Trennungsrechnung

Axel Brennicke


Editorial

(26.04.2010) Sie wissen nicht, was eine Trennungsrechnung ist? Keine Sorge, das hat nichts mit Scheidung zu tun. Die Trennungsrechnung ist eine der genialen Erfindungen der europäischen Bürokratie. Laut Verwaltung meiner Universität will „das Wettbewerbsrecht der EU eine Subventionierung der unternehmerischen Tätigkeit der Universität mit Mitteln des öffentlichen Haushalts verhindern (EG Vertrag Art. 87 und Amtsblatt der Europäischen Union 2006/ C323 „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation“)“.

Es soll also die Industrie nicht hintenrum über die Universitäten mit Steuergeldern subventioniert werden. Soweit so gut. Andererseits: alle Projekte, auch und gerade Projekte mit Unternehmensbeteiligung, überweisen zwischen 10 und 20 Prozent „Overhead“ pauschal an die Unis, um eben solche potenzielle stille Subventionierung abzugelten.

Wozu also noch eine Trennungsrechnung? Hat sich hier jemand wichtig gemacht?

Wie in den heutigen Zeiten der ausufernden Bürokratie üblich, scheint niemand überlegt zu haben, ob das Ziel den Kontrollaufwand noch rechtfertigt. Bei Hartz IV geht es ähnlich zu. Dort werden Horden von Prüfern eingesetzt, um zu erfassen, welche Einnahmen ein Hartz IV Empfänger bei Ebay erzielte, als er sein gebrauchtes T-Shirt versteigerte. Die Kontrollen kosten ein Vielfaches von dem, was eingespart werden könnte. Wie beim Landesamt für Besoldung und Versorgung. Wie beim Finanzamt. Wie bei dieser EU Direktive.

Editorial

Die Verwaltung meiner Universität, übrigens der einzigen im Wahlkreis unserer Bundesforschungsministerin, erließ zur Direktive das Rundschreiben Nr. 19, in dem sie verlangt: „Mit Hilfe der beigefügten Formblätter sind die Aufwände des aus Landesmitteln finanzierten Personals zu erheben, welches in irgendeiner Form in den Projekten tätig wird, die dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sind.“

Weil die zerstreuten Professoren nie selbst merken, dass sie Industrieaufträge haben, schreibt die fürsorgliche Verwaltung noch: „Sobald ihre Einrichtung im Bereich der Auftragsforschung laufende Projekte hat, werden wir Ihnen dies gesondert als Anlage mitteilen.“

Auch verzichtet sie großzügig auf tägliche Rapporte:

„Für das Jahr 2009 ist rückwirkend der Arbeitsanfall des aus Landesmitteln finanzierten Personals in Prozent pro Quartal anzugeben (Formblatt 1). Die Arbeitszeitanteile sind als prozentualer Anteil an der tariflichen Arbeitszeit (volle tarifliche Arbeitszeit = 100 %) einzutragen. Ab 2010 muss dieser Personenkreis den maßgeblichen Arbeitsanteil in Arbeitsstunden pro Monat ausweisen (Formblatt 2). Hier genügt dann eine Übermittlung pro Quartal.“

Wie immer bei diesen umständlichen Verwaltungsformulierungen versteckt sich der Hase in den Definitionen. Was zum Beispiel ist ein Personenkreis? Entsteht der erst, wenn wir uns ringförmig aufstellen? Also fragte ein Kollege beim Chef der Finanzverwaltung nach, was denn „aus Landesmitteln finanziertes Personal“ sei. Der überlastete Beamte hielt es nicht für nötig, zu antworten. Erst auf ein zweites mahnendes Schreiben kam die aufschlussreiche Antwort, dass aus Landesmitteln finanziertes Personal aus Mitteln des Landes bezahlte Personen seien.

