Universitärer Kreisverkehr

Axel Brennicke


Editorial

(16.09.2010) Alles kommt wieder. Auch und besonders an den Universitäten. Erforschen die Forscher ständig etwas Neues und schaffen die Wissenschaftler Wissen, so laufen die Ministerien der Länder und die Spitzen der Universitätsverwaltungen immer nur im Kreis. Unter schalen Leerwörtern wie „innovativ“, „Pilotprojekte“ oder „flexibel“ sowie ausgelutschten Allgemeinplätzen wie „Cluster“, „Exzellenz“ und untergegangenen „Leuchttürmen“ würgen sie regelmäßig alte Kamellen wieder hervor und verkünden sie der staunenden Medienwelt als neueste Gospel.

Die auffälligsten Beispiele kennt jeder an der Universität. Alle paar Jahre wird etwa die Habilitation abgeschafft – und ist immer noch da. Die Reform zum Bachelor sollte das Studium schneller machen – und wurde gerechtfertigt aus den Verträgen von Bologna, die allerdings selbst gar nichts dazu sagen und dies schon gar nicht verlangen. Das gleiche Ziel wurde indes schon 1972 proklamiert – seitdem ist die durchschnittliche Studiendauer deutlich länger geworden. Nicht verwunderlich daher, dass auch dem Bachelorsystem jetzt Ähnliches geschieht: War der Bachelor ursprünglich auf drei Jahre Studiendauer ausgelegt, so verlängern besonders „innovative“ Universitäten den Drei-Jahres-Plan nun auf dreieinhalb bis vier Jahre. Womit wir wieder bei der planmäßigen Studiendauer des Diploms sind.

Editorial

Wir hätten uns also sämtliche Arbeit mit der vorübergehenden Umstellung auf das dreijährige Bachelorstudium sparen können – das Diplom umzuetikettieren hätte gereicht. So wie der Bachelor etwa bei den Ingenieuren auch als „Dipl. Ing.“ verkauft wird. Für die zusätzliche Verlängerung des Studiums, die unter dem Titel Master läuft, wäre uns für die Studenten schon noch etwas eingefallen. Schließlich können wir immer jemanden brauchen, der ein paar Jahre lang im Labor PCRs mit 500 weiteren Mäusen oder Pflanzen ansetzt, der 30 neue Mutationen für die Expression in E. coli kloniert oder der die Bedingungen für die Überexpression gewisser Gene hinsichtlich des besten Verhältnisses von Meersalz und Zucker optimiert.

Leider können wir an den Universitäten nichts daran ändern. Wenn die Politiker und Ministerien das so wollen, dann werden sich Studium und Laufbahn eben weiter verlangsamen – und unser Nachwuchs steigt immer später in das Arbeitsleben ein.

Den neuesten Schwachsinn der Polit- Ministerien findet man ausgerechnet im „Lande der Innovation“, in Baden- Württemberg (Werbespruch der Politik: Wir können alles...). Hier werden ab sofort verlängerte Studienzeiten mit fünf Millionen Euro gefördert. Verkauft wird das unter dem Deckmäntelchen „Studienmodelle unterschiedlicher Geschwindigkeit“. Unter diesem Motto fördert das Land an 12 Hochschulen angebliche Pilotprojekte, in denen „flexiblere“ Studienmodelle erprobt werden sollen. Der Ober-Pilot, Wissenschaftsminister Professor Dr. Peter Frankenberg, gibt also viele unserer Steuergelder dafür aus, dass, wie er sagt, „die Hochschulen verstärkt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Studenten eingehen“. Und in seiner Lobhudelrede für die Presse verkündet er weiter dazu: „Immer mehr junge Menschen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen, Fähigkeiten und Begabungen kommen an unsere Hochschulen. Dafür brauchen wir vermehrt differenzierte Studienangebote mit flexiblen Studienverläufen, die unterschiedliche Geschwindigkeiten ermöglichen. Wer […] etwas mehr Zeit braucht, soll sie bekommen – zum Beispiel, um Kompetenzen nachzuholen. Dies erproben wir jetzt modellhaft in mehreren Pilotprojekten“.

Universitäten, die die Studiendauer ihrer Studenten verlängern, bekommen also zur Belohnung Geld vom Minister.

Auf der Internetseite des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg kommentiert der Professor Wissenschaftsminister in der Studieninformation, dass „das Förderprogramm [...] einen wichtigen Baustein bei der Weiterentwicklung des Bologna- Prozesses darstelle“. Dieser ganze Salbader verbrämt lediglich die Verlängerung des Studiums samt der Finanzierung von Langzeitstudenten – und unterläuft damit um Haupteslänge die angeblichen Ziele der Einführung von Bachelor-Studiengängen.

Richtig deutlich wird dies aus den politisch unsensiblen Definitionen der geförderten Projekte, offensichtlich verfasst von eigens dazu eingestellten Amateuren an den Hochschulen selbst. So formuliert die Hochschule Esslingen unter der Überschrift „Flexibles Studium“ noch recht vorsichtig: „Vorgesehen ist, das erste Semester als Orientierungssemester zu nutzen... (Förderung 240.000 Euro)“. Ähnlich indirekt die Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft unter der Überschrift „Erfolgreich starten“: „Die Hochschule hat ein dreistufiges Modell entwickelt, das unterschiedliche Studiengeschwindigkeiten ermöglicht. Möglich ist, das Studium entweder direkt aufzunehmen oder vorher Brückenkurse in Grundlagenfächern zu absolvieren oder die Inhalte des ersten Studiensemesters auf zwei Semester aufzuteilen (Förderung 500.000 Euro)“.

