Vom Fehlschluss zum Fehlschuss

Axel Brennicke


Editorial

(09.08.2010) Wie das Politisiergehabe der Universitätsregierung die ausführende Verwaltung und die Verwalteten lahm legt.

Das wirkliche Leben draußen wird immer komplizierter: immer mehr Steuer-, Arbeitslosen-, Renten-, Krankheits- und EU-Regeln mit immer feiner ausgetüftelten Kontrollgremien und exponentiell wachsenden Horden von Kontrolleuren. In diesem wachsenden, also zukunftsfähigen Feld wollen sich auch die Universitätsregierungen (UNR) profilieren. Es geht darum, Arbeit und Leben in der Universität bis zum letzten Atemzug zu regeln und zu überwachen. Dies vor allem da, wo es ums Geld geht. So versucht die UNR bei der Abrechnung und Aufrechnung von Basisbedürfnissen die Kosten auf den Endverbraucher umzulegen. Dies solange, bis dieser sich fragt, ob er nicht in einem angemieteten Raum außerhalb der Uni billiger wegkommt. In der Fachsprache heißt das Grenzwerterpressung.

Zwei mal wieder aktuelle Beispiele:

In meinem Büro, oben auf dem Berg der Esel, stehen mir ein alter Computer und ein nachgerüsteter Bildschirm zur Verfügung, die sich über eine Steckdosenleiste mit Elektronen versorgen. Auch der Drucker und alles was im Institut sonst noch Strom frisst, selbst Nebensächlichkeiten wie Zentrifugen, Gefrier- und Kühlschränke, Gelanlagen, Schüttler, Rührer und Pflanzenzuchtkammern sind abhängig vom alternierenden Fluss geladener Teilchen. Laut einem Gesetz zur Arbeitssicherheit müssen diese und alle anderen Elektrogeräte, Stecker und Schnüre jedes Jahr überprüft werden. Im Prinzip ist das gut: Wer möchte schon beim Anfassen der Tastatur oder beim Öffnen des Kühlschrankes mit 220 V gebruzzelt werden?

Editorial

Bis 2003 hatte es zu diesen Prüfungen einen Vertrag mit der Siemens AG gegeben. Das Unternehmen hatte einen Einheimischen geschult und eingestellt, der Tag für Tag Schnüre und Kabel, Stecker und Dosen, Geräte und Maschinen auf ihre Sicherheit überprüfte. War das Jahr rum, war der Elektriker von Siemens auch gerade einmal rum gekommen und an der Kaffeemaschine des Studentenbüros am Hintereingang der Uni angelangt. Im nächsten Jahr fing er wieder von vorn an, beim Geschirrband der Mensa. So hätte es ad infinitum weitergehen können, doch ein Rundschreiben der UNR vom 19.3.2003 änderte alles.

Der Elektriker kostete Geld und zwar verbotenes Geld: Geld aus der Zentralkasse der Uni. Einem unabkömmlichen und daher unkündbaren Verwaltungsmenschen, einem Ideenproduzenten, fiel nun ein, den Scheck an Siemens für Nützlicheres zu verwenden. Warum nicht einen weiteren Verwaltungsmitarbeiter einstellen – natürlich in der Abteilung des Ideenträgers – der dann dem Ideenträger Kaffee kocht, damit der auf noch mehr Sparmaßnahmen kommt? Es erging also vom Ideenträger über die UNR ein Erlass, in dem verfügt wurde, dass es sich also zu begeben habe, dass jede Abteilung, jedes Institut einen eigenen Mitarbeiter für die Prüfung der Elektrikgeräte zu schulen habe. Dies Messen ist ein schlichter Vorgang. Kontakt vorn ans Kabel, der andere hinten, Knopf drücken, ablesen, eintragen. Aufwendig ist jedoch die Geräteliste. Diese muss nun jedes Institut neu erstellen, was pro Institut etwa drei Wochen dauert.

Wer sollte das machen? Die Chefs schlossen sich aus. Sie hätten keine Zeit, seien zu wichtig und bei ihrem Stundenlohn würde das viel zu teuer. Die Diplomanden sind zu kurz da, jedes Jahr müsste ein neuer Studi geschult werden. überhaupt sind Diplomanden oder Masteriche Studenten, werden also von der Uni nicht bezahlt, müssen also auch nicht für sie arbeiten. Wenn sie’s trotzdem tun, sind sie dumm und dumme Studenten wollen wir nicht. Auch Doktoranden erhalten fast ausschließlich Drittmittel und sind zudem noch überqualifizierter als die Chefs.

Schließlich: die TAs. Auch sie sind überqualifiziert und zudem ist ihr Stundenlohn höher als der des Siemenstechnikers. Dazu kommen die Fehlzeiten, die Kosten für ihre Schulung und für das jährlich neu anfallende Einarbeiten in die komplexe Gerätedatei. Aber egal: Die TAs müssen es machen.

Offensichtlich war die Abschaffung des Siemenstechnikers nicht nur teuer – sie schwächt wieder einmal Forschung und Lehre (F&L). Daraus freilich ergibt sich ein echter Spareffekt: Weniger F&L reduziert die Ausgaben für Chemikalien und Geräteabnutzung. Noch eine gute Nachricht: Nach sieben Jahren wird diese Geldverschwendung endlich korrigiert. Der Schwachsinn kann nun aber nicht einfach rückgängig gemacht werden, so was verkauft sich selbst innerhalb der Verwaltung schlecht. Es muss etwas Neues her.

