Auf dem zähen Rücken der Wissenschaftler

Axel Brennicke


Editorial

(20.10.2010) Neulich war wieder einmal die Begehung unseres Institutes angesagt. Wie üblich bei solchen Besichtigungen kommt eine Horde von Spezialisten, um das zu begutachten, was gerade den Anlass liefert.

Diesmal waren die Arbeitsbedingungen an den Computern der Anlass, oder im ausschlägigen Fachdeutsch: „die menschliche Verträglichkeit der Bildschirmarbeitsplätze“. Arbeitsmediziner, Vertreter des Arbeitgebers, Vertreter des Betriebsrats, Sicherheitsbeauftragte und weitere Fachleute drängten sich also in das so genannte Sekretariat. Dieses heißt zwar immer noch Sekretariat, und die dort arbeitende kompetente Mitarbeiterin wird immer noch als Hilfs- oder Fachkraft im Schreibdienst geführt. Ihre eigentliche Arbeit besteht aber vielmehr darin, Formulare und verwaltungsinterne Anträge zu bearbeiten und das Interface zwischen den ungeduldigen Chefs und der geduldigen Verwaltung herzustellen.

Die Raum füllende Kommission begutachtete den Schreibtisch, den Stuhl, bat die Mitarbeiterin Platz zu nehmen und den Arm auf die Tastatur zu legen. Am Ende stellten die Damen und Herren fest – zu Recht übrigens –, dass für die Schreibarbeit mit dem Keyboard eine Auflage für die Hand und eine zusätzliche Abschrägung ergonomisch sinnvoll wäre.

Editorial

Guter Tipp! Um sofort die Gelegenheit zu weiterem fachkompetentem Rat zu nutzen, baten wir, doch auch die Arbeitsplätze in den Büros der wissenschaftlichen Mitarbeiter und des Professors anzuschauen. Zumal, wenn Letzterer den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, die Rückenschmerzen und Verspannungen sogar noch schneller hoch kriechen als die normale Alterung vorwärts.

Leider aber erklärte sich die Kommission für den Arbeitsplatz des armen Profs ebenso wenig zuständig wie auch für alle anderen von Wissenschaftlern in Forschung und Lehre. „Das seien ja keine Vollzeit-Bildschirmarbeitsplätze...“ Es interessiert an der Uni offenbar niemanden, in welcher Haltung und unter welchen Bedingungen wissenschaftliche Mitarbeiter und maulende Professoren arbeiten.

Dass aber an dem offiziell anerkannten „ Vollzeit-Bildschirmarbeitsplatz “ im Büro ein alter, zwar strahlungsfreier, aber unscharf flimmernder Bildschirm statt eines neuen, glasklar die Schrift ausleuchtenden Flachmonitors steht – das stört keinen. Und dass unsere Verwalterin kaum am Bildschirm sitzt, sondern mehr Papiere wälzt und abheftet, Karteikarten mit dem Gerätebestand an Tastaturen und Bildschirmen auf dem Laufenden hält, nachrechnet, was in der Hauptverwaltung schräg gebucht wird – auch das interessiert die hohe Kommission nicht. Dass dagegen die Wissenschaftler oftmals viel mehr Zeit an ihren Bildschirmen mit Datenorganisation und -auswertung verbringen als unsere Sekretariats- Mitarbeiterin – das ist in den Vorschriften für die Begängniskommission nicht vorgesehen.

Das Büro des Sekretariats ist als Vollzeit-Bildschirmarbeitsplatz deklariert – und dann ist es auch einer.

Dieses Desinteresse an den Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler und Professoren ist wohlgemerkt nicht spezifisch für meine Universität, sondern hat deutschlandweit Methode. Eine Kollegin an einer anderen Universität hatte beispielsweise massive Bandscheibenprobleme und konnte sich nach einem Vorfall nur mühevoll in „erzwungener“ Demutshaltung in ihr Uni-Büro schleppen. Voller Mitleid mit dem offensichtlichen Leiden der Professorin tauschte die dortige Sekretärin ihren ergonomisch durchkonstruierten Stuhl mit dem billigen Standard-Sitzgerät der Professorin. Woraufhin die Leidende nun aus eigener Erfahrung lernte, dass das Schlagwort ergonomisch durchaus eine funktionale Bedeutung haben kann. Der Stuhl aus dem Sekretariat „besaß“ sich deutlich besser als ihr eigener, ebenfalls von der Uni gestellter, abgewetzter Rumroller.

