Einrichtungswahnsinn

Axel Brennicke


Editorial

(31.03.2011) Wie gern würde auch ich Geld sparen, nicht nur mein eigenes, sondern auch Steuergelder. Leider muss das Institut jetzt aber doch sinnlose Ausgaben tätigen. Wir haben es lange aufgeschoben und versucht, mit guten Worten wie „ist ja nicht so schlimm“ und erhöhter Geschwindigkeit beim Durchlaufen auszukommen. Jetzt geht es nicht mehr, Mitarbeiter beschimpfen mich, fehlen wegen Erkältungen durch die nassen Füße und heben anklagend ihre ruinierten Schuhe. Deshalb müssen wir jetzt Gummistiefel kaufen.

Nein, nicht wie Sie denken, nicht um als Botaniker zu botanisieren, nicht um draußen in den schlammigen Feldern herumzusteigen und feuchtes Grünzeug an unwegsamen Sumpfecken und schlammigen Tümpeln einzusammeln. Nein, wir müssen die Gummistiefel anziehen, um ins Gewächshaus zu kommen. Das Dach ist nach einem halben Jahrhundert so undicht, dass bei einem normalen Landregen bereits so viel Wasser hinein plätschert, dass nach zwei Stunden zentimetertiefe Pfützen in Gängen und Abteilen des Gewächshauses stehen. Bei einem stärkeren Platzregen kommen unterarmdicke Wassergeysire aus den Wänden, wahre Sturzbäche durch das Dach. Dann dauert es nicht lange, bis der gesamte Fußboden unter Wasser steht, die tiefsten Stellen natürlich im Hauptgang, so dass man inzwischen eben leider Gummistiefel braucht, um trockenen Fußes zu den Pflanzen zu gelangen.

Editorial

Gummistiefel gibt es aber auch jetzt nur für die Mitarbeiter; für die Studenten, die an den Blättern und Pflanzen und Mimosen Messungen machen sollen, bräuchten wir viele Sets von verschieden großen Gummiüberschuhen. Eine solche Verschwendung von Steuergeldern oder vielleicht sogar Studiengebühren kann ich aber irgendwie nicht verantworten. Also müssen bei Schneeschmelze und Regen die Mitarbeiter die Versuchspflanzen für die Praktika aus dem Gewächshaus holen oder die entsprechenden Versuche müssen bei Starkregen ausfallen.

Dabei sind in diesem maroden Gewächshaus sowieso nur noch wenige Kammern für Pflanzen geeignet, die wichtigste genetische Modellpflanze, Arabidopsis, lässt sich hier schon lange nicht mehr anziehen. Die klimatischen Bedingungen in den Gewächshäusern sind ihr viel zu extrem und zu variabel. Obwohl es theoretisch möglich wäre, sind doch die Gewächshäuser als S1-Räume für das Arbeiten mit genetisch manipulierten Pflanzen zugelassen. Dass diese undichten Stellen nach dem Gentechnikgesetz nicht sein dürfen, berührt die Begehungskommissionen aber nicht.

Sie fragen, warum ich bloß herummaule und mich nicht darum kümmere, dass endlich die Gewächshäuser saniert beziehungsweise kleiner neu gebaut werden?

Das tue ich ja, seit vielen Jahren. Und alle Jahre wieder kommt von der Universitätsregierung die Anfrage, ob wir nicht in dem 1,5 km entfernten botanischen Garten die genetisch veränderten Pflanzen anziehen könnten, ob wir nicht dort die tropischen Testpflanzen für die Studenten wachsen lassen können. Und alle Jahre wieder antworte ich, dass wir den direkten Zugang zu den Pflanzen brauchen und diese weder bei -10 °C oder +30 °C mitsamt ihren genetischen Manipulationen, die sie oft genug zu empfindlichen Krüppeln machen, über Wiesen und Parkplätze schleppen können noch es dürfen. Gentechnikgesetz.

