Alleinherrscher Verwaltung

Axel Brennicke


Editorial

(12.05.2010) „Lassen Sie mich abschließend noch eine kleine Anmerkung machen. Was ich in Ulm als großen Unterschied zu meiner früheren Universität empfinde, ist das gänzlich unterschiedliche Verständnis im Umgang mit Drittmitteln. Hier in Ulm werden diese offenbar als quasi persönliche Mittel betrachtet (was sie nach der Landeshaushaltsordnung nicht sind) die tunlichst bis zum letzten Euro ausgegeben werden müssen…“

Also spricht der Kanzler meiner Universität. Er spricht dies zu einem Drittmitteleinwerber, einem Projektleiter, zu dem, der Geld an die Uni geholt hat. Es handelt sich um Geld für ein Forschungsprojekt, über das die Uni froh und dankbar ist und mit dem sie sich brüstet. Auch hat sie sich vertraglich dem Geldgeber gegenüber verpflichtet, das Projekt zu fördern.

Vertragswidrig versucht der Kanzler von diesen Drittmitteln abzukassieren. Er ist der Meinung, das Geld sei seins: Seins zu verwalten und seins auszugeben. Der Projektleiter habe sich nicht einzumischen, es seien ja nicht seine Gelder. Wer Mittel für seine Forschungsidee bekommen hat, soll nur ja nicht denken, dass er selbst entscheiden könne, wofür er das Geld der DFG, der EU, des BMBF oder gar eines privaten Unternehmens ausgeben wolle. Die Projektmittel seien nicht ihm, dem Wissenschaftler, zur Verfügung gestellt worden, sondern der Uni und damit dem Kanzler. So der Kanzler meiner Universität.

Editorial

Nun, liebe DFG, EU, liebes BMBF, liebe private Unternehmen, was meinen Sie dazu? Deckt sich das mit Ihren Vergabebedingungen? Passt es zu Ihren Vorstellungen, dass Ihre Projektmittel nicht für die Entwicklung eines Mikrochips, die Erfindung einer Brennstoffzelle, für Tests mit genetisch veränderten Bakterien in der Käseproduktion oder in der Biospritgewinnung eingesetzt werden, wie beantragt und von Ihnen genehmigt?

Passt es zu Ihren Vorstellungen, dass nach Laune des Kanzlers und – seiner Meinung nach – entsprechend der Landeshaushaltsordnung das Geld für Kekse im Präsidialbüro (selbstverständlich die guten von Leibniz) ausgegeben wird? Oder für das großzügige Mediziner-Professorengehalt des Kanzlers, für die Subventionierung der für Mediziner reservierten Parkplätze (mit Selbstschussanlagen), für den Teppichboden in der Verwaltung (hochwertig), für neue Mitarbeiter beim E-Learning (zweifelhafte Wertigkeit), für den VHS-Grundkurs Englisch an verdiente Mitarbeiter des Auslandsamtes der Uni, für die Einführung von Wissenschaftlern in Dreamweaver (damit die endlich nicht mehr den Mitarbeitern der Rechenzentren zur Last fallen, sondern ihre Webseiten allein machen), für neue Formulare, damit die Wissenschaftler an der Uni endlich einmal so beschäftigt sind, dass sie keine Zeit mehr für ihre wissenschaftlichen Spielereien haben?

Passt es Ihnen, dass mit Ihrem Geld neue Pöstchen für Mitarbeiter geschaffen werden, deren Verdienste darin liegen, sich selbstständig die Namen ihrer neuen Kontrollfunktionen ausgedacht zu haben? Kurzum, passt es Ihnen, dass Ihr Geld für die „autokatalytische Vermehrung des Beamtenkörpers“ (Arnold Gehlen) ausgegeben wird?

Halt. Vor lauter Schlamassel bin ich noch gar nicht zur eigentlichen Geschichte gekommen: Vor einigen Jahren wurde ein Top-Wissenschaftler aus dem Ausland hierher in die schwäbische Provinz berufen und dies von meiner Uni bis in die Lokalblättchen gefeiert. Rektor und Präsident ließen sich gern mit dem Kollegen ablichten. Leider ist der Kollege so gut, dass er jetzt an eine andere noch elitärere Uni abberufen wurde. Von einem seiner über Drittmittel finanzierten Forschungsprojekte waren noch etwa 100.000 Euro übrig und lagerten natürlich auf einem Konto der Uni. „Das ist jetzt meins“, dachte unser Kanzler. Sein Argument: das Projekt sei für drei Jahre geplant gewesen, die seien um und das läppische Kleingeld sei übrig. Flugs sperrte er das Konto und wartete ab, bis der Kollege umgezogen war. Der ist nun weg, seine mühsam angesparten Notgroschen aber sind noch hier und im Präsidialbüro essen sie Leibniz-Kekse.

