Angestellte ohne Verfallsdatum

Axel Brennicke


Editorial

(10.05.2012) In den letzten Monaten läuft eine merkwürdige Diskussion, besonders in der FAZ, über den mal armen, mal ausgebeuteten, mal unsinnig jammernden Privatdozenten (PD), die man nicht so stehen lassen kann. Zuerst eine Richtigstellung: PD, das ist keine Akkolade, keine Bestätigung irgendwelcher Qualifikation oder gar Leistung – dazu gibt es die Habilitation.

Der Titel „habil.“ bleibt auch am Nicht-PD kleben. Der PD ist eine freiwillige Verpflichtung, ein Tauschgeschäft mit einer Universität, bei dem die Uni den dekorativen Titel PD vergibt und dafür mit zwei Semesterwochenstunden Lehre bezahlt wird. Wer „PD“ auf seine Visitenkarte schreiben will, darf sich nicht über die Bezahlung in Form von Lehre beklagen.

PD Stefan Laube hat daher mit seinem Gejammer über die Lehrverpflichtung des PDs völlig daneben gegriffen (FAZ, 22.2.2012), denn diese Buchstaben muss man nicht haben. Es sei denn fürs Ego. Andererseits hatte PD Laube Recht, als er über das Verhältnis zwischen unbezahlt arbeitendem PD und beamtetem Professor in der deutschen Universität schrieb:

‚The German Way of Life‘ verkörpert hier [...] der gestählte Ordinarius [...] Dabei gehört es zum guten Ton, dass diejenigen, die es geschafft haben, jenen, die auf der Strecke bleiben, mit Arroganz und Kälte begegnen...“ Mit eben dieser Arroganz versucht Prof. Dr. Volker Rieble PD Laube eine Woche später in seine Schranken zu weisen (FAZ, 29.2.2012): „Der Professoren-Stellenmarkt ist begrenzt [...] Außerdem sind die Ansprüche an die Habilitation im Zeitalter der Massenuniversität gesunken: Wirklich originelle Köpfe bringt diese so selten wie früher hervor.

Editorial

Obwohl der Professor Jurist ist, liegt er in einer ganzen Reihe von seinen Argumenten ziemlich schräg. Zum Beispiel hat PD Laube durchaus keine sofortige Verbeamtung aller PDs direkt nach der Habilitation gefordert. Wenn dem Prof nur diese eine Möglichkeit einfällt, wie Wissenschaftler aus der tatsächlichen Ausweglosigkeit unserer Universitäten heraus kommen können, dann ist es mit der deutschen Rechtslehre an den Universitäten wohl nicht weit her. Das Problem ist, dass es für die meisten Wissenschaftler keine Perspektive mehr gibt. Wenn laut Rieble die wenig originellen Versager-PDJuristen „in Ministerien [...] Verwendung finden“, dann ist das schön für diese ausgemusterten Nichtskönner, andererseits kein gutes Zeichen für die Qualität der Arbeit in den Ministerien. Aber das wussten wir ja schon.

Nein, was wir benötigen, sind konstruktive Vorschläge, wie wir dieses Dilemma lösen können, an dem nicht nur das Schicksal der PDs hängt, sondern auch die Ausbildung der nächsten Generation fähiger Köpfe. Geld ist genug da. Es wird nur für die falschen Dinge ausgegeben. Leider entscheiden wie fast überall auch an den Unis Bürokratie und Profil-politischer Opportunismus über die Ausrichtung der Forschung und maßen sich an, in die Zukunft blicken zu können; zu sehen, welche Forschung sensationelle Ergebnisse liefern wird. Dazu stellte der Literaturwissenschaftler Remigius Bunia richtig fest, dass die Lehre und vor allem die Freiheit der Lehre an den Unis ein Anachronismus ist (FAZ, 20.3.2012): „In absurder Weise hat nämlich die Universität bei ihrem Ausbau zur Massenuniversität zu leugnen begonnen, dass Wissenschaft ein schlichter Beruf ist [...] Die Landtage und Landesministerien haben bei der Einführung der Massenuniversität zu allem Überfluss vergessen, irgendwelche Anreize zu schaffen, die den Einsatz für den Universitätsunterricht honorieren würden; man verlässt sich auf den Idealismus der Beschäftigten.

Auch wenn ein Beamter den Beamtenstatus als die höchste anzustrebende Glückseligkeit ansehen mag, so wäre der Wissenschaft und dem wissenschaftlichen Nachwuchs viel geholfen, wenn dieser zumindest irgendeine Perspektive zu bezahlter Arbeit hätte. Durch die bundesweite Befristung aller Angestelltenstellen an den Universitäten auf maximal zwölf Jahre wird dem Nachwuchs gerade noch eine Anstellung bis zur Habilitation, bis zum PD, ermöglicht. Danach geht nichts mehr.

Dieses Befristungsgesetz aufzuheben und eine unbefristete Anstellung an den Universitäten zu ermöglichen, wäre wirklich sinnvoll. Dabei sollten wie in der Industrie Kündigungen durchaus möglich sein, falls jemand auf die dumme Idee kommt, er sei jetzt quasi beamtet und im Staatsdienst und könne sich auf die faule Haut legen. Solche unbefristeten Stellen sind an den Universitäten durchaus möglich und üblich, aber leider nur in der Verwaltung, nicht da, wo die Arbeit gemacht wird, wofür die Universität gemäß Hochschulgesetz eigentlich da ist, nämlich Forschung und Lehre. Gerade mal zehn Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter sitzen an den Unis auf unbefristeten Stellen, und dabei sind die technischen Assistenten miteingerechnet. In den Verwaltungen der Universität dagegen sind 90 Prozent aller Stellen unbefristet, die übrigen 10 Prozent sind vor allem Lehrlinge oder Praktikanten.

