Ein Platz für Menschen

Axel Brennicke


Editorial

(15.12.2010) Nicht noch ein Doktorand, stöhnen die drei eingesessenen Doktoranden und zwei Postdocs, die sich ein Büro von 15 m2 teilen. Leider gibt es aber nicht mehr Platz. Die Flächen, die der Arbeitsgruppe zugeteilt sind, müssen auch noch Zentrifugen, Labors, Kühlräume sowie Platz für Tiere und Pflanzen fassen. Die Arbeit ist wichtiger, Pflanzen und Tiere müssen daher unter immer gleichen Bedingungen und mit genügend Platz angezogen werden, die Menschen können zusammenrücken.

Das ist an sich nicht schlimm, wenn es alle tun müssen, schließlich sollen die Steuergelder möglichst gut genutzt werden. Und die Wissenschaft ist wichtiger als die Bequemlichkeit der Wissenschaftler. Für Aufruhr und Unmut sorgt erst ein Blick in andere Institute und Abteilungen, in denen gähnende Leere herrscht. Dort stehen riesige Labors fix und fertig ausgerüstet und warten auf einen Wissenschaftler. Lediglich die Putzkolonne belebt die Räume, ab und zu und wedelt jemand mit einem feuchten Lappen den Staub vom Fußboden. Daneben Büros, abgeschlossen, leer und unbenutzt.

Natürlich beschweren sich die eingepferchten jungen Wissenschaftler bei ihrem Chef und maulen, dass sie doch wenigstens vorübergehend dort den Platz nutzen könnten. Einleuchtend, eine sehr vernünftige Initiative. Der Chef zieht los, recherchiert in den Unterlagen der Universitätsbau- und Raumbehörde, wem diese Räume zugeordnet sind. Die Namensschilder an den leeren Labors und Büros sind entweder nicht vorhanden, verblasst oder geben Namen an, die in keinem Verzeichnis der Uni zu finden sind. Sogar die Bauverwaltung der Uni hat Schwierigkeiten; der Institutsleiter, der dort im Verzeichnis geführt wird, ist bereits vor vier Jahren in den Ruhestand gegangen. Also der Nachfolger. Den gibt es aber nicht, da die Professorenstelle gestrichen wurde. Nach einigen Wochen stellt sich heraus, dass ein Kollege des Pensionärs vor vier Jahren Bedarf angemeldet hatte. Rein zufällig findet sich in der Raumbürokratie das alte Schreiben dieses Kollegen, in dem er erklärt hatte, dass er diese Räume dringend brauche.

Editorial

Der so gemeldete Bedarf war selbstverständlich von Verwaltung und Senat freundlich durchgewunken worden, da dieser Kollege selbst in vielen solcher Gremien sitzt und in der Selbstverwaltung eine große Nummer ist. Daneben hat er natürlich nicht mehr viel Zeit für Forschung und die Einwerbung von Drittmitteln. Ebensowenig für die Betreuung von Doktoranden oder um Geld für Postdocs heranzuschaffen. Vorsichtige Anfragen schmettert er entrüstet ab: Dringend nötig, neues Projekt, wegnehmen gilt nicht – es sind seine Räume.

Deshalb bleiben diese Räume in dem verwaisten Zustand, in dem sie nun schon seit Jahren verharren. Wer weiß, vielleicht kann man sie in einigen weiteren Jahrzehnten als „Museum für Wissenschaft am Ende des 20. Jahrhunderts“ über Eintrittsgelder vermarkten.

Aber jetzt gibt es leider keine zusätzlichen Räume, auch nicht beziehungsweise gerade nicht für aktive junge Nachwuchsgruppen, die dort aktuelle Forschung machen, viele Drittmittel einwerben und entsprechend schnell wachsen. Diese forschenden Wissenschaftler haben leider auch keine Zeit, sich in der internen Verwaltungshierarchie zu verausgaben und dort ihre Wünsche nach mehr Räumlichkeiten vorzubringen und sogar durchzusetzen. Das ist an vielen Universitäten so und selbstverständlich nicht tragbar.