Der Kollege hingegen verliert den Appetit, wenn er an meine Provinzuni denkt. Ich kann ihn verstehen. Ich kann auch verstehen, dass Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) nie an einer Universität lehrte und sich lieber, neben der Entwicklung der Infinitesimalrechnung, mit der Herstellung von Keksen finanziert hätte.

Ein weiterer Kollege hat trotz aller Widrigkeiten hier an der Uni hervorragende Forschung gemacht. Das sprach sich sogar bis in andere Bundesländer herum und er wurde ebenfalls wegberufen. Daraufhin lief das gleiche Drama ab – „Die Räuber“, frei nach Schiller – und der Kanzler säckelte diesmal an die 300.000 Euro ein. Das ist sogar für Chemiker richtig viel Geld. Auch dieser Kollege denkt mit gemischten Gefühlen an seinen ehemaligen Wirkort zurück. Komisch. Sind doch alle so nett hier.

Am nettesten ist unser Uni-Präsident – jedenfalls zu SFB-Sprechern und ähnlich bedeutenden Persönlichkeiten und zu kommenden Kollegen. Wenn letztere Geld zur Uni bringen, findet er sie sogar sexy und lässt sich mit ihnen fotografieren. Mit den Abgehenden spricht er nicht. Das sind ja nur normale Leute.

Ein weiterer Kollege ist noch nicht alt, aber alt genug für die Abschiebung, sprich Pensionierung. Er war jung genug, um als Dekan jahrelang die aufreibenden Verhandlungen mit Kanzler und Präsidium zu führen. Er war auch jung genug für die Bayer AG. Die hat ihm Drittmittel für ein gemeinsames Projekt gegeben. Diese Mittel sollten nach der Dekanszeit den Abschluss des Projektes erlauben und die Unkosten einiger, wenige Monate über das Pensionierungsdatum hinauslaufender Doktorarbeiten abdecken „…und damit niemandem sonst zur Last fallen…“. Gut geplant. Lobenswert.

Aber schon vier Monate vor dem Stichdatum der Pensionierung wurden Rechnungen nicht mehr beglichen und Hiwi-Verträge nicht mehr ausgestellt. Auf Nachfrage meines Kollegen kam aus der langen Unileitung die kryptische Antwort, die Mittel seien gesperrt.

„Warum?“

„Wegen einiger Unklarheiten.“

Drei Monate vor dem Abgang des Kollegen ins Off bequemte der Kanzler sich zu einer Stunde Gespräch und sagte, die Bayer AG könnte nach dem Abgang des Kollegen noch Forderungen an die Uni stellen. Die gesperrten Gelder sollten als Sicherheit dienen.

„Nachforderungen über den Forschungsvertrag hinaus? Den die Bayer AG bezahlt?“, fragte sich der Kollege verwundert.

Um die „Unklarheit“ auszuräumen, bat mein Kollege die Bayer AG um ein entsprechendes Schreiben. Die guckten zwar komisch, aber weil sie von den Univerwaltungen einiges gewohnt waren, schrieben sie eine Bestätigung, dass nach Projektende keine weiteren Forderungen an das Institut oder die Uni gestellt werden.

„Ach so“, sagt darauf der Kanzler, „der Drittmittelgeldgeber sieht das Projekt als beendet an. Na, dann sind die Mittel ja nicht mehr nötig.“ Sagt es und kassiert die Kohle. Er wird sie wohl brauchen, denn: „Die Ausgaben [einer Verwaltung] steigen im selben Maße wie die Einnahmen.“ (Cyril Northcote Parkinson).