Daraufhin bat der Dekan unseren Kanzler und die Fachleute aus der Verwaltung zu einer Fakultätsratssitzung. Sie sollten uns erläutern, was wir warum und wozu mit dieser Trennungsrechnung machen sollen. Oh Wunder: die schwer beschäftigten Verwaltungsspitzen gruben Zeit frei, um uns zu belehren. Der „Leiter der Abteilung für Wirtschaftsangelegenheiten“ erschien sogar mit einem 20 cm dicken Stapel Altpapier unter dem Arm, um die Bedeutung des Ereignisses – oder vielleicht auch nur die seiner selbst – angemessen zu betonen.

Zuerst erläuterten die Spitzen der Verwaltung dem Fakultätsrat ihr Selbstverständnis. Danach dienen die Lehrenden und Forschenden an der Universität ebenso wie die Studenten nur als Beiwerk der Verwaltung. Diese stelle den eigentlichen Zweck einer Universität dar. Was nun die Trennungsrechung betreffe, so sei das einfach: EU und Land wollen bestätigt haben, dass für Forschungsprojekte in Kooperation mit der Industrie keine Mittel der öffentlichen Hand verwendet werden. Diese Bestätigung habe die Verwaltung der Universität in Zusammenarbeit mit Land und EU zu erstellen.

Doch damit scheinen die Verwalter der Universität überfordert zu sein. Daher bezahlen sie einen Wirtschaftsprüfer (an meiner Universität PriceWaterhouseCoopers), damit der ihnen bei den Abrechnungen helfe, beziehungsweise diese anfertige. Diese Spezialisten haben unserer Verwaltung klargemacht, dass „Projekte, die dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sind“ das gleiche sind wie Projekte „im Bereich der Auftragsforschung“ und dass für diese bestätigt werden muss, dass kein zusätzliches Steuergeld in Form von Arbeitszeit von Mitarbeitern in solche Projekte einfließt. Wahrlich geldwerte Einsichten.

Übrigens, auch an meiner Universität gibt es Lehrstühle im Fach Betriebswirtschaft, ja sogar ein Institut für Technologie- und Prozessmanagement. Vielleicht hätte man einfach die fragen sollen oder deren Hausmeister.

Nun mag manch einer denken, dass es Aufgabe der Universitätsverwaltung sei zu verwalten und jene, die mit Nebensächlichem wie Lehre und Forschung beschäftigt sind, vom Verwalten fernzuhalten. Naiv gedacht. Der Bürokrat hält seine Tätigkeit für welterfüllend und kann sich daher nicht vorstellen, dass andere etwas anderes tun wollen; dass es Schöneres gibt als Formulare auszufüllen, ist ihm Ketzerei. Wahrscheinlich hat es der Kanzler meiner Universität als Wohltat empfunden, als er sich zwar vorbehielt, diese Listen für das Verwaltungspersonal selbst zu erstellen – man soll ja die Gutmütigkeit nicht übertreiben – es aber den wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitern vor Ort gönnte, ihre Arbeitszeiten an den Forschungsprojekten selbst detailliert aufzuschreiben und von den jeweiligen Institutsleitern kontrollieren und unterschreiben zu lassen. Dass diese das als Zumutung empfinden, sieht der Kanzler als Undankbarkeit. Und in der Tat: Ist es nicht angenehmer, im wohlgeheizten Büro am Federhalter zu kauen, als im Kühlraum mit 125Iod herumzuschmieren?

Ja, die Spitzen der Universitätsverwaltung setzen vor der Fakultät für Naturwissenschaften noch eins drauf: die Arbeitszeitaufteilung des Verwaltungspersonals, jene Aufteilung, die die Verwaltung selbst erstellt, wird pauschalisiert, das heißt es werden einfach fünf oder drei oder null Prozent abgeschätzt. Die Institutsleiter und Professoren dagegen dürfen ihre Arbeitszeiterfassung mit genauen Stundenzetteln machen. Auch dies ist wohl als freundliche Geste der Verwaltung zu werten: Man wollte der Liebe der Forscher zu genauem Arbeiten dienen.