Auf dieses Missverhältnis angesprochen, antworten die Universitätsregierungen lakonisch, dass die Bürokratie ihrer Herrschaft eine gewisse Kontinuität erfordere. Offensichtlich ist eine solche Kontinuität in der Forschung nicht notwendig. Das ist ein erstaunliches Argument. Man man bedenke, dass ein Wissenschaftler bis zu seiner Qualifikation und dem Nachweis durch die Habilitation, selbstständig an der Universität lehren zu können, eine, wenn es schnell geht, fünfzehnjährige Ausbildung benötigt. Dagegen erscheint selbst eine dreijährige Lehre zum Verwaltungsfachmann eine relativ bescheidene Investition zu sein. Deshalb ist auch das Argument des Juristen Rieble schief, dass „… die Rechtsordnung durchweg – vom Lehrling über den wissenschaftlichen Assistenten bis hin zum Facharzt – [anerkennt], dass Ausbildungsstellen zu befristen sind.“ Rechtsordnungen haben nicht unbedingt mit Gerechtigkeit zu tun und sind nicht zwangsläufig richtig.

Apropos Facharzt, der Jurist hat sicher recht, dass an den Unis erfolglose, habilitierte Wissenschaftler in der Medizin immer noch auf Patienten losgelassen werden können. Er liegt aber völlig daneben, wenn er glaubt, dass Naturwissenschaftler-PDs in die private Forschung gehen können. Niemand in der Industrie wird einen 35- bis 40-jährigen Grundlagenforscher von der Universität noch einstellen wollen; der ist viel zu alt. Wer klug ist, arbeitet vom Studium an parallel in der Industrie und an der Universität, lässt sich von der Industrie bezahlen und holt sich die Titel bei der Uni. Aber er wird niemals für ein Universitätsgehalt arbeiten, wenn er direkt nach der Promotion das zwei- bis dreifache Gehalt eines Professors für seine guten Ideen in einem Unternehmen bekommen hat.

Überdies muss es für jede Professur eine Schar von Kandidaten, sprich promovierten und vielleicht noch formal habilitierten Wissenschaftlern, geben. Aus diesen sollte die wissenschaftlich und als Lehrer am besten geeignete Persönlichkeit ausgewählt werden. Werden aber von Ministerien und anderen Bürokraten Vorgaben hinsichtlich des Arbeitsgebietes und des Forschungsthemas gemacht, ist es leider oft nicht möglich, eine Person nach der Leistung auszuwählen. Von Quoten ganz zu schweigen. Das wiederum bedeutet dann eben nicht, dass die nicht zum Zuge kommenden habilitierten Wissenschaftler die weniger guten sind, die Versager, die unoriginellen Langweiliger. Sie können durchaus Top-Leute sein, Super- Wissenschaftler und außergewöhnliche Lehrer. Denn schaut man sich die Stellenanzeigen für Professoren über einige Jahre an, so zeigt sich, dass nicht einmal eine übergroße Spezialisierung notwendig ist, um in einem vernünftigen Zeitfenster keine passende Stellenausschreibung zu finden.

Ein kleines Beispiel: Überall wird von Biodiversität geredet, Urwäldern nachgetrauert und Horrorszenarien entworfen, in denen die Grüne Gentechnik alle natürlichen Pflanzen umbringt. Die Grundlagen für solche Untersuchungen aber werden an den Unis systematisch zerstört, Professuren für die Systematik der Pflanzen und Tiere werden umgewidmet und bekommen irgendwelche politisch opportunen Schlagwörter zwischen System- und -omics verpasst. Es gibt bald niemanden mehr, der die Tiere und Pflanzen in der Natur erkennen und einordnen kann. Molekularbiologie ist gut und schön und ein genetischer Barcode für Pflanzen und Tiere sinnvoll, aber wenn man ihn auf die falschen Lebewesen klebt, hilft das nicht weiter.

Es muss für wissenschaftliche Mitarbeiter unbedingt die Möglichkeit geben, mit einem nach hinten offenen Vertrag zu arbeiten. Dieser sollte durchaus kündbar sein, wenn Vorlesungen nur noch als Schlafmittel für die Studenten dienen und die Forschung sich auf das Lesen im Kaffeesatz beschränkt. Entsprechend sollten auch Professoren mit solchen Verhaltensmustern kündbar sein – wozu sie oder andere Menschen verbeamten? Nur so kann eine exzellente Qualität von Forschung und Lehre an den Universitäten erreicht werden. Wer glaubt, mit auf zwei oder drei Jahre befristeten Stellen für die in die Hörsäle drängenden, wissbegierigen Studenten hochqualifizierte Lehrer und Vorleser zu gewinnen, dem ist nicht zu helfen. Welcher nur einigermaßen fähige und intelligente Wissenschaftler sollte sich auf eine solche Stelle bewerben, wenn von vornherein klar ist, dass diese Stelle nach drei Jahren nicht mehr verlängert wird? Qualität kommt so nicht an die Universitäten.

Ach ja: Der Autor hat unverschämtes Glück gehabt. Zufällig wurde nach seiner Habilitation rechtzeitig vor Hartz IV eine Professorenstelle frei.

Einmal lebenslänglich verbeamtet.