Bewirtung

Axel Brennicke


Editorial

(24.04.2012) Ich weiß, Sie hätten mir das gleich gesagt. Na ja, wirklich überrascht bin ich ja auch nicht. Den Bettelbrief an Kanzler und Rektorat meiner Uni hätte ich mir sparen können. Jetzt ist aber die Begründung der Ablehnung derart symptomatisch voll logischer Selbst-Beinstellerei ausgefallen, dass ich Ihnen diese Argumentationsakrobatik nicht vorenthalten will.

Also, wir haben da seit einigen Jahren so einen lockeren Verbund zwischen den Pflanzenmolekularbiologen an den Unis in der Region – Tübingen, Stuttgart, Hohenheim und Ulm. Dieser Not-Verband hat zwar den voll coolen Namen „Regio- PlantScience“, ist aber sonst nicht förderungsfähig, da er von wissenschaftlichem Interesse lebt und nicht nach einem der Hohlblock-Raster der Landes- und Bundesministerien oder gar der EU aus Nichts und gutem Wetter für Spesen geschaffen wurde.

Einmal im Jahr treffen wir uns für einen Tag, erzählen uns die Highlights der letzten 364 Tage und zeigen neueste – und überhaupt vorhandene – Methoden auf Postern. Dazu fahren wir aus Tübingen oder Ulm mal nach Stuttgart oder Hohenheim, dann wieder sind wir am Max- Planck-Institut oder an der Uni in Tübingen. Dabei hat es sich eingebürgert, dass der Gastgeber irgendwie ein paar Kulis für die Gäste auftreibt, sie mit Kaffee wach hält und mittags mit einem grandiosen Mahl in Mensa oder Kantine ruhig stellt.

Editorial

Neulich waren wir in Ulm dran. Leider existiert hier für die 400 Studenten der Biologie und 250 der Biochemie kein anderer Pflanzenmolekularbiologe. Sorry, der vorletzte Mohikaner wurde gestrichen, jetzt vegetiert nur noch der Allerletzte in die Rente. Also war der dran.

Das mit den Kulis und Schreibblöcken war kein Problem, der hausinterne Chemikalienhändler hat nachgeschaut und gesehen, dass er von unseren DFG-Geldern mitfinanziert wird, und hat gleich einige Kisten rüber gereicht. Das mit dem Mittagessen war da schon schwieriger. Schließlich schrieb ich doch wider besseres Wissen einen Bettelbrief ans Unipräsidium, ob die Uni eventuell vielleicht eine Kleinigkeit zu dieser Arbeitstagung beitragen und für das leibliche Wohl der Gäste sorgen könne, damit der geistige Austausch entspannter würde. Darauf kamen die versprochenen abgefahrenen Argumente der Universitätsregierung in Person meines Kanzlers:

„Repräsentationsausgaben (Speisen und Getränke) dürfen nur in sehr begrenztem Umfang aus dem Landeshaushalt finanziert werden. Bei der Verausgabung dieser Mittel sind die Vorgaben des Finanzministeriums ... Grundsatz der Sparsamkeit ...

Wenn Ausgaben für Repräsentationen erforderlich werden, müssen sie in einer adäquaten Relation zum jeweiligen Anlass stehen. Auf ein Essen ist im Allgemeinen zu verzichten. Auch bei Arbeitstagungen sollen Bewirtungen grundsätzlich unterbleiben. Gepflogenheiten außerhalb des öffentlichen Dienstes sind dabei kein Maßstab. Aus diesem Grund ist es uns nicht möglich, Ihnen einen Zuschuss für das Meeting zu gewähren.“

Klar, der Grundsatz der Sparsamkeit gilt im Schwabeländle. Aber die Unis Tübingen, Stuttgart und Hohenheim sind im selben Land. Und pflegen auch keine Gepflogenheiten außerhalb des öffentlichen Dienstes. Irgendwie konnte ich von den Kollegen und den nicht nur wissenshungrigen Doktorandinnen von 9 bis 17 Uhr aber auch keine Verzichtserklärung erwarten, gerade auch da Wissenschaftler eher nicht zu viel Sitzfleisch mit sich herumtragen. Hätte ich bei der Einführung im Hörsaal ein Bild an die Wand werfen sollen mit: „Auf ein Essen ist im Allgemeinen zu verzichten“? Das macht man nicht. Nicht außerhalb des Öffentlichen Dienstes.

Meine Plattitüde „Das macht man nicht“ ist also kein Maßstab im Öffentlicher Dienst (ÖD). Im ÖD lädt man Gäste ein, ohne sie zu füttern. Mehr als einen harten Holzstuhl hat man nicht zu bieten. Die jahrtausendealte Unsitte, einem Gast als Zeichen, Willkommensgruß, Ehrerbietung, Friedenssymbol oder was auch immer etwas zu trinken und zu essen anzubieten, wurde offensichtlich mit der Einführung des ÖDs abgeschafft.

Oder nur an der Universität?

Oder nur an meiner?

Nicht einmal als Ausgleich für empfangene Gaben der Gastgeber an den anderen Unis scheint meine Uni es für nötig zu halten, Gastfreundschaft anzubieten. Offensichtlich gibt es so etwas schon, aber nur für willkommene Gäste, denn für angehende oder bestehende Medizinstudenten und für Feierlichkeiten, zu denen die Lokalpresse herangeschleppt wird, gibt es Winkel von Toast Hawaii, Rotbäckchen vom Tomatenstrauch und Koffeinbohnenextrakt mit und ohne weißer Zipfelmütze.

