Marketing statt Forschung

Axel Brennicke


Editorial

(25.06.2011) Bewundern wir nicht alle seit Jahr und Tag den genialen Einfallsreichtum der Regierungen und Verwaltungen (auch) an unseren Universitäten bei der Umwandlung von Geldern für produktive Forschung und Lehre in die a priori unproduktive Peripherie und Dienstleistung? Man denkt, man hätte nach 30 Jahren alles gesehen, und da ja auch fast gar keine Stellen mehr in Forschung und Lehre übrig sind, sei das alles vorbei.

Viel zu klein gedacht: die Phantasie der Bürokratie kennt keine Grenzen, ihre Innovationsfähigkeit sprengt immer wieder unser schlichtes Vorstellungsvermögen. Das neueste geniale Planspiel kommt von der Universität Ulm, Marketing (Dezernat I-4), Zimmer E.05b, an alle Kollegen vom Dekanat weitergeleitet. Es steht zu befürchten, dass diese Merkwürdigkeit wirklich Realität wird, da damit wieder erfolgreich Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter aus Forschung und Lehre abgezogen werden können. Aber jetzt zum Thema, und machen Sie bitte nicht mich dafür verantwortlich, wenn Sie nicht verstehen, worum es eigentlich geht:

Die Fakultät hat die Möglichkeit, ab sofort eine zusätzliche halbe wissenschaftliche Stelle (E13), zunächst befristet auf drei Jahre, einzurichten für die Tätigkeit eines Marketinglotsen bzw. für dessen Entlastung.“ Was ist das eigentlich für eine Satzstellung? Das Verb mitten drin auf verlorenem Posten – und die bürokratische Drei-Jahres-Info als Relativsatz, der keiner ist? Wenn diese verschraubte und vollbürokratisierte Sprache ein Maßstab für die Qualität des Hochschulmarketings ist, dann sind die beiden neuen Stellen aus Forschung und Lehre der Fakultäten zu 100 Prozent fehl investiert. Sie haben Recht, das hatte ich schon längst unterstellt, aber es ist doch schön, wenn sich Vorurteile belegen lassen.

Editorial

Was sind „Marketing-Lotsen“ eigentlich? Zum Marketing sagt Wikipedia als Zitat (H. Meffert et al., „Marketing“, 10. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 10 ff.):

„Der Begriff Marketing (veraltet Absatzwirtschaft) [...] bezeichnet zum einen den Unternehmensbereich, dessen Aufgabe (Funktion) es ist, Waren und Dienstleistungen zu vermarkten; zum Anderen beschreibt dieser Begriff ein Konzept der ganzheitlichen, marktorientierten Unternehmensführung zur Befriedigung der Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden und anderer Interessengruppen (Stakeholder). Damit entwickelt sich das Marketingverständnis von einer operativen Beeinflussungstechnik (Marketing-Mix- Instrumente) hin zu einer Führungskonzeption, die andere Funktionen wie zum Beispiel Beschaffung, Produktion, Verwaltung und Personal mit einschließt.“

Anscheinend ist Marketing also nicht nur der Verkauf von Zahnpasta oder Autos, sondern auch eine Führungskonzeption. Na gut, das also soll der „Lotse“ der Fakultät vollbringen. Und wie soll er das?

„Das Präsidium möchte im Rahmen des Aufbaus eines umfassenden Hochschul- und Forschungsmarketings „Marketing Lotsen“ einrichten, die aus den Fakultäten heraus benannt werden und kontinuierlich an diesem Marketing-Prozess beteiligt sind; sie arbeiten mit dem zentralen Hochschulmarketing sowie dem Präsidium und den Dekanen zusammen.“

Das kann nur eine Bürokratie: Lotsen einrichten, die dann was tun sollen! Aus unerklärlichen Gründen hat sich noch niemand freiwillig gemeldet...

„Da es inhaltlich sinnvoll ist, an der Basis – also in den Fachbereichen und Fakultäten – die Bedürfnisse zu ermitteln und Vorschläge je nach fachlichen Anforderungen zu formulieren, liegt in dem Konzept ein großes Potenzial.“

Die Basis der Universität in den Fakultäten weiter verkleinern – nur gut so, die Basis verursacht sowieso bloß mehr Arbeit für die Peripherie. Und meckert womöglich noch rum. Aber die zentrale Marketingabteilung meiner Universität braucht eigentlich ja keine Basis – außer als Zuarbeiter. Kleinlicher Kleinkram.

