alten Schwarz-Drucker.

Meist kommen die Poster mit dem Besonderen und brüsten sich mit „PhD Program“ oder „PhD Programme“ oder „Graduate School“. Die Gedankengänge der Verfasser müssen ähnlich dick mit Phrasen beschichtet sein wie die Hirnblutgefäße eines Atherosklerotikers mit Kalk: Die Texte strotzen von politisch opportunen Formulierungen, übergeschwappt wohl aus „Exzellenzinitiative“-Anträgen, die Titel machen schaudern. „Dresden International Graduate School for Biomedicine and Bioengeneering“ oder „Graduate School Life Science Munich: From Molecules to Systems“, heißt es da und man schüttelt sich. Oder erst die Bandwurmelegien wie „Helmholtz International Research School Translational Cardiovascular & Metabolic Medicine“ in Berlin. Zürich annonciert gleich eine schier endlose Liste von „Programs“, darunter „Biomedical Ethics and Law (medical track)“, „Integrative Molecular Medicine“ und „Systems Biology of Complex Diseases“. Was integrative molekulare Medizin sein soll, wissen wohl auch die Götter nicht, es klingt aber gut und wohl deshalb kam es bei der geldvergebenden Politik gut an und wurde durchgewunken. Glückwunsch, liebe Kollegen!

Editorial

Warum schickt man mir diese Plakate? Warum werden sie überhaupt gedruckt?

Das kann nur politische Vorgabe sein: die Antragsteller dieser „Graduate School Programmes“ müssen solche Amateurplakate verteilen, um an die Knete für die Doktorandenstellen zu kommen. Womöglich wird das von den Geldgebern der diversen exzellenten Initiativen auch kontrolliert.

Keiner meiner Kollegen wird so naiv sein zu glauben, dass ich diese Prospekte irgendwo aufhängen werde, schon gar nicht auf den schäbigen Toiletten, wo die Studenten Muße haben, sie zu lesen. Die Studenten, die wir im Studium und in aufwendigen Praktika an die Pipette geführt haben, soll ich an das „International PhD Programme“ in Madrid schicken? An das „International PhD Program in molecular life sciences“ in Wien oder das „International PhD Programme molecular cell biology“ am MDC Berlin?

Das tue ich nicht. Warum? Weil die meisten dieser Institute sich um Praktika mit 120 oder mehr Studenten drücken. Weil die keine Angst um ihre Mikropipetten, Robocycler oder Zentrifugen haben müssen. Weil an jedem Praktikums-Nachmittag mindestens ein solches Gerät zerlegt wird oder ich es für schlappe vierhundert Euro in die Reparatur schicken kann. Weil es mich ärgert, wenn das MDC mit dem doofen Spruch „Take Your First Step with Us!“ unterstellt, erst bei ihnen fange die wissenschaftliche Ausbildung an, und damit unsere Arbeit abwertet.

Die guten Studenten sehe ich gern in meinen Laboren oder wenigsten denen meiner Universität. Die Schlechten können in solche weiterbildenden Schulen gehen. Leider sind es die Pfiffigen, die auf die Phrasen hereinfallen, die glauben, hier würde ihnen eine Chance geboten. Wenn ich schon nicht verhindern kann, dass die von meiner Provinzuni verschwinden, dann bin ich doch nicht so blöd und weise sie auch noch darauf hin. Auch keiner meiner Kollegen hält mich für blöd – hoffe ich wenigstens – und daher sind diese Plakate Verschwendung. Die Absender hätten sich dafür besser eine PCR-Maschine oder Primer gekauft. Doch wahrscheinlich dürfen sie das nicht, siehe oben.

Ich kann gerade den guten Studenten von einer derartigen Graduiertenschule nur abraten. Sie sind dort in einer Schule! Sie haben wieder in Vorlesungen rumzuhocken. Sie werden in ein Korsett gepresst, das ursprünglich für die Angelsachsen gedacht war, die nach sechs Semestern Bachelor, von denen mindestens zwei notwendig sind, um unser Abitursniveau zu erreichen, in eine Graduiertenschule müssen, um auf unser Diplomniveau zu kommen. Die in Berlin, Wien, Zürich angepriesenen „Soft Skills“ sind für Leute, die mehr auf Laber als auf Labor stehen und helfen weder Wissenschaft noch WissenschaftlerIn.

Unser Studium ist besser: nach Diplom oder Master können Sie sich getrost in ein Labor stellen und pipettieren. Weitergebildet werden Sie durch Vorträge von Kollegen und anderen Gästen. Bei uns bekommt eine Doktorandin in einem DFG-Projekt brutto etwa 1.770 Euro, macht netto gut 1.100 Euro. Da sind Steuern und Soli sowie Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen abgezogen.

