Die Studis können kommen

Axel Brennicke


Editorial

(12.09.2012) Man glaubt es nicht, aber es funktioniert immer wieder. Die Politiker erzählen selbst ausgedachte Märchen oder plappern die anderer nach, lügen das Gelbe aus dem Ei ... und die Presse druckt es gehorsam. Neuere Beispiele:

1. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (v)erklärt die (mit Verlaub!) schwachsinnigen Bundesstipendien zu einem Erfolg – obwohl bisher mehr Geld für Werbung und Verwaltung ausgegeben wurde, als für die Stipendien selbst. Was da teuer verwaltet wird, sind wohl die Spendengelder, die die Unis selbst verwalten.

2. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung erklärt:

„Die Hochschulreform ist eine europäische Erfolgsgeschichte. Noch nie war die studentische Mobilität so hoch wie heute.“

Schon wer als BSc-Student auch nur von Hamburg nach Hannover wechseln wollte, hat spätestens bei der vierseitigen Liste mit Problemen aufgegeben, von der internationalen Anerkennung zwischen Regensburg und Rom oder Berlin und Barcelona ganz zu schweigen.

3. Bildungsministerin Theresia Bauer (genauer die Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst) von Baden- Württemberg punktet in den Medien, denn sie „…sieht sich für den weiter steigenden Ansturm der Studenten gerüstet“.

Editorial

Komisch, dass die Ministerin „sich“ gerüstet sieht, an den Universitäten sieht es anders aus. Dort zerfallen Gerüst, Rüstung und Rüstzeug.

Das belegt sogar das Statistische Landesamt mit erschreckenden Zahlen. Nicht vergessen, das statistische Landesamt schönt sowieso alle Zahlen, sonst bekommt es kein Geld mehr von den Landespolitikern. Schließlich soll das Amt weisungsgebunden diese bestätigen. Folgsam gibt es durchweg opportune Zahlen heraus. Dabei rutschen aus Versehen aber auch manche unschönen und unangenehmen Daten durch. Die erkennt man aber nur, wenn man genauer hinguckt.

Nicht nur der abnehmende Zuchtsauenbestand im Musterländle oder jedem anderen Land könnte ein Problem sein. Für uns statistikisierte Steuerzahler mindestens ebenso wichtig ist die Bildung unserer Nachkommen. Und nicht nur an Mamas Rockzipfel, der mit barem Geld pro Rotznase subventioniert werden soll, sondern auch an den Unis.

Selbst für ewige Kritiker schockierend berichtet die ländliche Statistik zu den Universitäten im Bundesländchen BW, dass inzwischen weniger Personen für die eigentlichen Aufgaben – Forschung und Lehre – bezahlt werden als Personen, die diese verwalten: Nach den neuesten (immerhin erst zwei Jahre alten) Daten wurden 2010 auf offiziellen Landesstellen in Forschung und Lehre 7.193 Personen finanziert. Mit Verwaltung, Technik und sonstigem Kram waren 9.209 Personen an den Unis beschäftigt.

Nicht, dass Sie denken, unter „Sonstigem“ seien Krankenschwestern mitgezählt: Dies sind nur die Zahlen aus den echten Kern-Unis, die gesetzlich primär für Forschung und Lehre da sind. Die Kliniken laufen extra im Land.

Kein Wunder, dass manche forschungswilligen Leute sich penetrant über unnötige Arbeit für obskure Winkel und geheime Funktionen der Verwaltung beklagen. Kein Wunder, dass ich herumjammere und mich als Zulieferer für unverständliche Beschäftigungsmaßnahmen unbekannter Leistungsträger der Verwaltung missbraucht sehe: An meiner Uni ist der Verbrauch an Geld und Zeit für die Verwaltung besonders krass: 402 Personen wissenschaftliches Personal werden von 682 Verwaltern und „Sonstigen“ auf Trab gehalten. Das ist bestimmt Absicht, sonst hätten wir womöglich noch Zeit, Vorlesungen oder Seminare anständig vorzubereiten. Oder, schlimmstmöglicher anzunehmender Umstand (SAU), womöglich sogar wirklich Forschung zu machen. Das ist der Landesbericht.