„Gedacht ist daran, dass ein/eine Professor/ in aus der Fakultät offiziell die Rolle des Lotsen übernimmt und die damit anfallenden organisatorischen Aufgaben an den/die Akademische/n Mitarbeiter/in delegiert. Es gilt also einen Lotsen zu finden, der fakultätsintern als „Seismograph“ und „Korrespondent“ tätig ist.“

Als Lotse wird also ein Prof gesucht, aber wer von denen will schon Sachen verhökern und Führungskonzepte erarbeiten? Die Beruhigungspille: Der Prof wird eigentlich nur zur Lotsen-Titel-Show und als Gallionsfigur gebraucht. Die eigentliche Arbeit des Lotsen soll der wissenschaftliche Mitarbeiter als Delegierter machen. Damit werden zwei ganze Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeitern aus Forschung und Lehre abgezogen, um als „Lotsen“ sinnvoller eingesetzt zu werden. Zwei ganze Wissenschaftler. Als Lotsen.

Damit ist vom Lotsen-Prof der Druck weg – aber welcher? Offensichtlich doch nicht der, im Sinne eines „Marketing“ etwas zu leisten, sondern „fakultätsintern als „Seismograph“ und „Korrespondent“ tätig“ zu werden. Korrespondent wie in ZDF-Auslandskorrespondent und wie in Briefeschreiber? Also Beiträge auf Papier liefern, um die Bürokratie zu beglücken? Seismograph? Wikipedia sagt dazu: „Ein Seismograf bzw. -graph ... ist ein Gerät, das Bodenerschütterungen von Erdbeben ... registrieren, erkennen und lokalisieren kann.“ Der Lotsen-Prof soll Erdbeben in der Fakultät anzeigen? Wie auch immer das gemeint ist, zunächst soll sich der Lotsen-Prof gefälligst erst einmal selbst rechtfertigen, er soll „Bedürfnisse der Fakultät bzw. der Fächer im Bereich Kommunikation/ Marketing zu Forschung, Studium und anderen Themen erarbeiten, mit den o.g. Stellen abstimmen“. Offensichtlich ist dies alles so absurd, dass sich sogar die Bürokratie ausnahmsweise rechtfertigen muss. Vorbeugend, nur falls jemand zu fragen wagt, ob wir so einen Lotsen-Prof überhaupt brauchen – und wenn, wozu.

Immerhin wird jetzt die konkrete Stellenbeschreibung für den akademischen Mitarbeiter mit der halben E13-Stelle geliefert. „Dieser Lotse kann durch die halbe E13-Stelle entlastet werden (z.B. bei Terminvorbereitung, inhaltlichen Abstimmungen, Recherchen etc.).

Wenn ich das den DoktorandInnen erzähle, die mit ebensolcher halben Stelle durchgefüttert und gemästet werden – sie werden sofort die Pipette wegwerfen, das Manuskript verbrennen und lieber meine Termine vorbereiten, also Kaffee kochen und Tischvorlagen kopieren.

Nun noch einmal zum Sender dieses Pamphlets, dem „Marketing(Dezernat I-4) Zimmer E.05b, Erreichbarkeit: Montag bis Freitag vormittags“. Geworben wird also wenn, dann nur vormittags, einen Anrufbeantworter gibt es nicht, und der im Rundschreiben angegebene Link zum Hochschulmarketing funktioniert nicht. Das macht auch wiederholtes Klicken nicht besser – diese Webseite existiert nicht. Totale Katastrophe.

Diese professionelle Erreichbarkeit weckt brausende Begeisterung für den „Marketing-Lotsen“. Wenn bei einer Marketing- Zentrale nicht mal die Webseite gefunden werden kann, kann der Druck auf eine anständige und aggressive Propaganda für den Verkauf der Uni-Produkte in die Welt nicht so überwältigend sein.

Der Präsident der Uni, gefragt, wozu diese Stelle da sein soll, wozu Wissenschaftler ab- und fakultätsinterne Marketing- Fuzzies angestellt werden, weiß es auch nicht so recht. Er gibt die Frage mit dezentem Kopfnicken aus der Fakultät an den Rest des Präsidiums weiter. Dort sieht man förmlich, wie sich Gedanken durch Gehirnwindungen quälen, bis sich zur allgemeinen Erleichterung ein Prof-Kollege erbarmt und meint, dass in seinem Fach Werbung für Master-, aber auch für andere Studenten nötig sei. Viele liefen weg aus Ulm, sobald wie möglich, spätestens nach dem Bachelor.

Verstehen Sie das?

Ach, wären wir doch beim Diplom geblieben!