Interne Besprechungen und Sitzungen, an denen mindestens eine Person aus der Verwaltung beteiligt ist, haben immerhin Wasser aus Flaschen statt aus der Leitung sowie Saft aus heimischen Äpfelchen. Wissenschaftler von anderen Universitäten passen jedoch weder in die eine noch in die andere Kategorie. Selbst schuld, wer solche Leute einlädt.

Aber richtig bizarr wird das ganze erst im historischen Kontext und direkten Vergleich, wir sind noch nicht am Ende mit dem Kauderwelsch. Da gab und gibt es noch das höchst relevante Rundschreiben aus grauer Vorzeit (Nr. 12/2009, von vor zwei Jahren): „An die Einrichtungen Universität Ulm“, ebenso wie der Brief an mich auch von meinem Kanzler unterschrieben. Ich bin doch eine Einrichtung Universität Ulm, oder?

Also, nach viel Steuernspar-Blabla steht da zu lesen: „... können Repräsentationsausgaben nur dann ohne steuerliche Konsequenzen für die Universitätsmitglieder vorgenommen werden, wenn folgende Punkte beachtet werden: 1. Der Anlass für Repräsentationsausgaben muss im besonderen Maße von Bedeutung und Interesse für die Universität sein. Hierzu zählen neben der Einwerbung von Drittmitteln auch Projekt- und Arbeitstreffen.

Na also, Volltreffer, auch Arbeitstreffen können von der Uni Zuschuss bekommen, sogar explizit solche, die nicht zur sofortigen Belohnung der Schnittchen-Investition durch Instant-Kohle von der DFG oder dem BMBF dienen. Unsere jährlichen Versammlungen vom „RegioPlantScience“- Club zum Austausch von allerhand Dönekes und Beleidigungen vom ÖD unserer Unis qualifizieren sich in jedem Fall dafür.

Punkt 2 aus dem Rundschreiben: „Die Bewirtungskosten müssen sich in einem angemessenen Rahmen bewegen. Das Präsidium ist sich darüber einig, dass künftig ein Betrag ... von maximal € 44,- pro Person und Bewirtung erstattet werden kann.

Jaja, ich weiß, da steht „kann“. Muss nicht erstattet werden.

Was ist aber eigentlich eine Bewirtung? Wenn die Gäste morgens um 5:30 Uhr aufstehen, um 7:00 Uhr zum Treffen fahren, dann von 9:00 bis 17:00 Uhr auf Holzklappen die Durchblutung unterdrücken und so acht Stunden „entspannen“, ist das dann eine Bewirtung? Und wenn man gar auf die abseitige Idee kommt, alle zwei Stunden eine Pause für Kaffee und mittendrin sogar eine längere für die Aufnahme fester Nahrung einzubauen, wie viele Bewirtungen das wohl sind?

In jedem Fall reichen uns 44 € für den ganzen Tag pro Nase, denn das Studentenwerk, Spezialist für absolutes Tiefpreisessen, hat zähe Pizzen und schlickige Pasta bereitgestellt. Gemecker gab‘s keins – wer an der Uni is(s)t, ist abgehärtet. Auch die Fläschle mit ganz stillem Wasser wurden pünktlich geliefert, ebenso die (hervorragende und essenzielle) Maschine zum Kaffeezapfen. Kekse und Nüsse gab‘s von den örtlichen Billigdiscountern dazu. Wegen der Sparsamkeit.

Woher das Geld für das Futter für die Gäste jetzt kam? Von den Drittmitteln natürlich. Da wir aber nur DFG-Gelder haben, die für die Forschung und für nichts anderes da sind – was ja auch völlig korrekt ist –, haben wir die Overhead-Mittel angezapft, die ja bekanntlich für alles im Hintergrund da sind. Und hier muss ich meine Uni loben, die überlässt uns nämlich tatsächlich einen Teil davon. Für die Nachbesserung der Infrastruktur. Und die Ausrichtung von Arbeitsessen.

Apropos Arbeitsessen: Von den Landesmitteln der Uni werden (vermutlich, dazu gibt mir natürlich keiner Auskunft) durchaus Arbeitsessen finanziert, aber eben nur ganz wichtige, zum Beispiel beim Empfang für einen der Redner der Rentner-Uni, Verzeihung, der „Bunten Reihe“: Irgendeine Ringvorlesung zu einem Thema, das das Stadthaus mit kulturbeflissenen Rentnern füllt. Wieder winkt als Lohn der Unkosten ein Händeschüttelbild im Lokalteil.

Da sind die Repräsentationsausgaben sogar aus ÖD-Sicht gewinnbringend angelegt: Zur Vorteilsnahme der Universitätskasse, nur wenn direkt Geld von außen als Drittmittel hereinkommt, nur wenn direkt absehbar. Nur die direkte Anwendung zählt.

Grundlagen sind nicht notwendig für Politiker mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Kleinkindes. Wer von „Instant Gratification“ lebt, kommt prima ohne Tellerrand aus. Fachliche Argumente gibt es nicht, verwaltungstechnische sind ja okay, aber dann bitteschön wenigstens halbwegs logisch und nachvollziehbar.

Ach ja, ich hege noch einen halben Schreibpapierblock für besondere Fälle von der Uni Hohenheim und für ganz besondere vom MPI Tübingen.

Uni-Ulm-Papier mit Logo darf ich mir selbst ausdrucken, dafür habe ich eine Datei bekommen.