Wie aber kann man es besser machen? Es muss jemanden geben, der objektiv den Bedarf an Räumen beurteilen kann und den Nichtstuern unter den Platzhirschen die verstaubenden Raumfluchten wegnimmt.

An vielen Universitäten in den USA hat man seit Jahrzehnten das Mietmodell eingeführt, in dem die Wissenschaftler von ihren Forschungsmitteln eine Miete für die Räume, Büros und Labors an die Universität bezahlen müssen. Dieses Modell versuchen nun einige deutsche Universitäten nachzubasteln, beziehungsweise zu verbessern und dann einzuführen, schließlich muss ein deutsches System perfekt sein. Und vor allem besser als ein amerikanisches. So wie das Bachelor-System in Deutschland natürlich viel besser ist als das in England oder den USA. Deshalb kann man sich auch nicht an einem erprobten und funktionierenden Modell in den USA orientieren, sondern erfindet das Wrack am besten von Grund auf neu.

Die prinzipiellen Probleme mit solchen Mieten in Deutschland bleiben aber erst einmal unberücksichtigt: in den deutschen Forschungsmitteln sind nämlich leider keine Anteile für Raummieten enthalten. Deshalb lassen sich solche Mieten auch nicht bezahlen. Die deutschen Perfektionisten fordern eine sehr komplizierte Berechnung, da 1 m2 Reinraum, Kühlzelle, Tierstall, Gewächshaus, Büro oder Labor jeweils unterschiedlich viel kosten. US Unis haben das im Griff.

Die Universitäten im Land Berlin machen uns jetzt vor, wie man Kompliziertes noch weiter komplizieren kann – bis ganz viele Leute beschäftigt sind und alle das eigentliche Ziel aus den Augen verloren haben. Das Land Berlin hat den Universitäten vorgeschrieben, beziehungsweise die Universitäten haben gezwungenermaßen zustimmen müssen, dass solche Raummieten eingeführt werden. Das war vor etwa drei Jahren. Jetzt werkelt immer noch jede Universität vor sich hin – die FU hat einen eigenen Beauftragten, die HU hat einen eigenen Beauftragten, und jeder entwickelt selbstverständlich ein eigenständiges System und eine eigene Bürokratie. Damit sind wieder Wissenschaftlerstellen verloren gegangen. Geld, das die Universitäten für Forschung und Lehre hätten ausgeben können, müssen sie nun in weitere bürokratische Maßnahmen und deren konstruktive Entwicklung investieren. Wollen wir wetten, dass weder die Verwaltung der FU, noch die der HU solche Mieten und Raumnutzungen nachweisen oder gar bezahlen müssen?

Ziel dieses ganzen Klimbims sollte ja sein, dass die Räumlichkeiten und Labors an den Universitäten möglichst optimal zumindest aber sinnvoll genutzt werden. Aber das muss doch auch anders möglich sein als über komplizierte Berechnungen. Könnte man nicht einfacher für jede bewilligte Drittmittel-Mitarbeiterstelle einem Institut eine dem Fach entsprechende Zahl von Quadratmetern mehr zur Verfügung stellen? Ein Ingenieur wird dabei einen anderen Bedarf haben als ein Informatiker, ein Biologe einen anderen als ein Historiker. Aber solche Berechnungen kann man bequem bei entsprechenden amerikanischen Vorbildern nachgucken.

Ein solches System dürfte eine bis zwei Wochen Recherche eines Verwaltungsmitarbeiters benötigen, um die Kriterien festzulegen. Oder die Uni stellt den Instituten pro eingeworbenem Drittmittel-Euro entsprechende Quadratmeter zur Verfügung. Alle fünf Jahre wird dies automatisch überprüft, beziehungsweise Räume werden nur für die Dauer von Drittmittelprojekten zur Verfügung gestellt.

