Sind wir nicht alle ein bisschen exzellente Elite?

Axel Brennicke


Editorial

(15.11.2010) Die Hyperlative von Exzellenz und Elite an den Unis sind nicht totzukriegen. Sogar die lokalen politischen Opportunisten kupfern inzwischen von den deutschen Exzellenzinitiativen ab. So verschiebt die „Landesstiftung Baden-Württemberg“ im Musterländle einen Teil ihres Geldes aus der Steuerhinterziehung in die Forschung und „... unterstützt mit ihrem Eliteprogramm exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Qualifizierungsphase nach der Promotion eine Hochschullehrerlaufbahn anstreben.“

Schön blauäugig, wer eine Hochschullehrerlaufbahn anstrebt, und voller Wagemut, denn Stellen gibt es sowieso nicht. Das kann Jahrzehnte dauern. Einen so langen Atem hat die Landesstiftung indes natürlich nicht. „Die Finanzierung ist grundsätzlich auf zwei Jahre begrenzt und erstreckt sich für den Einzelfall auf maximal 100.000 €...“

Besser Geld für zwei Jahre, als gar keins, mag man sich denken. Schaut man aber genauer hin, wird es wirklich kritisch: „Finanziert werden Personalmittel für wissenschaftliche Mitarbeiter (Doktoranden), geprüfte und ungeprüfte Hilfskräfte (nichtakademisches Personal) im wissenschaftlichen bzw. technischen Dienst (mögliche Personalkostensteigerungen sind einzukalkulieren).“ Letzteres ist kein Problem, die letzte Lohnerhöhung ist schon eine Weile her und die nächste nicht abzusehen. Auch dass „geprüfte Hilfskräfte“ als nichtakademisches Personal abgetan werden, sollten wir nicht kleinlich bemängeln. Wenn das Ministerium meint, dass eine Prüfung zum BSc, MSc oder Diplom noch lange keinen Akademiker machen, soll das eben so sein.

Editorial

Schlimmer ist die begrenzte Finanzierung von Doktoranden auf zwei Jahre. Falls tatsächlich jemand – abgesehen vom „Dr. med.“ in der Medizin (die sind explizit ausgeschlossen) – in zwei Jahren seine Doktorarbeit schafft, so ist dieser Elite und nicht unbedingt der strebende Postdoc, der ihn anleitet. Wer indes nur exzellent ist, wird mehr als zwei Jahre brauchen. Und der steht dann auf der Straße, weil die Landesregierung nur für zwei Jahre Kastanien ins Feuer wirft.

Wer als junger Postdoc zur derzeitigen oder künftigen Elite gehören will, wird sich aber auch Gedanken über seine Verantwortung gegenüber den Doktoranden machen. Wie soll er ihn das normale dritte Jahr bezahlen? Wer exzellent ist, beantragt die Doktorandenstelle bei der DFG und bekommt sie auch von dort. Für drei Jahre. Nur die zweitklassige Elite muss auf die moralisch fragwürdige Landesstiftung zurückgreifen.

Überhaupt: was heißt Elite oder zweitklassige Elite? Ebenso wie die bundesweite Exzellenz kann Elite nur relativ zur „breiten Masse“ des Durchschnitts existieren. Also muss für solche Defi nitionen eigentlich immer ein Ranking stattgefunden haben. Nur dann steht die Elite als Leuchtturm aus dem Fußvolk heraus.

Die Manie solcher Rankings ist in den letzten Jahren ein bisschen abgefl aut. Hatte jedes Wochenblättchen auf Hochglanzpapier einst seine eigene Hitliste, so ist davon nicht mehr viel übriggeblieben. Nur diese steuerbefreite Gütersloher gGmbH namens Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) belästigt uns an den Unis alle Jahre wieder mit Anfragen zu unserem Schaffen. Ach ja, wer ist noch in Gütersloh? Richtig, die Bertelsmann AG.

Diese CHE gGmbH ist zu einer Institution geworden, beschäftigt einen Haufen Leute, die dort irgendetwas machen. Dass sie dieses ziemlich obskur und offensichtlich schlecht machen, hat vor fünf Jahren schon Ralf Neumann in LJ 3/2005, wie auch auf LJ online angemerkt (Link).