Die Bezahlung in den Graduiertenschulen dagegen ist mies. Es gibt fast nur Stipendien, bei denen jeder seine eigenen Versicherungen zahlen muss – und zwar beide Teile, Arbeitgeber und -nehmer. Die „International Max Planck Research School on the Life Course“ in Berlin (komischer Name, nicht wahr?) gibt ein Stipendium von 1100 Euro, davon gehen die Versicherungen ab, ob die Arbeitslosenversicherung einen überhaupt nimmt, ist fraglich, lohnt auch nicht, und übrig bleibt dann fast gar nichts mehr. Zudem muss die DoktorandIn die paar Kröten selbst beantragen, nach zwei Jahren noch mal und nach sechs Monaten schon wieder. Die besser bezahlte DFG-Stelle dagegen muss der Chef oder die Chefin einwerben.

An anderen Schulen scheint es noch weniger Geld für die Studenten zu geben, denn sie schweigen sich darüber aus, wie bei der „Graduiertenschule Chemical Biology“ an der Uni Konstanz, der „Life Science Graduate School“ in Zürich oder der „Graduate School for Biological Sciences at the University of Cologne“. Das MPI für Pflanzenzüchtung in Köln hat es natürlich sowieso nicht nötig, zu sagen, wie seine Doktoranden über die Runden kommen sollen. Die „GLOMAR – Bremen International Graduate School for Marine Sciences“ ignoriert ebenfalls die monetären Fakten, verspricht nur Wischiwaschi „Support“ für Kinder und andere Nebensächlichkeiten. Die einzige Eurozahl (bis zu 500 pro Monat) unterstützt externe Doktoranden, die einmal direkt vor Ort in der trüben Nordseebrühe fischen wollen.

Graduiertenschulen sind also dazu da, die Mittel für Doktoranden zu kürzen und dennoch mehr Leistung heraus zu pressen. So sollen in Madrid die armen Doktoranden angekündigte vier Jahre knechten, statt wie bei uns nur drei Jahre ausgebeutet zu werden. Das wird dann auch noch als tolle Sache verkauft.

Die Graduiertenschulen kommen zudem der Faulheit der politischen Bürokratie entgegen: Man vergibt viel Geld in einer Ausschreibung und spart sich die Mühe, einzelne Projekte sowie Doktormütter und -väter zu prüfen, wie es die DFG vormacht. Die zeigt auch, wie das mit minimaler Bürokratie funktioniert. Aber hundert Einzelanträge über je eine Doktorandenstelle, das interessiert kein Lokalblättchen geschweige denn eine größere Zeitung und daher auch keinen Politiker. „PhD Schools“ sind werbewirksamer.

Sind sie auch zeitgemäß? Die Exzellenzinitiative und andere Geldverteilungskonglomerate schaffen eine Vielzahl von Doktorandenstellen. Gleichzeitig gibt es zu wenig Studenten, die die beschworenen Kriterien der Exzellenz einigermaßen erfüllen. Wer heutzutage eine Doktorarbeit schreiben will, hat also kein Problem, eine Stelle zu finden, die gerade so für Mensakarten, Zimmermiete, Fahrradöl und einen gelegentlichen Kinobesuch reicht. Nach drei oder vier Jahren ist der Doktor fertig und die Suche nach einer Stelle mit richtiger Bezahlung beginnt.

Selbst auf „International PhD Schools“ werden einige der Doktoranden gelernt haben, exzellente wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Einigen macht das Spaß und sie würden auch gerne unterrichten und an der Universität bleiben. Das aber ist unmöglich. Die großkotzigen Exzellenzinitiativen und andere befristete Fördermaßnahmen können den Schwund an Wissenschaftlerstellen an den Universitäten nicht mal halbwegs ausgleichen. Zwar gibt es inner- oder außerhalb von Clustern und Großprojekten oft noch Mittel für ein paar Postdoc-Stellen, aber die sind ausnahmslos auf wenige Jahre befristet. Danach stehen Sie im Regen. Schluss mit Forschung! Statt Katzenforschung zu treiben, haben Sie für die Katz geforscht.

Nach der Doktorarbeit sind Sie aber drei, vier oder fünf Jahre älter. Sie können zwar Wissenschaft machen, doch Wissenschaft bringt einem Betrieb der freien Wirtschaft in der Regel kein Geld ein. Und das wissen die Unternehmer. Die Ausbildung zum wissenschaftlichen Arbeiten nützt auf dem freien Markt also nichts, sie schadet eher. Es heißt: „Überqualifiziert“, „zu alt“, „zu abgehoben“. Ihre beste Zeit liegt hinter Ihnen und Sie werden in Praktika und dubiosen Jobs kompostiert und schließlich verhartzt.

Daher rate ich jedem diplomierten, gebachelorten oder gemasterten Biologen von einer Doktorarbeit ab. Sie dienen lediglich einem beamteten Präsentationsforscher als billiger Knecht und Ideenlieferant und haben nichts davon, als vier Jahre älter zu werden und einen Titel tragen zu dürfen, der immer weniger wert wird, weil ihn immer mehr haben.

„In order to reach as many students as possible, we would appreciate it very much if you could post our poster in a prominent place at your institute and inform gifted students about our exciting programs.”

Ganz sicher nicht.