Ungeliebte Forschung

Axel Brennicke


Editorial

(22.12.2011) Einige Ex-Studenten werden Lehrer, weil sie den Betrieb seit Jahren kennen und nach einem kurzen Gastspiel an der Universität wieder zurückgehen können. Einige gewöhnen sich an der Universität ein und würden gerne dort bleiben – insbesondere wenn sie nach vier bis fünf Jahren Studium noch drei Jahre für ihre Doktorarbeit in einem netten, lustigen und auch deshalb guten Labor gelebt haben. Welche Möglichkeiten haben sie, um an der Universität mit kreativer Arbeit, also mit Forschung, überleben zu können?

Um das Fazit gleich vorwegzunehmen: die Politik und die Universitäten wollen keine Forschung an den Universitäten in Deutschland. Sie tun alles, um Sie zu vertreiben.

Eigentlich ist der Stellenwert der Forschung für alle Universitäten gesetzlich als erste Priorität festgeschrieben. Trotz allem Gelaber von Internationalität und Mobilität hat immer noch jede Provinz in Deutschland ein eigenes Hochschulgesetz. Immerhin sind die Formulierungen sehr ähnlich, Forschung steht an erster Stelle. Aber wie ist es in der Realität? Wie viele Arbeitsmöglichkeiten, das heißt Stellen und damit Stellenwert, gibt es für die Forschung an der Universität? Lassen Sie uns nachschauen.

Editorial

Am einfachsten bekommen wir dazu einen Überblick im Jahresbericht. An der Uni Leipzig haben wir 2010 für 28.000 Studenten 1.024 wissenschaftliche Mitarbeiter. Inklusive der paar Professoren natürlich. Andere Angestellte sind 1.007, also fast genauso viele. Ähnlich sieht es an meiner Universität Ulm aus, 872 wissenschaftliche und 830 normale Angestellte sollen 8.000 Studenten unterhalten. In Bochum veranstalten 2.861 wissenschaftliche und 2.155 nicht-wissenschaftliche Leute Brot und Spiele für 36.000 Studenten.

Dabei ist die Universität Bochum die einzige, die zumindest im wissenschaftlichen Bereich ehrlich das wissenschaftliche Personal unterteilt in unbefristete Stellen und solche, die leicht ersetzbar sind. Für jeweils 100 Studenten gibt es eine unbefristete Professorenstelle, nämlich 376. Dazu kommen 54 nur vorübergehend angestellte Juniorprofessoren. Wiederum für je 100 Studenten und damit für einen Professor gibt es im Schnitt eine unbefristete Personalstelle für wissenschaftliche Mitarbeiter, insgesamt 361. Unklar bleibt, ob dazu die technischen Assistenten gehören.

Fast 90 Prozent des wissenschaftlichen Personals, nämlich 2.070 Personen, sind ‚befristet’, das heißt, jederzeit leicht ersetzbar und an der Universität nur geduldet. Sie sind eigentlich nicht notwendig und nicht gewollt. Unklar bleibt, ob die DFGfinanzierten Mitarbeiter mit dabei sind. Die haben jedenfalls auch ausschließlich Verträge mit der Universität und nicht mit der DFG.

Um Wissenschaft an der Universität machen zu können, brauchen Sie eine Stelle. Nicht nur, um BigSnack und ein Hjundbrö-Bett kaufen zu können, sondern auch um DFG-Geld beantragen zu können. Ein paar Jahre kann die DFG Ihre Rentenbeiträge beisteuern, ein paar weitere überleben Sie mit den Wegwerfstellen von der Uni, aber dann ist es vorbei. Entweder Sie sind Prof oder Sie sind auf einer unbefristeten Stelle. Wie groß ist Ihre Chance dazu? Wie gesagt, es ist schwer zu sagen, ob dieses „wissenschaftliche Personal“ nur die promovierten Wissenschaftler sind oder auch die Verwaltungen und Sekretariate in den Instituten, Lehrstühlen und Fakultäten beinhaltet. Nehmen wir optimistisch mal an, alle sind ‚richtige’ Vollblut-Wissenschaftler. Das wären dann fast so viele wie Professoren.

Und wie viele sind das? Wie groß ist Ihre Chance auf einem Stuhl zu sitzen? 1995 gab es in Deutschland an Universitäten noch 25.000 Professoren, 2005 waren es etwa 23.500, 2009 waren es 21.500. Wohlgemerkt nicht nur in den Biowissenschaften, mit dabei sind auch die Juristen, Indologen und Germanisten. Wie viele es heute sind und in ein paar Jahren sein werden, können Sie leicht extrapolieren.

Wie viele davon aber werden pro Jahr überhaupt frei? Ein Beispiel: Ich sitze nun seit 23 Jahren. Und gebe den Löffel noch lange nicht ab. Nehmen wir ein Durchschnittsalter von 40 Jahren bei dem Ansitz an, dann bleibt jeder so 25 Jahre. Dann werden pro Jahr 860 Sitzplätze frei.

Pro Jahr promovieren etwa 25.000 Menschen in Deutschland. Einer von etwa 21 Doktoren hat also eine Chance auf freie Forschung an der Uni. Ein weiterer der 21 steht neben dem Stuhl und darf dem Lehrstuhl(be)sitzer Frischluft zufächeln. Wenn er Glück hat, sogar selbst eine Idee bei der DFG vortragen und untersuchen.