Und nichts hat sich verbessert. Das CHE spart sich Arbeit, schreibt einfach die Unis an und fordert Daten. Macht richtig Druck. Das CHE sagt explizit, wer als Fachbereich oder Uni keine Daten schickt, wird mies bewertet. So faul und fi es ist das LJ dagegen nicht. In jedem Heft eine neue Rankingliste, die selbst recherchiert ist. Die LJ-Mitarbeiter machen nebenher die Datenerhebung und Auswertung, suchen selbst die einzelnen Namen durch, kontrollieren die Publikationen, wer wann was wo und wie oft – und erläutern einigermaßen transparent ihre Kriterien.

Das auch mit öffentlichen Steuergeldern gesegnete CHE dagegen lässt sich die Daten liefern und hat zum Beispiel die Liste zum Forschungsranking der Fachbereiche in der Biologie ganz bequem folgendermaßen erstellt:

„Die Gruppeneinteilung nach Quartilen für die Pro-Kopf-Indikatoren wurde aus dem CHEHochschulRanking für das ForschungsRanking übernommen. Für die Gruppenbildung bei den absoluten Werten werden die Werte zunächst absteigend geordnet und ihre anteiligen Beiträge zur Gesamtsumme kumuliert. Der Spitzengruppe gehören, von oben gezählt, die Fachbereiche an, die zusammen mindestens 50 % der Gesamtsumme (z.B. der gesamten Drittmittel in einem Fach) aufweisen. Die Schlussgruppe bilden jene Fachbereiche, auf die, von unten gezählt, zusammen maximal 10 % des Gesamtaufkommens entfallen.“

Mein lieber Quartil! Definiert man so Eliten, Exzellenzen und Loser?

Dass die Drittmittel bei CHE durchweg schief liegen – wie bereits 2005 im LJ angemerkt – hat sich in den letzten Jahren nicht geändert. In der entsprechenden Tabelle gibt es etwa die Spalte: „Kumulierter Anteil (in %)“, die sich von oben nach unten gereiht liest: „1. Uni Freiburg 6 %; 2. Uni Göttingen 11 %; 3. Uni Tübingen 15 %; 4. Uni Köln 19 %; 5. Uni Heidelberg 23 % ...“

Mit der Rechnung hapert es sowieso beim CHE: „Mehr als 80 % der Drittmittel im Fach Biologie stammen zu etwa gleichen Teilen von der DFG und von Bund, Land oder EU.“ Zu dieser ungenauen Aussage die exakten Zahlen in der Abbildung 2: „DFG 46,3 %; Land 5,3 %; Bund 22,1 %; EU 10,3 %; Stiftung 5,2 %; DAAD 0,4 %; Wirtschaft 5,9 %; Sonstige 4,4 %.“ – Gleiche Teile, soso.

Die faule Geldsparmentalität des CHE geht weiter bei den Publikationen: „Die bibliometrische Analyse in diesem Fach wurde vom Forschungszentrum Jülich (Zentralbibliothek) durchgeführt.“ In Jülich scheint man Zeit zu haben und es mit der Verwendung der Steuergelder für den Dienst an einer GmbH nicht so genau zu nehmen.

Ach ja, das CHE publiziert sogar. Wen es interessiert, der kann ein Beispiel lesen: „Federkeil, Gero: Reputációindikátorok a Felsöfokú Oktatási Intézmények Rangsoraiban, in: Felsöoktatási Mühely 2010, S. 79-93“.

Genug vom CHE-Verein. Ranking und Evaluation zum Ranking gibt es sogar an den Unis und innerhalb der Unis. Und überall muss man die Daten selbst anliefern.