Also wird der Auftrag zur Geräteprüfung ab sofort nach innen vergeben: Ein Mitarbeiter der Uni wird geschult und führt in Vollzeit die Geräteprüfungen durch. Dies hat jemand ganz oben in der Verwaltung in langwierigen Sitzungen und Besprechungen ausgetüftelt und daher werden Sie sich nicht über die Reihenfolge wundern, in der die Abteilungen und Institute geprüft werden. Die sieht nämlich so aus: zuerst die Verwaltung der Uni, dann die Verwaltung und schließlich die Verwaltung. Wenn dann das Jahr noch nicht herum ist, dürfen die Institute und Abteilungen in F&L untertänigst nachfragen, ob der Prüfer auch bei ihnen vorbeischauen darf. Aber das ist nicht umsonst, umsonst gilt nur für die Verwaltung. F&L muss die Elektrikprüfungen bezahlen. Damit dies sauber abgerechnet wird und die Institute sich nicht untereinander streiten, wer mehr und wer weniger Steckdosen hat, und damit die als chic beschworene Interdisziplinarität den Haderbach heruntergeht, sollen die Institute entsprechend ihrer Gerätedichte abkassiert werden.

Die armen Mitarbeiter in den Kostenstellen der Universität! Nun müssen sie Listen erstellen, welches Institut, welcher Seminarraum wie viele Drucker, Elektronenmikroskope, Verlängerungskabel und Teilchenbeschleuniger hat. Dann müssen sie die Kostenrechnungen des Prüfers aufdröseln, um der Mensa ihren Anteil gerecht in Rechnung stellen zu können. Daher kostet die Uni-interne Prüfung eines Verlängerungskabels 6 € + MwSt (dafür gibt es im Handel locker ein neues), kompliziertere Geräte kosten 8 € und eine Zentrifuge 15,94 € – alles plus MwSt. Bettler, die nicht zahlen können, oder Renitente, die nicht zahlen wollen, müssen weiterhin ihre TAs für drei Wochen abstellen.

Natürlich stammen die Kostenstellen von Instituten und Büros aus dem Gesamtetat der Uni. Daraus könnte man also auch die gesamte Rechnung der Elektrikprüfung bezahlen, so wie den Strom, der durch die Leitungen fließt, wie das Wasser, das die Klos runtergeht oder das Öl, das die Heizung verbrennt.

Apropos Klos. Die Qualität des Klopapiers hatten wir schon besprochen. Diese ist seitdem deutlich besser geworden! Leider scheint diese Verbesserung untragbare Kostensteigerungen mit sich zu bringen. Die UNR kam daher auf eine kostensparende Idee. Die Papierchen werden nicht mehr über die Hausmeister bestellt und von der externen Reinigungsfirma an den Bedürfnisstätten angebracht, sondern die Reinigungsfirma beschafft sie. Dies um die Hausmeister zu entlasten (oder zu entlassen). Die Reinigungsfirma schickt dann eine Rechnung über die Lkw-Ladung Klorollen an die Verwaltung. Deren Kassenstelle muss nun die Lkw-Rechnung in die Kostenanteile der einzelnen Abteilungen, Institute und Arbeitsgruppen aufschlüsseln. Die Kostenstellen buchen dann jedem seinen Verbrauch ab.

Dieses Vorgehen ermöglicht interessante wissenschaftssoziologische Studien. Wer braucht mehr Klopapier, die Physiker, die Chemiker, die Mathematiker oder gar die Psychologen? Ich schlage vor, als ergänzendes statistisches Hilfsmittel den institutsspezifischen Spülwasserverbrauch zu erfassen. Klopapierund Spülwasserverbrauch könnten dann in Beziehung gesetzt werden zum geistigen Output der jeweiligen Fachbereiche. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein. Es müsste freilich sichergestellt sein, dass jede Abteilung über einen eigenen Abort herrscht.

Die armen Menschen in der Verwaltung! Die verbrauchen für die Klopapier-Verteilung mehr Papier und Schöpferkraft als für das Geschäft, für das das zu verteilende Papier benötigt wird – ohne je ein publizierbares Ergebnis zu erzielen.

Damit kein Gschmäckle hinterbleibt: die Verlagerung der Elektroprüfung auf die Institute und Einrichtungsleiter wurde der Univerwaltung von weiter oben aufgedrückt: vom Rechnungshof Baden-Württemberg in seiner „Denkschrift 2000“. Das behauptet jedenfalls die Uni-Regierung. In der Denkschrift stand aber seinerzeit: Die Unis Konstanz und Stuttgart prüfen intern für 140.000 beziehungsweise 188.000 DM. Die Uni Mannheim vergibt alles an Siemens, was 100.000 DM kostete. Daraus schloss der Rechnungshof – zu Recht – dass man prüfen solle, ob eine interne Prüfung nicht billiger zu machen sei als eine externe. Die Uni Ulm wiederum hielt das für eine Anweisung, intern zu prüfen. Ein klassischer Fehlschluss.