Und alle Schaltjahre kommt dann von der Universitätsbauverwaltung die Mitteilung, dass in dem diesjährigen Haushalt das Geld für den Neubau von Gewächshäusern eingestellt sei, und alle sind sich einig, dass eine Renovierung der 50 Jahre alten Glashäuser nicht lohnt.

Dass wir weniger und kleinere Häuser brauchten, das hat sich die Bauleitung immerhin gemerkt. Fragte man ein paar Monate später bei dieser Bauabteilung nach, so stellte sich heraus, dass das reservierte Geld leider für andere Projekte ausgegeben werden musste.

Dann ist es wieder Zeit für eine Begehung und Besichtigung der Gewächshäuser, allgemeine kopfnickende Zustimmung von vielköpfigen Delegationen, die alle der Meinung sind, dass dringend etwas unternommen werden musste. Und wieder vergeht ein Jahr.

Andererseits ist es vielleicht auch besser, dass nicht neu gebaut und renoviert wird, wenn man sich anschaut, wie dabei mit den Steuergeldern umgegangen wird. Da sind Gummistiefel echte Peanuts. So wurden an meiner Uni gerade zwei betagte Hörsäle renoviert. Da diese für die Lehre in den Naturwissenschaften und unter diesen hauptsächlich für die in der Biologie genutzt werden, hat die Studienkommission für Biologie den Bedarf ihrer Studenten schriftlich bei der Bauabteilung der Universität eingereicht.

Nach der optimalen Aufteilung dieser beiden Hörsäle sollte der eine Raum 90 Studenten fassen, in dem anderen sollten für kleinere Vorlesungen und Seminare 40 Studenten sitzen können. Die Fenster wurden abgedichtet, die Wände neu gestrichen, die Decken neu abgehängt – mit hellen Metallgittern statt der schäbigen uralt versifften Weichfaserplatten, von denen es immer mal wieder einer zu langweilig wurde und sie sich fallen ließ.

Sogar die Tische und Stühle sollten erneuert werden. Die Biologie hatte vorgeschlagen, dass die Stühle so angeschafft und aufgestellt werden sollten, dass alle Studenten auch einen Sitzplatz haben. Farblich sollten die Stühle einheitlich sein, damit sie eindeutig der Biologie zugeordnet werden konnten und nicht quer durch die Universität in irgendwelchen anderen dunklen Regionen versackten.

Das mit den Farben hat nicht geklappt – war ja klar. Aber dass auch Anzahl und Art der Stühle und Tische völlig falsch war, das ist eigentlich nicht verständlich. Aber es ist so: Die Tische sind so groß, dass statt der 90 Studenten gerade mal gut 40 im Saal Platz finden, die Stühle so ausladend, dass in dem anderen Raum statt 40 nur noch 23 Studenten sitzen können.

Die Stühle waren seitlich mit Enterhaken versehen, an denen man sie zu langen Reihen verbinden konnte. Eben diese Haken wurden in anderen Seminarräumen schon vor vielen Jahren von der Werkstatt der Universität abgeflext, da sie nur im Wege waren und wertvollen Platz wegnahmen.

In dem solchermaßen frisch aufgetakelten Seminarraum hatte man zudem statt der normalen Tafel mit Kreidebeschickung eine hochmoderne Projektionsfläche installiert. Auf diesem edlen Teil konnte man mit Spezialeffektstiften die PowerPoint-Darstellungen malerisch umkreisen und zur Multimedia-Schau ausarten lassen, bis den Studenten vor lauter Flips, Flops und Hops das Haupt schwirrte. Eine hochmoderne und voll coole Idee.

Nur leider für die alternden Professoren viel zu fortschrittlich. Bereits nach drei Tagen zog einer seinen Edding aus der Brusttasche und zerstörte mit diesem die hochempfindliche Multimediaoberfläche. Und eine Menge Steuergelder.

Wohl um dieses zu vermeiden, hat man in den beiden Hörsälen gleich ganz auf irgendwelche Projektionsfläche verzichtet. Ob die frisch geweißelte Wand für den schwarzen Edding gedacht ist?