Deutlicher wird die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen unter „Höherer Studienerfolg für alle Studierenden durch bedarfsgerechte Qualifizierung“: „Die Hochschule will durch einen Einstufungstest die individuellen Bedürfnisse der Studierenden feststellen [...] Das Grundstudium kann auf diese Weise um ein Semester gestreckt werden. (Förderung 500.000 Euro für 3 Jahre)“.

Glasklar verlängert die Hochschule für Technik Stuttgart das zuvor verkürzte Bachelor-Studium „Individuell gestuftes HFT-Studienmodell“: „Das 3-Stufen-Modell unterstützt in der ersten Stufe die Anfängerinnen und Anfänger beim Übergang zur Hochschule, ermöglicht nach Studienbeginn eine intensive Förderung (zweite Stufe), die in der dritten Stufe im Rahmen eines individuell konzipierten weiteren Semesters („1+“) fortgesetzt werden kann (Förderung 500.000 Euro für drei Jahre)“.

Aber auch die Profis in den Ministerien, die Herren Ministerialräte und Ministerialdirigenten verfassen merkwürdige Arien zu dem genialen Projekt „Studienmodelle individueller Geschwindigkeit“. So wird in der Begründung zu dem 5 Mio. Euro schweren Paket festgestellt: „Die Bologna- Beschlüsse zur Einführung des gestuften Studiensystems haben die Studierenden in den Mittelpunkt der Hochschullehre gestellt.“ Wo standen die Studierenden eigentlich vorher? Draußen vor der Tür? Offensichtlich war nach Meinung der Ministerialen im Ministerium die Hochschullehre bisher nicht für die Studierenden gedacht.

Weiter geht es im Text mit der direkt anschließenden logischen Folgerung: „Die Hochschulen sind daher gefordert, auf eine heterogener zusammengesetzte Studierendenschaft einzugehen.“ Wieso sich das daher aus der These ergibt, dass jetzt die Studierenden im Mittelpunkt stehen, erschließt sich wohl nur einem Dirigenten im Ministerium. Die normalen Universitäten und ihre lehrenden Körper sind damit überfordert. Mir jedenfalls erschließt sich das nicht. Peinlich, aber dazu kann man ruhig stehen.

Doch eines wird ganz klar. Haben Sie, liebe Studenten, Wissenschaftler und Sonstige an den Universitäten sich schon einmal gewundert, warum das Ministerium die Gelder für die Universitäten, für Forschung und Lehre jedes Jahr mit schöner Regelmäßigkeit kürzt? Jetzt stellt sich wieder einmal heraus, dass dies nur üble Nachrede ist. Die Ministerien sind gar nicht so bodenlos schlecht und uninteressiert. Sie schichten nur die Gelder ein wenig hin und her – aus Geltungssucht und für die ganz normale Medienpropaganda. So gesehen, werden sie also gar nicht weggenommen, sondern nur in Pseudowettbewerben medienwirksam neu verteilt. Ist ja auch klar: Eine exorbitante Steigerung von beispielsweise einem oder zwei Prozent, entsprechend der Inflation im Grundhaushalt der Universitäten, wird weder den überregionalen noch den lokalen Blättchen mehr als ein Zweizeiler wert sein. Lanciert dagegen der Dirigent im Ministerium sorgfältig solche perversen Studienmodelle, so wird sein Minister in die Presse kommen, vielleicht sogar die erste Seite mit Bild schaffen. Dann steigt die Chance, dass sein Minister wieder gewählt wird, und dass er, der Dirigent, von seinem Minister zum Oberdirigenten gemacht wird.

Angesichts einer solchen (Be-)Förderung kann man locker 5 Mio. Euro innerhalb von drei Jahren in die Aufhebung der Ziele der Bologna-Reform investieren. Macht ja nichts, wenn dabei die Anstrengungen der Universitäten lächerlich gemacht werden. Und wen juckt es, wenn über die armen Studenten hinweg getrampelt wird, von denen viele ein halbes oder ein ganzes Jahr ihres Lebens durch die Umstellung von Diplom auf Bachelor verloren haben. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Ministerialen wenigstens Kinder haben, die auch davon betroffen sind.

Politik ist ein innovativer Kreisverkehr, indem sie fein geregelt alte Kamellen aus der Schublade kramt, die sie umgehend als neu verkauft. Genau wie mit dem echten Kreisverkehr. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es bereits jede Menge Kreisverkehre und Inseln. Mit der Entwicklung von Ampeln hatte man die meisten abgeschafft. Jetzt kommen sie wieder. Dass ein Kreisverkehr viel mehr Fläche zubetoniert als vier Vorfahrtsschilder und somit die Ökologie nachhaltig belastet, stört niemanden. Schließlich ist es ja modern und innovativ, das mit dem Kreisverkehr.

Auch in der Bildung. Schräge Genitiv-Einsicht vom Ministerium: „Das Studium der Zukunft ist ein Studium der individuellen Geschwindigkeit.“ Das Studium in der Vergangenheit war das auch.