Fragen Sie mich nicht, woher welche Zahlen kommen. Woher Bund, Land oder Uni ihre Zahlen nehmen und zusammenklauben: Im Jahresbericht meiner Uni sind etwa gleichzählig je 800 in Forschung und Lehre sowie Verwaltung beschäftigt, schlimm genug, aber sieht nicht ganz so übel aus. Vielleicht sind bei der unieigenen Rechnung die von Drittmitteln bezahlten Personen mit eingerechnet. Diese schlagen ja fast ausschließlich in Forschung und Lehre zu Buche, scheinen also ebenso viele zu sein wie diejenigen, die über den Haushalt finanziert werden.

Dauerstellen trennt die Uni wohlweislich nicht von befristeten Verträgen ab. Da würde die produktive Fraktion in Forschung und Lehre natürlich deutlich schlechter abschneiden, aus der etwa 90 Prozent aller Verträge bald herauslaufen und die wissenschaftlichen Mitarbeiter herausgeworfen werden. Wohingegen so ein richtiger Verwaltungsangestellter lebenslänglich hat. Und nicht auf die Straße geschickt wird.

Eine andere Statistik ist genauso unverstehbar. Jaja, Sie haben ja Recht, alle Statistiken sind komisch und keine stimmt mit der anderen überein: Die Jahresberichte des Statistischen Bundesamtes berichten in schöner Beschönigung, dass sich das Betreuungsverhältnis Profs zu Studis seit 2003 jedes Jahr verbessert hat. Sie wissen ja: Trauen Sie keiner Statitik, die Sie nicht selbst gefälscht haben.

Ach, übrigens: Diese Berichte kupfert das HIS von der Zeitschrift Forschung & Lehre ab. Genau, das ist ebenjenes HIS, das Hochschul-Informations-System, das aus Steuergeldern finanzierte Institut, das seit Jahren unfähig ist, eine zentrale Plattform zu schaffen, über die sich Studenten einmal für die Uni(s) ihrer Wahl bewerben können. Das System, das bis vor einigen Jahren unter dem Namen ZVS immerhin funktionierte. Und das im Vergleich zu dem derzeitigen, nicht-existenten, einsame Spitze war. Jetzt errechnet das Statistische Bundesamt (für 2010) ein Betreuungsverhältnis von 60 Studis pro Prof. Verschlechtert von 59:1 in 2009 und von 56:1 im Jahr 2000. Alle Achtung, das haben die Abschreiber vom HIS auch so ähnlich erkannt. Alle sind hochgerüstet.

Merkwürdig nach Verschleierungsmethodik riecht, dass je kleiner und übersichtlicher die Zahlen werden, umso schlechter das Verhältnis der Profs zu Studis ausfällt: In den Landesämtern schon mieser als im Bundesamt, im zahlenmäßig größten Bundesland NRW mit einem Drittel aller Studis ergibt sich schon für das Wintersemester 2010/2011 eine Betreuungsdichte von 64,7 Studis pro Prof, wo der Bund die 60 herrechnet, bleibt im Nebel der Zahlen verschwommen.

Aber vielleicht stimmen ja alle Zahlen nicht: Irgendwie habe ich mich gerade im Zahlenlabyrinth verlaufen und bin beim Geld gestrandet. Das Statistische Bundesamt gibt für das Jahr 2009 an, dass pro Studi im Jahr 8.540 € ausgegeben werden (für Mediziner 26.650 €, für Naturwissenschaftler 8.100 €). Pro Prof-Jahr werden bundesweit 579.350 € ausgegeben. Wer mag, darf zum Spaß bzw. zur Gegenkontrolle die Pro-Prof-Summe durch die Pro-Studi-Summe teilen – ergibt schon 2009 ein Betreuungsverhältnis von 67,8 Studis pro Prof.

Diese doofe Rechnerei ist echt frustrierend. Gibt es dafür nicht eigentlich die Profis in den Statistik-Rechen-Ämtern, die dafür auch bezahlt werden?

In den kleineren Zahlenspielereien erreicht kaum eine Uni den angeblichen großen Durchschnitt von 60 Studis pro Prof, z.B. bespielen an der Uni Hannover 300 Profs 22.200 Studis, macht 74 Studis pro Prof.

Im WS 2011/2012 gab es schon eine größere Zahl an Studis in unserer Republik: 1.542.226 an den Unis (nach 1.446.131 im WS 2010/2011 und 1.392.556 im WS 2009/2010), das sind so um die sieben Prozent mehr Studis. Eigentlich sollte die Zahl der Profs an den Unis nicht so schwer herauszufinden sein, aber das schafft das Statistische Bundesamt nicht, wahrscheinlich hapert es an den Formulierungen, mit denen man als weitere Verbesserung der Betreuungsrelation verkaufen kann, dass es viel mehr Studis bei kaum mehr Profs gibt.