Wie kommt das? Was läuft da schief?

Vor einigen Jahren wurde ein Praktikumsraum für die Ökologie renoviert, bei dem solche Verschwendung nicht passiert ist. Das lag daran, dass sich ein Mitarbeiter dort ein ganzes Jahr intensiv um die Baumaßnahmen gekümmert hat und jede einzelne Bestellung von Stuhl, Tisch und Mikroskop exakt kontrolliert hat, bevor diese irgendwohin gingen. Dieser Mitarbeiter hat dafür gesorgt, dass er seine Anforderungen auch direkt an die Hersteller geschickt hat.

Das ging prima.

Jetzt aber, bei den neuen Hörsälen, hat sich kein Biologe hauptamtlich um die Einrichtung gekümmert. Verantwortungslos haben alle Biologen Biologie gemacht und das Bauen den Bauleuten überlassen. Also gingen die Vorgaben der Biologie zuerst an das Bauamt der Universität, von dort an weitere Abzeichnungsstellen, schließlich an das Bauamt im Hochbauamt des Landes und vermutlich von dort an die Firmen.

Das Bauamt der Universität habe die Informationen der Biologie weitergeleitet, sagte man dort, in dem Bauamt des Hochbauamtes des Landes Baden-Württemberg wusste man gar nichts, zuckte keineswegs verlegen mit den Schultern und sagte, da könne man nichts machen. Es werde leider immer etwas teurer, wenn die öffentliche Hand baut.

Wer weiß, wie die Anforderungen der Studenten und die Vorstellungen der Biologie dort im Bauamt in Gesprächen mit Architekten und Ingenieuren so verzerrt wurden, verloren gingen, vergessen wurden, dass an die Hersteller eine Bestellung herausging, die völlig unsinnig war und nichts mit der Wirklichkeit der Lehre zu tun hatte. Schuld hatte niemand.

Nun kann es ja passieren, dass man etwas Falsches bestellt. Dafür hat der Gesetzgeber ein Rückgaberecht eingeräumt.

Also hat die Studienkommission der Biologie dem Bauamt der Uni im Landesbauamt vorgeschlagen, diese Stühle doch wieder an die Fabrik zurückzuschicken. Da behaupten die Leute im Bauamt, dass diese Stühle Maßanfertigung seien und deshalb nicht mehr an die Herstellerfirma zurückgegeben werden könnten. Diese schäbigen Standardmonster in den frischen Hörsälen sehen allerdings mehr nach einem deutlich heruntergesetzten Supersonderangebot aus, das seit Jahren in der hintersten Lagerhalle der Pressspan- Fabrik ein Schattendasein gefristet hat, als nach pfiffig ausgetüftelten Maßanfertigungen.

Natürlich kann man den Koryphäen von Bauämtern oder den verschiedenen anderen Institutionen nicht unterstellen, dass man dort zu eitel und eingebildet oder zu faul ist, diese Rückgabe zu veranlassen, natürlich ist das nur wieder so ein übellauniger Eindruck. Schwer zu sagen, woher der kommt.

Nun hat die Universität eingesehen, dass es so nicht geht, dass Studenten und Lehre leiden und nicht richtig unterrichtet werden kann. Deshalb hat die Uni-Bauund- Sonstiges-Verwaltung plötzlich Geld gefunden, um Ersatzmöbel nach den Vorgaben der Bio logie-Studienkommission zu beschaffen. Bis zum Ende des Semesters sollen die neuen Möbel da sein – aber jegliches Geld für ein energetisch und sonstwie saniertes Gewächshaus ist wieder einmal verschwunden.

Die vielen falsch gekauften Tische und Stühle will die Universität behalten, was soll sie schon tun gegen das Bauamt? Die speziell angefertigten Möbel sollen jetzt an anderer Stelle der Universität Verwendung finden. Ob das wohl mit Maßanfertigungen klappt?