Meine Uni ist da vorbildlich. Vor ein paar Jahren hat man versucht, ein Ranking der Abteilungen/Institute zu machen, dies aber ganz schnell wieder aufgegeben. Der Streit zwischen Mittelwert und Median aus den kumulierten Citation Indices war nicht zu lösen. Also verteilt man „leistungsbezogene Mittel“ innerhalb der Uni als Prozent der DFG-Mittel und als Bonus für fertige Promotionen sowie BScund MSc-Arbeiten. Aber nur, wenn das Gutachten innerhalb der Frist fertig ist! Sehr gutes System, minimaler bürokratischer Aufwand für die Betroffenen und für die Verwaltung – und dennoch Geld nach Leistung.

Nur solche Konsequenz macht ein Ranking sinnvoll, doch leider gibt es viel zu viele unsinnige Ansätze. So versucht man etwa, die Lehre irgendwie zu bewerten und macht regelmäßig eine Studentenbefragung. Denen ist das lästig, allen anderen auch. Solche Evaluation der Lehre misst schließlich nicht mehr und nicht weniger als den „Wohlfühlfaktor/ Klimaindex“ der Studenten. Entsprechend konsequenzlos ist die ganze Übung. Keine Belohnung, keine Strafe. Na ja, außer der Rüge, die mir der Studiendekan wegen mieser Schrift beim Tafelbild alle Jahre geben muss.

Die Schweiz dagegen ist mit der Bürokratie nicht ganz so fortschrittlich wie wir, beim sinnlosen Ranking scheint sie jedoch Deutschland von schräg links überholen zu wollen. Die Uni Zürich etwa veranstaltet zwar nur alle sechs Jahre eine Evaluation all ihrer Institute, dies aber ungeheuer aufwändig. So akribisch bürokratisch, dass allein die Auswertung bis zum fertigen Ranking knapp zwei Jahre benötigt. Da werden Gutachter zusammengetrommelt, die tagelang parallel wichtige Gebiete wie Gleichstellung der Geschlechter, Dienstleistungen, Nachwuchsförderung, Leitungstätigkeiten, Verwaltungstätigkeiten, Strukturen und Prozesse (was immer das ist), soziale und kulturelle Aspekte (Kulturaspekte in der Mikrobiologie?) und tatsächlich sogar auch Lehre und Forschung angucken und bewerten.

Das geht nicht immer ganz harmlos und reibungsfrei. So sollten die Gutachter eigentlich die schriftlichen Niederlegungen und Kotaus der Institute vorher lesen, wie auch sich die mündlichen Erläuterungen der Institutsleiter anhören – aber manchmal haben sie einfach zu all dem keine Lust mehr, wenn das Abendessen ruft.

Das ist auch verständlich, da die ganze Evaluation überhaupt keine Konsequenzen hat. Weder gibt es für die besser Bewerteten mehr Geld, noch mehr Platz im Labor oder zum Parken.

Wozu also die ganze Aktion? Zum Schulterklopfen der Uni Zürich? Oder gibt es dort eine Evaluationsstelle, die sonst nichts zu tun hat und sich mal ein bisschen beschäftigen will?

Wie so oft geht das am besten, wenn man andere beschäftigt und die Wissenschaftler erst einmal Berichte schreiben lässt. Die haben ja auch sonst nichts zu tun. Immerhin kann sich die Evaluierungsbürokratie auf diese Weise durchgehend mit Institut um Institut beschäftigen – und sich damit rechtfertigen.

Vielleicht will die Schweiz endlich einmal Österreich und Deutschland zeigen, was man in der Bürokratie so alles Sinnloses veranstalten kann. Vielleicht gilt aber auch einfach tatsächlich das Statement:

„Wer Evaluation, Qualitätssicherung oder Internationalisierung sagt, hat immer schon gewonnen, da diese Begriffe ihre Negation nur um den Preis der Selbstbeschädigung zulassen.“

Diese etwas sperrige Formulierung muss man dem Autoren nachsehen. Konrad Liessmann ist Philosoph in Wien, da muss man so reden. Lesenswert ist sein Buch „Theorie der Unbildung“ dennoch. Und es sollten nicht nur Politiker lesen (oder sich erklären lassen), sondern alle, die sich in dem Rankinggeschäft tummeln. Obwohl ich ja weiß, dass dies ein vergeblicher Appell ist – schließlich wollen diese sich ja nicht selbst abschaffen.