Immerhin haben die Redakteure der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ dabei mehr Durchhaltevermögen bewiesen als ich, sie haben dazu Zahlen gefunden, haben aber leider vergessen, diese genau zu hinterfragen und so sind neben den eigentlichen Unis auch alle anderen Einrichtungen mit „Profs“ untergemischt. Selbst dann vermehren sich die Studis schneller als die Profs, das hat F&L auch richtig beklagt.

Wie gesagt, es ist immer eine Frage der Darstellung: Das sonst Pro-Profs intelligent agitierende Mitglieder-Blättchen Forschung & Lehre fällt auch auf die Milchzahnrechnung herein und zitiert unreflektiert die Jubelnachricht aus dem Statistischen Bundesamt. Unter der Überschrift „Wissenschaftliches Personal wächst um drei Prozent“ listen sie Zahlen auf, die sofort die Überschrift widerlegen (F&L 2012, Seite 618): Profs stiegen von 2010 zu 2011 nur um 2,6 Prozent. (Zur Erinnerung: Studis stiegen um 7 Prozent). Das „gesamte Hochschulpersonal“ übernehmen sie aus der Statistik, vergessen, dass da alle Kliniker dabei sind, mit Physiotherapeuten und Krankenbettfahrern, die zusammen mit den Profs um 2,2 Prozent zunahmen. Darunter stiegen die Full-time-Bettenmacher, Nuklearphysiker, Festkörperchemiker und Systembiologen sogar nur um 2 Prozent, richtig vermehrt haben sich nur die Halbzeitkräfte.

Nochmal: Selbst ein Anstieg der Profs zählt nur relativ zu dem Studi-Tsunami, der über die Unis hereinbricht – wie immer völlig unvorhersehbar, welche Überraschung. Den drei Prozent mehr Profs stehen wie oben aus den Zahlen des Bundesamtes gelistet sieben Prozent mehr Studis gegenüber.

Wir sind gut aufgestellt? Wir sind gerüstet?

Allerdings sind die Zahlen zur Betreuungsrelation nach diesem jüngsten Bericht von 2010 ohne Frage noch schlechter geworden. Nicht zuletzt unter dem total unvorhersehbaren (!) Überdruck der studentischen Völkerwanderung, seit im letzten Winter die vielen Bayern nach acht Jahren Gymnasium und ohne Pflichtgymnastik in der Armee über den Grenzfluss Donau geschwappt sind.

Und die Verhältnisse werden im kommenden Winter noch finsterer, wenn die heimische Bevölkerung etwa des Badenund Schwabenlandes, die einer Wanderung am Wochenende aber nicht zum Studieren in einer fernen Stadt durchaus zugeneigt ist, mit neun und acht Jahren gleichzeitig aus der Schule kommt und weiterlernen will.

Mal sehen, was die Zahlen im nächsten Jahr zeigen. Oder wollen wir das vielleicht doch lieber nicht wissen? Das wird auch nur wieder was für Depri-Junkies. Viel schöner klingen doch die Wahl-Optimismen unserer politischen Führungseliten, die auch im nächsten Jahr wieder in Lobchoräle und Egohymnen ausbrechen werden.

Wir haben es gut bewältigt, stellte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne)... zufrieden fest... Erfreut zeigte sich Bauer auch über die von der Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Carmina Brenner, vorgestellten Daten...“ (SWP 1.6.2012, S.5).

Ich gehe davon aus, dass wir mit diesem Engagement auch die weiter steigende Nachfrage durch den doppelten Abiturjahrgang zum Studienjahr 2012/13 werden befriedigen können.“ (Pressemitteilung Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst BW, Webseite 2012).

Schön, wenn man unsere Ministerin so leicht befriedigen kann. Und dann sagte Ministerin Bauer noch:

Die letzten 3.300 Plätze, die wir als flexible Ausbaureserve für das Studienjahr 2012/13 bereit halten, sind mittlerweile auf die Hochschulen verteilt worden.

Toll, wie eine Ministerin feudal Studienplätze auf die Unis verteilt – ohne Profs, ohne Stellen...

Ob das Finanzamt solche Märchen akzeptiert? Na ja, bis zur erlogenen Doktorarbeit ist das alles nicht weit, man gewöhnt sich wohl langsam daran.