Deswegen, also aus lauterer Forschungsfreundlichkeit, ist die Verwaltung auch nicht bereit, den in Lehre und Forschung herumspielenden großen Kindern diese Verwaltungsarbeit abzunehmen und erlaubt ihnen großzügig, die pauschalen Schätzungen selbst durchzuführen. Mit den wunderschönen Formularen von den Verwaltenden vorausschauend gebastelten und von den Wirtschaftsprüfern gesegneten Formularen.

Dieses Entgegenkommen der Verwaltung ist umso höher einzuschätzen, als sie sich in ihrer Weisheit denken kann, dass ihre großen Kinder falsch abschätzen und fehlerhaft ausfüllen werden, was wiederum von den Weisen korrigiert werden muss – also mehr Arbeit anfällt, als wenn sie es gleich selber täten. Selbst unsere Verwaltungsweisen mussten sich ja bei privaten Beratern informieren, wie die Angaben verwaltungsrechtlich korrekt zu formulieren sind.

Und was ernten die Verwaltungsweisen für ihre Güte?

Üble Nachreden!

„Zumutung! Die können sich mit den Wischen mal ...“ sind noch die freundlichsten Kommentare, die ich im Kollegenkreise aufgeschnappt habe.

Dabei setzen diese Leute doch nur eine EU-Vorgabe um! Daran muss man sich halten. Die Griechen tun’s ja auch ...

Noch mal zur Sinnigkeit dieser EU Vorgabe: Warum führt wohl eine Firma ein Forschungsprojekt zusammen mit einer Universität durch und bezahlt Verbrauchsmittel, Wissenschaftler und Doktoranden? Aus Altruismus? Weil die Firma nicht weiß, was sie mit ihrem Geld machen soll? Die Firma tut es, um Unkosten zu senken! Sie tut es, weil das Forschungsprojekt, in den Laboratorien des Unternehmens durchgeführt, deutlich mehr kosten würde als an einer Universität, wo die aus der öffentlichen Hand finanzierten Räume mit Heizung, Strom und Wasseranschluss vorhanden sind und wo die aus Steuergeldern finanzierten Professoren und anderen Forscher den von dem Unternehmen bezahlten Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das kann man verstehen.

Ich verstehe aber nicht, warum die EU in vielen aus ihren Mitteln geförderten Forschungsprojekten die Beteiligung von Unternehmen verlangt, und nun die Projektleiter bestätigen sollen, dass in diese Industrieprojekte keine Mittel der öffentlichen Hand fließen. Sonst müssen sie die Fördergelder zurückzahlen. Wundersame Welt der Verwaltung.

Zum Glück bin ich davon nicht betroffen. Ich arbeite ja nicht an einer technischen Universität oder einem Fraunhofer- Institut, sondern an einer Universität, wo nur Grundlagenforschung betrieben wird. Zudem bin ich Pflanzengenetiker und kein solides Unternehmen würde einen müden Cent für Grüne Gentechnik in Deutschland ausgeben. Ich komme also gar nicht erst in die Verlegenheit, böse Auftragsforschung für böse Kapitalisten zu leisten.

Bauchweh machen mir nur die armen Studenten, die ihre Diplom-, Bacheloroder Masterarbeit in einem Unternehmen durchführen wollen, weil sie dessen Projekte interessieren oder sie hoffen, dadurch nach dem Ende ihres Studiums eine Anstellung zu finden. Wenn ich mich dann von den Studenten breitschlagen lasse, ihren Antrag auf eine externe Arbeit durchzulesen und zu bewerten, womöglich sogar diese Arbeit ein bisschen mitzubetreuen und am Ende auch noch ein Gutachten dazu zu verfassen, so muss ich wahrscheinlich diese Stunden einzeln auflisten. Diese dürfen aber nicht mehr als null sein, da die Firma weder der Universität noch mir auch nur einen Cent dafür bezahlt und ich sonst die Arbeit dieses Studenten mit meinem Gehalt subventioniere. Bin ich dann straffällig geworden?