Wobei das so nicht stimmt. Denn dieses ‚wissenschaftliche Personal’ muss eigentlich fächeln, Studenten bespielen helfen und Klausuren korrigieren. Und soll nicht selbst denken und schon gar nicht ‚eigene’ Ideen beforschen. Deshalb haben sie ja überhaupt andauernde Stellen, sind unbefristet an der Uni. Ebenso, wie die Tausende an nicht-wissenschaftlichem Personal. Nur verwaltende Tätigkeit hat Dauer. Forschung nicht.

Logisch. Bis man Forscher ist, hat man gerade mal läppische acht bis zehn Jahre nach dem Abitur investiert. Bis man in der Unibehörde verwaltet, sind stolze drei bis vier Jahre ab Abi vergangen – falls man dieses gemacht hat. Und der Steuerzahler hat in einen potentiellen Wissenschaftler deutlich mehr Geld investiert als in die Befähigung zum nicht-wissenschaftlichen Personal. Da ist es doch nur logisch, dass jemand mit einer längeren Ausbildung leichter zu ersetzen ist, als jemand mit einer deutlich kürzeren. Oder?

Hat da jemand gesagt, es gibt faule Professoren und wenn ein Wissenschaftler doch einmal eine unbefristete Stelle ergattert, lehnt er sich sofort zurück und genießt das Leben? Und deshalb sollte es keine Dauerstellen mehr geben. Das ist so logisch, wie das Arbeitslosengeld und das Sozialsystem wegen Florida-Rolf oder Mallorca-Ede ganz abzuschaffen. Oder 100 Kontrolleure einzustellen. Da gibt es noch ganz andere Ruhepöstchen.

Es ist eine Frage von Exzellenzcluster, Schwerpunktbildung, Interdisziplinarität und so ‘nem Kram. Schwerpunkt ist an den Universitäten immer das nicht-wissenschaftliche Personal. Das nimmt deshalb auch von Jahr zu Jahr zu: Uni Ulm 2009- 2010, „kiz-Personal“: 10 Personen aus, 16 Personen ein. Jetzt fragen Sie sich, was „kiz“ ist – das tue ich schon seit Jahren. Erstaunlicherweise gibt es an sehr vielen Unis ähnliche Smokescreens mit ähnlichen Akronymen.

„kiz“ ist das Kommunikations- und Informations-Zentrum der Uni Ulm. Was die Leute da machen? Das sollten Sie eigentlich wissen, denn „Seit September ist das kiz mit einem eigenen Auftritt in Facebook vertreten...“ Toll oder? Das beschäftigt sicher mindestens einen der vielen, vielen Mitarbeiter. Die anderen? Nun, da gibt es zum Beispiel die Abteilung Informationsversorgung und die Abteilung Informationsmedien. Jede Abteilung hat mehr als 20 Personen Personal. Vergleich: die normale wissenschaftliche Abteilung/Institut hat um die 6 Personen – aber die machen ja auch bloß die unwichtigen Aufgaben der Universität, Forschung und Lehre.

Die Abteilung Informationsversorgung definiert sich so: „Die Abteilung stellt in der Bibliotheks-Zentrale und in zwei fachlich spezialisierten Bereichsbibliotheken beinahe den gesamten Bibliotheksbestand an Print- und Nonprint-Medien den Nutzern zur Verfügung. Darüber hinaus beschafft sie nicht in Ulm vorhandene Literatur aller Art aus anderen Bibliotheken...“. Die Abteilung Informationsmedien dagegen: „Die Abteilung organisiert den Einkauf der Print- und E-Medien aller Art und katalogisiert die Bestände im lokalen Bibliotheks-Verwaltungssystem sowie sämtliche monographischen Bibliotheksmedien im Südwestdeutschen- Bibliotheksverbund...“.

Alles klar? Die eine Abteilung kauft und katalogisiert, die andere stellt das Zeug zur Verfügung und beschafft. Logisch, dass man dafür Dauerstellen braucht. Für die Lehre der jungen und jüngeren Studenten reichen befristet Angestellte völlig aus. Schließlich ändert sich ja auch der Lehrstoff dauernd, da müssen immer frische Leute her. Dagegen halten sich Bücher länger, Zeitschriften gibt es fast nur noch online, da muss man nichts mehr sortieren, nur noch online katalogisieren. Oder auch nicht. Auf jeden Fall ist Erfahrung wichtig. Die ist nach Meinung der Politik, der Ministerien und der Universität aber für Forschung und Lehre nebensächlich, eher hinderlich.

Wissenschaft und Wissenschaftler an der Universität? Geben Sie es zu: Ihre Chancen sind schlecht. Der beste Rat: Nehmen Sie die Worthülsen der Politik bei ihrem hohl hallenden Laut. Werden sie international, gehen Sie weg ins Ausland, wenn sie Forschung machen wollen.

Wenn sie es nicht soweit schaffen, versuchen sie an einem MPI oder einem Leibniz-Institut zu landen und investieren Sie Ihre ganze Kreativität in die Sicherung einer unbefristeten Stelle. Auf gar keinen Fall spekulieren sie auf eine der mit der Häufigkeit einer neu entdeckten blauen Mauritius freiwerdenden, unbefristeten Stellen an der Universität. Da haben Sie bei dem staatlichen, Fußballclub-finanzierenden Lotto eine bessere Chance.