Warum diese Geschichte wichtig ist? Weil sich die feudale Einstellung des Unipräsidiums fatal für uns Drittmitteleinwerber auswirken wird. Nehmen wir an, Sie müssen (mal wieder) die Uni wechseln: weil Sie Drittmittel, aber keine Dauerstelle haben, oder weil die Unileitung nichts aber auch gar nichts repariert – außer wenn Sie weggehen. Dann aber kassiert mein Kanzler Ihre Drittmittel und Sie können sehen, wie Sie mit blanken Taschen das Projekt weiterführen und dies bei der DFG rechtfertigen. Ich kann es mir nämlich nicht vorstellen, dass mein Kanzler die Gelder eines Forschungsprojektes vertragsgemäß im Sinne des Geldgebers einsetzt. Oh nein, ich zweifele nicht an meines Kanzlers Fähigkeiten, einen Forschungsvertrag in der Quantenoptik oder zur Telomeranalyse in immortalisierten Tumorzellen oder bei der endokrinologischen Untersuchung von Nebenwirkungen eines Therapeutikums zur Zufriedenheit der Auftrag- und Geldgeber zum Abschluss zu bringen. Wie könnte ich. Ich fürchte nur, dass zu viele Begehrlichkeiten an den Kanzler herangetragen werden, die ihm dann wichtiger erscheinen. So wie neue Hi-Tech-Computer fürs E-Learning-Team, weil die alten schon ein Jahr alt sind. So wie neue Hochglanzwerbebroschüren, weil die alten noch das alte Uni-Logo in schwarz-weiß statt in weiß-schwarz ziert. So wie Akkreditierungen einkaufen, weil die Politik sonst kein Geld für die Studenten gibt.

Müssen wir noch über die rechtliche Seite nachdenken? Eigentlich nicht. Ein Vertrag ist ein Vertrag. Die Kosten für Fußbodenabnutzung und Heizung (Overheads) sind darin festgelegt und können nicht nachträglich geändert werden. Die Uni hat also bekommen, was ihr zusteht. Uns darf der Drittmittel-Geldgeber ja auch nicht nachträglich das Geld kürzen. (Sie haben recht: die Politik und unsere Vorgesetzten dürfen das natürlich und tun es. Die dürfen uns die Zahl der Studenten, die wir aus- und bilden sollen, erhöhen und nachträglich die Mittel kürzen. Die dürfen uns versprechen, dass wir Mittel über zwei Jahre abknapsen und zusammenlegen dürfen, um die kaputte 30 Jahre alte Zentrifuge zu ersetzen, die der TÜV nicht mehr abnimmt. Und die dürfen uns im Februar sagen: Pech – Geld is wech. [Nein, „Tut uns leid“ sagen sie nicht]). Aber die DFG macht das nicht und die Bayer AG sowieso nicht.

Aber der Kanzler meiner Universität sieht das anders. O-Ton, Leibniz-Kekse knabbernd: „Lassen Sie mich abschließend noch eine kleine Anmerkung machen. Was ich in Ulm als großen Unterschied zu meiner früheren Universität empfinde, ist das gänzlich unterschiedliche Verständnis im Umgang mit Drittmitteln. Hier in Ulm werden diese offenbar als quasi persönliche Mittel betrachtet (was sie nach der Landeshaushaltsordnung nicht sind), die tunlichst bis zum letzten Euro ausgegeben werden müssen, damit der Nachfolger auf keinen Fall irgendwie von seinem Vorgänger profitiert. Diese Denkweise habe ich über lange Jahre anders kennengelernt, nämlich, dass der Vorgänger sein Interesse darin legte, dass der Nachfolger eine gut gefüllte Drittmittelkasse vorfindet. Vielleicht ist dann die Zusammenarbeit zwischen Vorgänger und Nachfolger einfacher und nicht so problembehaftet wie dies bei uns teilweise ist. Aber wahrscheinlich hat jede Universität ihre eigene Tradition und ist nicht „gut schwäbisch“ aufgestellt.“

O-Ton Kanzler Ende. Am Ende bin auch ich.





Leserbrief zu „Alleinherrscher Verwaltung“, LJ 5/2010

Ich kenne den beschriebenen Fall nicht, aber Kollegen, die sich nach zwei, drei Jahren schon wieder auf die nächste Stelle berufen lassen, obwohl der Aufbau von seriöser Forschung und Lehre mehrere Jahre dauert, verursachen der Universität einen beträchtlichen finanziellen und administrativen Mehraufwand; man bedenke nur die Zeit, die wir in Berufungskommissionssitzungen verbringen. Es ist deshalb legitim, wenn der Kanzler hier die finanziellen Interessen der Universität wahrnimmt; das ist sogar seine Pflicht. Die Andeutung, dass die eingesparten Gelder für einen luxuriösen Lebensstil in der Ulmer Universitätsverwaltung eingesetzt werden, hat einen guten Unterhaltungswert, mir ist da aber noch nie teures Konfekt angeboten worden. Überhaupt teile ich die Ansichten des ansonsten geschätzten Profs nicht, dass Wissenschaftler ihre Gelder möglichst unter Ausschluss einer professionellen Verwaltung selbst verwalten sollen, denn nicht alle kreativen Forscher sind auch begnadete Buchhalter.

PAUL WALTHER, Uni Ulm