Bestimmt gibt es aber auch noch einfachere Systeme, die mir jetzt nicht einfallen – aber ich bin ja auch kein Fachmann in diesen Dingen. Ich bin mir jedoch sicher, dass Platzhirsche aus den okkupierten Büros und Labors besser durch Kanzler und Verwaltung der Universitäten als direkt durch Kollegen vertrieben werden können. Auf einfache Art, dazu ist keine aufwändige Bürokratie notwendig. Aber leider, leider wollen die engagierten Mitarbeiter, die solche Systeme aufbauen, ihre Arbeit auch gewürdigt wissen und beklagen sich, wie kompliziert das alles sein muss, damit es hundertprozentig gerecht ist. Hundertprozentige Gerechtigkeit gibt es aber nicht, in unserem Staat sowieso nicht – schließlich leben wir in einem Rechtsstaat, der nicht primär durch Gerechtigkeit gekennzeichnet ist.

Wie sich solche Verwaltungsmaßnahmen verselbstständigen und eskalieren, zeigt abschreckend die bereits installierte interne Abrechnung von allen möglichen Kosten an Universitäten, zu denen noch keine Mieten dazugekommen sind. So habe ich kürzlich eine Rechnung über runde 0,01 € bekommen, die die Uni-Werkstatt uns gestellt hat. Es ist eine Schraube der Nr. 201001200316, sorgfältig per Hand auf dem Durchschlag des Materialentnahmescheins vermerkt. Auf der Rechnung, selbstverständlich ein extra Blatt, ist unter der Vorgangsnummer die Art Schraube akribisch detailliert: VASENKSCHR. M. INNEN-6KT A2 DIN 7991 M3X6. Nun können wir das auch ordentlich verbuchen.

Egal, auf jeden Fall übersteigen die Kosten des Papiers, des Druckes, des Druckers, des Mitarbeiters, der die Rechnung erstellt, des Mitarbeiters, der diesem gesagt hat, dass er eine solche Rechnung schreiben soll, die Adressierung des Hauspostumschlages, die Sendung, das Öffnen und das Lesen in der Verwaltungsabteilung des Institutes, der entrüstete Aufschrei und die Zeit, die ich gebraucht habe, um dieses zu lesen – all das übersteigt bei weitem den eigentlichen Rechnungsbetrag. Vermute ich mal.

Dieses kleine Beispiel zeigt das eigentliche Problem in der Bürokratie, dass überhaupt nicht mehr nach Wirtschaftlichkeit oder womöglich gar Sinn gefragt wird. Dinge werden einfach gemacht und müssen gemacht werden. Rechnungen müssen intern geschrieben werden, egal, ob das sinnvoll ist oder nicht. Egal, ob das wirtschaftlich ist oder nicht, die Abrechnungen müssen bis auf viele Stellen hinter dem Komma korrekt sein. Irgendwelche grauen Beträge darf es nicht geben, da könnte ja jemand in seine eigene Tasche wirtschaften und möglicherweise eine Schraube aus der Werkstatt für private Zwecke abzweigen und nutzen.

Es ist dabei nicht so, dass die Kontrolle der Kontrolle fehlt, sondern es fehlt jede Möglichkeit, vernünftigen Menschenverstand in bürokratischen Systemen ein- und umzusetzen. Das gleiche steht eben auch bei den Mietsystemen innerhalb der Unis zu befürchten. Diese öffnen ungeheure Kreativkräfte, neue Formulare zu entwerfen und zu erschaffen, mit denen die Menschen, die eigentlich Lehre und Forschung machen sollten, beschäftigt und für Zwecke der Verwaltung eingesetzt werden können, so dass sie nicht mehr auf dumme Gedanken kommen und womöglich Geld der Universität für die Forschung haben wollen.

Wie eingangs gesagt, muss es unbedingt Möglichkeiten geben, die Räumlichkeiten und alle anderen Mittel der Universität im Sinne des Steuerzahlers möglichst effektiv einzusetzen. Dabei müssen unnötige Raumansprüche sofort und streng geahndet werden. Die Räume müssen denen zur Verfügung gestellt werden, die sie optimal nutzen. Dabei wird sich herausstellen, dass so mancher Neubau unnötig war, und dass gleichzeitig der Altbau vollständig abgerissen werden kann und nicht renoviert werden muss. Aber ebenso effektiv und möglichst Arbeit sparend muss auch die Umsetzung dieser Effizienz sein. Und das geht eben nicht mit neuen Formularen.