Um daher ihren Rücken während der täglichen 8-10 Stunden Bildschirmarbeit künftig in einer einigermaßen vernünftigvorbeugenden Haltung zu positionieren und somit nicht den nächsten Bandscheibenvorfall zu produzieren, hatte die Frau Professorin nun tatsächlich die blauäugige Unverschämtheit, für sich ebenfalls einen ergonomisch besser konstruierten Stuhl über die Universität zu beantragen. Diesen wollte sie – viel zu bescheiden – nicht einmal aus dem Grundhaushalt der Universität bezahlt haben, sondern bot dafür die kläglichen Institutsmittel an, die ihr die Universität für Lehre und Forschung zur Verfügung stellt. Ihrer riesigen, traditionsbelasteten Universität mit mehr als 20.000 Studenten wären also keine zusätzlichen Kosten für diese Forderung nach einem weniger gesundheitsschädlichen Arbeitsplatz entstanden.

Sie ahnen es – natürlich wurde diese Frechheit sofort abgelehnt. Telefonische Nachfrage brachte nur die lakonische Auskunft, dass da ja jeder kommen könnte. Womöglich wollte dann jeder x-beliebige Professor oder Professorin einen besseren Stuhl haben wollen. Nein, um an einen solchen Stuhl zu kommen, müsste sie schon mindestens ein gültiges Rezept eines anerkannten Orthopäden vorlegen.

Dieser Orthopäde dürfte darin aber nicht nur solch allgemeine Formulierungen benutzen wie „einen ergonomisch konstruierten“, oder gar Floskeln bemühen wie „an die sitzende Haltung angepassten“ oder „weiteren Bandscheibenvorfällen vorbeugenden“ Schreibtischstuhl. Damit bekäme sie noch lange keinen anständigen Stuhl. Nein, der Orthopäde müsste schon die zwingende Notwendigkeit für einen ganz bestimmten Schreibtischstuhl begründen, den er zudem mit Firmenname, Modellnummer, Produktionsjahrgang, Größe und am besten auch mit dem Preis auf dem Rezept direkt benennt. Eine der leichtesten Übungen für einen Orthopäden, sich auf dem Markt der ergonomischen Schreibtischstühle auszukennen und seinen Patienten eine bestimmte Marke vorzuschreiben.

Immerhin, bisher war noch nicht über die Farbe gesprochen worden. Womöglich aber behält sich die Beschaffungsstelle in der Universitätsverwaltung diesen Punkt noch als Begründung für den nächsten Ablehnungsbescheid im Hinterhalt.

Die Geschichte mit dem neuen Stuhl als Bandscheibenschoner für die Professorin ist aber noch lange nicht zu Ende. Schließlich zieht sie sich ja auch erst ein paar Jahre. Jedenfalls hatten ihre Mitarbeiter irgendwann so viel Mitleid, dass sie ihrer gebeugten Chefin einen Sitzball schenkten. Diese Solidarpakt-Maßnahme animierte dann immerhin doch einen Mitleid-fühlenden Menschen in der Universitätsbürokratie, in den Requisitenkammern der Universität zu wühlen. Und tatsächlich fand er dort ein Stehpult, welches wohl einst für einen sehr unzufriedenen Mitarbeiter mit besten Orthopädenbeziehungen gefertigt worden war, und schickte es unserer Professorin zur Ruhigstellung. Leider war dieses Pult für einen Zweimeter-Menschen maßgefertigt worden und daher viel zu hoch. Kürzer sägen ging leider nicht so einfach, da das ganze Gestell aus Vierkanteisen bestand und in den Universitätswerkstätten unverstellbar verschweißt worden war. Abgesehen davon, dass beim Absägen von vier Beinen immer mindestens eines zu kurz bleibt.

Nun könnte man unterstellen, dass das herauszögernde Hinhalten der Universitätsverwaltung doch sinnvoll sei um unnötige Kosten zu vermeiden, da ein besserer Stuhl meist teurer ist als ein mieser. Von wegen! Die Arbeitszeit unserer Professorin und der sperrigen Mitarbeiter in der Uni-Verwaltung hat den Steuerzahler inzwischen schon weit mehr gekostet als der feinste Stuhl.

Apropos Kosten. Diese übernimmt auch für den professionellen und offiziellen Vollzeit-Bildschirmarbeitsplatz natürlich nicht das Dezernat für Arbeitssicherheit und Wohlgefühl. Die muss schon der Betrieb selbst aufbringen. Der „Betrieb“ wiederum ist in diesem Fall das Institut oder die Abteilung. Die Unkosten für einen schicken Bildschirmarbeitsplatz werden somit nahtlos aus dem Topf für Lehre und Forschung gedeckt. Folglich wird das kaputte pH-Meter im Praktikum erst ein oder zwei Jahre später ersetzt. Müssen die Studenten sich eben mit eingetunkten pH-Papierchen abfinden. Und dürfen sich nicht wundern, wenn die Versuche ganz andere Ergebnisse liefern, als im Lehrbuch steht.

Wissenschaftler und Profs mit Rückenschmerzen? Lächerlich. Die sollen sich nicht so anstellen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so gönnen wir den Kontrolleuren der Bildschirm-Arbeitsplätzchen und den zentralen Beschaffern an den Universitäten wenigstens geruhsame Bandscheibengefühle.